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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 20.08.2025
Situation afghanischer Flüchtlinge in Zusammenhang mit einem Bundesaufnahmeprogramm
Frage
Herr Hinterseher, ich hätte noch eine Frage mit Blick auf die von Pakistan nach Afghanistan abgeschobenen Menschen. Ich weiß, dass Sie am Montag schon etwas dazu gesagt haben, aber jeder Tag zählt. Am Montag haben Sie gesagt, es seien 211 Personen und jeder Tag zähle. Das gelte auch für diejenigen, die jetzt, wie Sie es schilderten, aus der Inhaftierung in Pakistan herausgekommen seien. Wie weit sind Sie inzwischen gekommen? Was tut die Regierung in der Frist, in der Pakistan ja gedroht hat, weitere Abschiebungen vorzunehmen, um die Menschen zu schützen?
Hinterseher (AA)
Wir hatten immer wieder betont, dass es auch rechtsverbindliche Zusagen gibt. Der Außenminister hatte das verschiedentlich auch unterstrichen. Sie hatten gerade noch einmal die Zahl ausgeführt; an der steht es immer noch.
Wir haben tatsächlich noch 211 Personen ‑ nein, rund 210 Personen ‑, die bereits nach Afghanistan abgeschoben wurden; die Zahl hat sich tatsächlich ein kleines bisschen verringert. Für die anderen in Pakistan Verbliebenen setzen wir uns natürlich ebenso ein.
Jetzt geht es für die Personen, die in Afghanistan sind, darum, dass wir Unterbringung, Sicherheit und Verpflegung gewährleisten können. Die Betroffenen stehen mit einem Dienstleister direkt in Kontakt, der jetzt zumindest die Unterbringung vor Ort in Afghanistan organisieren konnte.
Was die freigelassenen Inhaftierten aus den Abschiebelagern in Pakistan angeht: Dort ist die Zahl nach wie vor so; es sind keine neuen hinzugekommen. Unsere Bemühungen der Botschaft Islamabad vor Ort, aber auch des Außenministeriums, fokussieren sich im Moment darauf, mit der pakistanischen Regierung hochrangig im Gespräch zu sein, wie eine Lösung gefunden werden kann, um all die Personen so schnell wie möglich und unter Einhaltung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in das Ausreiseprogramm in Pakistan zu bringen.
Das ist das, was ich Ihnen aktuell dazu sagen kann. Letztlich ist es so, dass wir seit Monaten vor dieser Situation gewarnt haben bzw. davor, dass sich die Situation verschlechtert. Der Schwerpunkt unserer Bemühungen liegt jetzt darauf, dass all diejenigen, die eine gültige Aufnahmezusage haben, zurück nach Pakistan kommen, um wieder am Ausreiseverfahren teilnehmen zu können, und wir dann den Passus, den Sie ja aus dem Koalitionsvertrag kennen, entsprechend umsetzen können.
Ich weiß nicht, ob das BMI dazu ergänzen möchte.
Bowinkelmann (BMI)
Ich habe von meiner Seite keine Ergänzung zu dem Stand, der in der letzten Regierungspressekonferenz mitgeteilt worden ist.
Zusatzfrage
Wie kann es denn sein, dass von ursprünglich 211 Personen, die abgeschoben wurden, jetzt nur 210 abgeschoben worden sind?
Hinterseher (AA)
Ja, ich hatte ja auch am Montag schon darauf hingewiesen, dass die Situation dynamisch ist, dass die Zahlen eine Momentaufnahme waren. Was ich Ihnen jetzt sagen kann: Mit Stand von heute sind wir bei rund 210 Personen. De facto liegt die Zahl ein ganz kleines bisschen darunter.
Frage
Ich habe noch eine Nachfrage an das BMI. Können Sie zeitlich terminieren, wann die Einzelfallprüfungen stattfinden werden, wie da der aktuelle Stand ist?
Bowinkelmann (BMI)
Da hat sich auch der aktuelle Stand nicht verändert. Die Einzelfallprüfungen finden statt, und zu Details zum Prüfverfahren und einer möglichen Zeitschiene kann ich mich hier nicht äußern.
