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Rede von Außenminister Sigmar Gabriel auf der sicherheitspolitischen Konferenz der SPD-Fraktion „Impulse für eine europäische Verteidigungsunion“
Lieber Wolfgang Hellmich,
lieber Rainer Arnold,
liebe Gäste,
meine Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Einladung und herzlichen Dank an all diejenigen, die geholfen haben, diese Konferenz vorzubereiten!
Und Ihr hättet Euch ja kaum eine bewegtere Woche aussuchen können, um über Zukunftsimpulse in Europa zu sprechen:
Am Wochenende haben wir den Jahrestag der Römischen Verträge gefeiert. Und ich freue mich, dass es gelungen ist, eine gemeinsame Erklärung zu Stande zu bringen. Aber die Tatsache, dass das schwer war, zeigt, dass wir an einem kritischen Punkt sind.
Es gibt viele Fragen und Diskussionen dazu, wie die Europäische Union in Zukunft ihren Zusammenhalt sichern und ihre Zusammenarbeit organisieren soll.
Das hängt zum einen mit dem Brexit zusammen: Übermorgen erhält die EU voraussichtlich Post aus Großbritannien, womit der Prozess zum Austritt der Briten aus der Europäischen Union beginnen wird.
Übrigens müssen wir sicherheitspolitisch ein großes Interesse daran haben, die Beziehungen zu Großbritannien so eng wie möglich zu halten. Ich würde uns ohnehin raten, dass wir den Austrittsprozess selbstbewusst und ohne Schaden für die verbleibenden 27 bestreiten. Aber auch nicht unter der Überschrift „Wie kann man die Briten für ihre Entscheidung bestrafen?“. Sondern wir müssen gucken, dass wir so dicht beieinander wie möglich bleiben, weil wir eben doch am Ende, das werden auch die Briten merken, aufeinander angewiesen sind. Gerade in der Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ist das offensichtlich.
Aber auch darüber hinaus wird viel und intensiv über verschiedene Modelle der Integration und Zusammenarbeit diskutiert. Das Friedensversprechen hat Europa eingelöst. Und man sieht ziemlich schnell, wie unsicher die Lage dort ist, wo die friedensstiftende Hand der Europäischen Union nicht vorhanden ist. Vor allen Dingen aber hat die Europäische Union das Wohlstandsversprechen nicht eingehalten. Wir haben eine Spaltung in einen relativ wohlhabenden Norden und einen weniger wohlhabenden und sich in Schwierigkeiten befindlichen Süden. Was immer man über die Frage denkt, wie das zu bewältigen ist - wir werden jedenfalls aufpassen müssen, dass diese soziale Spaltung in Europa nicht so tief geht, dass sie Vorhaben wie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik beschädigt, weil wir uns immer mehr voneinander entfernen.
Ich glaube wir sehen auch große politische Differenzen zwischen Mittelosteuropa und Westeuropa, wenn wir uns anschauen, welche Entwicklungen wir in Polen und auch in Ungarn haben. Und auch da geht es natürlich darum, dass wir versuchen müssen, zum Beispiel in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, neue Felder zu finden, wo die Zusammenarbeit auch von dort aus stärker gewünscht wird und von dort aus die Integration vorangetrieben wird, so sehr sie uns auch in anderen Feldern fern sind.
Ich glaube uns allen ist klar: Wir stehen in Europa vor immensen Herausforderungen. Das Motto der früheren Jahre „muddling through“- „irgendwie wird es schon gut gehen“ wird nicht mehr funktionieren. Was auch auf Dauer nicht geht, ist, dass bei jeder Frage ausschließlich auf unser Land geschaut wird. Es ist ja auch verführerisch, denn immer häufiger werden wir aufgefordert eine Führungsrolle zu übernehmen. Aber wir müssen aufpassen, dass uns nicht der Blick dafür verloren geht, dass Europa nicht nur aus ein paar größeren Ländern besteht. Sondern dass wir viele kleine sind und uns in Europa auf Augenhöhe begegnen. Wir müssen unseren Gesprächspartnern in Washington, Moskau und Peking immer wieder klar machen: Da gibt es nicht nur Deutschland, das Euch auffällt, weil es ökonomisch stark ist. Da gibt es ganz Europa. Wir wollen, dass wir hier beieinander bleiben. Wir Deutschen müssen manchmal aufpassen, dass wir den kleineren Staaten gegenüber signalisieren, dass wir wissen, dass wir hier alle auf Augenhöhe sind. Manchmal wünscht man sich ein bisschen mehr Bonner Republik und ein bisschen weniger Berliner Republik im Umgang mit den vielen anderen in Europa, denen wir nicht politisch, ökonomisch und jetzt am Ende auch noch militärisch als Führungsnation gegenüber treten dürfen. Weil Europa so nicht konstruiert ist. Sondern wir sind konstruiert dafür, dass wir miteinander die Herausforderung gemeinschaftlich bewältigen. Das Paradoxe ist ja, dass Europa auf der einen Seite gerade jetzt wichtiger wird, aber es auf der anderen Seite in so vielen Schwierigkeiten steckt.
