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06.08.2018 - Artikel

Ein Telemedizin-Projekt in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion hilft Verletzten in schwer zugänglichen Gegenden und soll für Entspannung zwischen den Ländern sorgen.

Jens Clausen (rechts) wird von Dr. Tahir (links) in Chitral, Pakistan, empfangen und begrüßt.
Jens Clausen (rechts) wird von Dr. Tahir (links) in Chitral, Pakistan, empfangen und begrüßt.© Wish International

Manchmal, wenn Dr. Muhammad Tahir in Peschawar, Pakistan, unterwegs ist, klingelt sein Telefon. Dann weiß er, dass es jetzt sehr schnell gehen muss.

Dass ein Kind sich mit heißem Wasser überschüttet hat, bei einem Unfall der Wagen ausgebrannt ist oder es eine Explosion gab, bei der das Feuer auch Menschen verletzt hat. Manchmal hunderte Kilometer von Peschawar und seinem Krankenhaus, dem Hayatabad Medical Complex, entfernt. Bei Brandverletzungen sind die ersten zwölf Stunden entscheidend, das weiß Tahir. Er ist Arzt, sein Spezialgebiet sind Verbrennungen. Die Zeit reicht manchmal nicht, um die Patienten von den entlegenen Gegenden des pakistanischen Hochlands oder der afghanischen Grenzregion bis nach Peschawar zu Muhammad Tahir zu transportieren. An manchen Tagen sind auch einfach alle Betten auf seiner Station belegt. Zurzeit hat das Burn and Trauma Center im Hayatabad Medical Complex (HMC) gerade mal 14 Betten.

„Der Bedarf ist riesig“, sagt Jens Clausen. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der PATRIP-Stiftung, die das Projekt im Auftrag des Auswärtigen Amts und der KfW Entwicklungsbank umsetzt und betreut. Die NGO schätzt, dass es in der Region rund 30.000 Brandverletzungen im Jahr gibt – und lange nicht genug Experten wie Tahir. Die Gegend an der pakistanisch-afghanischen Grenze zählt zu den ärmsten des Landes. Sie gilt als Hort der Taliban, immer wieder gibt es Konflikte zwischen der afghanischen und pakistanischen Bevölkerung, die Betreuung der Kranken und Verwundeten ist notdürftig. „Gerade was speziellere medizinische Gebiete wie Trauma- oder Brandverletzungen angeht, ist die Versorgung sehr schlecht“, sagt Clausen.

Telehealth-Center in Afghanistan und Pakistan
Das Krankenhaus Hayatabad Medical Complex liegt in Peschawar, Pakistan, gut 50 Kilometer von der Grenze Afghanistans entfernt. Peschawar ist die Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa mit über 3.000.000 Einwohnern. Mit Hilfe der Telehealth Ausrüstung können die fünf Krankenstationen in den oft sehr abgelegenen Gegenden in Afghanistan und Pakistan medizinische Beratung erhalten. Die Ziele der Initiative des Auswärtigen Amts sind es, für die Patienten in den entlegensten Gebiten medizinische Unterstützung bereit zu stellen, aber auch die Ärzte in den kleineren Stationen weiter online auszubilden. Seit die Stationen eröffnet und die Ausrüstung bereitgestellt wurde, konnten über 1.000 Fälle behandelt werden.© AA

Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts entstanden dort seit 2014 fünf Burn-Trauma/Reconstructive and Plastic Surgery Centers (BTRPSCs) – zunächst drei in Pakistan, im Jahr 2016 zwei weitere in Afghanistan.

Tahir arbeitet seit fast 20 Jahren als Chirurg. Sein Spezialgebiet sind komplizierte Hauttransplantationen bei Verbrennungen. Er gilt als Koryphäe in seinem Fachbereich. In Peschawar geboren und zur Schule gegangen, hat er in Europa am renommierten Royal College in Dublin Medizin studiert, in Glasgow Hauttransplantationen gelernt und dann in seiner Heimatstadt am HMC die Abteilung für plastische Chirurgie ausgebaut.

