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Dialog mit internationalen Flüchtlings- und Migrationsorganisationen über verstärkte globale Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise - Schlussfolgerungen des Vorsitzenden
„Chairmans Conclusions“ des heute stattgefundenen Treffens „Dialog mit internationalen Flüchtlings- und Migrationsorganisationen über verstärkte globale Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise“, zu dem Außenminister Steinmeier eingeladen hat.
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Flüchtlings- und Migrationsbewegungen sind nichts Neues. Um auf die Bedürfnisse eingehen zu können und der gewaltigen Zahl von Menschen, die heute in vielen Teilen der Welt – auch im Nahen Osten, in Europa und in Afrika – auf der Flucht sind, gewachsen zu sein, müssen unsere gemeinsamen Werte, die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde, als Ausgangspunkt dienen. Wir müssen nach innovativen, kreativen und tragfähigen Lösungen suchen, die sich auf internationale Menschenrechtsnormen und das internationale Flüchtlingsrecht stützen. Einzelstaatliche oder europäische Antworten alleine reichen nicht aus. Wir brauchen mehr internationales Engagement und eine koordinierte ergänzende Strategie. Deswegen sind wir heute hier zusammengekommen.
Das ganze Jahr 2016 hindurch organisiert die internationale Gemeinschaft verschiedene internationale Konferenzen, bei denen es mittelbar oder unmittelbar um die Flüchtlings- und Migrationssituation geht. Auf der Londoner Konferenz am 4. Februar lag der Schwerpunkt auf dem Schutz sowie den humanitären und entwicklungspolitischen Bedürfnissen in Bezug auf Syrien und die Region; auf der UNHCR-Konferenz am 30. März in Genf ging es um legale Möglichkeiten der Einwanderung, und am 23. und 24. Mai traf sich die Welt zum ersten Humanitären Weltgipfel in Istanbul, um die erforderlichen Reformen des humanitären Systems zu erörtern. Die nächsten Meilensteine sind die hochrangige Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Umgang mit großen Flüchtlings- und Migrantenbewegungen am 19. September in New York und der von US-Präsident Obama für den Folgetag anberaumte Gipfel der Staats- und Regierungschefs zu Flüchtlingsfragen, der gemeinsam von Deutschland, Kanada, Äthiopien, Jordanien, Mexiko und Schweden ausgerichtet wird. Die bevorstehenden Treffen des Globalen Forums für Migration und Entwicklung (GFMD) werden Gelegenheit bieten, die Diskussionen über Migration und Entwicklung voranzutreiben. Bei all diesen Veranstaltungen geht es um unterschiedliche Aspekte der Herausforderungen und Chancen, die darin liegen, auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge und gefährdeten Migranten einzugehen und Migration zu gestalten. Sie zeigen, dass zur Verbesserung der gegenwärtigen Lage ein Handeln auf verschiedenen Ebenen dringend geboten ist. Wir brauchen steten Einsatz, verstärkte Bemühungen und wirksame Abstimmung seitens der Staaten, der Zivilgesellschaft und der internationalen Organisationen. Ich habe daher den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, den Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für internationale Migration und Entwicklung, den Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration, den Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften sowie Vertreter der Weltbank und der Europäischen Union zu einem zweiten Treffen in diesem Format nach Berlin eingeladen. Dieses Forum in Berlin stellt eine wichtige Gelegenheit dar, Ansichten auszutauschen, Schritte abzustimmen und konkrete, durchführbare Maßnahmen zu ermitteln.
Heute haben wir darüber gesprochen, wie wir den in diesem Jahr anstehenden Gipfeltreffen in New York, dem Gipfeltreffen des Globalen Forums für Migration und Entwicklung (GFDM) in Dhaka, Bangladesch, und dem bevorstehenden Ko-Vorsitz Deutschlands und Marokkos des GFDM weitere Impulse verleihen können.
Ich freue mich, bekannt geben zu können, dass wir uns auf die folgenden praktischen Maßnahmen verständigt haben, von denen wir einige gemeinsam in Angriff nehmen werden und andere eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und einer oder mehreren hier vertretenen Stellen beinhalten:
Erhebung und Analyse verlässlicher Migrations- und Flüchtlingsdaten als Grundlage einer tatsachenbasierten Migrationspolitik
Jede Politik, die sich den Flüchtlings- und Migrantenbewegungen im gegenwärtigen Ausmaß widmet, muss sich auf verlässliche Daten stützen. Regierungen und Organisationen kommen unterschiedliche Rollen bei der Erhebung und Analyse der Daten zu, weswegen Zusammenarbeit wichtig ist. Wir haben heute beschlossen, im Rahmen unserer jeweiligen Möglichkeiten und Mandate dafür zu sorgen, dass die Koordinierung der Daten zu Flüchtlingen und Migranten und der Zugang zu diesen effizienter gestaltet wird. Konkret wird das Auswärtige Amt finanzielle Unterstützung bereitstellen, um ein Datenportal zur globalen Migration zu fördern, dass vom Global Migration Data Analysis Center der IOM in Berlin eingerichtet wird. Ziel des Portals ist es, die Zusammenarbeit zwischen der IOM und anderen Stellen wie der Weltbank, dem UNHCR, der Statistischen Kommission der Vereinten Nationen, der OECD und EUROSTAT zu fördern, um verlässliche, kohärente und zugängliche Daten sowie eine Analyse der Flüchtlings- und Migrantenbewegungen bereitstellen zu können. Prioritär muss die Erhebung und Analyse von Informationen Politikern verlässliche und vereinbarte Basisdaten für ihre Entscheidungen zu liefern. Um dies zu erreichen, sind wir entschlossen, die Zusammenarbeit bei der Datenerhebung zu verbessern und eine zeitnahe Analyse dieser Daten zu erleichtern. In der ersten Phase wird sich das Portal daher auf europabezogene Daten konzentrieren. In der zweiten Phase soll der Rest der Welt dargestellt werden. Deutschland wird auch Gastgeber einer Diskussion mit Stellen sein, die Migrationsdaten erheben. Dadurch möchte Deutschland dazu beitragen, dass sowohl die Politik als auch die öffentliche Debatte stärker tatsachenbasiert ausgerichtet sind.