Es wird wichtiger, weil Ereignisse in der Welt da draußen, die uns so intensiv und unmittelbar betreffen, in direkter Wechselwirkung zu den europäischen Zukunftsfragen stehen.
Europa ist von zahllosen Krisen und Konflikten umgeben, die uns alle auf die Probe stellen.
Die Konflikte in unserer Nachbarschaft sind nicht nur zahlreicher geworden. Sie rücken auch näher an uns heran - sowohl an unseren östlichen als auch an unseren südlichen Grenzen.
Krisen, ausgelöst durch politisches Versagen, durch Korruption, durch Hunger, durch Klimaphänomene kommen hinzu. All dies beschäftigt uns ungeheuer. Sie entstehen immer wieder neu, und wie wir merken, bleiben sie oft ungelöst.
Die Folgen bekommen wir unmittelbar zu spüren:
Wir müssen mit Flucht und verstärkten Migrationsbewegungen umgehen.
Terroristische Bedrohungen nehmen zu – wie uns gerade der Anschlag von London erneut nur allzu deutlich vor Augen geführt hat.
Gleichzeitig ist harte Machtpolitik wieder verstärkt auf die internationale Bühne zurückgekehrt. Wir sehen Trends zu stärkerer Aufrüstung in vielen Staaten der Welt. Und auch wir sind ja mittendrin in einer Debatte, wie wir damit umgehen müssen.
Europa befindet sich in einer Weltlage, die selten so komplex, selten so bedrohlich erschien.
Und genau aus diesem Grund brauchen wir eine kluge Analyse und starke gemeinsame Antworten – gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik! Für mich ist – für einen Außenminister vielleicht nicht unheimlich überraschend – die Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine Funktion der Politik und der Außenpolitik. Sie ist nicht Anhängsel der Außenpolitik, aber sie ist natürlich eine Funktion von Politik. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man sicherheits- und verteidigungspolitische Ziele und Instrumente definieren will, ohne ein gemeinsames Bild von Außenpolitik zu haben. Insofern muss die Außenpolitik der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorangehen. Ein Umgehen mit all den Krisen und Konflikten kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir Europäer auf der gesamten Fläche gemeinsame Anstrengungen unternehmen.
Es ist übrigens ganz interessant, wenn man Menschen fragt: „Was denkt Ihr eigentlich, wo Europa mehr tun muss?“ Da kommt als eine der ersten Antworten: „Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Es ist ganz spannend, dass da wo die professionelle Politik Schwierigkeiten hat zueinander zu finden, es die Bürgerinnen und Bürger eigentlich als ganz normal empfinden. Man muss ja auch nicht Politik studiert haben, um zu verstehen, dass unter 27 Freunden ja vielleicht nicht jeder das Gleiche braucht. Und es vielleicht ganz klug wäre, gemeinsam zu überlegen, welche Fähigkeiten halten wir eigentlich gemeinsam vor und was wollen wir eigentlich damit erreichen? Auch um effizient zu sein und das Geld nicht doppelt und dreifach an der falschen Stelle auszugeben. Ich glaube, das ist etwas, was Bürgerinnen und Bürger in Europa für völlig normal halten. Genauso wie sie es für normal halten, dass der Außengrenzschutz der Europäischen Union gemeinschaftlich organisiert wird. Es ist die Bundesrepublik Deutschland, die in der Vergangenheit vorneweg war in der Gegnerschaft. Für die war Außengrenzschutz eine nationale Aufgabe. Erst jetzt wächst das Bewusstsein, dass auch das zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik gehört. Ich finde es jedenfalls ein ganz gutes Zeichen, dass da wo Menschen gefragt werden, was die Europäische Union leisten soll, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus einem ganz normalen Gefühl eines Bürgers der Europäischen Union als eine der großen Aufgaben bezeichnet wird, die wir nur gemeinsam lösen können. Und gleichzeitig haben die Bürger dann auch ein paar Ideen für Dinge, die die Europäische Union macht, aber die man vielleicht besser national oder regional oder kommunal machen kann. Nicht „Mehr Europa in allen Dingen“, sondern ein anderes, ein besseres Europa, das sich darauf konzentriert, was supranational einfach nur gut gelingen kann und was man alleine nicht mehr hinkriegt. Das übrigens ist keine Aufgabe von Souveränität: Europa und die Europäische Union soll dafür sorgen, dass das wo die Mitgliedstaaten alleine in der Welt von morgen keine Souveränität mehr haben, dass wir diese Souveränität gemeinschaftlich zurückgewinnen. Europa ist also ein Souveränitätsgewinn für die Nationalstaaten, und nicht etwa ein Verlust, wie das manche behaupten.