Frage
Ich habe noch eine Frage an Herrn Hinterseher. Wie kann ich mir das denn jetzt vorstellen? Wie versuchen Sie die schon Abgeschobenen, also diese 210 Personen, aus Afghanistan wieder nach Pakistan zu bringen? Es gibt ja diese bekannten technischen Kontakte zu den Taliban, die bisher nur für Abschiebungen genutzt werden. Benutzen Sie die auch für dieses Vorhaben, oder wie kann ich mir das vorstellen?
Hinterseher (AA)
Nein, ich hatte ja gerade ausgeführt, dass wir mit der pakistanischen Seite dazu im Gespräch sind. Vor Ort gibt es tatsächlich einen Kontakt zu den betroffenen Personen. Das hatte ich, glaube ich, gerade auch ausgeführt. Jetzt geht es darum, dass die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen für eine Wiedereinreise nach Pakistan gewährleistet sind. Dazu sind wir hochrangig mit der pakistanischen Seite in Kontakt, um das sicherzustellen.
Zusatzfrage
Können Sie bestätigen, dass allen Personen, die diese Aufnahmezusage haben und sich im Verfahren befinden, die Pässe abgenommen worden sind, das heißt, dass auch die bereits abgeschobenen Personen jetzt ohne Pass in Afghanistan sind?
Hinterseher (AA)
Dazu liegen mir im Moment keine Informationen vor. Grundsätzlich ist es so, dass die Personen, die am Ausreiseprogramm teilnehmen, oft einen Pass bei der Deutschen Botschaft abgegeben haben, der in dem Moment visiert wird, in dem die Ausreise auch feststeht, und dann mit dem gültigen Visum zurückgegeben wird. Das steht dann also in direkter Verbindung mit der Ausreise. Wer seinen Pass dort abgegeben hat, kann ihn allerdings auch jederzeit wieder abholen; er wird also auch wieder ausgegeben.
Zusatzfrage
Sie wissen aber nicht, ob sich die Pässe jetzt in der Botschaft befinden? Ich kann mir vorstellen, dass, wenn die pakistanischen Sicherheitsbehörden gekommen sind, die betreffenden Personen keine Zeit mehr hatten, ihren Pass bei der Botschaft abzuholen. Sie können jetzt also nicht sagen, wie es mit den Pässen aussieht?
Hinterseher (AA)
Ich glaube, Ihren Ausführungen liegt eine gewisse Plausibilität zugrunde. Insofern kann ich Ihnen jetzt keinen genauen Überblick geben. Es ist aber durchaus möglich, dass das bei Betroffenen dann so ist. Das heißt aber nicht, dass sie deswegen nicht für eine Wiedereinreise identifiziert werden könnten.
Frage
Ich würde es auch ganz gerne noch verstehen: Herr Hinterseher, es gab ja gestern oder vorgestern ‑ ich weiß nicht, wie lange es schon her ist ‑ eine Berichterstattung genau zu dieser Thematik der Pässe in der Botschaft. Das heißt, Sie sagen, die Pässe, die sich in der Botschaft befunden haben, sind die Pässe derjenigen, die unmittelbar vor einer Ausreise gestanden hätten, und sonst würden sie sich nicht dort befinden, habe ich das richtig verstanden?
Hinterseher (AA)
Nein. Visa werden den betroffenen Personen, die im Ausreiseprogramm sind, mit der Ausgabe ‑ also mit der Ausgabe der Pässe ‑ an sie bekannt gemacht. Damit sind sie dann gültig. Das erfolgt grundsätzlich immer vor der Einreise. Solange keine Einreise mehr erfolgt ist, wurden eben keine Visa mehr ausgegeben. Insofern ist es plausibel, dass diese Pässe dann eben in der Botschaft sind oder lagen. Sollten Personen, die eben im Ausreiseprogramm sind, um zwischenzeitliche Rückgabe ihrer Pässe bitten, dann werden ihnen die Pässe selbstverständlich ausgehändigt. Das ist aber zu unterscheiden von einer Ausgabe von Pässen mit einem gültigen Visum; denn die werden in dem Moment ausgehändigt, in dem die Einreise stattfinden kann.
Zusatzfrage
Einfach nur noch einmal für das Verständnis: Das heißt, diejenigen, die in dem Programm sind oder möglicherweise Anspruch auf ein entsprechendes Visum haben, haben ihre Pässe bei der Botschaft hinterlegt, die Botschaft hätte das Visum dann in diese Pässe hineingetan, und dann wäre der Pass zurückgegangen, sobald dieses Verfahren ‑ das jetzt schon etwas länger dauert, wenn ich das richtig verstanden habe ‑ abgeschlossen wäre?
