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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier

31.08.2007 - Rede

Sehr verehrte Frau Pivnicka,
sehr geehrter Herr Naumann,
meine Damen und Herren,

ich freue mich, heute Abend in San Fransisco zu sein. Und ich danke dem World Affairs Council und dem Commonwealth Club für diese Einladung. Dies ist der erste Besuch eines deutschen Außenministers an der US-amerikanischen Westküste seit 50 Jahren. Und ich räume gleich zu Beginn meiner Rede ein: Das war ein Fehler.

Zwar machen die amerikanische Westküste und Kalifornien im Besonderen nicht durch außenpolitische Krisen auf sich aufmerksam. Und weil das glücklicherweise so ist, liefert Kalifornien auch nicht jeden Tag die Aufmachermeldung auf CNN oder auf den Titelseiten der internationalen Zeitungen.

Aber dennoch haben die Entwicklungen in dieser Region das Leben der Menschen auf der ganzen Welt in den vergangenen 50 Jahren radikal verändert. Von hier begannen die Computer- und Softwaretechnologien ihren Siegeszug um die Welt. Hier entstanden die praktischen Anwendungen des Internets, die den Alltag der Menschen von Grund auf umkrempeln. Und hier in Kalifornien entstehen seit Jahrzehnten all die Kino- und Fernsehfilme, die die Träume und Hoffnungen der Menschen rund um die Welt prägen und die in vielen Teilen der Welt ein gemeinsames kulturelles Bewusstsein schaffen.

Mit einem Satz: Kalifornien ist eines der wichtigsten, wenn nicht sogar das wichtigste Labor der globalen Zukunft. Das Kapital dieses Landes ist die Vitalität, die Offenheit und Kreativität seiner Menschen - eine software sozusagen, die sich immer wieder in ökonomische hardware verwandelt. Kalifornien steht als Symbol für die Kraft des Geistes, die dem Wohl der Menschen dient und die deshalb alle gemeinsam voranbringt.

Ich bin fest überzeugt, dass die Kraft des Geistes nicht nur die entscheidende Triebkraft für Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft ist, sondern dass wir die Kraft des Geistes und der Vernunft im 21. Jahrhundert auch zur zentralen Triebkraft für die Politik machen müssen.

Das Jahrhundert, in dem wir leben - unser Jahrhundert - ist das erste wirklich globale Jahrhundert. Noch nie waren die Menschen weltweit so sehr miteinander verbunden, mit allen Chancen und Risiken. Der Boom in vielen Schwellenländern zeigt uns: Noch nie hatten so viele Menschen die Chance, sich aus eigener Kraft einen Wohlstand aufzubauen.

Aber genauso erleben wir, wie wir in der zusammenwachsenden Welt auch gemeinsam verwundbar werden, dass Ereignisse am anderen Ende der Welt direkte Auswirkungen auf unser eigenes Leben haben. In unserer Zeit gibt es keine entfernten Regionen mehr. Und zum ersten Mal können wir alle die zentralen Fragen der Menschheit nur noch gemeinsam lösen - angefangen beim Kampf gegen die Erwärmung der Erde.

Ich stehe gerade noch unter dem Eindruck meiner Reise nach Spitzbergen. Ganze 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt, habe ich dort mit eigenen Augen gesehen, wie die Erderwärmung tiefe Risse und Spalten ins Ewige Eis treibt, wie 30 Meter hohe Gletscherkanten einfach abbrechen, ins Meer fallen und schmelzen.

Die Folgen dieser Entwicklung werden wir alle spüren, und zwar nicht nur durch steigende Meeresspiegel. Wir werden mehr Überschwemmungen erleben, mehr Hurrikans, mehr Hitzetote, mehr Dürren und vernichtete Ernten, mehr Wüsten, mehr Flüchtlinge, Vertreibung und Not.

