Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag in der Haushaltsdebatte

12.09.2018 - Rede

-- stenographisches Protokoll --

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute auf den Tag genau vor 28 Jahren wurde in Moskau der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet. Er war die Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands. Er war von vielen als das „Ende der Nachkriegszeit“ bezeichnet worden. Er hat dazu geführt, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Welt sich im Aufbruch befand. Nicht wenige träumten von den wahrhaft vereinten Nationen. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach sogar vom „Ende der Geschichte“. Er meinte dies im besten Sinne positiv.

Leider ist es anders gekommen; das wissen wir heute. Die außenpolitischen Baustellen kennen wir alle: die Unsicherheit im transatlantischen Verhältnis, die interessensgeleitete Expansion Chinas, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, der Krisenbogen rund um Europa, Syrien, Jemen, der Iran, Gaza und auch die Risse - sie sind nicht zu unterschätzen - innerhalb der Europäischen Union.

Dazu ist heute kein unwichtiger Tag. Heute wird im Europäischen Parlament darüber diskutiert und entschieden, ob ein Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn wegen der Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union eingeleitet wird. Vielleicht ist das nicht nur in Brüssel ein ganz guter Tag, um zu zeigen, dass die Europäische Union mehr ist als eine Mischung aus Binnenmarkt und Kohäsionsfonds. Vielmehr sind die Europäische Union und die Existenzgrundlage der Europäischen Union die Grundwerte, die uns zusammenhalten, vor allen Dingen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Vielleicht ist es sinnvoll, ein Zeichen zu setzen, dass es auf diese Grundwerte keine Rabatte innerhalb der Europäischen Union gibt.

Meine Damen und Herren,
für uns kann das eigentlich nach all dem, was um uns herum geschieht, nur eines bedeuten: Wir müssen uns und die internationale Ordnung an die globalen Machtverschiebungen anpassen. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, der Vergangenheit nachzutrauern oder über Veränderungen zu lamentieren, sondern es geht ganz einfach darum, jetzt, heute und in der kommenden Zeit daraus die richtigen politischen Konsequenzen zu ziehen.

Ich glaube, es gibt dafür einige Hebel. Ein Hebel ist, dass wir den Bau eines souveränen und starken Europas als eine oberste Priorität nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Europapolitik verfolgen. Die Antwort auf „America first“, ”Russia first“ oder „China first“ ist nicht „Europe first“, sondern sie ist „Europe united“. Dazu können wir einen großen Beitrag leisten, auch wenn wir 2020 die Ratspräsidentschaft innehaben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Paul-Henri Spaak, der ehemalige belgische Premierminister - ein großer Europäer -, hat einmal gesagt: Es gibt in Europa nur zwei Arten von Ländern: kleine Länder und Länder, die noch nicht erkannt haben, dass sie klein sind. - Er hat das vor vielen Jahren gesagt, aber es ist auch heute von ungeahnter Aktualität.

Für alle Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen - wirtschaftliche, soziale, die umwelt- und klimapolitischen Herausforderungen und die Migrationsfrage -, gilt: Niemand in Europa wird in der Lage sein, diese Fragen noch national zu beantworten, sondern wir brauchen dafür eine europäische Lösung. In den Diskussionen darüber, was das deutsche Interesse ist, muss man in einer solchen Situation zu dem Ergebnis kommen, dass das deutsche Interesse einen Namen hat, und der lautet „Europa“, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Es ist für uns in der politischen Verantwortung ganz wichtig, dass wir dafür ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Zustimmung erhalten. Davon wird abhängen, ob die Lösungen, die wir verfolgen, auch wirklich durchsetzbar sind oder ob sie umgekehrt werden, wie wir das ja in der letzten Zeit bei Wahlergebnissen in Europa mitverfolgen durften.

Deshalb: Wenn es um Europa und um die Bedeutung von Europa geht, dann dürfen wir nicht zulassen, dass Europa von Populisten und Nationalisten in Deutschland und in Europa zu einem Bedrohungsrisiko erklärt wird, sondern wir müssen - und vielleicht müssen wir das noch mehr, als wir das in der Vergangenheit getan haben - die Menschen wissen lassen, dass Europa die Voraussetzung für die Lösung unserer Probleme ist. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die europäische Idee fortzuführen. Dafür, meine Damen und Herren, gibt es ganz viele Möglichkeiten in der Außenpolitik der Europäischen Union.

Wir müssen die Europäische Union erst einmal außenpolitikfähig machen. Wenn es in Zukunft weiterhin so sein wird, dass aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses in den Gremien der Europäischen Union bei der Außenpolitik einzelne Länder je nach Interessen immer wieder von anderen herausgekauft werden können, die nur bilaterale oder sogar unilaterale Interessen verfolgen, dann wird es nichts mit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Wir brauchen auf Sicht auch einen europäischen Sicherheitsrat, meine Damen und Herren, in dem wir uns nicht nur hinsichtlich von Entscheidungen in Europa, sondern auch in den Vereinten Nationen abstimmen.

Wir brauchen eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion. Es ist in den letzten Jahren viel geschehen. Die Zusammenarbeit in dem Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Stück für Stück vorangebracht worden. Auch PESCO und die französische Interventionsinitiative können dazu einen Beitrag leisten. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in diesem Jahr da noch Stück für Stück vorankommen. Aber im Moment geht es darum, all das durch das zivile Krisenmanagement zu ergänzen, über das Europa auch in einer Kompetenz verfügt wie keine andere internationale Organisation. Ein erster Beitrag kann die Gründung eines europäischen Kompetenzzentrums für ziviles Krisenmanagement in Deutschland sein. Das wollen wir tun und damit deutlich machen, dass wir in Europa, wenn es um Krisenbewältigung und Konfliktlösung geht, unserer Verantwortung gerecht werden wollen.