Hinterseher (AA)
Genau. Die Visumserteilung ist ja der letzte Schritt in diesem Verfahren. Das heißt, in dem Moment, in dem das Visum ausgestellt werden kann, wird es dann natürlich in den Pass aufgenommen, und der Pass wird dann an die Person, die ausreisen kann, ausgegeben, so wie Sie es darstellen.
Frage
Sind die Signale, die Sie von pakistanischer Seite bekommen, Signale, die bedeuten, dass in den nächsten Tagen bis zu der Frist am 31. August keine weiteren Abschiebungen mehr vorgenommen werden?
Hinterseher (AA)
Ich kann Ihnen den heutigen Stand nennen, aber ich kann hier natürlich nicht aus vertraulichen Gesprächen berichten. Wir haben dazu, wie gesagt, hochrangig mit der pakistanischen Seite Gespräche aufgenommen. Zum heutigen Stand sind alle freigelassen, die in pakistanischen Abschiebelagern waren, und es sind auch keine neuen hinzugekommen. Aber noch einmal: Aus vertraulichen Gesprächen kann ich nicht berichten.
Gemeinsame Erklärung von Deutschland und Namibia zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen
Frage
An das AA: In namibischen Medien kann man lesen, dass Deutschland am kommenden 7. Oktober vor dem namibischen High Court in Windhoek mit Blick auf die gemeinsame Erklärung, die Namibia und Deutschland 2021 zum Völkermord von 1909 und 1918 beschlossen haben, vorgeladen wird. Diese Erklärung soll als invalide und unrechtmäßig eingestuft werden, so zumindest die Auffassung verschiedener traditioneller Autoritäten, unter anderem der Ovaherero Traditional Authority. Können Sie die Vorladung bestätigen? Falls ja: Wird die deutsche Regierung vor Gericht erscheinen?
Hinterseher (AA)
Ich kann Ihnen bestätigen, dass ich Berichte dazu kenne. Die Bundesregierung ist tatsächlich nicht vor dem obersten Gericht in Namibia vorgeladen. Wie Sie gerade ausgeführt haben, gibt es eine Klage von Gegnern der gemeinsamen Erklärung beim namibischen High Court, der nach unserer Kenntnis die erste Gerichtsinstanz bei Verfassungsfragen ist. Die Klage der Gegner richtet sich, wie sie ausgeführt hatten, gegen die gemeinsame Erklärung und damit gegen die namibische Regierung. Diese Klage kommentieren wir natürlich nicht. Grundsätzlich ist es für uns weiterhin eine absolute Priorität, diese gemeinsame Erklärung mit der namibischen Seite weiter zu verhandeln und dadurch unserer moralischen Verpflichtung nachzukommen.
Zusatzfrage
Durch eine Kleine Anfrage der Grünen ist gerade herausgekommen, dass es in Sachen Wiedergutmachung und Entschädigung auch eine klare Haltung der Regierung gibt. Können Sie die bitte noch einmal mit Blick auf finanzielle Entschädigungen, auch mit Blick auf Namibia, zusammenfassen?
Hinterseher (AA)
Ich kann vielleicht zunächst noch einmal zum Stand dieser Verhandlungen ausführen. Die Verhandlungen zur gemeinsamen Erklärung laufen weiter konstruktiv und ergebnisorientiert. Beide Seiten haben über den Stand der Verhandlungen Vertraulichkeit vereinbart. Insofern würde ich hier auch nicht weiter dazu Stellung nehmen. Für beide Seiten ist wichtig ‑ und für uns natürlich besonders wichtig ‑: Die gemeinsame Erklärung soll nicht der Abschluss einer Verständigung mit Namibia sein, sondern soll die Grundlage für den Beginn einer noch intensiveren Zusammenarbeit sein.
