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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Publishers' Summit des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger: „Verantwortung von Medien und Politik in der digitalen Zeit“
Sehr geehrter Herr Burda,
sehr geehrter Herr Holthoff-Pförtner,
sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben völlig richtig gesehen: ich bin nicht Sigmar Gabriel. Er muss sich heute leider entschuldigen, und hat mich gebeten, ihn hier zu vertreten. Das letzte Mal, das ich kurzfristig für Sigmar Gabriel einspringen musste, war bei der Internationalen Tourismus-Börse. Das Gastland war die Mongolei – und ich hatte natürlich keine vorbereitete Rede. Zum Glück war ich gerade dort gewesen, und der mongolische Präsident hatte mir zum Abschluss meiner Reise ein Pferd geschenkt. So konnte ich dem Publikum wenigstens was vom Pferd erzählen… Das kann ich heute nicht, aber ich bin dennoch gern gekommen. Denn der diesjährige „Publishers‘ Summit“ ist ein besonderer Moment für den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger: Nach fast 20 Jahren verlassen Sie, lieber Hubert Burda, die Spitze des VDZ, und Sie, sehr geehrter Herr Holthoff-Pförtner, treten die Nachfolge an, in einer für die gesamte Branche sehr turbulenten Zeit.
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„Interessiert sich noch jemand für die Wahrheit?“ So titelte kürzlich eine deutsche Zeitung über den Wahlkampf in den USA, der morgen –glücklicherweise, muss man sagen- zu Ende geht. Wenn man sich einmal die Mühe gemacht hat, eine TV-Debatte dieses Wahlkampfes von Anfang bis Ende anzuschauen, dann lässt einen die Chuzpe, ja die Ruchlosigkeit fast sprachlos zurück, mit der da im grellen Licht der Öffentlichkeit Fakten verbogen und abgestritten, Expertenwissen diskreditiert, ja: wie schlicht gelogen wird. Und das gibt es natürlich nicht nur in den USA, oder in Großbritannien, wo die Brexit-Kampagne stolz verkündet hat: „dieses Land habe genug von Experten“. Nein, ich fürchte auch bei uns in Deutschland lässt sich mit einer zunehmend aggressiven Abneigung gegen Fakten politische Stimmung machen! Die Wahrheit wird in manchen Diskursen nicht mehr nur absichtlich verfälscht, viel schlimmer: sie scheint gar nicht mehr zu zählen. Nicht Wahrheit, sondern „gefühlte Wahrheit“ ist im Internetzeitalter die harte Währung.
Umso mehr sollten wir heute jemanden würdigen, der sich -durch die all die Herausforderungen und Umbrüche des Mediengeschäfts hindurch- immer für die Wahrheit interessiert hat, und der die Verlage mit genau diesem Anspruch als „Institution der Demokratie“ verstanden und verteidigt hat: nämlich Hubert Burda. Dafür wollen wir Ihnen heute danken! Im allerersten Satz des Pressekodex der deutschen Verleger steht –so wörtlich- die „Achtung vor der Wahrheit“ festgeschrieben, und ich hoffe, lieber Herr Burda, dass Sie Ihre Stimme und Ihr Gewicht in dieser Branche auch weiterhin nutzen werden, um diesen Anspruch hochzuhalten, in einer Zeit, in der das nicht gerade einfacher wird.
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Meine Damen und Herren,
die Sorge um die Wahrheit im öffentlichen Raum ist eigentlich nicht neu. Hannah Arendt schrieb vor über einem halben Jahrhundert Essays über „Wahrheit und Lüge in der Politik“ – die Frage ist also: was ist neu in unserer Zeit, dass ein mediales und politisches Phänomen wie Donald Trump überhaupt möglich wird?