Und wenn das ewige Eis schmilzt, bringt das nicht nur die Eisbären in Gefahr. Schon löst die Erderwärmung den zweiten Wettlauf um die Region rund um den Nordpol aus. Aber diesmal geht es nicht nur um nationalen und wissenschaftlichen Ruhm, sondern um harte ökonomische Interessen: Denn die Rohstoffe und Bodenschätze in der Nordmeer-Region locken nicht mehr nur wagemutige Abenteurer an. internationale Verteilungskonflikte um Rohstoffe und Ressourcen könnten im hohen Norden schon in wenigen Jahren drohen.

Der Wettlauf um Öl und Gas im Nordmeer zeigt erneut, warum Klima- und Energiethemen zu zentralen Themen vorausschauender Außenpolitik werden. Wir müssen die erfolgreichen Prinzipien solcher Politik auch in diesem neuen Bereich anwenden: aufkeimende Konflikte frühzeitig erkennen, weitsichtig anpacken, gemeinsam friedlich lösen. Nur wenn wir die doppelte Herausforderung aus Energiesicherheit und Klimaschutz begreifen und annehmen, werden wir die Kraft für politische Weichenstellungen aufbringen, die globale Zusammenarbeit und ein nachhaltiges, klimaschonendes Wirtschaften bewirken.

Wir brauchen ein gemeinsames globales Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit. Ein ungemein ehrgeiziges Vorhaben: Denn dafür müssen wir selbst Jahrhunderte alte kulturelle Trennlinien und nationale Grenzen überwinden. Wir brauchen neue politische Denkmuster und weitere politische Allianzen. Die kommenden Jahrzehnte werden zur entscheidenden Probe auf unsere menschliche Intelligenz - und auf die Fähigkeit, Konflikte nicht in Konfrontation miteinander zu lösen, sondern im Geist von Dialog, Verständigung und Zusammenarbeit.

Um für diese Botschaft zu werben, bin ich heute hier. Rein geographisch betrachtet, könnten Kalifornien und Deutschland, Kalifornien und Europa kaum weiter voneinander entfernt sein. Aber für die Gestaltung dieses ersten globalen Jahrhunderts sind wir enge Geistesverwandte. Wenn ich mir etwas wünschen darf: in Zukunft nicht nur kulturell und wirtschaftlich, sondern viel stärker auch politisch.

Kalifornien ist in den Vereinigten Staaten Pionier einer vorausschauenden Energie-, Umwelt- und Klimaschutzpolitik. Die Chancen, die sich daraus für die europäisch-amerikanische Zusammenarbeit ergeben, dürfen wir nicht verspielen. Denn Deutschland und Kalifornien, Europa und die USA sind als globale Technologieführer auch globale Meinungsführer. Das gilt es zu nutzen.

In Kalifornien wie in Europa haben wir auch die breite Unterstützung der Menschen für eine weitsichtige Klima- und Energiepolitik. Das ist noch nicht überall so, auch wenn sich das umweltpolitische Bewusstsein in den meisten Teilen der Welt erkennbar fortentwickelt. Wir müssen selbstkritisch sagen: Die industrialisierte Welt, besonders Europa und die USA, haben zur ökologischen Krise viel selbst beigetragen. Und wir können den Menschen in den sich entwickelnden Ländern das Recht auf ein Auto oder einen Kühlschrank nicht verweigern, wenn wir Klimaanlagen oder beheizte Hallenschwimmbäder für uns selbst als eine selbstverständliche Annehmlichkeit betrachten.

Aber die USA und Europa können Vorreiter sein. Wir können gemeinsam zeigen, dass wir die energiepolitische und ökologische Herausforderung politisch, technologisch und damit auch ökonomisch annehmen. Die USA und Europa gehören beide zu den innovativsten Volkswirtschaften und wichtigsten Märkten der Welt. Wir können und müssen den Trend energiepolitisch und ökologisch umkehren - und wir haben den Schlüssel hierfür in der Hand.

