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Rede von Außenminister Steinmeier beim Tag des deutschen Familienunternehmens
Meine Damen und Herren,
ich danke Ihnen herzlich für die Einladung.
Ich stehe hier vor einer großen Herausforderung: Ich muss Ihnen die Zeit bis zum lang erwarteten Anpfiff der EM heute Abend überbrücken. Also gut: Noch ungefähr 9 Stunden sind es, bis Frankreich gegen Rumänien spielt. 9 Stunden Zeit also für einen ausführlichen außenpolitischen Überblick! Ich denke, ich fange bei den Römern an. Hoffentlich sitzen Sie bequem!
Spaß beiseite. Ich freue mich sehr, hier zu Ihnen zu sprechen. Viel öfter aber als hier in Berlin – und das mag Sie vielleicht verwundern - spreche ich im Ausland mit und über Deutschlands Familienunternehmen!
Gerade bin ich aus Lateinamerika zurück. Und ich kann Ihnen gerade mit Blick auf Argentinien sagen, wie sehr man dort nicht nur auf die Qualität deutscher Produkte vertraut. Sondern wieviel Hoffnung man dort setzt in die gesellschaftliche Kraft, die in deutschen Unternehmen ruht: Mit Blick auf langfristiges Engagement für Arbeitsplätze, für Ausbildung und Infrastrukturmaßnahmen!
Nicht nur in Lateinamerika - Der Ruf der deutschen Familienunternehmer im Ausland ist hervorragend!
Hier bei uns in Deutschland, meine Damen und Herren, stellen Ihre Firmen über die Hälfte der Arbeitsplätze. Und, lieber Professor Hennerkes, ich muss Ihnen gestehen: Es kommt selten vor, dass ich in Berlin vor einem Publikum spreche, dem die Menschen so viel Respekt zollen! Fast 90 Prozent der Deutschen vertrauen den Familienunternehmen, das zeigt eine aktuelle Studie. Glauben Sie mir, das sind Werte, von denen ein Außenminister nur träumen kann. Und auch die deutsche Sozialdemokratie bewegt sich knapp unterhalb dieser Werte – noch!
Aber vielleicht können wir Ihre Popularität nutzen, meine Damen und Herren! Jetzt meine ich nicht die SPD, sondern die Gesellschaft als Ganzes!
Vielleicht hat es der ein oder andere von Ihnen verfolgt: Es gab ja in den letzten Wochen hier bei uns eine Kinderschokoladen-Diskussion. Da ging es um die Frage, welche Kinder auf der Schokopackung abgebildet sind. Und: was das über uns Deutsche, über Deutschland sagt. Nun, wie Sie wissen, ist das Auswärtige Amt bei diesem Schokothema nicht unbefangen. Denn wir kümmern uns schließlich um das Deutschlandbild im Ausland! Wir haben in meinem Haus also lange zusammengesessen und überlegt, wer am besten auf die Schokolade sollte – als Aushängeschild für Deutschland.
Boateng, Schweinsteiger, Khedira – Ganz klar! Da waren sich alle einig.
Jan Böhmermann? - Vielleicht für die Zartbitter- Variante?
Nein! Wir haben uns gesagt: Das beste Aushängeschild für Deutschland ist der deutsche Mittelstand! Darum: Lieber Herr Professor Hennerkes, wir bräuchten bitte so schnell wie möglich ein Kinderbild von Ihnen! Das kommt auf die Vollmilch-Packung!
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Im Ernst:
Das Vertrauen in den deutschen Mittelstand, in Ihre Unternehmen ist groß, meine Damen und Herren- hier in Deutschland und in der Welt.
Und ich persönlich glaube, das hat nicht nur mit der Qualität von Produkten zu tun, sondern auch mit der besonderen Einstellung vieler Familienunternehmer. Sie, meine Damen und Herren, investieren ihr eigenes Geld in Ihre Firmen. Und vielleicht ist das ein Grund, warum Sie die langfristigen Folgen ihres Handelns besonders im Blick haben. Da geht es eben nicht um ein schnelles profitträchtiges „in and out“. Sondern um Nachhaltigkeit und beständiges Wachstum.