Weil ich keine lange Grundsatzrede halten will, versuche ich es mit einer Anekdote, die man sich im Auswärtigen Amt gern erzählt. Die Geschichte handelt eigentlich von einem deutschen Botschafter, der in der Berliner Zentrale mir, dem Außenminister, Bericht ablegen soll über die Lage in dem Land, in dem er stationiert ist. Aber sie könnte ebenso gut vom Auslandskorrespondenten einer deutschen Zeitung oder Zeitschrift handeln, der zu Hause der Chefredaktion Bericht erstatten soll. Der Chefredakteur hat wenig Zeit und fragt: „Wenn Sie die Lage in Ihrem Land in einem Wort zusammenfassen, wie wäre das?“ Der Auslandskorrespondent seufzt, überlegt und sagt dann: „Gut.“ Das ist dem Chefredakteur dann doch etwas zu unpräzise und er hakt nach: „Naja, und wenn Sie zwei Worte hätten?“ Der Korrespondent grübelt noch einmal und sagt schließlich: „Nicht gut.“
Ich glaube, wir haben es mit gegenläufigen Trends zu tun: auf der einen Seite die wachsende Komplexität, Vernetzung und Unübersichtlichkeit der Welt, mit der wir außenpolitisch umzugehen haben und über die Sie zu berichten haben. Und auf der anderen Seite –geradezu als Gegenreaktion darauf- die wachsende Sehnsucht nach einfachen, eben nicht-komplexen Antworten: „Gut oder nicht gut! Schwarz oder weiß!“ Nach solchen Erklärungen wird gesucht, am besten auf maximal 140 Zeichen.
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Natürlich: Die digitale Revolution, und mit ihr das Schrumpfen von Zeit und Raum, erzeugt einen nicht endenden Schwall von Informationen aus dieser unübersichtlichen, schwer zu verstehenden Welt. Herr Burda, von Ihnen stammt der Satz: „Die Auswirkungen der digitalen Revolution werden nicht nur die Art und Weise verändern, wie wir Zeitschriften produzieren und vertreiben – sondern wie wir arbeiten, reisen, lernen, uns unterhalten.“ Heute sagen so etwas viele. Aber Ihr Satz stammt aus dem Januar 1996 – vor fast 21 Jahren haben Sie das vorausgesagt!
Ich fürchte nur: Bis heute sind wir weder intellektuell noch kulturell noch politisch auf den Ansturm des Digitalen wirklich vorbereitet! Ja, das Internet verschafft uns Zugang zu einer nie gekannten Fülle von Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen. Doch die Fähigkeit, sich in andere Wirklichkeiten und Wahrnehmungen hineinzudenken und einzufühlen, hält mit der Informationsflut einfach nicht mehr Schritt. Und diese Überreizung, dieses Gefühl der Überforderung produziert Gegenreaktionen: Angst vor Identitätsverlust, Rückbesinnung auf Nation, Ethnie, Religion, auf das, was scheinbar wieder festen Boden unter den Füßen verschafft. Und am allerbesten eignet sich dafür die einfachste aller Antworten: „Wir gegen die!“ Vergewisserung der eigenen Identität durch Ausgrenzung, Abgrenzung, Feindbilder: das ist das Einfallstor der Populisten und der Nationalisten, die heute an so vielen Orten auf dem Vormarsch sind.
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Meine Damen und Herren, wenn wir uns also als Medienschaffende wie als demokratische Politiker –um noch einmal auf die Titelzeile zurückzukommen- „für die Wahrheit interessieren“, stellt sich die Frage: Was können wir tun?
Zunächst einmal müssen wir unsere eigenen Schwächen kennen. Wir Menschen sind tendenziell faul, auch in Sachen Wahrheit. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat nachgewiesen, wie sehr wir dazu neigen, uns gut bekannte Informationen als wahr anzunehmen, sie nicht aktiv zu hinterfragen. Er nennt das „cognitive ease“. Facebook und Co. machen es dieser menschlichen Schwäche leider allzu leicht. Wir müssen stattdessen aktiv nach der Wahrheit suchen, nach kritischen Quellen, und das gewonnene Bild immer wieder überprüfen. Wir müssen die „Echokammern“ der eigenen sozialen und kulturellen Umfelder durchbrechen, und auch –was wohl am schwersten fällt!- uns immer wieder in die Wahrnehmung unseres Gegenübers hineinversetzen. Das gilt nirgendwo mehr als in der Außenpolitik!