Beim zurückliegenden Gipfel der USA und EU in Washington und beim G8 Gipfel in Deutschland haben wir schon wichtige Eckpunkte einer gemeinsamen Agenda abgesteckt: mehr Energieunabhängigkeit durch Biokraftstoffe, sparsame und innovative Automobile und gemeinsame Anstrengungen für eine saubere Nutzung der Kohle.

Wir wollen den technologischen Fortschritt mit politischen Anreizen aber noch beschleunigen. Darum hat die EU in diesem Frühjahr unter deutscher Ratspräsidentschaft sehr ehrgeizige Ziele beschlossen - für deutlich weniger Treibhausgase bis 2020, für mehr Energieeffizienz und für den raschen Ausbau erneuerbarer Energien.

Als einen besonders wichtigen Bündnispartner betrachten wir Sie hier in Kalifornien. Kalifornien und Europa, besonders auch wir Deutsche, sind Schrittmacher für Produkte von Green Tech und Clean Tech. Viele Solarkraftwerke hier sind deutsch-amerikanische Kooperationen. Meine Gespräche mit Gouverneur Schwarzenegger und mit anderen führenden Politikern haben deutlich gemacht: Wir stimmen in punkto Klimaschutz und einer nachhaltigen Energiepolitisch fast nahtlos überein.

Natürlich habe ich mit Gouverneur Schwarzenegger, mit Speaker Nunez und anderen kalifornischen Politikern auch über das Thema Emissionshandel gesprochen, das in einfachen Worten bedeutet: Wer Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst, muss zahlen. Aber jeder kann durch intelligentes Handeln selbst bestimmen, wieviel er zahlt.

Kalifornien ist in den USA auch bei der Einführung eines Emissionshandels Schrittmacher. Ich möchte nicht nur Kalifornien ermutigen, sich an unser europäisches Emissionshandelssystem anzudocken, sondern rufe alle interessierten Bundesstaaten, Regionen und Kommunen in den USA zum Mitmachen auf. Lassen Sie uns gemeinsam eine „coalition of goodwill“ schaffen, die zum Ausdruck bringt, dass die Menschen in den USA und Europa in dieser entscheidenden Zukunftsfrage am selben Strang ziehen. Tun wir uns zusammen, damit der wachsende gesellschaftliche Rückhalt für den Klimaschutz so schnell wie möglich auch politisch wirksam wird! So kommen wir unserem gemeinsamen Ziel, einem weltweiten Markt für Kohlendioxid-Emissionen, Schritt für Schritt näher.

Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft auch einen intensiven Dialog mit wichtigen Schwellenstaaten wie China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika begonnen. Für Deutschland ist es dabei ein zentrales Anliegen, alle Initiativen und Verhandlungsprozesse unter dem Dach der Vereinten Nationen zusammenzuführen. Die Vereinten Nationen sind das Forum und wichtigste Instrument jener Weltinnenpolitik, die wir Stück für Stück entwickeln und erreichen wollen, und in der der Kampf gegen den globalen Klimawandel eine zentrale Rolle spielt.

Anrede,

Klimaschutz und Energiesicherheit können auch zum Paradebeispiel für eine neue Entwicklung werden, die ich für dringend notwendig halte: Ich meine die Erneuerung und weitere Vertiefung des Verhältnisses zwischen den USA und Europa. Wir bezeichnen dieses Verhältnis mit dem Begriff „transatlantisch“, was aus Sicht der Menschen in San Francisco oder Los Angeles sicher etwas merkwürdig, jedenfalls ziemlich weit entfernt, klingt. Vielleicht liegt darin ja auch eines der Probleme.