Gewiss – die Europäische Union hat sich in den letzten Jahren auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt:
Der Lissabonner Vertrag hat dafür wichtige Weichen gestellt, bis hin zur Beistandsklausel des Art. 42 EU-Vertrag.
Das zeigt: Europa ist der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger, einschließlich der territorialen Integrität seiner Mitglieder, verpflichtet.
Die Europäische Union ist bis zu einem gewissen Grad auch Ordnungsmacht geworden, insbesondere in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, aber auch darüber hinaus.
Sie strahlt über die eigenen Grenzen hinaus auf vielfältige Art und Weise Stabilität aus – politisch, durch aktives sicherheitspolitisches Engagement, wie natürlich wirtschaftlich.
Aber, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist auch:
Europas Fähigkeiten zur Projektion von Sicherheit und Stabilität über die eigenen Grenzen hinaus sind wahrlich noch nicht ausreichend entwickelt. Zugespitzt kann man sagen: Die Europäische Union hat für sich selbst genommen noch keine Machtprojektion. In einer Entwicklung in der Welt, wo militärische Macht wieder stärker zu einem Faktor internationaler Politik geworden ist, kann man das nicht ignorieren, auch wenn man sich eine andere Welt wünscht. Deshalb glaube ich, dass Europa nicht eine besondere Form des „Exzeptionalismus“ entwickeln sollte, den wir aus den USA kennen, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. Der amerikanische Exzeptionalismus sagt ja: „Wir haben das beste Modell für das Zusammenleben und wir bringen es in alle Teile der Welt“. Europa muss aufpassen, dass wir nicht umgekehrt sagen: „Wir wissen auch, wie man am besten zusammenlebt. Aber wir möchten mit der Welt eigentlich sehr wenig zu tun haben. Wir wollen nicht hineingezogen werden in die Konflikte.“
Und wir denken lieber darüber nach, wie wir die Mauern an den Grenzen Europas wieder etwas höher ziehen, als über die Frage, wie wir mittels politischer, wirtschaftlicher aber auch notfalls militärischer Macht zeigen können, dass wir in dieser Welt eine Stimme haben. Wir bereit sind uns zu verteidigen, aber auch anderen zu helfen. Dass das heute noch nicht der Fall ist, uns auch Instrumente und Fähigkeiten fehlen, um noch umfassender und effektiver zur Verhinderung und Bewältigung von Krisen und Konflikten beizutragen und ein globaler Akteur für Sicherheit und Stabilität zu werden, ist der Europäischen Union nicht vorzuwerfen.
Ihr fehlen letztlich auch die Mittel, um die eigene Sicherheit in dem Maße zu gewährleisten, wie es wünschenswert wäre.
Das kann keine Überraschung sein und ist auch kein Vorwurf: Die Europäische Union ist nicht als ein weltpolitischer Akteur konzipiert worden. Sie sollte Frieden und Wohlstand für ihre Mitglieder schaffen.
Diese Aufgabe hat sie über Jahrzehnte hervorragend erfüllt.
Aber um aktiv und gestaltend, vermittelnd und mäßigend, konfliktbegrenzend und stabilisierend auf globaler Ebene tätig zu sein, ist die EU bislang nicht aufgestellt.
