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„Terroristen wollen Krieg in unsere Städte tragen“

29.03.2016 - Interview

Außenminister Steinmeier äußert sich im Interview mit der Funke Mediengruppe zum Kampf gegen den Terrorismus und zu Russlands Rolle in Syrien. Erschienen am 27.03.2016 in der Berliner Morgenpost und am 29.03.2016 im Hamburger Abendblatt und der Thüringer Allgemeinen.

Herr Steinmeier, stellen Sie sich darauf ein, dass – nach Paris und Brüssel – Berlin das nächste Anschlagsziel islamistischer Terroristen wird?

Die entsetzlichen Anschläge von Brüssel, Paris, Istanbul, Tunis und vielen anderen Orten der Welt zeigen: Absolute Sicherheit gibt es nirgendwo. Terrorismus macht an Grenzen nicht Halt, auch nicht an unseren. Er richtet sich unterschiedslos gegen alle Menschen, gleich welcher Herkunft, jung oder alt, Frau oder Mann, Christ, Jude oder Muslim. Unsere Sicherheitsbehörden machen gute Arbeit und haben immer wieder Anschlagsplanungen durchkreuzt. Daneben haben wir möglicherweise auch Glück gehabt, dass wir in Deutschland von Anschlägen bisher verschont geblieben sind. Und wir sollten uns bei alledem bewusst sein, dass friedliches Miteinander der gesellschaftlichen und religiösen Gruppen auch Radikalisierung vorbeugt.

Befindet sich Europa im Krieg?

Die Terroristen würden gerne ihren Krieg in unsere Städte und unsere Köpfe tragen, uns in eine Art Belagerungszustand treiben, um uns ihre perverse Logik von Gewalt und Hass aufzuzwingen. Wir tun gut daran, dieses Spiel nicht mitzuspielen, den Terroristen nicht diese Genugtuung zu geben. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, mit kühlem Kopf gegen die Hintermänner und die Wurzeln des Terrors anzugehen und ihre Unterstützer in Europa zu identifizieren - mit allen Mitteln des Rechtsstaats. Und die Zusammenarbeit der Dienste gehört aus meiner Sicht dazu.

Kann Deutschland seinen Beitrag zum Anti-Terror-Kampf - auch militärisch - noch ausweiten?

Wir haben schon nach den Anschlägen von Paris unser Engagement in vielen Bereichen verstärkt: Im Kampf gegen Extremismus und Radikalisierung in unseren Schulen und Gemeinden, beim gemeinsamen Vorgehen gegen die Terrorzentralen von IS in Irak und Syrien, auch bei der Polizeizusammenarbeit, für die der Innenminister wichtige Verbesserungen angemahnt hat. Der vielleicht wichtigste Schlag gegen IS ist, dass wir nun seit über vier Wochen in Syrien eine Waffenruhe erreicht haben, die weitgehend hält. Regierungstruppen und Opposition reiben sich zumindest für den Moment nicht gegenseitig auf, sondern können ihre Kräfte auf den Kampf gegen IS und die Brutstätte des Terrors konzentrieren. Und zum ersten Mal nach fünf Jahren Krieg ist Hoffnung, einen Konflikt zu entschärfen, der den Terrorbanden täglich neue Nahrung gegeben hat.

Sie sind eben aus Moskau zurückgekehrt. Wie beurteilen Sie das russische Engagement gegen den islamistischen Terrorismus?

Ich bin am Dienstagabend nach Moskau gereist – da hatten wir alle die grausamen Bilder von den Terroranschlägen in Brüssel noch ganz frisch vor Augen. Die Bomben am Brüsseler Flughafen und in der Metro haben uns einmal mehr spüren lassen, dass Terror uns alle gleichermaßen bedroht und immer und überall zuschlagen kann. Russlands Engagement in Syrien hat viele Gründe. Einer davon ist ganz ohne Zweifel Moskaus Angst, dass ein radikalisierter Islam vom Mittleren Osten aus in die muslimischen Regionen Russlands zieht. Vergessen wir nicht: Russland ist mehrfach schon Opfer islamistischen Terrors gewesen. Ein Forum, um weitere gemeinsame Schritte zum Kampf gegen Terrorismus auch mit Russland abzustimmen, ist die OSZE, deren Vorsitz wir in diesem Jahr innehaben: Hier haben wir im Sommer eine große Antiterrorismuskonferenz in Berlin geplant, wo es vor allem um Prävention von Extremismus unter jungen Menschen geht.

Trägt Russland wirklich zur Befriedung Syriens bei?

Richtig ist, dass Russland in Syrien auch noch eigene, ganz andere Interessen verfolgt - die Absicherung der eigenen Machtbasis im Mittleren Osten, die Etablierung eigener Einflußzonen gehört dazu. Aber Russland hat kein Interesse am Dauerchaos und an der völligen Zerstörung staatlicher Strukturen im Mittleren Osten. Gerade deshalb ist es so entscheidend, dass wir uns in Wien und München mit Russland und mit den Staaten der Region auf einen Fahrplan für eine Beendigung der Kämpfe und eine politische Lösung verständigt haben. Die Waffenruhe, die Gewährung humanitärer Zugänge, der Beginn der Friedensgespräche in Genf - all das wäre ohne eine konstruktive Einbindung Russlands nicht realisierbar gewesen.

Wie wirkt sich die Flüchtlingskrise auf den Anti-Terror-Kampf aus?