Die Entwicklung dieses Verhältnisses, das will ich hier ansprechen, sehe ich nicht ohne Sorge. Ich registriere, wie die USA mit wachsender Faszination auf den Aufstieg Asiens schauen. Das ist hier, am Ufer des Pazifiks, auch verständlich, wobei ich bitte, die Realitäten nicht zu übersehen: Denn die Handelsströme und ganz besonders die Investitionsströme zwischen den USA und Europa noch immer viel bedeutsamer sind als die von und nach Asien - und werden dies auf absehbare Zeit auch bleiben. Die EU-Staaten sind selbst für Kalifornien die größten Investoren und Handelspartner. Aber auch in Europa gibt es ähnliche Tendenzen. Ich sehe, dass ein lange spürbares Urvertrauen der Menschen gegenüber den USA häufig Gleichgültigkeit, manchmal Skepsis gewichen ist.

Meine Frage ist: Sind wir uns noch wichtig genug? Das Tröstliche und Paradoxe an diesem Trend ist höchstens, dass die europäische Grundsympathie für die Amerikaner davon unberührt bleibt. Viele Europäer zieht es sogar immer wieder auf Zeit oder auf Dauer in die USA, weil ihnen das Leben hier sehr gut gefällt.

Nicht nur deshalb dürfen wir eine schleichende politische Entfremdung nicht zulassen, weil diese Entwicklung für beide Seiten - die USA wie Europa - schädlich und gefährlich wäre. Europa und die USA sind in den kommenden Jahrzehnten, im Zeitalter der Globalisierung, mehr denn je aufeinander angewiesen. Wenn das globale Zeitalter eine freie, gerechte und menschliche Prägung bekommen soll, können wir das nur gemeinsam erreichen - wir alle, die wir für die Ideale und Werte der Aufklärung stehen.

Darum wünsche ich mir, dass wir alte Sympathien neu beleben, gemeinsame Zukunftsthemen definieren und uns gegenseitig in gewisser Weise neu entdecken. Auf diese Weise werden wir nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen der Menschen wieder gewinnen. Wir werden hoffentlich wieder den Blick darauf lenken, dass wir nicht nur gemeinsame Wurzeln haben, sondern gemeinsam auch eine viel bessere Zukunft.

Darum bin ich auch so sehr für eine Verstärkung unserer Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsarbeit in den USA. Das sind Investitionen in die gemeinsame Zukunft - ob es sich um das German American Partnership Program handelt - mit nunmehr einer Viertel Million Austauschschülern seit 1982 - oder um mehr deutsche Kunst, Kultur, Städtepräsenz in den USA, um den Ausbau der deutschsprachigen Schulen oder den Austausch in Wissenschaft und Forschung.

Man könnte an dieser Stelle fragen: Wie ist diese gewisse Abkühlung in unserem Verhältnis trotz der engen Verflechtung unserer Zivilgesellschaften und trotz der großen Sympathien der Menschen füreinander eigentlich möglich?

Erstens: Der Zusammenbruch des Kommunismus und das Ende des Kalten Krieges, der uns Deutschen - auch dank amerikanischer Hilfe - die Wiedervereinigung unseres geteilten Landes gebracht hat, hat die gemeinsame Bedrohung der USA und Europa kleiner werden lassen. Europa ist seither zu einer Zone von Frieden, Stabilität und Wohlstand geworden. Die Einigung Europas zur Europäischen Union hat den USA einen zunehmend selbstbewussten, aber auch stärkeren Partner beschert; insgesamt, wie ich glaube, eine gute Entwicklung. Ein starkes Europa ist auch gut für Amerika und für eine vitale Partnerschaft zwischen uns beiden.

Zum Zweiten ist bekannt, dass viele Menschen in Europa wegen der Politik der USA im Mittleren Osten verunsichert sind. Der Irak-Krieg hat viele zu der Einschätzung gebracht, dass die Politik der USA zu sehr auf militärische Macht setze. Viele Europäer setzen demgegenüber stärker auf das Prinzip und die Kraft des geduldigen Dialogs.