„Familienunternehmer haben geduldige Hände“, so oder so ähnlich haben Sie, lieber Herr Prof. Hennerkes, es einmal gesagt.
Geduldige Hände, Weitsicht – das ist es auch, so bin ich überzeugt, was dafür sorgt, dass Familienunternehmen auch Krisen besser standhalten. Nur ein Beispiel: Während der Euro- und Finanzkrise etwa haben die deutschen Familienunternehmen ihre Mitarbeiterzahlen erhöht – im Gegensatz zu den großen börsenorientierten Unternehmen.
Meine Damen und Herren,
Weitsicht, Geduld, Beharrlichkeit – auch und gerade in Zeiten der Krise– das sind aber nicht nur Tugenden, die Unternehmen zum Erfolg führen. Es sind Eigenschaften, die wir – so bin ich fest überzeugt – gerade jetzt und heute auch in unserer Außenpolitik brauchen.
Denn wir leben in stürmischen Zeiten.
Syrien, Ukraine, Libyen, Irak – wir erleben Krisen und Konflikte in unserer Nachbarschaft, wie ich sie in dieser Dichte und Komplexität in meiner politischen Laufbahn noch nie erlebt habe.
Und die Krisen sind nicht nur näher an uns herangerückt, sie haben mittlerweile die Europäische Union selbst erfasst!
- Nirgendwo wird das so deutlich wie in Gestalt der Flüchtlinge, die in Europa Zuflucht suchen.
- Der islamistische Terror plagt nicht nur den Mittleren Osten – er hat mitten im Herzen Europas zugeschlagen, in Brüssel und mehrfach bei unseren Freunden in Paris.
- Wir erleben ein globales Kräftemessen, ein neues Ringen um internationale Ordnung. In Europa müssen wir mit dem Rückfall Russlands in ein geopolitisches Konfrontationsdenken umgehen. Im Mittleren Osten toben Stellvertreterkriege, das Ringen zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der muslimischen Welt.
- Und all das passiert, während Globalisierung, Digitalisierung, und gefühlte Entgrenzung scheinbar unaufhaltsam voranschreiten. Mit all den Chancen, aber auch Verunsicherungen, die das bei vielen Menschen hervorruft.
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Wie reagieren wir darauf?
Es gibt die hier bei uns in Deutschland, die sich ihre Antwort ganz einfach machen.
„Lasst uns dicht machen! Soll die Welt mit ihren Problemen draußen bleiben! Schotten hoch. Abtauchen. Wir igeln uns ein. Wir bleiben unter uns! Verantwortung in der Welt? – Quatsch!“
So lauten die schnellen Antworten.
Aber Abgrenzung. Abschottung, das ist gefährlich, wenn es um die Zukunft und den Zusammenhalt unseres Landes geht!
Und es ist auch der völlig falsche Ansatz, wenn es um unsere Außenpolitik geht!
Denn damit ist niemandem geholfen! Und es bringt uns den Lösungen kein Stück näher. Wir leben auf keiner Insel. Wir leben vom Export, freien Märkten und offenen Grenzen. Abschotten, Rückzug ins Nationale, das ist keine, das ist sogar die falsche Antwort für Deutschland – und erst recht für die starke deutsche Außenwirtschaft – und das müssen wir, das müssen Sie gelegentlich noch deutlicher sagen!
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Klar ist für mich: Je vernetzter diese Welt und je ernster ihre Krisen, desto mehr müssen wir zusammenarbeiten und uns auf Partner jenseits unserer nationalen Grenzen verlassen können.
Und, meine Damen und Herren, das hat keine andere Region auf der Welt so lange und so erfolgreich eingeübt wie wir hier in Europa, in der Europäischen Union!
Es ist deshalb nicht nur naiv, es ist grob falsch, den Menschen vorzugaukeln, dass man auf Probleme wie die Terrorbedrohung, die Krisen in unserer Nachbarschaft oder das Migrationsmanagement in Europa nationale Antworten geben könnte, die tragen!
Auch wenn es manchmal schwer ist, oder wenn wir uns gelegentlich über den ein oder anderen Nachbarn ärgern: Es wird dabei bleiben, dass wir Antworten auf diese Herausforderungen nur europäisch finden werden.