Information und Kommunikation in Herkunfts- und Zielländern
Wir sind uns einig, dass Flüchtlinge und Migranten vor Entscheidungen, die ihr gesamtes Leben betreffen, genaue und gezielte Informationen benötigen. Schleuser und Menschenhändler nutzen die Schwächen und Sehnsüchte der Menschen auf tragische Weise aus und verbreiten Fehlinformationen über Zielländer in Europa, beispielsweise über Deutschland. Wir müssen auf die Menschen zugehen, sie über potenzielle Risiken und legale Einwanderungsmöglichkeiten aufklären. Die Bundesregierung führt in Ländern wie Afghanistan und Regionen wie dem Nahen Osten bereits Informationskampagnen durch, auch in den sozialen Medien. Um die Bemühungen um eine Bereitstellung verlässlicher Informationen für Migranten und Flüchtlinge in der MENA-Region zu verstärken, werden die deutschen Vertretungen in der Region das Potenzial für eine Zusammenarbeit mit den Büros der UNHCR und der IOM ausloten.
Ferner ist es von entscheidender Bedeutung, dass heimkehrende Migranten und Flüchtlinge akkurate Informationen über Chancen in den Herkunftsländern erhalten. Deutschland, das bereits eine breite Palette an Hilfsprogrammen in den Herkunftsländern der Migranten und Flüchtlinge anbietet, wird mit den heute anwesenden Organisationen sowie mit dem Deutschen Roten Kreuz, der örtlichen Zivilgesellschaft und der in Deutschland lebenden Diaspora zusammenarbeiten, um diese Informationen wirksamer zu streuen.
Stipendienprogramme für Flüchtlinge
Hilfe für Flüchtlinge muss auf vielen verschiedenen Ebenen geleistet werden. Wir haben uns darauf verständigt, auf der hochrangigen Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Umgang mit großen Flüchtlings- und Migrantenbewegungen am 19. September in New York und dem von US-Präsident Obama am 20. September anberaumten Gipfel der Staats- und Regierungschefs zu Flüchtlingsfragen zu verdeutlichen, wie wichtig Bildung für Flüchtlinge und Migranten ist, unabhängig davon, ob es sich um Grund-, Sekundar- oder Hochschulbildung handelt.
Seit 1992 hat die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative Albert Einstein (DAFI) beim UNHCR mehr als 8000 Flüchtlingen einen Hochschulbesuch im Asylland ermöglicht. 2016 fördert Deutschland weitere 2500 DAFI-Stipendien, hauptsächlich für syrische, aber auch für afghanische und afrikanische Flüchtlinge. Die Nachfrage nach Hochschulbildung übersteigt die vorhandenen Möglichkeiten jedoch nach wie vor deutlich und zeigt, wie wichtig es ist, weiterhin Mittel einzuwerben und nach innovativen Wegen zu suchen, Flüchtlingen auf kosteneffiziente Weise einen Zugang zur Hochschulbildung zu ermöglichen. Wir haben heute beschlossen, auf unserer Erfahrung mit dem DAFI-Programm aufzubauen und junge Flüchtlinge in den Genuss der Vorteile einer Hochschulbildung kommen zu lassen. Deutschland ruft seine Partner dazu auf, sich für mehr Bildung für Flüchtlinge einzusetzen und das Programm der DAFI-Stipendien zu unterstützen. UNHCR und Deutschland sind gern bereit, alle an der Erarbeitung einer Bildungsinitiative für Flüchtlinge und Migranten Interessierte an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen und Synergien mit dem DAFI-Programm zu ermitteln.