Dabei wäre eine Rolle Europas als glaubwürdiger Akteur in der Welt heute wichtiger denn je!
Ich bin nicht der einzige, der das so sieht: Zwei Drittel der Europäer wollen mehr Europa in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, und nicht weniger!
***
Was ist also zu tun? Ich will zwei Grundsätze nennen, die uns aus meiner Sicht leiten sollten und dann einige konkrete Schritte benennen, die wir gehen sollten.
Erstens: Gerade auch in sicherheitspolitischen Fragen in Europa muss das Primat der Außenpolitik gelten! Das betone ich nicht, weil ich Außenminister bin, sondern weil ich überzeugt bin, dass wir uns immer zuerst fragen müssen: Welchen politischen Herausforderungen sehen wir uns gegenüber? Mehr als bisher brauchen wir dafür heute ein gemeinsames europäisches Verständnis der Probleme und Herausforderungen als Grundlage für unser gemeinsames Handeln. Die Hohe Vertreterin Federica Mogherini hat dafür mit der „Globalen Strategie für die Sicherheits- und Außenpolitik der Europäischen Union“ im letzten Jahr einen wichtigen Schritt voran gemacht. Darauf müssen wir aufbauen.
Denn klar ist: In einer Welt, in der sich die Gewichte verschieben, werden wir nur dann eine Stimme haben, wenn es eine gemeinsame europäische Stimme ist. Dafür brauchen wir gemeinsame Außenpolitik auf europäischer Ebene, aus der wir unsere sicherheitspolitischen Instrumente entwickeln.
Grundlage dafür muss – das ist der zweite Grundsatz, den ich nennen will – ein umfassender Begriff von Sicherheit sein, der alle Mittel und Instrumente einschließt. Wir müssen darauf schauen, was uns Europäer auszeichnet:
Unsere Stärke ist gerade, dass wir Krisen mit einem breiten Instrumentenkasten angehen: mit diplomatischen, mit zivilen, mit polizeilichen und, ja, auch mit militärischen Mitteln. Aber nicht nur. Gerade die Europäische Union ist in der Lage, alle diese Instrumente zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Markenkern europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, den wir beibehalten und ausbauen müssen!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin sehr dafür, dass wir unsere militärischen Fähigkeiten in Europa weiterentwickeln und auch die gemeinsame Verteidigung stärken. Dazu gleich ein paar Bemerkungen mehr. Aber weil dies in letzter Zeit wiederholt Thema gewesen ist, will ich kurz erläutern, warum mich die Tendenz in der derzeitigen Diskussion über unsere Militärausgaben beunruhigt.
Ich glaube einfach, dass wir den Blick in der öffentlichen Debatte und auch durchaus innerhalb der NATO zu sehr auf den Teil der Militärausgaben lenken. Ich glaube, wir müssen ein wenig aufpassen, dass wir nicht in eine Zeit zurückfallen, in der wir dachten, dass Steigerung der Militärausgaben gleichbedeutend mit der Steigerung von Sicherheit ist. Man würde in der Mathematik sagen: Militärisch sich verteidigen können ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für Sicherheit.
Deshalb muss man, ja, mehr tun, auch Ausgaben zu steigern. Entscheidend ist doch aber, wie wir das angehen.
Rein national? Als Deutsche auch ein 2%-Ziel verfolgen, das es übrigens in der NATO gar nicht gibt? Es gibt keine Festsetzung eines apodiktischen 2%-Ziels. Die Sehnsucht in der öffentlichen Debatte das herbei zu reden, macht mich ein bisschen nachdenklich. Dieses 2%-Ziel würde bedeuten, dass Deutschland pro Jahr knapp 70 Milliarden Euro in die Bundeswehr steckt. Mal in die Zukunft gedacht: Ich bin nicht so ganz sicher, ob unsere europäischen Partner in zwanzig Jahren, wenn wir dann zwölf Jahre diese Investitionen hinter uns hätten, das dann eigentlich auch noch als besonders sicher empfinden würden. Wir würden ja in der Mitte Europas, in der stärksten Volkswirtschaft, in der bevölkerungsreichsten Volkswirtschaft dann auch eine gigantische Ausgabe pro Jahr in die deutsche Bundeswehr tätigen. Ob das die Idee von vernetzter und gemeinsamer Sicherheit abbildet, da habe ich so meine Zweifel.
