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„Es geht um den Zusammenhalt und die Zukunft des Westens.“

31.08.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit der Aachener Zeitung. Themen: die nordkoreanische Atompolitik, das Verhältnis zur US-Regierung von Donald Trump, die Beziehungen zur Türkei, der Konflikt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Erschienen am 31.08.2017.

Außenminister Sigmar Gabriel im Interview mit der Aachener Zeitung. Themen: die nordkoreanische Atompolitik, das Verhältnis zur US-Regierung von Donald Trump, die Beziehungen zur Türkei, der Konflikt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Erschienen am 31.08.2017.

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Herr Gabriel, wer ist derzeit politisch unberechenbarer: US-Präsident Donald Trump oder der russische Präsident Wladimir Putin?

Wirklich unberechenbar ist, das sehen wir ja gerade in diesen Tagen wieder, der Diktator in Nordkorea, Kim Jong Un. Der Mann bedroht mit dem Finger auf dem roten Knöpfchen eine ganze Region. Dabei wäre ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel verheerend, im schlimmsten Fall könnte es mehr Tote geben als im Zweiten Weltkrieg. Aber um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Natürlich ist im Verhältnis zu Russland in den vergangenen Jahren, etwa mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, viel Vertrauen verloren gegangen. Und ja, die Tweets aus dem Weißen Haus waren auch das eine oder andere Mal überraschend. Aber eine Rangliste zu führen, bringt uns nicht weiter.

Im Gegenteil: Wir müssen wissen, was wir selber wollen. Also zum Beispiel, dass die Kampfhandlungen in der Ost-Ukraine aufhören und es endlich echte Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens gibt. Oder dass alle in der internationalen Staatengemeinschaft die Sanktionen gegen Nordkorea ohne das geringste Wenn und Aber umsetzen, damit Pjöngjang zum Einlenken kommt.

Inzwischen zweifeln US-Abgeordnete bereits am Geisteszustand von Trump. Bei aller ihnen als Außenminister gebotenen diplomatischen Zurückhaltung: halten Sie die Angst vieler deutschen für berechtigt, Trump könne in einer Krise überreagieren und einen Krieg vom Zaun brechen? Entsprechende Drohungen hat er ja bereits ausgestoßen.

Es geht um den Zusammenhalt und die Zukunft des Westens. Das meine ich nicht als geographischen Begriff, sondern als Wertgemeinschaft von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Offenheit, auch in Wirtschaftsfragen. Ich mache mir Sorgen, dass die USA dem Westen auf Dauer verloren gehen. Manche im Umfeld von Donald Trump wollen die Herrschaft des Rechts durch das Recht des Stärkeren ersetzen. Dagegen müssen wir uns behaupten.

Das ist umso wichtiger, weil die USA die wichtigsten Verbündeten von uns Europäern sind.

Was heißt das für die deutsche Außenpolitik und speziell für die Beziehungen zu den USA?

Wir dürfen uns jetzt weder verzagt abwenden noch abgeklärt abwinken, sondern müssen den Dialog und die Zusammenarbeit suchen. Ich bin deshalb vor wenigen Tagen schon zum dritten Mal zu einem Besuch in den USA gewesen.

Mit dem Außenminister Rex Tillerson verbindet mich ein wirklich gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Mit Blick auf die zahlreichen Krisen in der Welt muss jetzt die Stunde der Diplomatie sein. Dafür ist es notwendig, dass die USA und Europa ganz eng zusammenarbeiten, egal wohin sie blicken: Nordkorea, Iran, Russland und die Ukraine, Afghanistan.

Stehen Sie vorbehaltslos hinter der Forderung ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz, die verbliebenen Atomwaffen der USA aus Deutschland abzuziehen? und wenn ja:Warum ist das noch nicht geschehen? Es gibt doch bereits einen Beschluss des Bundestags aus dem Jahr 2010, der die Bundesregierung auffordert, für einen Abzug zu sorgen.

Martin Schulz hat völlig Recht, dass wir endlich wieder über Rüstungskontrolle und Abrüstung reden. Wichtige Experten warnen davor, dass wir gerade dabei die schlimmsten Fehler des Kalten Krieges zu wiederholen. Wir sind auf dem Weg in einem Kalten Krieg 2.0. Alle guten Verträge für atomare Abrüstung und Rüstungskontrolle von Gorbatschow und Reagan sind in akuter Gefahr. Europa droht erneut zum Aufmarschplatz für Atomraketen zu werden. Dass Frau Merkel dazu schweigt, ist falsch. Gerade Deutschland muss seine Stimme dagegen erheben. Wir müssen Friedensmacht bleiben und uns einer Rüstungsspirale entgegenstellen. Insofern fand ich den Hinweis von Martin Schulz darauf, dass es am Ende auch darum gehen muss, Atomwaffen in unserem Land zu beseitigen, richtig.

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Kommen wir zu Putin. Sie waren in der jüngeren Vergangenheit mehrfach in Moskau. unter anderem sollen Sie sich mit Alt-Kanzler Gerhard Schröder und Putin zu einem Abendessen getroffen haben. Die Grünen und die Union kritisieren das. haben Sie dafür Verständnis?

Dass ich als deutscher Außenminister Gespräche mit dem Präsidenten Russlands führe, ist doch selbstverständlich. Man müsste mich kritisieren, wenn ich dies nicht täte. Die Kritik an Gerhard Schröder finde ich persönlich scheinheilig. Man kann nicht auf der einen Seite die guten Kontakte von Gerhard Schröder für sich einspannen wollen, wenn es mal drauf ankommt, und auf der anderen Seite draufhauen, weil es einem politisch in den Krampasst. Das ist nicht nur mir zu durchschaubar.

Sie sind vor wenigen Tagen heftig von Mitgliedern der türkischen Regierung persönlich angegriffen worden. Ist der Ton auf der internationalen Bühne aggressiver, rauer geworden?

Zur Außenpolitik gehören auch deutliche Worte. Aber die Beleidigungstiraden aus der Türkei sind präzedenzlos für einen Partner in Nato und Europa und machen mich ziemlich fassungslos.

Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass wir zwischen der Türkei und Erdogan unterscheiden. Es gibt auch in der Türkei viele, die ihn kritisch sehen. Deshalb haben wir uns gegenüber der türkischen Regierung auch sehr klar geäußert: Wir werden unsere Politik gegenüber der Türkei sorgfältig und wirksam neu ausrichten.

Wie kann denn das deutsch-türkische Verhältnis wieder entgiftet werden?

Im Moment sind mögliche Brücken schwierig zu erkennen, da sich die türkische Regierung alle Mühe gibt, die Brücken zu uns und nach Europa regelrecht abzubrennen. Aber wir sind dennoch zum Dialog bereit, sollte Ankara seine eigene Politik revidieren.

Dafür ist aber auch Bedingung, dass die Deutschen, die unter haarsträubenden Anwürfen in türkischer Haft sitzen, faire Verfahren erhalten und freigelassen werden.

[...]

Interview: Joachim Zinsen.

www.aachener-zeitung.de

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