Ich glaube, die Anfrage, auf die Sie Bezug nehmen, zielt auf die Frage der rechtlichen Entschädigung ab. Unsere Haltung ist grundsätzlich klar: Die Bundesregierung hat die Taten, die unter deutscher Kolonialherrschaft in dem damaligen Deutsch-Südwestafrika begangen wurden, als das benannt, was sie waren bzw. was sie sind, nämlich ein Völkermord. Schon 2021 hat die Bundesregierung dabei deutlich gemacht, dass Deutschland Namibia und die Nachkommen der Opfer um Verzeihung bitten will. Das hat auch der Bundespräsident 2024 bei seinem Besuch in Namibia noch einmal deutlich gemacht. Diese moralische Verpflichtung bleibt natürlich absolut bestehen. Deswegen sind wir an der Verhandlung zur gemeinsamen Erklärung auch so interessiert und erachten das im Verhältnis zu Namibia auch als absolute Priorität.
Die Kleine Anfrage, auf die Sie Bezug nehmen, stellt eine rechtlich-formale Frage, und das wäre jetzt eine Vermischung mit der Ebene der moralischen Frage. Die rechtlich-formale Frage ist davon zu trennen. Dabei geht es um Reparationsfragen, und das ist ein getrenntes Thema.
Nahostkonflikt
Frage
Ich habe noch eine Frage zu Israel: Die israelische Regierung hat heute, am Mittwoch, endgültig dem umstrittenen neuen Siedlungsprojekt zugestimmt, also dem Ausbauplan für den sogenannten E1-Korridor. Der israelische Finanzminister hatte bereits im Vorfeld erklärt, mit dem Ausbau sei dann auch die Idee eines palästinensischen Staates begraben. Was ist die Stellungnahme der Bundesregierung dazu?
Hinterseher (AA)
Ich weiß nicht, ob Sie das gesehen hatten, aber wir hatten dazu auch letzte Woche schon Stellung genommen. Das Siedlungsprojekt E1, das sehr stark ins Westjordanland geht und durch diese große territoriale Ausbreitung de facto den nördlichen Teil des Westjordanlandes vom südlichen Teil trennen würde, lehnen wir entschieden ab. Es geht dabei nicht nur um E1, sondern auch um den Ausbau der Siedlung Maʿale Adummim in der Nähe. Heute ist nach unserem Kenntnisstand von der Baubehörde die Genehmigung erteilt worden.
Die Haltung der Bundesregierung ist klar: Wir lehnen diese Genehmigung entschieden ab. Der Siedlungsbau verstößt gegen Völkerrecht und gegen einschlägige Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Er erschwert eine verhandelte Zweistaatenlösung und ein Ende der israelischen Besatzung des Westjordanlands, wie es der Internationale Gerichtshof auch fordert. Planungen für die Siedlung E1 würden die Mobilität vor allem auch der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland und in Ostjerusalem einschränken. Dadurch, dass es dort ohnehin wenig zusammenhängendes Land gibt ‑ Sie kennen vielleicht das geografische Gefälle dort und wissen, dass das Land zum Jordantal hin stark abfällt ‑, würde die Mobilität dann extrem schwierig und wären große Umwege nötig. De facto hätte das Ganze die Auswirkung, dass das Westjordanland in zwei Teile geteilt wird. Die Bundesregierung ruft die israelische Regierung daher dazu auf, den Siedlungsbau einzustellen, und sie wird nur solche Änderungen anerkennen, die von den Konfliktparteien vereinbart sind, und zwar innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967.
Frage
Angesichts der Meldung von heute Morgen, dass Israel weitere 60 000 Reservisten mobilisiert habe, würde ich dann doch ganz gerne wissen, wie die Bundesregierung jetzt auf Israels Engagement im Gazastreifen blickt. Gibt es dort weitere Konditionen? Hat Deutschland überhaupt noch Einwirkungsmöglichkeiten auf Israel? ‑ Ich würde Herrn Meyer den Vortritt lassen, es sei denn, Sie wollen Herrn Hinterseher das Wort erteilen.
Meyer (BReg)
Ich kann gerne anfangen. ‑ Das Vorgehen, auf das Sie anspielen, lässt aus Sicht der Bundesregierung immer weniger erkennen, wie die vollständige Freilassung der Geiseln, die unser Ziel ist, aber auch ein Waffenstillstand erreicht werden können. Sie wissen, dass sowohl die Freilassung der Geiseln als auch ein Waffenstillstand für die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten immer die Prioritäten auch in der Diskussion mit den Partnern waren. Wir lehnen diese Verschärfung der Militäroperationen ab, und wir rufen alle Parteien und die internationale Gemeinschaft auf, den Konflikt jetzt durch einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu beenden.