Zweitens: Wir müssen in unsere Urteilskraft investieren. Wir dürfen die Komplexität der Welt nicht zu einem Holzschnitt vergröbern, sondern müssen auf Unterscheidungsfähigkeit und Genauigkeit achten – in den Medien genau wie in der politischen Debatte. Zu dieser Investition in unsere Urteilskraft gehört auch die Investition in die gesellschaftlichen Institutionen und Systeme, die in unseren Gesellschaften „Wahrheit produzieren“: Schulen, Wissenschaft, Justiz – aber ganz besonders auch die Medien. Viele von Ihnen als klassische Printmedien sehen heute Ihr Geschäftsmodell in Frage gestellt und zugleich ihre Glaubwürdigkeit scharfer Kritik ausgesetzt. Manche haben daraus den Schluss gezogen, vor allem Klickzahlen und Quoten in den Mittelpunkt ihrer Strategie zu stellen. Viele haben ihre Korrespondentennetzwerke, gerade im Ausland, drastisch verkleinert und büßen so zusätzlich an Fähigkeit ein, die Komplexität der Welt angemessen zu begreifen und zu beschreiben.
Ich glaube: Dies ist der falsche Weg. Wir brauchen heute umso mehr Medien, die einer kritischen Öffentlichkeit nicht nur Informationen servieren, sondern Kontext und Wissen vermitteln. Nicht die maximale Fülle an Klicks und Reizen, sondern die maximale Urteilskraft des mündigen Bürgers sollte im Zentrum unserer Bemühung stehen! –Das gilt für Medienschaffende ganz ähnlich wie für die Art und Weise, wie wir als Politiker kommunizieren.
Das Erbe der europäischen Aufklärung ist –in den Worten von Immanuel Kant– „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Wir hielten dieses Erbe viele Jahrzehnte lang für selbstverständlich, zumindest in unseren Breitengraden. Aber die Verachtung der Vernunft, die wir heute in vielen Teilen der Welt, aber auch bei uns zuhause beobachten – als Verachtung des Differenzierten und der Angemessenheit der politischen Sprache, als Zwang zur Zuspitzung, Abgrenzung und Radikalisierung – ist ein Warnsignal. Das völkische Denken, das wir Deutschen in dunkelster historischer Erinnerung haben, brüstete sich einst mit der Aufkündigung des Dialogs. Kritiker wurden nur noch als Repräsentanten eines „feindlichen Systems“ wahrgenommen. So gab es nur noch die eigene Wahrheit und die Lügen der anderen. Der vor kurzem verstorbene, große Historiker Fritz Stern hat hellsichtig wie kein Zweiter den verhängnisvollen Zusammenhang herausgearbeitet zwischen der Geringschätzung der Vernunft, ja einer bewussten, von vielen geradezu gefeierten Irrationalität und dem Zusammenbruch der deutschen Demokratie in den 30er Jahren. Nur wer vom katastrophalen Scheitern der autoritären Irrwege der Vergangenheit nichts mehr weiß, hält sie womöglich wieder für die Zukunft. Hält unser kulturelles Gedächtnis wirklich nicht länger als drei Generationen?
Mindestens -glaube ich- diese Erinnerung müssen wir heute erneuern! Das gehört zu unserer politischen und zu Ihrer verlegerischen Verantwortung – nicht zu Unrecht hat Matthias Döpfner kürzlich die Abkürzung „V.i.S.d.P“ („verantwortlich im Sinne des Presserechts“) als die „stolzesten fünf Buchstaben“ der Medienwelt bezeichnet. Also, im Sinne von Hubert Burda: Wer sich für die Wahrheit interessiert, sollte eine Lanze brechen für die politische Vernunft!