Und ein Drittes kommt hinzu: Zwar jährt sich der Fall der Mauer demnächst schon zum 20. Mal. Aber dennoch habe ich den Eindruck, dass die tief eingebrannten Denkmuster aus der Zeit des Kalten Krieges bis heute fortwirken und uns manchmal daran hindern, den Blick unbefangen nach vorn zu richten und die Chancen der Zukunft zu erkennen.

Zu Recht bildet die NATO nach wie vor das Herzstück gemeinsamer westlicher Sicherheit. Aber die Überzeugung wächst, dass im ersten globalen Jahrhundert viele Fragen nicht mehr in erster Linie militärisch zu lösen sind, sondern überwiegend mit zivilen Instrumenten. Erneuerbare Energien können einen Krieg um Öl und Gas auf intelligentere Weise überflüssig machen als Soldaten, Panzer und Raketensilos. Aber zur fachkundigen Diskussion solcher sicherheitspolitischer Szenarien brauchen wir neben den NATO-Gremien andere, neue Foren.

Wenn das Bündnis zwischen den USA und Europa so vital und relevant bleiben soll wie in den vergangenen 60 Jahren, dann müssen wir uns auf die Zukunftsaufgaben konzentrieren, die die Menschen beschäftigen. Die Gründergeneration der transatlantischen Beziehungen kann uns dabei als Vorbild dienen. Aber ich habe Gouverneur Schwarzenegger und Speaker Nunez heute gesagt: Es kommt jetzt auch auf uns an - eine neue Generation von Politikern, die neue Fragen aufgreift und Unterschiede diskutiert, die neue Denkmuster und Kooperationen anstrebt und dazu vielfältige neue Kontakte knüpft.

Eine Generation, die von der gemeinsamen Überzeugung durchdrungen ist, dass man mit militärischer Überlegenheit zwar die meisten Kriege gewinnt, aber noch lange nicht den Frieden. Eine Generation, die gemeinsam analysiert, worauf Frieden und Stabilität gründen: auf der Bereitschaft zum Gespräch, zur Zusammenarbeit, auf Vertrauen und Lebensperspektiven für die Menschen. Ich wünsche mir eine tief greifende Erneuerung des Bündnisses der USA und Europa, die von diesem Geist getragen wird: mit neuem Vertrauen und dem Willen zu multilateraler Zusammenarbeit. Jedem von uns allein sind relativ enge Grenzen gesetzt; gemeinsam können wir viel mehr erreichen.

Unsere Zusammenarbeit bei der Förderung innovativer Energietechnologie, beim Klima- und Umweltschutz könnte dabei nur ein Ansatz dieser Erfolgsstory sein. Dazu gehören könnte auch eine politische Regulierung der Kapital- und Finanzmärkte, damit Börsenkrisen nicht zu Weltwirtschaftskrisen ausufern und Spekulanten nicht in der Lage sind, Menschen rund um den Globus in Armut und Not zu reißen. Und wir brauchen faire Handelsbedingungen, wobei wir Europäer - gerade in punkto Landwirtschaft - selbst stärker tätig werden müssen.

Europa steht schon jetzt an der Seite Amerikas, wenn es darum geht, Konflikte in gemeinsamer internationaler Verantwortung zu lösen. Europa nimmt die größere sicherheitspolitische Verantwortung an, in die es seit dem Ende des Kalten Krieges gestellt ist. Das gilt im Übrigen auch für uns Deutsche, obwohl es vielen Menschen bei uns noch nicht leicht fällt, dieses neue Denkmuster zu übernehmen. Unsere Lehre aus Zwei Weltkriegen lautete: „Nie wieder Krieg“, und noch immer ist diese Parole bei uns populärer als alle Begründungen für welches militärische Engagement auch immer.

Aber dennoch helfen wir Deutsche und die Europäer nicht nur mit Regierungsberatern und Entwicklungshelfern, sondern auch mit Soldaten auf dem Balkan, im Libanon oder Afghanistan. Europa duckt sich nicht weg, wenn es um Konfliktbereinigung und konkrete Beiträge in Zonen geht, an deren Stabilisierung uns allen gelegen ist.