Wir dürfen Flüchtlinge nicht mit mutmaßlichen Terroristen in einen Topf werfen. Die Mehrzahl der Attentäter kam bisher aus Europa selbst, ist hier aufgewachsen. Genauso richtig bleibt die Erkenntnis, dass wir wieder die Kontrolle über die europäischen Außengrenzen erlangen und wissen müssen, wer bei uns ein- und ausreist. Der Vorschlag der Kommission, Frontex zu einem echten europäischen Grenzschutz auszubauen, und die Vereinbarungen mit der Türkei sind dafür wichtige Bausteine. Wir brauchen zudem eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Die Vorschläge von Innenminister De Maiziere zu einer Verbesserung des Informationsaustausches in Europa, zu einer effizienteren Erhebung und besseren Nutzung von Daten sind deshalb richtig.

Der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump schießt sich auf die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel ein. Was wäre von einem Präsidenten Trump zu erwarten?

Leider ist Donald Trump mit seinen Ansichten nicht allein: Wir nehmen auf beiden Seiten des Atlantiks eine Tendenz zur Polarisierung und zur Abschottung wahr. Und das Bedürfnis nach einfachen Antworten nimmt hier und dort ebenfalls zu, die Zahl der Populisten, die sie zu geben bereit sind, auch. Leider ist Welt aber komplizierter. Die Flüchtlingsfrage, einschließlich der Ursachen von Flucht und Vertreibung, zeigt das nur zu deutlich. Wir müssen uns in der Politik trauen zu sagen, dass einfache Antworten oft falsche Antworten sind. Und mit Selbstbewusstsein und Hartnäckigkeit für die richtigen streiten.

Weil sich die Europäer weder auf einen wirksamen Schutz der Außengrenzen noch auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge verständigen können, liefern sie sich dem guten Willen der Türkei aus. Kann die EU so bestehen?

Wahr ist: Europa hat auf die Flüchtlingsströme lange Zeit nicht angemessen reagiert. Für viele scheint der Alleingang auf Kosten anderer erfolgversprechender als eine europäische Lösung. Erst nach mühevollen Verhandlungen haben wir einen Kompromiss gefunden. Und in diesem ist die Türkei schon mit Blick auf ihre geographische Lage Schlüsselland und zentraler Partner. Das kann man gut finden oder nicht – es ist eine Tatsache, die eine verantwortungsvolle Politik berücksichtigen muss. Natürlich muss sich die Vereinbarung erst noch in der Praxis bewähren. Zumindest ist jetzt ein Schritt gemacht auf dem Weg hin zu mehr Kontrolle und zur Begrenzung illegaler Migration.

Ist der Preis, den Europa für den Flüchtlingspakt mit Ankara zahlt, nicht viel zu hoch?

Es gehört zum Wesen von Kompromissen und Vereinbarungen, dass beide Seiten etwas beitragen - so ist das auch beim EU-Türkei-Flüchtlingspaket. Und ich finde, bei aller berechtigten Kritik an innenpolitischen Entwicklungen in.der Türkei dürfen wir nicht übersehen, welch enorme Leistungen das Land mit der Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen seit Jahren erbringt. Und was die finanzielle Unterstützung angeht: Sie fließt nicht in den türkischen Staatshaushalt, sondern kommt ganz konkreten Projekten zur Versorgung von Flüchtlingen zu Gute.

Inzwischen kommen deutlich weniger Flüchtlinge nach Mitteleuropa - weil Staaten in Südosteuropa die Balkanroute geschlossen haben. Sind Sie diesen Staaten insgeheim dankbar?

Die Antwort darauf geben die Bilder aus Idomeni und die zustande in Griechenland. Es kommen weniger Flüchtlinge nach Mitteleuropa, weil sie in Griechenland stranden. Dort ist eine humanitäre Notlage entstanden. Sich der eigenen Probleme entledigen, indem man europäische Partner in Not bringt – so können wir in Europa nicht miteinander umgehen. Deshalb bin ich froh, dass wir diesen unhaltbaren Zustand durch die Beschlüsse auf dem letzten EU-Gipfel wieder in die Bahnen einer europäischen Lösung gelenkt hat.

Die CSU und ihr Vorsitzender Seehofer fühlen sich bestätigt: Es sind die nationalen Maßnahmen, die wirken…

Auch Horst Seehofer müsste wissen: ohne die Vereinbarungen mit der Türkei und die Unterstützung Griechenlands hätten wir heute an der griechisch-mazedonischen Grenze 100000 Menschen, die in Dreck und Schlamm zu überleben versuchen. Diese Bilder, spätestens ausbrechende Seuchen und Todesfälle, hätte doch in Wahrheit niemand ertragen können. Deshalb sind die Orientierung auf die Außengrenzen Europas, die Abkommen mit der Türkei und die Unterstützung Griechenlands der richtige Weg.

Was entgegnen Sie jenen, die den Umgang der Regierung mit der Flüchtlingskrise als Konjunkturprogramm für die rechtspopulistische AfD begreifen?

Ich glaube, es wichtig, dass wir den Menschen nichts vormachen. Die Städte und Kommunen stehen angesichts großer Flüchtlingszahlen vor immensen Problemen und unsere Aufgabe ist, diese zu lösen. Darauf konzentrieren wir uns und nicht darauf, uns an den Parolen einer AfD abzuarbeiten. Im Übrigen ‎dürfen wir uns auch von der AfD nicht das Themensetting in der Politik diktieren lassen. Zweifellos gehört der Umgang mit dem Flüchtlingsthema oben auf die Agenda. Aber gerade Sigmar Gabriel hat deutlich gemacht, dass Politik sich auch um die anderen Themen kümmern muss, die den Menschen auf den Nägeln brennen: von Kita-Ausbau über den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit bis hin zum Wohnungsbau.

Das Interview wurde geführt von Jochen Gaugele. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Funke Mediengruppe.

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