Deswegen: Die Reduktion auf Verteidigungsausgaben ist schon ein Fehler an sich. Aber es ist auch ein Fehler, es national zu denken. Gerade für uns in Europa. Denn der eigentliche Mehrwert besteht darin, dass wir jetzt investieren, aber in gemeinsame Fähigkeiten und Strukturen, bei denen wir füreinander Verantwortung übernehmen. Und dann auch die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag dazu leisten muss.
Ich finde, es steht Deutschland gut zu Gesicht, wenn wir ernsthaft mit solchen Debatten umgehen. Diese Ernsthaftigkeit drückt sich erstens dadurch aus, dass man anderen nichts vormacht. Ich kenne niemanden, der einen solchen Bundeshaushalt aufstellen und genehmigen würde. Schon gar niemanden, der wie der Kollege Spahn der Überzeugung ist, man solle das Geld doch in den Sozialausgaben kürzen. Ich kenne übrigens auch niemanden in Europa, der wie der amerikanische Präsident die Erhöhung des Militärhaushalts einhergehen lassen würde mit der Kürzung der Mittel für das Welternährungsprogramm, für Entwicklungshilfe, für Krisenprävention.
Daran merken Sie, warum ich ein bisschen sorgenvoll auf diese 2%-Debatte schaue. Wenn sie bei dem, der sie am stärksten vorantreibt, schon dazu führt, dass der zivile Teil der Sicherheitspolitik gekürzt werden soll, dann ahne ich, dass wir auf dem Weg in eine falsche Richtung wären, wenn wir das jedenfalls einfach so nachvollziehen.
Und so schwer es in solchen Debatten ist eine differenzierte Position zu haben, sollten wir sie einnehmen. Nämlich erstens dafür einstehen, dass wir die Bundeswehr modernisieren, dass wir einen höheren Anteil an Verteidigungslasten übernehmen. Aber dass wir auch nicht solchen gigantischen und in der Konsequenz falschen Forderungen hinterherlaufen, wie dem 2%-Ziel. Sondern einen erweiterten Sicherheitsbegriff beibehalten in dem dann allerdings auch wir unserer Verantwortung gerecht werden.
Meine Damen und Herren,
der Kern ist aber doch, dass die EU, gemeinsam Sicherheit für Europa schafft und gemeinsam zu Frieden und Stabilität in der Welt beiträgt – und nicht mehr alleine national unterwegs ist. Das sind die Kernpunkte des europäischen Projekts und unsere europäischen Beiträge dazu sollten auch international anerkannt werden. Primat der Außenpolitik und umfassender Begriff von Sicherheit – das ist der Rahmen, in dem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre gemeinsame Außenpolitik und eben auch ihre Kooperation bei der gemeinsamen Verteidigung aus meiner Sicht vertiefen müssen.
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Meine Damen und Herren,
wir müssen bereit sein, mehr Europa auch in diesen Bereichen zu wagen.
Ich sehe in vielen Bereichen durchaus hohe Übereinstimmung unter den Mitgliedsstaaten. Das gilt allerdings nicht in allen Fällen und für alle Themen, und auch unsere Zusammenarbeit in der EU ist noch nicht effizient genug. Deshalb sehe ich es auch als meine Verpflichtung an, die Hohe Vertreterin in ihrer Rolle zu stärken.
Bei den Verhandlungen mit dem Iran zum Nuklearprogramm war es ein großes Pfund, dass Europa durch die Hohe Vertreterin direkt am Tisch saß und erfolgreich verhandeln konnte! Dass der Europäische Auswärtige Dienst in der kommenden Woche die nächste Syrien-Konferenz ausrichtet, ist auch deshalb ein so wichtiges Zeichen für europäisches Engagement. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern sollten wir aber auch auf anderen Feldern überlegen, wie wir sicherstellen, dass die Hohe Vertreterin bei den entscheidenden Gesprächen und Verhandlungen dabei ist. Das mag wie ein kleiner Schritt klingen. Es ist aber wichtig, um Veränderungen in den Köpfen, im europäischen Denken anzustoßen – sowohl bei unseren europäischen Partnern, als auch bei unseren Verhandlungspartnern!