Ich sage das, weil ich das natürlich verbinde mit meinem Wunsch, dass die Briten, die in zwei Wochen im Referendum vor die Wahl gestellt sind, das genauso spüren und entsprechend entscheiden. Großbritannien entscheidet nicht nur über die Zugehörigkeit zur Europäischen Union. Die Vorstellung das, wenn Großbritannien sich für den Brexit entscheiden sollte, es dann in der EU als „28 minus 1“ einfach so weitergeht, das ist eine Vorstellung, die nicht sehr realistisch ist. Denn dann, glaube ich, wären wir an einem Punkt, wo der europäische Integrationsprozess insgesamt ins Stocken geraten kann. Denn die Argumente, die in Großbritannien im Moment gewogen werden, die im Referendums-Wahlkampf miteinander ausgetauscht werden, dies sind Argumente, die wir auch in anderen Teilen Osteuropas und Westeuropas finden. Insofern glaube ich, sollte es wirklich dazu kommen, dass Großbritannien ausscheidet, dann wird sich die EU und die Fortsetzung des Integrationsprozesses in einer tiefen Krise befinden.
Dabei wäre genau das Gegenteil notwendig!
Gerade die Migrationsdebatte, der Umgang mit Flüchtlingen, die Frage der gerechten Verteilung, macht ein gegenteiliges Ergebnis erforderlich: dass wir den Menschen zeigen, dass wir in der Lage sind, die Krisen tatsächlich unter Kontrolle zu bringen. Und da wo, wir noch keine europäischen Lösungen zustande gekriegt haben, zeigen, dass wir sie noch zustande bringen.
Zusammenstehen und nicht auseinanderlaufen! Das wäre im Moment das Gebot der Stunde. Europäische Solidarität durchzubuchstabieren, etwa auch am Maßstab des Umgangs mit den Flüchtlingsbewegungen – darum geht es jetzt.
In der Vergangenheit haben wir immer gesagt: Bisher hat die EU immer bewiesen, dass sie aus ihren Krisen gestärkt hervorgeht. Ich glaube, mit dieser Sicherheit können wir im Moment nicht umgehen.
Deshalb nicht, weil wir Krisen der Vergangenheit noch nicht bewältigt haben. Das zeigt das Beispiel Griechenland, das zeigt die Migrationsdebatte.
Deshalb bin ich mir nicht so sicher, ob wir aus dieser Identitätskrise, die ein Austritt Großbritanniens auslösen würde, gestärkt hervorgehen würden.
Auch Großbritannien übrigens nicht. Nicht nur wegen der wirtschaftlichen Folgen.
Der irische Außenminister hat mir neulich gesagt: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal was über den Nordirlandkonflikt gehört?“ Ich habe gesagt, das ist eine Weile her.
Er hat gefragt, was meinst Du, woher das kommt? Und er hat die Antwort gegeben: weil es in Irland seit der Europäischen Integration keine Grenzen mehr gibt. Keine Grenze zwischen Irland und Nordirland. In dem Moment aber, in dem das Vereinigte Königreich aus der EU austritt, haben wir in Irland wieder eine Grenze, bei der man mindestens die Befürchtung haben kann, dass auch alte Konflikte, die vermeintlich erledigt sind, wieder auftauchen.
Meine Damen und Herren,
zurück zum Beispiel der Flüchtlingskrise: Vor einem halben Jahr war das noch eine Diskussion, die drohte, in einer „Jeder gegen Jeden“ abzudriften. Die einen wollten es zum deutschen Problem erklären. Andere wollten Griechenland und den Süden allein lassen damit. Doch wir haben trotz aller Schwierigkeiten –Schritt für Schritt- gemeinsame Lösungen gefunden: Seenotrettung, Grenzsicherung, EU-Türkei-Abkommen, Unterstützung für Griechenland. Und so haben wir im Ergebnis nicht nur deutlich weniger Ankünfte. Sondern wir führen auch einen echten gemeinsamen Küstenschutz und Außengrenzschutz ein, eine Notwendigkeit, die wir zu Beginn des Schengen-Abkommens vernachlässigt haben.