Zusatzfrage
Gibt es Ergänzungsbedarf seitens Herrn Hinterseher? ‑ Ansonsten wäre noch einmal eine Frage gewesen: Welche Möglichkeiten, konkret einzuwirken, sieht die Bundesregierung bei sich selbst noch? Gibt es Dinge, von denen Sie sagen können: Da können wir jetzt vielleicht noch eine weitere Eskalation ‑ was ja schon schwer genug ist ‑ verhindern?
Meyer (BReg)
Sie wissen, dass wir ‑ nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch der Außenminister ‑ in den vergangenen Wochen im ständigen Austausch insbesondere mit der israelischen Regierung, aber auch mit weiteren Akteuren, die in der Region Einfluss nehmen können, waren. Wir werden das natürlich auch weiter tun. Sie wissen auch, dass wir als Bundesregierung nach einer entsprechenden Ankündigung des israelischen Sicherheitskabinetts auch eine konkrete Konsequenz gezogen haben. Wir drängen weiter mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln darauf, diesen Waffenstillstand zu erreichen, gleichzeitig aber auch den Druck zu erhöhen, dass alle Geiseln freikommen.
Frage
Ich habe auch noch eine Frage zum Westjordanland. Herr Hinterseher, Sie haben eben sehr dramatisch geschildert, dass die Folge wäre, dass das Westjordanland jetzt in zwei Teile gespalten wird und damit klar ist, dass es gar keine Zweistaatenlösung mehr geben kann. Daher noch einmal die Frage sowohl an Herrn Meyer als auch an Herrn Hinterseher: Wie reagiert die Bundesregierung jetzt darauf, außer mit Appellen, die über die letzten Jahrzehnte offenbar nichts bewirkt haben? Wird das jetzt zu neuen Sanktionen führen? Ist die Bundesregierung jetzt bereit, in der EU einen anderen Kurs einzuschlagen?
Meyer (BReg)
Ich möchte erst einmal dem pauschalen Eindruck widersprechen, dass diplomatische Bemühungen hier keinerlei Wirkung entfaltet hätten. Ich glaube, das kann man so pauschal nicht stehenlassen. Nichtsdestotrotz hat Herr Hinterseher gerade die Position der Bundesregierung sehr treffend beschrieben: Auch wir sehen hier ein klares Hindernis und auch eine klare Abkehr von einer verhandelten Zweistaatenlösung, die für uns am Ende natürlich das Ziel bleibt, um dort ‑ auch wenn das heute wirklich in weiter Ferne zu sein scheint ‑ zu einem dauerhaften Frieden und einer Beruhigung der Situation zu kommen. All diese Pläne stehen dem entgegen. Ich habe gerade schon beschrieben, dass wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden diplomatischen Möglichkeiten nutzen, um hier weiter Einfluss zu nehmen ‑ insbesondere auch über weitere Partner in der Region, die das ebenfalls versuchen.
Zusatzfrage
Ist das eine Absage an Sanktionen gegen Israel?
Meyer (BReg)
Wir haben immer wieder unsere Position deutlich gemacht, dass wir es auch als Wert empfinden, gute Beziehungen zum Staat Israel zu pflegen, weil uns das die Möglichkeit gibt, immer wieder auch auf diplomatischen Wege Einfluss zu nehmen. Diese Möglichkeit wollen und werden wir weiter nutzen.
Hinterseher (AA)
Ich kann das für das Auswärtige Amt vielleicht noch kurz ergänzen. ‑ Der Minister ist ja in einem ständigen Austausch mit seinem israelischen Kollegen und thematisiert das natürlich. Vor allem lehnen wir wiederholt aus dem Kabinett oder von einzelnen Kabinettsmitgliedern formulierte Annexionsbestrebungen klar ab. Darüber hinaus haben wir Ihnen heute aber nichts anzukündigen.Lage in Serbien
Frage
Wenn wir schon bei den problematischen Freunden sind, dann würde ich gern, von Herrn Hinterseher wahrscheinlich, eine Einschätzung zur Lage in Serbien hören. Wie engagiert sich die Bundesregierung dort, um die aktuellen Ereignisse bei den entsprechenden Stellen zu thematisieren?
