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„Wir brauchen einen neuen Stabilitätspakt“ (Interview)

29.10.2011 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle zu den Ergebnissen des Gipfeltreffens der Euro-Gruppe am 27.10,. Interview erschienen in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau vom 29.10.2011

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Herr Westerwelle, ist der Euro nach dem jüngsten EU-Gipfel jetzt gerettet?

Der Euro ist jedenfalls stabiler geworden, und wir haben die Weichen für eine gute Entwicklung in Europa gestellt.

Die EU-Staaten stellen eine Billion Euro, das sind 1000 Milliarden Euro, zur Verfügung, um angeschlagene Euro-Länder zu stützen. Ist das nicht eine gigantische Wette gegen die Wetten der Finanzjongleure?

Es ist richtig, dass wir die Krise bekämpfen, indem wir eine Brandmauer ziehen. Sie soll verhindern, dass die Krise in Griechenland auf den Rest Europas übergreift. Nicht zu handeln, käme Deutschland viel teurer. Gleichzeitig müssen wir aber auch den Umbau der EU anpacken und die Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion beseitigen, sonst landen wir alle paar Jahre wieder in einer Schuldenkrise.

Wie soll das gehen?

Wir brauchen einen neuen Stabilitätspakt, denn die geltende Vertragslage ist ein zahnloser Tiger. In 37 Fällen wurden Verstöße gegen die Kriterien festgestellt, ohne dass dies auch nur in einem Fall tatsächlich zu Sanktionen geführt hätte. Dafür trägt die damalige rot-grüne Regierung maßgeblich Verantwortung, weil sie den Pakt 2004 aufgeweicht hat. Dieser historische Fehler muss jetzt korrigiert werden.

Wie lange wird dieser Umbau dauern?

Ein eng begrenzter EU-Konvent sollte meines Erachtens nicht länger als zwölf Monate über die nötigen Änderungen diskutieren.

Angesichts der bisherigen Arbeitsgeschwindigkeit in der EU klingen zwölf Monate sehr ehrgeizig.

Es hat weniger als ein halbes Jahr gedauert, dann standen der Zwei-plus-Vier-Vertrag und der deutsch-deutsche Einigungsvertrag. So etwas sollte in Europa in dieser Krise auch möglich sein.

Gibt es in Deutschland in dieser Krise nicht längst schon eine informelle Große Koalition oder eine Koalition der nationalen Einheit, schließlich stimmen SPD und Grüne regelmäßig für die Euro-Beschlüsse.

Schwarz-Gelb regiert und entscheidet. Aber ich bin froh, dass SPD und Grüne jetzt mit der Regierung gestimmt haben, nachdem sie sich zuvor bei wichtigen Beschlüssen enthalten haben.

Finden Sie es eigentlich demokratie-theoretisch ein Problem, dass es mit Ausnahme der Linkspartei keine politische Kraft gibt, die die Bedenken der Euro-Skeptiker vertritt?

Ich finde, auch die größten Skeptiker sollten ins Grübeln geraten, wenn alle führende Kräfte der Republik, alle führenden Kräfte in Europa und nahezu alle führenden Kräfte in der Welt der Überzeugung sind, dass es richtig ist, diesen Weg zur Rettung des Euro zu gehen.

Ausgerechnet in Ihrer eigenen Partei, Herr Außenminister, scheint sich diese Weisheit nur schwer durchzusetzen.

Es reicht nicht zu sagen, was man nicht will. Man muss auch sagen, was man will. Ich freue mich auf den Mitgliederentscheid, denn er gibt uns Gelegenheit, vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit mit unseren Argumenten für Europa zu werben. Die Bürger müssen überzeugt werden, denn ihre Zustimmung ist system-relevanter als jede Bank, damit Europa gelingt.

Werden Sie im Amt bleiben, sollte die Partei Ihren europapolitischen Kurs nicht mittragen?

Ich halte nichts davon, eine solche Sachentscheidung mit sachfremden Überlegungen zu befrachten.

Gerade erreichen wir die Mitte der Legislaturperiode. Welche Schulnote hat der Außenminister verdient?

Die Bundesregierung hat Deutschland bislang erfolgreich durch die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit Gründung der Republik geführt. Wir haben außenpolitisch wichtige Weichen gestellt, den Abzug aus Afghanistan eingeläutet, Europa und den Euro geschützt. Weltweit werden wir für unsere niedrige Arbeitslosigkeit beneidet,die Nettolöhne und die Renten steigen – genau wie versprochen. CDU, CSU und FDP können stolz sein auf diese Bilanz.

Ihre Skepsis gegenüber Libyen hat ihnen viel Ärger gebracht. Sie warnten davor, den dortigen Aufbruch zur Demokratiebewegung zu verklären. Nun zeigt sich, dass die Despoten in Nordafrika zwar gestürzt sind, die weitere Entwicklung aber ungewiss ist. Fühlen Sie sich bestätigt?

Es kann nicht darum gehen, Recht zu behalten. Entscheidend ist, dass wir unseren Beitrag leisten, dass aus dem Umbruchprozess in der arabischen Welt ein wirklich demokratischer Aufbruch wird. Deshalb haben wir jenen Ländern unsere Hilfe und eine Transformationspartnerschaft angeboten.

Für die Zukunft Afghanistan gilt 2011 als entscheidendes Jahr. Wie fällt hier Ihre Bilanz aus?

In Afghanistan gibt es Licht, aber leider immer noch viel Schatten. Es war richtig, endlich realistische Ziele zu setzen und einen Fahrplan für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung und den Abzug der internationalen Truppen zu erarbeiten. Allerdings müssen wir auch nach 2014 und dem Abzug der internationalen Kampftruppen sicherstellen, dass nicht wieder Kräfte an die Macht gelangen, deren Ziel Terror und Zerstörung sind.

Im Winter soll der Abzug beginnen, wie viele Bundeswehr-Soldaten wollen sie heim holen?

Das besprechen der Verteidigungsminister und ich sehr verantwortungsvoll und nach fachlichen Kriterien, bevor wir es im Dezember gemeinsam in der Regierung entscheiden. Es geht nicht um symbolische Zahlen, sondern darum, eine Trendwende zu erreichen. Nach dem Beginn der Übergabe der Sicherheitsveratnwortung in diesem Jahr soll der Einsatz zum ersten Mal rückläufig sein, so wie es im letzten Mandat vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde.

Fragen: Damir Fras und Steffen Hebestreit. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau.

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