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Für mich, meine Damen und Herren, macht gerade die Flüchtlingskrise, die auch Sie als Unternehmer vor neue Herausforderungen stellt, deutlich, dass nationale Alleingänge keine Lösung ist!
Die Migrationssituation zeigt, wie eng wir mit der Welt verbunden sind. Außen und innen sind in unserer Welt eben nicht zu trennen!
Das müssen wir bei unseren Antworten im Blick haben, nicht nur innerhalb Europas, sondern gerade doch mit Blick auf die Regionen, aus denen die Menschen derzeit zu uns kommen!
Warum engagieren wir uns denn, um politische Lösungen für die Konflikte im Krisenboden Nordafrika-Mittlerer Osten auf den Weg zu bringen? Ja, das tun wir aus humanitärer, aus außenpolitischer Verantwortung. Aus Verantwortung für die Notleidenden vor Ort. Das ist das eine. Aber wir tun dies auch mit Blick nach innen, mit Blick auf die Flüchtlingssituation hier bei uns in Deutschland und Europa. Denn klar ist doch: Nur wenn wir helfen, Lösungen zu finden für die blutigen Kriege, die Menschen aus ihrer Heimat zwingen, nur dann werden wir das Problem an der Wurzel packen und die Flüchtlingszahlen nachhaltig senken!
Nicht am Spielfeldrand stehenbleiben, meckern und besserwisserische Reden halten. Keine Abschottung. Sondern: Verantwortung übernehmen. Helfen, Krisen und Konflikte zu lösen.
Das ist keine einfache Arbeit. Wenn wir dabei erfolgreich sein wollen, das haben wir - oft auch schmerzhaft - feststellen müssen, dann brauchen wir einen langen Atem.
Und, Herr Hennerkes: wir brauchen geduldige Hände!
Denn vorwärts geht es nur, wenn wir nicht nachlassen in unseren Bemühungen, wenn wir vorangehen, selbst wenn unsere Schritte noch so klein sein mögen!
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Dass sich diese Beharrlichkeit aber auszahlen kann, das zeigt das Beispiel Iran.
Im Konflikt mit dem Iran zu seinem Atomprogramm haben wir sage und schreibe 12 Jahre lang verhandelt. Jahre, in denen wir mehr als einmal am Rande eines Krieges standen. Im vergangenen Sommer ist uns eine Einigung gelungen. Ich erinnere mich gut an diesen Moment. Da stand ein erfahrener amerikanischer Außenminister mit Tränen in den Augen und der sagte: „Liebe Freunde, wir sollten nicht unterschätzen, was hier heute passiert. Wir unterschreiben hier nicht ein Dokument, sondern wir haben vermutlich einen Krieg verhindert!“
Deswegen sage ich: Man darf sich der Ohnmacht nie hingeben als Außenminister. Ich glaube, es gibt keinen Konflikt, in dem es nicht zumindest Ansätze gibt, wie man die Konfliktparteien miteinander ins Gespräch bringt. Beharrlichkeit ist oft eine entscheiden Voraussetzung dafür, dass es vorangehen kann, dass man auch nach Rückschlägen noch zum Erfolg kommt.
Klar ist für mich: Wir dürfen nicht nach Zeitungsüberschriften schielen. Es scheinen ja oft nur noch schrille Töne und Lautstärke Medienaufmerksamkeit zu generieren. Ich aber habe die Erfahrung gemacht, dass noch kein Konflikt im Wettstreit an den Mikrophonen entschieden worden ist, sondern dass je lauter und je schriller die Sprache wird, die Chance auf gesichtswahrende Lösungen für Konfliktparteien nur schwerer wird.
Deshalb habe ich auch im Konflikt in der Ostukraine darauf beharrt, dass wir nur am Verhandlungstisch weiterkommen. Klar ist: Es gibt keine Frage über die Völkerrechtswidrigkeit der Annexion der Krim. Das bleibt vorneweg.
Vor anderthalb Jahren gab es eine Riesendiskussion: Ist es richtig, den Verhandlungsweg zu suchen, oder erledigen wir das ganze dadurch, dass wir die ukrainische Armee aufrüsten?
Ich habe darauf beharrt, dass wir an den Verhandlungstisch kommen.