Aktuell stellen wir Deutsche das im gemeinsamen NATO-Einsatz mit vielen anderen Nationen in Afghanistan unter Beweis. Von Beginn an waren wir dort mit Nachdruck und Leidenschaft engagiert. In Deutschland trafen sich im Herbst 2001 - auf dem Petersberg bei Bonn - Vertreter aller afghanischen Stämme und aller Nachbarstaaten zu ihrer ersten Friedenskonferenz.

Heute leisten wir mit 3500 Soldaten und mehreren 1000 zivilen Aufbauhelfern unseren Beitrag, damit die Menschen in Afghanistan nach 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg wieder ohne Angst vor Terror, Gewalt und Rechtlosigkeit leben können. Wir bilden Polizisten aus, leiten Richter und Staatsanwälte an, bauen Schulen, Krankenhäuser, Straßen und Brunnen.

Derzeit stehen wir im deutschen Parlament vor den Beratungen über eine Verlängerung des deutschen Einsatzes. Die Haltung der Bundesregierung ist klar: Wir wollen weiterhin einen substantiellen Beitrag für die Sicherheit und den Wiederaufbau Afghanistans leisten. Sicherheitslage und Fortschritte beim Wiederaufbau sind noch nicht so konsolidiert, dass der Einsatz unserer Soldaten verzichtbar wäre. Aber wir wollen mehr Tempo beim Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen. Das Ziel muss sein, die Afghanen selbst in die Lage zu versetzen, für ihre Sicherheit und Freiheit sorgen zu können.

Obwohl wir die Entsendung von Soldaten noch immer national entscheiden, stimmen wir deutsche Außenpolitik immer enger mit unseren Partner in der Europäischen Union ab. Die institutionellen Reformen, die unter deutscher EU-Präsidentschaft Ende Juni verabschiedet worden sind, werden die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU weiter stärken. Mehr Kohärenz unter den EU-Mitgliedsstaaten dient nicht nur Europa, sie ist auch im Interesse der USA. Nur ein starkes Europa kann ein starker Verbündeter sein und Verantwortung übernehmen.

Koordination und Abstimmung zwischen Europäern und Amerikanern sind zentral - im Rahmen des Bündnisses, aber auch im institutionalisierten politischen Dialog mit der EU.

Ein Beispiel: Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit. Gerade deutsche Behörden arbeiten hier sehr eng und vertrauensvoll mit ihren US-Counterparts zusammen. Das ist anerkannt. Diese Zusammenarbeit muss aber auf der Grundlage des geltenden Rechtes erfolgen.

Wir müssen darauf achten, dass sich Rechtsauffassungen beiderseits des Atlantiks nicht auseinander entwickeln. Für uns in Europa gilt das uneingeschränkte Verbot der Folter. Und niemand darf ohne rechtsstaatliches Verfahren über Jahre hinweg eingesperrt sein. Unser Grundsatz ist: Niemand im Westen sollten denen in die Hände spielen, die die Universalität unserer Werte leugnen.

Fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer stellen wir fest, dass zwar alte Bedrohungen beseitigt sind, aber neue entstanden sind, und dass es sich dabei beileibe nicht nur um religiös motivierten Terrorismus handelt. Zu diesen neuen Bedrohungen gehört zweifellos auch die wachsende Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Auch deshalb plädiere ich seit meinem Amtsantritt für eine Renaissance der Abrüstungspolitik. Sie muss einen neuen Anlauf nehmen, um die Legitimität der Nichtverbreitungspolitik zu erneuern und zu stärken. Ich appelliere deshalb an Russland und die USA, klare Signale zu liefern, dass sie es Ernst meinen mit ihren Abrüstungsverpflichtungen. Der Kampf gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen kann nur erfolgreich sein, wenn die Atomwaffenstaaten ihre Abrüstungsverpflichtungen auch erfüllen.