Ich bin überzeugt, dass wir zudem Wege finden müssen, unsere Arbeit im Rat für Auswärtige Angelegenheiten, wo die Außenminister zusammenkommen, effizienter zu gestalten.
Es ist Zeit, nationale Befindlichkeiten, die unser gemeinsames Handeln als Europäer blockieren, zurückzustellen.
Zum Beispiel dann, wenn es um das Voranbringen wichtiger Projekte geht und das Ganze scheitert, weil ein einziger Staat sich dem Konsens nicht anschließen will.
Können wir nicht dazu kommen, dass wir als Mitgliedsstaaten mehr Bereitschaft zeigen, nicht durch ein einsames Veto die gesamte EU aufzuhalten?
Dafür brauchen wir keine Vertragsänderung, sondern dafür reicht der politische Wille jedes einzelnen Mitgliedstaates. Politische Selbstverpflichtung kann man ja nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für sich selber debattieren. Warum soll es nicht möglich sein zu sagen: „Wenn wir alleine sind in einer solchen Abstimmung, werden wir mit unserem Veto den europäischen Weg nicht aufhalten“. Damit würden wir die europäische Außenpolitik einen mächtigen Schritt voranbringen!
Uns besser europäisch aufzustellen, heißt auch, dass wir unsere politischen, zivilen und militärischen Instrumente besser miteinander verzahnen! Heute sind zivile Experten, Diplomaten, Polizisten und Soldatinnen und Soldaten in 15 Einsätzen der EU zur Krisenbewältigung im Einsatz. Unser Engagement reicht von der Ukraine bis an das Horn von Afrika. Diese Woche bringen wir die Mandatsverlängerung für die Teilnahme der Bundeswehr an der EU-Mission in Mali auf den Weg. Dort bildet die EU-Trainingsmission malische Soldaten aus. Aber die EU engagiert sich parallel mit einer zivilen Beratungsmission, um den Sicherheitssektor Malis zu stärken. Es ist wichtig, dass wir in dieser Weise komplementär vorgehen. Und ich finde es gut, dass deutsche Polizistinnen und Polizisten ihre malischen Kolleginnen und Kollegen ausbilden!
Überhaupt: Ich finde es grundsätzlich richtig, dass wir uns mit unserer Bundespolizei noch stärker als bisher für Polizeimissionen international engagieren – sei es nun in der EU wie in Mali, in der OSZE oder in den Vereinten Nationen. Das hat vor einiger Zeit auch der Deutsche Bundestag gefordert. Was wir als Europäer dort in Mali leisten, ist Teil einer Gesamtstrategie und wir stimmen uns eng mit den Vereinten Nationen ab.
Aber - am Beispiel Mali zeigt sich eben auch, wo wir Europa in der Verzahnung unserer verschiedenen Instrumente noch voranbringen müssen!
Ein Beispiel: Bisher hatte der Kommandeur der EU-Trainingsmission in Mali zwei schwierige Aufgaben gleichzeitig: Die Verantwortung für einen anspruchsvollen Einsatz im Feld zum einen. Und zum anderen musste er in Brüssel gleichzeitig die Planungs- und Entscheidungsprozesse voranbringen. Dieses Jonglieren mit zwei Aufgaben hat wenig Sinn! Und damit bin ich bei konkreten Schritten im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und wir haben zuletzt wichtige Fortschritte auf europäischer Ebene gemacht!
Auch wenn manche Dinge in diesem Bereich zunächst klein oder technisch wirken oder klingen, bewirken sie aber tatsächlich viel. Vor einigen Wochen haben wir uns auf die Aufstellung der „ständigen Planungs- und Führungsfähigkeit“ für militärische Ausbildungsmissionen in Brüssel geeinigt – ein wichtiger Schritt! Was sich hinter diesem sperrigen Namen verbirgt, ist eine europäische Kommandozentrale, in der die Fäden zusammenlaufen und bei der sich Europa noch nicht traut sie so zu nennen. Und es wird eine zivil-militärische Koordinierungszelle geben, in der zivile und militärische Aspekte jetzt endlich besser miteinander verzahnt werden können. Für den Fall Mali, zum Beispiel, wird dies von großem Wert sein.