Heute wird ja manchmal etwas nachlässig darüber gesprochen, was Minsk eigentlich bedeutet. Man muss sich aber in Erinnerung rufen, welches Gefahrenpotenzial in diesem Konflikt in der Ukraine eigentlich steckt. Heute reden wir über einen Konflikt, der auf die Donbass-Region begrenzt ist. Damals auf dem Weg nach Minsk aber, drohte dieser Konflikt sich auszudehnen. Der erste entscheidende Erfolg von Minsk war, dass ein „containment“ des Konflikts auf eine Region gelungen ist.
Trotzdem. Ich will nichts beschönigen: Die Sicherheitslage insgesamt ist nach wie vor unbefriedigend. Die Fortschritte im politischen Prozess sind bei weitem nicht ausreichend. Aber: auch das darf doch kein Grund sein, unsere Bemühungen einzustellen! Solange die Parteien sagen, Minsk bleibt einzige Option, solange werde ich weitermachen.
Selbst wenn die Fortschritte mühsam sind!
Was hat das zu tun mit dem großen Thema Sanktionen?
Da geht es zuerst um die Frage: welchen Sinn haben Sanktionen? Da gibt es die einen in Europa, die sagen: Die Sanktionen wirken doch. Die Russen haben große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Jetzt noch die Schrauben ein bisschen andrehen, dann haben wir sie.
Mein Verständnis ist: Sanktionen sind nie ein Selbstzweck. Sanktionen sollten nicht den Zweck haben, einen anderen Partner wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Sondern Sanktionen haben den Sinn, einen Partner zu einem anderen Verhalten - und hier: zur Rückkehr an den Verhandlungstisch- zu bringen. Das ist in Minsk zum ersten Mal gelungen. Und jetzt ist die Frage: wie gehen wir mit den Sanktionen um? Dazu habe ich in der vergangenen Woche gesagt: Wir verfahren im Moment nach dem Prinzip „alles oder nichts“. Das heißt, erst wenn das letzte Komma und der letzte Punkt vom Minsker Abkommen umgesetzt sind, erst dann können wir darüber nachdenken, ob wir auch einen Abbau der Sanktionen angehen. Dieses „alles oder nichts“- Prinzip hat jedenfalls in der Vergangenheit nicht unter Beweis gestellt dass es genügend Anreize enthält, tatsächlich auch das Minsker Abkommen beschleunigt umzusetzen. Deswegen war mein Vorschlag zu sagen: es darf nicht verboten sein, darüber nachzudenken, ob es nicht eine intelligentere Anwendung des Minsker Abkommens und des Sanktionsregimes gibt. Und so habe ich gesagt: Lasst uns überlegen, ob, wenn wir auf der einen Seite einen signifikanten Schritt in der Umsetzung des Minsker Abkommens hinkriegen, ob wir dann nicht schrittweise auch Eintreten in den Abbau von Sanktionen. Ich glaube, daraus könnte sich ein Anreiz ergeben, der den Gesamtprozess in dem wir uns befinden, sogar beschleunigen könnte.
Daneben habe ich auch etwas zum Verhältnis über Russland und Europa gesagt - dass wir nicht mehr mit dieser Endgültigkeitsdefinition umgehen sollten.
Wissen Sie, mein kanadischer Kollege sagte mir in der NATO-Rats-Sitzung im vergangenen Jahr: „Wir müssen uns jetzt entscheiden: Ist Russland Freund und Partner, oder Gegner und Feind?“ Ich habe ihm damals gesagt: Das ist eine Frage, die kann man nur mit einigen tausend Kilometern Entfernung von Europa stellen. Die Frage Freund oder Feind, Partner oder Gegner ist für uns nicht die entscheidende Frage. Sondern entscheidend bleibt, dass Russland ein riesiger Nachbar ist, den wir in der europäischen Politik nicht völlig ignorieren können.
Deswegen glaube ich trotz aller Schwierigkeiten in denen wir uns befinden: Wir brauchen den kritischen Dialog mit Russland – nicht nur über die Ukraine und das deutsch-russische Verhältnis. Sondern auch zu Syrien, Libyen, Nagorny-Karabach und vielen anderen Baustellen.