Von seiner Arbeit hörte auch Jens Clausen. Als er gemeinsam mit der NGO Wish International seine Planungen für den Aufbau der BTRPSCs in Afghanistan erstellte, stand er vor einem großen Problem: Die Ärzte und Krankenschwestern in den entlegenen Regionen haben keine Ausbildung im Bereich Brandverletzungen oder Trauma-Bewältigung: „Ihnen fehlt das Know-how“, sagt Clausen.

Die Idee, die durch Wish International an die PATRIP-Stiftung herangetragen wurde: Tahir könnte als eine Art Satellit funktionieren, als eine Art Schaltstelle, wie Clausen ihn nennt.

In Workshops und Seminaren bildete er die Ärzte in den fünf BTRPSCs aus.

Sie reisten zu Tahir ins Krankenhaus nach Peschawar. Dort schulte er sie: Er zeigte ihnen Fotos von Brandverletzungen. Lehrte sie, wie man die unterschiedlichen Grade der Verbrennungen erkennen kann, wie eine Wundreinigung durchgeführt wird, wann Antibiotika verabreicht werden müssen, wie die Haut fixiert werden kann. „Gerade die erste Versorgung nach einem Unfall ist sehr wichtig“, sagt Tahir.

„Das Projekt und die Zentren sorgen für Entspannung zwischen den Ländern“

Es sind afghanische und pakistanische Ärzte, die gemeinsam bei Tahir in den Workshops und Seminaren sitzen. Auch das ist eine Idee des Projektes: Ärzte aus beiden Ländern sollen gemeinsam lernen. „Uns ist wichtig, auch einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten und die abgelegenen Gegenden anzuschließen“, sagt Clausen. Rund 27 Prozent der Patienten in den pakistanischen Zentren sind Afghanen. „Das Projekt und die Zentren sorgen für Entspannung zwischen den Ländern“, so der stellvertretende Vorsitzende der PATRIP-Stiftung.

Tahir hofft, dass es bald gar nicht mehr notwendig ist, dass die Ärzte für ihre Ausbildung die oft weite und beschwerliche Reise nach Peschawar auf sich nehmen – sondern dass er sie auch per Videokonferenz ausbilden kann.

Dr. Tahir und Jens Clausen bei einer Telehealth Sitzung
Dr. Tahir und Jens Clausen bei einer Telehealth Sitzung© PATRIP Foundation

Vor sieben Monaten wurden Tahir und seine Kollegen in den kleineren Krankenstationen mit einer Telemedizin-Ausrüstung ausgestattet. Das Projekt wird mit 150.000 Euro vom Auswärtigen Amt finanziert.

Die Ärzte und Tahir bekamen die notwendige technische Ausrüstung gestellt, wie zum Beispiel Scanner, Monitore und Computer. Wenn nun ein Notfall in eines der BTRPSCs eingeliefert wird, der nicht mehr transportfähig ist, können die Ärzte Tahir anrufen. In insgesamt 1.005 Fällen wurde bisher Unterstützung durch die Telemedizin geleistet.

Clausen erlebte bei seinem Besuch zusammen mit dem Auswärtigen Amt eine Telemedizin-Konferenz zwischen dem HMC in Peschawar mit einem Arzt des BTRPSC in Bannu, im Nordwesten von Pakistan. „Die Verbindung war sehr gut“, sagt er.

„Gerade bei komplizierteren Fällen kann ich den Ärzten dann helfen“, sagt Tahir. Er kann sich am Telefon den Unfall beschreiben lassen, er kann Fotos per WhatsApp oder Skype empfangen, den Patienten und seine Verletzungen auf einem Bildschirm anschauen – und auch mit ihm sprechen. All das kann Leben retten. Telemedizin ermöglicht es, über eine räumliche Distanz Ferndiagnosen zu stellen.

Im Notfall dirigiert er sie auch durch eine Operation – indem er den Eingriff per Video verfolgt. Er kann die Pulswerte abfragen, den Blutdruck, sich die Stelle der Verbrennung zeigen lassen. „Ich bin immer erreichbar, auch wenn ich nicht mehr im Krankenhaus bin“, sagt er. Die Ärzte haben seine private Nummer.

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