Wir Deutsche hatten immer gute Zeiten, wenn die USA und Russland ein gutes Verhältnis zueinander pflegten. Ein besonders wichtiges Beispiel dafür stammt aus dem Jahre 1990. Weil George Bush sen. und Michail Gorbatschow sich als wirkliche Partner verstanden, gab Russland damals die Zustimmung, dass Deutschland als Ganzes der NATO beitreten konnte. Aus russischer Sicht war daran jedoch das Verständnis einer engen sicherheitspolitischen Partnerschaft geknüpft; aber das ist auch nach der Schaffung des NATO-Russland-Rats noch nicht ausreichend gelungen.

Nicht nur dies hat zu anhaltenden Frustrationen und einer emotionalen Verhärtung in Moskau geführt, die wir sehr ernst nehmen müssen. Denn nicht nur für Deutschland und Europa ist die strategische Partnerschaft mit Russland, die wir anstreben, eine Schlüsselfrage. Wir brauchen Russland in der gemeinsamen Verantwortung für Stabilität weltweit. Weder den Konflikt auf dem Balkan noch den Atomwaffenstreit mit dem Iran, weder Abrüstung noch einen Frieden in Nahost oder eine friedliche und stabile Energieversorgung können wir ohne Russland oder um Russland herum erreichen. Es liegt also auf der Hand, dass wir Themen kooperativer Sicherheit frühzeitig mit Russland erörtern, wie das zur Zeit zu den Plänen für ein US-Raketenabwehrsystem in Europa geschieht.

Auch hier an der Westküste der USA ist es sicher nicht ohne Belang, welchen Weg Russland geht. Ein Russland, das sich als Partner des Westens versteht, dürfte auch im Interesse Kaliforniens liegen. Es wäre allemal besser als die Vorstellung, dass Moskau sich isolationistischen Irrwegen hingibt oder sich stärker in Richtung Asien orientiert.

Ich will hier nochmals unterstreichen: Der Aufstieg Asiens, besonders Chinas und Indiens zu globalen Akteuren, ist aus meiner Sicht kein Grund, das Verhältnis zu Europa weniger wichtig zu nehmen. Im Gegenteil: Nur wenn Europa und die USA an einem Strang ziehen, werden wir gemeinsam in der Lage sein, die aufstrebenden Staaten Asiens Schritt für Schritt in eine Architektur von „global governance“ einzubeziehen, in der sich die wesentlichen Eigenschaften liberaler Demokratien durchsetzen. Und nur dann sehe ich eine realistische Chance, dass wir unserem Ziel einer Weltinnenpolitik, in der globale Probleme gemeinsam gelöst werden, näher kommen.

Anrede,

wer vor 100 Jahren den Verlauf des letzten Jahrhundert hätte vorhersagen müssen, hätte schweren Schiffbruch erlitten. Die Welt befand sich damals in der bis dahin stärksten Globalisierungs- und Aufschwungsphase überhaupt - und dann folgten einige der düstersten Kapitel unserer jüngeren Geschichte. Arbeiten wir alle daran, dass dieses Jahrhundert eines des Friedens, der Stabilität, des wachsenden Wohlstands für alle in gemeinsamer ökologischer Vernunft wird. Nutzen wir das Bündnis zwischen den USA und Europa als Kraftwerk für Innovation und gerechten Frieden, und ich füge hinzu: Ein solches Kraftwerk entsteht nicht nur zwischen Regierungen, sondern auch in Zusammenarbeit von und mit Bundesstaaten, Regionen, Kommunen und Zivilgesellschaften. Hier spielt Kalifornien für uns eine ganz besonders wichtige Rolle.

Nur gemeinsam können wir schaffen und erneuern, wonach wir streben: die Koalition für eine bessere Welt!

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