In Syrien ist das dringender denn je: Nach 5 Jahren Bürgerkrieg, 300.000 Toten, 12 Millionen, die ihre Heimat verloren haben.
Und ich glaube, so verfahren diese Krise ist: mit dem sogenannten Wiener Prozess haben wir hier zum ersten Mal alle Parteien am Verhandlungstisch, die am Tisch sein müssen, damit eine Lösung überhaupt möglich wird: Europa, und die regionalen Akteure, allen voran die Türkei, Saudi-Arabien und Iran. Aber eben auch und vor allem: Die USA und Russland.
Das alles ist keine Garantie für Erfolg, oder auch nur Fortschritt in den Verhandlungen. Wir sind entfernt von einem Zustand, der zufrieden stellt Aber ohne diese Konstellation hätte es auch nicht die Vereinbarungen über Waffenruhe und humanitären Zugang gegeben. Und immerhin: 800 000 Menschen werden jetzt mit humanitärer Hilfe erreicht, die vorher völlig abgeschnitten waren.
Lassen Sie uns hoffen, dass es uns gemeinsam gelingt, die Vertreter des Regimes und der Opposition zur nächsten Verhandlungsrunde nach Genf zu bringen.
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Ob mit Blick auf Europa, Ukraine, Irak oder Syrien: Abschottung, Raushalten, Resigniert die Hände senken – Das ist keine Lösung. Sondern: Wir müssen beharrlich weiter an Lösungen arbeiten. Wir müssen unsere Gesprächskanäle offen halten, wir müssen sie nutzen.
Und: wo solche Kanäle noch nicht bestehen, da müssen wir versuchen, sie zu schaffen!
Was das ganz konkret heißen kann, dazu will ich Ihnen – jetzt ganz zum Schluss- eine kleine Geschichte erzählen.
Die Geschichte handelt von Libyen. Nur wenige Seemeilen von Europas Küste entfernt, haben da bis zuletzt an die hundert bewaffneten Gruppen einander bekämpft, während der Staat im Chaos versinkt und tausende Flüchtlinge von Schlepperbanden aufs Mittelmeer geschickt werden. In dieser Situation haben wir im letzten Sommer gesagt: Wenn wir diesen Staat irgendwie wieder kitten wollen, dann lasst uns doch mindestens versuchen, die wesentlichen Konfliktparteien an einen Tisch zu bekommen. Also haben wir angefangen: erst die wesentlichen Gruppen zu identifizieren, dann haben wir sie zu Gesprächen nach Berlin eingeladen. Und dann haben wir ihnen sogar ein Flugzeug nach Tripolis geschickt, um sie abzuholen. Aber so ist das oft im Alltag der Außenpolitik: Sie haben’s mit tief verfeindeten Gruppierungen zu tun. …Diese Leute haben bisher nur aufeinander geschossen aber noch nie miteinander gesprochen. Also haben sie sich schon geweigert, ins selbe Flugzeug zu steigen! Die wollten jeder ein eigenes. Da habe ich gesagt: ‚Extra Flugzeuge gibt’s nicht. Wenn Ihr den Test nicht besteht, brauchen wir erst gar nicht anfangen.’ Erster Teilerfolg: Sie sind geflogen.
Als sie abends in Tegel gelandet sind, wollten alle Gruppen gleich in ihr Hotel verschwinden, natürlich in verschiedene Hotels. Da haben wir gesagt: ‚Wir wollen Euch aber noch zum Abendessen einladen!‘ Da haben die gesagt: ‚Aha, das klingt gut.‘ Da sagten wir: ‚Zum Kennenlernen!’ Da sagten die: ‚Aber wir wollen die andern ja gar nicht kennenlernen.‘ Was machst Du in einer solchen Situation? Wir waren vorbereitet: Das Abendessen gab’s auf ‘nem Spreedampfer... Da kann keiner weg! Und so sind wir drei Stunden lang die Spree hoch und runter geschippert und das Boot hat erst angelegt, nachdem sie miteinander gegessen und geredet haben. Und am nächsten Morgen konnten wir dann die echten politischen Gespräche anfangen. Also, meine Damen und Herren, wenn es im Unternehmen mal richtig knallt, einfach einen Dampfer mieten und raus aufs Wasser!
Vielen Dank!