Wir haben darüber hinaus folgende Themen erörtert, die für eine wirksame globale Antwort auf große Flüchtlings- und Migrationsbewegungen von entscheidender Bedeutung sind:
Zusammenarbeit mit dem Privatsektor
Angesichts des Ausmaßes der Flüchtlings- und Migrationsbewegungen und mit Blick auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen sind Regierungen und internationale Organisation auf die Unterstützung der Zivilgesellschaft und des Privatsektors angewiesen. Die Privatwirtschaft spielt vor allem in Bezug auf wirtschaftliche Unabhängigkeit und schrittweise wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration eine entscheidende Rolle. Zu den wichtigsten Faktoren erfolgreicher Integration in eine neue Gesellschaft gehören Arbeit, Beschäftigung und die Möglichkeit unternehmerischer Aktivität. Viele Unternehmen in Deutschland und anderen Gastländern engagieren sich bei der Hilfe für Flüchtlinge und Migranten und schaffen so Situationen, die für beide Seiten von Vorteil sind und auch den Volkswirtschaften der Gastländer nutzen. Internationale Unternehmen können darüber hinaus eine wichtige Rolle dabei spielen, Flüchtlinge in den Ländern der ersten Ankunft sowie in den Gastgesellschaften zu unterstützen. Um auszuloten, wie Unternehmen bei der Flüchtlingshilfe in Deutschland, den Ländern der ersten Ankunft oder den Transitländern enger mit internationalen Organisationen zusammenarbeiten können, treffen wir uns heute mit Vertretern des deutschen Privatsektors.
Umsiedlung und andere ergänzende Maßnahmen
Wir müssen wirksame Maßnahmen finden, um den Gastländern unsere Solidarität zu bekunden und mit ihnen gemeinsam die Verantwortung für Flüchtlinge zu tragen. Dazu gehört die Schaffung
regulärer sicherer Umsiedlungswege und ergänzender Möglichkeiten für Einreise und Aufenthalt, einschließlich Einreise aus humanitären Gründen, Familienzusammenführung, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und Bereitstellung tragfähiger und sicherer Alternativen zum Menschenschmuggel.
Die Krise in Syrien hat verdeutlicht, dass die Staaten aus humanitären Gründen zeitlich begrenzte Einreiseprogramme anbieten und dabei eng mit dem UNHCR zusammenarbeiten müssen. Deutschland unterstützt darüber hinaus die Idee, Programme für Umsiedlungen, Familienzusammenführungen und andere Einreisemöglichkeiten durch den Privatsektor finanzieren zu lassen.
Der Zugang zu Bildungsmaßnahmen und die Chance, sich eine Existenzgrundlage in den Gastländern zu schaffen, würden solche Anstrengungen untermauern und die Aussichten auf ein wirtschaftlich unabhängiges Leben im Gastland, nach einer etwaigen Rückkehr im Herkunftsland oder in einem Drittstaat verbessern. Deutschland ist auch überzeugt, dass es größerer internationaler Anstrengungen bedarf, für große Flüchtlingsbewegungen Schnellverfahren einzuführen. Dies gilt unter anderem für die Entwicklung bestimmter Fertigkeiten als wesentlichen Schritt hin zu langfristigen Lösungen verschiedener Art.
Sicherheit und Würde entlang der Fluchtroute, Rückkehr und Wiedereingliederung
Wir haben bekräftigt, dass alle Migranten, unabhängig von ihrem Rechtsstatus, auf ihrem Weg das Recht auf Sicherheit und Würde haben. Wir haben vereinbart, zur Verhütung weiterer Todesfälle im Mittelmeer und auf anderen Migrationswegen nach Europa und in andere Regionen der Welt zusammenzuarbeiten.
Im Hinblick auf die Rückkehr und Wiedereingliederung von Menschen, die keines internationalen Schutzes bedürfen, betonen wir erneut, dass jegliche Entscheidung, Personen in ihr Herkunftsland zurückführen, unter uneingeschränkter Achtung der Rechte und der Würde dieser Personen zu erfolgen hat. Gleichzeitig müssen alle Staaten ihren Verpflichtungen nach dem Völkergewohnheitsrecht nachkommen, ihre eigenen Staatsangehörigen wieder aufzunehmen und insbesondere daran mitarbeiten, diese zügig zu identifizieren und ihnen Rückkehrausweise auszustellen. Wir teilen die Auffassung, dass es im Einklang mit dem Völkerrecht auch in der Verantwortung der Migranten liegt, jederzeit das einschlägige innerstaatliche Recht zu achten.
Integration von Migranten und Flüchtlingen
Wir betonen, wie wichtig es ist, dass alle Staaten, die einschlägigen internationalen Organisationen, die Nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften und andere Vertreter der Zivilgesellschaft daran mitarbeiten, die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen und Migranten in das gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben im Gastland zu fördern. Wir haben heute darüber gesprochen, wie die Frage der Bildung und der Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt des Gastlandes zu behandeln ist. Integration und die Schaffung von Möglichkeiten können beispielsweise dadurch erleichtert werden, dass ein Schwerpunkt auf Bildung und Beschäftigung gelegt wird, und zwar auch durch das Angebot von Sprachkursen und Programmen der beruflichen Bildung, die Anerkennung erworbener Fähigkeiten und Abschlüsse, die Förderung der gesellschaftlichen Einbindung und den Abbau von Fremdenfeindlichkeit.
Die Erklärung in deutscher Sprache zum Download PDF / 288 KB