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Interview: Außenminister Westerwelle in der österreichischen Zeitung „profil“

09.08.2010 - Interview

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Als Außenminister sind Sie derzeit mit einem heiklen Problem konfrontiert: Im Zusammenhang mit Afghanistan stellt sich die Frage nach gezielten Tötungen von ranghohen Taliban. Sie vertreten dabei offenbar die Auffassung, diese Vorgangsweise sei legal.

Das ist nicht richtig. Ich habe in einer Regierungserklärung Anfang des Jahres eine rechtliche Neubewertung des Afghanistan-Einsatzes für die Bundesregierung vorgenommen und darin festgehalten, dass es sich um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts handelt. Das hat handfeste Konsequenzen, etwa die, dass gegnerische Angreifer gezielt bekämpft werden dürfen. Das ist die Realität. Wir wollen nicht so tun, als ginge es in Afghanistan nur um das Bohren von Brunnen oder den Bau von Krankenhäusern.

Gezielt mit der Waffe bekämpfen heißt töten?

Gezielt bekämpfen heißt gezielt bekämpfen. Ich warne vor Wirklichkeitsverweigerung. Die Bundeswehr hat den klaren Auftrag, dass wir Gegner festsetzen und den afghanischen Behörden übergeben wollen. Aber den Eindruck zu erwecken, dass da, wo zum Teil mit schweren Waffen gekämpft wird, nicht auch Menschen sterben, das ist unangebracht.

Ist der Unterscheid zwischen „gezielt mit der Waffe bekämpfen“ und „töten“ nicht bloß semantischer Natur?

Nein. Das ist ein rechtlicher Unterschied. Eine gezielte Tötung könnte so verstanden werden: Man ist jemandes habhaft und könnte ihn den afghanischen Regierungsstellen übergeben, aber man tötet ihn. Das wäre rechtswidrig. Aber dass wir Taliban-Kämpfer, die uns bedrohen, auch mit Waffen bekämpfen, das gehört zur Wirklichkeitsbeschreibung dazu.

In Afghanistan stellt sich aber für Deutschland folgendes Problem: US-Spezialeinheiten haben den Auftrag, gezielt zu töten, und deutsche Truppen kooperieren mit diesen Einheiten, indem sie behilflich sind, entsprechende Personenlisten zu erstellen.

Ich habe ihnen meine Bewertung gegeben und Ihnen gesagt, wie wir Deutsche uns verhalten. Das entspricht auch unserem politischen Konzept. Wir wollen ja die Verantwortung mehr und mehr an die Afghanen übergeben. Wenn die Voraussetzungen stimmen, beginnen wir damit regional 2011. Unser Ziel ist, die Sicherheitsverantwortung 2014 an die Afghanen zu übergeben. Das bedeutet aber keinen völligen Abzug, wir werden weiterhin vor Ort sein. Und ich fürchte, wir werden bis dahin noch manchen Rückschlag erleben.

Sind die beiden Termine 2011 und 2014 noch realistisch?

Wir sind beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte im Plan und teils sogar darüber hinaus.

Wünschen Sie sich, dass andere Länder verstärkt mithelfen?

Ich glaube, dass alle in der Völkergemeinschaft verstanden haben, wie wichtig der Erfolg in Afghanistan ist, und alle sollten ihren Beitrag leisten. Wenn Länder sich prüfen und feststellen, dass sie noch mehr machen könnten, ist das hochwillkommen.

Es hat in der Afghanistan-Politik ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Deshalb setzt man viel stärker auf Verhandlungen mit den Taliban. Wie Erfolg versprechend ist das bisher?

Ich habe als deutscher Außenminister einen Strategiewechsel, der eine politische Lösung des Konflikts in den Mittelpunkt stellt, in den Bundestag eingebracht. Der Konflikt in Afghanistan ist nicht allein militärisch zu gewinnen. Er ist auch nicht allein durch Wirtschaftshilfe oder Infrastrukturmaßnahmen und Bildungshilfen zu gewinnen. Wir brauchen eine politische Lösung. Und deswegen haben wir einen Strategiewechsel beschlossen, der auch auf Reintegration und Aussöhnung setzt.

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2005 hat der Europäische Rat festgehalten, dass die Entwicklungshilfe-Ausgaben 2010 für die westliche EU bei 0,5 Prozent des BIP liegen sollen. Österreich wird diesen Wert bei weitem verfehlen. Dies ist eine gesamteuropäische Angelegenheit.

Dass Deutschland nach zwei Jahren Rezession wieder auf einem sehr guten Weg ist, macht auch Hoffnung, dass wir unsere Entwicklungsziele halten können. Das sind gute Erfolge. Aber ein Ruhmesblatt ist das, was die Weltgemeinschaft geleistet hat, bisher nicht.

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Halten Sie es für möglich, dass die Türkei der EU beitritt?

Wir Europäer haben ein großes Interesse daran, dass die Türkei auf der Seite Europas steht. Zwischen der EU und der Türkei ist – mit Zustimmung der deutschen Regierung – vereinbart worden, ergebnisoffene Verhandlungen zu beginnen. Kein deutscher Außenminister kann der Türkei ein vollmundiges Versprechen geben, aber jeder deutsche Außenminister sollte dafür sorgen, dass die Türen nicht unbedacht zugeschlagen werden und die Türkei brüskiert wird.

Was halten Sie von der Idee einer Volksabstimmung nach Abschluss der Verhandlungen?

Ich halte diese Debatte für virtuell, weil diese ganze Frage erst in Jahren ansteht. Wir haben 35 Kapitel, von diesen sind erst 13 eröffnet. Vor diesem Hintergrund ist die Debatte um die Volksabstimmung eine innenpolitisch motivierte.

Wurden die Verhandlungen nicht mit dem klar gestreckten Ziel eines Beitritts eröffnet?

Es gibt keinen Automatismus, in keine Richtung. Die Türkei erwartet nichts anderes, als fair behandelt zu werden.

Wenn die Bedingungen erfüllt sind, dann heißt das doch, dass die Türkei beitritt.

Man bewertet eine Lage dann, wenn sie da ist, und man beantwortet Fragen dann, wenn sie sich stellen und nicht immer dann, wenn sie einem gestellt werden. Ich will nicht, dass diese innenpolitische Debatte in die Türkei schwappt und die Kräfte ermutigt, die sich von Europa abwenden. Ich war gerade erst in der Türkei und habe mich über die positive Resonanz gefreut.

Mussten Sie Angela Merkel verteidigen, die sich ja ganz klar für eine privilegierte Partnerschaft ausspricht?

Ich habe es in der Türkeipolitik nicht so schwer, weil wir im Koalitionsvertrag genau das vereinbart haben, was ich Ihnen gerade vorgetragen habe.

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