Wir arbeiten zudem an der „stärkeren strukturierten Zusammenarbeit“. Das müssen wir weiter tun und die Debatte darüber führen, welche Staaten bereit sind mitzuziehen und sich gemeinsam stärker zu engagieren. Wir denken verstärkt über gemeinsame Fähigkeiten nach. Ein wichtiger Schritt dafür kann der Europäische Verteidigungsfonds sein, in den Mittel fließen sollen, um militärische Fähigkeiten gemeinsam zu entwickeln und zu beschaffen. Denn es ist wichtig, Mehrinvestitionen in Europa so zu organisieren, dass sie effizient sind und zu größerer gemeinsamer europäischer Stärke führen. Und eben nicht zu weiteren Unwuchten zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten.
Wir müssen unsere Fähigkeiten immer stärker als in einen europäischen Rahmen „eingebettete“ Fähigkeiten verstehen. Und wir müssen diese so organisieren, dass sie komplementär zu dem sind, was wir in der NATO tun. Ich denke, dass wir von einer „Europäischen Armee“ oder gemeinsamen Streitkräften noch weit entfernt sind. Aber: Stärker europäisch denken und Fähigkeiten verzahnen, gemeinsam entwickeln und beschaffen – das muss ein Ziel sein, dem wir uns mit aller Kraft widmen!
Das wird aber auch bedeuten – so realistisch müssen wir sein, wenn wir dies fordern und anstreben – dass wir in Deutschland überlegen müssen, wie wir darauf am besten vorbereitet sind.
Zu Recht gibt es den Parlamentsvorbehalt für Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und das Parlamentsbeteiligungsgesetz geben uns klare Leitplanken vor.
Dennoch – so ehrlich muss man sein – stärker integrierte Fähigkeiten auf europäischer Ebene werden auch bedeuten, dass sich die Augen verstärkt auf die Verlässlichkeit jedes einzelnen Partners richten werden, auch auf Deutschland. In einer Situation in der beispielsweise die Europäische Union sagt: „Wir beteiligen uns an einem UN-Einsatz“ – und dafür bestimmte Fähigkeiten von Mitgliedsstaaten nur dann zur Verfügung gestellt werden können, wenn auch Deutschland die dafür notwendigen back-ups liefert. Das darf dann nicht am Einspruch des Deutschen Bundestags liegen, weil es vielleicht kurz vor einer Wahl ist oder ansonsten die Debatte bei uns schwierig ist. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das die Politik in unserem Land herausfordern wird. Wir können über Vieles miteinander reden, aber die Grundlage dafür ist: Verlässlichkeit in den Fähigkeiten, Verlässlichkeit in der gemeinsamen Sicherheitspolitik. Das müssen unsere Partner von uns erwarten dürfen und wir müssen es erfüllen.
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Meine Damen und Herren,
Sie werden heute beraten und diskutieren, wie wir Impulse geben können für ein Europa, das sich besser behaupten können muss in einer Welt, die leider nicht friedlicher zu werden scheint.
Und, lassen Sie mich noch eins mit Blick auf den zu erwartenden Brief aus London hinzufügen: Ich freue mich nun wirklich nicht über die Brexit-Entscheidung. Aber wenn es dazu führt, dass wir in Europa enger zusammenrücken und es uns gelingt gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik unsere britischen Freundinnen und Freunde bei uns zu behalten, dann sollte uns auch vor diesem Brief und den Folgen nicht bange sein.
Meine Damen und Herren,
Es wird nicht weniger komplex in Zukunft. Aber die wahre Zukunftsaufgabe für uns ist doch: Allen Tendenzen von Europakritik zum Trotz an unserem gemeinsamen Europa weiterzuarbeiten. Denn wir dürfen das, was die Generationen unserer Eltern und Großeltern so mühsam aufgebaut haben, nicht einfach als gegeben hinnehmen, das merken wir gerade. Wenn es uns gelingt, jetzt „mehr Europa“ bei Außenpolitik, bei Sicherheit, bei Verteidigung zu erreichen, dann haben wir einen wichtigen Pfeiler für die Zukunft dieses Europas eingezogen, für dem uns nachfolgende Generationen dankbar sein werden.
Uns leiten dabei gemeinsame Werte in Europa – Freiheit, Demokratie und Menschenrechte – und eine europäische Mitverantwortung für unsere Sicherheit, aber auch für globalen Frieden und globale Stabilität.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!