Hinterseher (AA)
Wir verfolgen die aktuellen Entwicklungen in Serbien mit Sorge. Allen Menschen steht grundsätzlich das Recht zu, mit friedlichen Mitteln für ihre Rechte und ihre politischen Überzeugungen einzutreten und zu demonstrieren. Die Rechte auf Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind sicherzustellen. Das ist die Aufgabe des serbischen Staates. Besonders als Beitrittskandidat der Europäischen Union ist Serbien dazu verpflichtet, rechtsstaatliche Grundsätze einzuhalten und anzuwenden und Menschenrechte zu wahren.
Die Berichte über gewaltsame Angriffe auf Demonstranten und Journalisten müssen aus Sicht der Bundesregierung lückenlos aufgeklärt werden. Die Verantwortlichen für diese Angriffe müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Kernforderungen nach transparenten und rechtsstaatlich handelnden Institutionen, die diese Protestbewegungen formulieren, sind genauso ein Teil und eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Beitrittsprozess. Das hat auch die EU-Kommissarin letzte Woche noch einmal öffentlich unterstrichen.
Zusatzfrage
Herr Hinterseher, können Sie uns von Engagements seitens Herrn Wadephuls berichten, selbst bilateral den Kontakt zu Serbien zu suchen, um darauf hinzuwirken, dass dort eine Veränderung im Verhalten eintritt? Momentan wird sehr viel über Herrn Vučić gesprochen. Vielleicht hat sich auch Herr Merz inzwischen engagiert. Herr Meyer weiß das vielleicht. Gibt es diesbezüglich irgendwelche bilateralen Bemühungen? Der Verweis auf die EU-Kommission ist schön und gut, beschreibt aber nicht das Handeln der Bundesregierung.
Hinterseher (AA)
Wir sind auf unterschiedlichen Ebenen, auch durch das Auswärtige Amt und die Botschaft vor Ort, im bilateralen Kontakt mit der serbischen Regierung und thematisieren diese Fragen regelmäßig. Dazu, ob es einen konkreten Anlass oder ein Telefonat gibt, kann ich Ihnen keine Angaben machen. Sie wissen, dass der Minister gerade auf Reisen in Ostasien ist.
Zusatzfrage
Und der Kanzler?
Meyer (BReg)
Auch ich habe keine weiteren Informationen über Telefonate oder Gespräche. Die Haltung wurde gerade beschrieben.
Frage
Genau heute müsste ein hochrangiger Vertreter des BMZ in Serbien und dann später im Kosovo sein, ohne dass das natürlich auf der Ebene ist. Aber vielleicht wirkt sich das trotzdem aus und ist dort auch Thema.
Koufen (BMZ)
Ich kann Ihnen generell sagen, dass Serbien ein Partner des BMZ ist und wir vor allem im Hinblick auf den möglichen Beitritt Serbiens zur Europäischen Union zusammenarbeiten. Wir haben zum Beispiel 2021 eine Klimapartnerschaft mit Serbien abgeschlossen, innerhalb derer wir mit Serbien an einer Transition hin zu einer sauberen energetischen Versorgung zusammenarbeiten. Es geht auch um berufliche Bildung, Berufspartnerschaften.
Den Gesprächen heute kann ich nicht vorgreifen. Dazu kann ich Ihnen heute leider nichts sagen.
Frage
Ich frage es noch einmal ganz direkt ‑ wahrscheinlich ist Herr Mayer dafür zuständig ‑: Ist eine Lithiummine in Serbien es wert, dass man bei den Menschenrechtsverletzungen, die dort momentan und schon seit längerer Zeit stattfinden, und bei den Demokratiedefiziten, die in Serbien offenkundig sind, so weit wegschaut? Ist es das nur wegen eines bisschen Lithiums wert?
Meyer (BReg)
Ich möchte klar widersprechen, dass wir in irgendeiner Form wegschauen würden. Im Gegenteil, wir verfolgen die Situation in Serbien sehr aufmerksam. Alle Parteien müssen die Grundrechte einschließlich des Versammlungsrechts achten. Das beinhaltet auch, auf jegliche Gewalt gegen politische Gegner oder politische Einrichtungen zu verzichten. Insofern kann von Wegschauen hier keine Rede sein.