Ich weiß, über Verantwortung bzw. mehr Verantwortung zu diskutieren ist nicht immer einfach, weil das auch schwierige Fragen mit sich bringt. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir diese Diskussion führen müssen. Millionen Menschen in den afrikanischen Krisengebieten, im Nahen und Mittleren Osten erwarten unsere Beiträge dazu. Dem sollten wir auch gerecht werden und deutlich machen, dass wir in Europa die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Meine Damen und Herren, in der europäischen Außenpolitik geht es aber auch um ganz aktuelle Fragen. Eine Frage, die uns in den letzten Wochen und Monaten auch hier beschäftigt hat, ist: Wie geht es auf dem westlichen Balkan weiter? Ich finde bei allen Diskussionen und auch bei allen Anforderungen an die Westbalkanstaaten: Voraussetzungen für die europäische Perspektive und für Beitrittsverhandlungen zu schaffen, ist richtig. Aber genauso wichtig ist auch, dass wir diesen Ländern eine europäische Perspektive bieten, und zwar eine verlässliche, weil sie sich ansonsten anderen Ländern wie etwa China zuwenden, die schon bereitstehen und die die Werte, die wir haben, auch in der Europäischen Union, nicht teilen. Deshalb ist es wichtig, dass wir dort konsequent und verlässlich bleiben, auch gegenüber den Ländern des westlichen Balkans.

Meine Damen und Herren,
ja, auch in Syrien wird von uns erwartet, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Frau Göring-Eckardt hat heute Morgen gesagt, dass wir dort nichts tun würden, um den Friedensprozess, die Suche nach einer politischen Lösung zu unterstützen. Sie können uns vielleicht irgendwann vorwerfen, dass wir es nicht verhindern konnten, dass der Krieg in Syrien weiterging. Aber Sie werden uns nicht unterstellen können, dass wir nicht alles dafür getan haben, dass es eine politische Lösung gibt.

Wir sind seit einigen Monaten zusammen mit den Amerikanern, den Franzosen, den Briten, den Saudis und auch den Jordaniern Mitglied der Gruppe, die sich um eine politische Lösung bemüht. Ich war in der letzten Woche in der Türkei und habe mit denen gesprochen, die auf der anderen Seite im sogenannten Astana-Format stehen, und habe die türkischen Verantwortlichen ermuntert, in der letzten Woche in Teheran gegenüber Russland und dem Iran dafür einzutreten, dass es keine Großoffensive in Idlib gibt. Am Freitag wird der russische Außenminister hier sein. Ihm werde ich genau das Gleiche sagen, nämlich dass wir auch von Russland erwarten, dass es seiner Verantwortung gerecht wird und ein humanitäres Desaster in Idlib und anderswo in Syrien verhindert.

Deshalb: Deutschland hat bereits Verantwortung übernommen. Wir sind mittlerweile der zweitgrößte humanitäre Geber im Rahmen des UNHCR. Wir wissen, dass sich andere zurückziehen aus internationalen Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen, auch bei den Vereinten Nationen. Wir sind zurzeit dabei, zu überprüfen, wie wir die Ausfälle anderer kompensieren können. Ich bin dankbar, dass uns der Deutsche Bundestag dabei unterstützt. Wir werden auch in Syrien unserer humanitären Verantwortung gerecht. Aber ich sage auch: Am Wiederaufbau werden wir uns erst beteiligen, wenn es einen politischen Prozess gibt. Wir werden uns nicht an einem syrischen Wiederaufbau beteiligen, bei dem es nur darum geht, Assad und sein Regime in der Verantwortung zu halten. Das ist die Voraussetzung, die wir dafür klar und deutlich formuliert haben.

Meine Damen und Herren,
wir werden auch auf die Veränderungen im transatlantischen Verhältnis reagieren müssen. Wir tun das. Dabei geht es nicht darum, sich von den Vereinigten Staaten zu entfernen. Wir brauchen die Vereinigten Staaten auch als Wertepartner in der Zukunft. Aber wir werden dort, wo wir uns Fragen gegenübersehen, wie beim Thema Handel oder beim Thema Strafzölle, nicht alleine, wohl aber in der europäischen Einheit unsere Antwort geben. Auch da ist es wichtig, dass wir die neuen Herausforderungen nicht national, sondern vor allen Dingen europäisch beantworten.

Letztlich tun wir das auch mit Blick auf unsere Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ab dem nächsten Jahr. Wir erleben zurzeit in der internationalen Politik immer mehr, dass Vertrauen und Verlässlichkeit zurückgehen. Deutschland will auch als nicht permanentes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem etwas entgegensetzen. Wir führen mit anderen Staaten Gespräche darüber, die genauso wie wir daran interessiert sind, dass der Multilateralismus eine Chance hat, dass es auch in Zukunft eine rules-based order gibt, dass man sich auch in der internationalen Politik aufeinander verlassen kann. Dass unsere Freunde aus Kanada, Japan und Australien genauso denken, das unterstützen und mit dabei sein wollen, ist ein gutes Zeichen. Vor allen Dingen steht es uns als Deutschland gut zu Gesicht, bei einer Allianz der Multilateralisten gerade jetzt an vorderster Stelle mit dabei zu sein. Dabei bitte ich Sie auch um Ihre Unterstützung. Das wird durch den Haushalt zum Ausdruck gebracht.

Herzlichen Dank.

Schlagworte

nach oben