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„Die Welt aus den Fugen – was hält uns zusammen?“ – Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Bertelsmann Forum
Meine Damen und Herren,
ich wundere mich, dass Sie mich eingeladen haben. Denn, wer in diesen Zeiten den Außenminister einlädt, muss die gute Laune selber mitbringen. Fröhliche Geschichten habe ich Ihnen nicht zu erzählen.
Aber liebe Frau Mohn, liebe Familie Mohn, liebe Frau Rabe, ich will mich zunächst ganz herzlich bedanken für die Einladung. Ich bin, wie Sie wissen, viel unterwegs. Aber selten in meiner Heimatregion. Umso mehr in Donezk, Beirut, Teheran, Riad, Kabul und, wenn es ganz schlimm kommt, wie in den letzten Monaten, dann bin ich auch zweimal in Teheran und Riad, zuletzt im Dezember und dann auch vergangene Woche wieder. Da kommt viel an Meilen zustande.
Manche Freunde würden sagen: von den Bonusmeilen musst Du doch leben können. Leider gibt es bei der Luftwaffe, mit der ich unterwegs bin, keine Bonusmeilen. Insofern hilft das nicht viel.
Meine Mitarbeiter haben mir Ende des Jahres 2014 – es war mein erstes vollständiges Amtsjahr in meiner zweiten Periode als Außenminister – gesagt: „Steinmeier, dieses Jahr haben wir Dich auf den Mond geschossen.“ Es waren in dem Jahr genau 385.000 Flugkilometer. Das entspricht ziemlich genau der Entfernung von der Erde zum Mond, sogar noch ein bisschen mehr. Ich wollte da nicht bleiben, und darum waren es im letzten Jahr genauso viele Kilometer, um wieder zurück zu kommen.
Ich sage das nur deshalb, weil man auf diesen Strecken doch viel lernt, und das nicht nur über Außenpolitik.
Ich freue mich auch deshalb in Ostwestfalen zurück zu sein, weil das eine Region ist, die mich intensiv geprägt hat. Eine Region, die mir am Herzen liegt. Eine Region, die sogar die internationale Wirtschaftspresse schon zur Kenntnis genommen hat. Wir erinnern uns an diesen wunderbaren Artikel im Economist. Eine Region, auf die man auch im Ausland angesprochen wird. Nicht nur wegen Pumpernickel - das auch, zumal in den USA. Und auch nicht nur wegen Miele, Bertelsmann, Schüco, Claas und vielen anderen. Sondern eigentlich wird man angesprochen auf das, was die Franzosen „Le Mittelstand Allemand“ nennen, die Engländer „The German Mittelstand“, oder das, was wir eben verantwortungsvolles Unternehmertum nennen, der hier, in dieser Region ganz besonders reichhaltig ist.
Dafür steht Bertelsmann stellvertretend für viele andere Unternehmen der Region. Ob groß, ob klein, der Eine mag seine Nische gefunden haben. Und der Ein oder Andere wird sich auch zu den Weltmarktführern zählen. Ich glaube, unabhängig davon, ob groß oder klein, ob Weltmarktführer oder nicht: Was ich aus meiner Kindheit in Erinnerung habe und den Jahren meines Studiums, als ich hier in den Betrieben gearbeitet habe: Das, was die meisten hier vereint, ist die besondere Kategorie Verantwortung. Verantwortung für den Betrieb, Verantwortung für die Qualität der Produkte, natürlich Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber es gibt noch eine vierte Kategorie, und das ist eben auch ganz typisch für diese Region: nämlich Verantwortung auch für das, was außerhalb des Betriebsgrundstücks vorgeht und Verantwortung für die Region.
Vor einigen Wochen haben wir den 50-jährigen Geburtstag von Porta gefeiert, eines Unternehmens, das typisch ist für diese Region. Mit einem noch typischeren Unternehmer, Hermann Gärtner, an der Spitze, der sich von ganz klein ins Unternehmertum hineingekämpft hat und dabei sehr erfolgreich war. Noch einmal herzlichen Glückwunsch an Porta!
Aber das, was ich für Porta sage, das könnte ich genauso und genauso ausführlich natürlich für Bertelsmann sagen. Für Bertelsmann gilt das sogar in ganz vielfältiger Hinsicht, wenn ich über Verantwortung in dieser Region rede. Herausragend natürlich die Verantwortung, die Sie in Gestalt der Bertelsmann-Stiftung wahrnehmen. Ein eindrückliches Beispiel, wie ich finde, wie wirtschaftlicher Erfolg auf der einen Seite und soziale Verantwortung auf der anderen Seite zusammen gebracht werden kann. Ich glaube, das war lebenslang der Wunsch von Reinhard Mohn. Die Stiftung setzt das seit knapp 40 Jahren mit ihren Projekten in die Tat um, mit einem von Jahr zu Jahr noch immer wachsenden Spektrum von Instrumenten: vom Gesprächskreis über die öffentliche Diskussion, Studien, die die Bertelsmann-Stiftung anfertigt, Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements, insbesondere junger Leute, die immer im Fokus stehen.
Und ich, das werden Sie mir in einigen wenigen Sätzen erlauben zu erklären, ich profitiere davon in besonderem Maße. Nicht, weil ich etwa als junger Mensch im Fokus der Bertelsmann-Stiftung stünde, das leider nicht mehr. Nein, die Bertelsmann-Stiftung ist schon lange, seit Jahrzehnten, nicht mehr beschränkt nur auf den Raum Deutschland und die politischen und sozialen Vorgänge hier bei uns. Sondern - ob mit Blick auf die EU oder Osteuropa oder die transatlantischen Beziehungen - wir begegnen uns, die Bertelsmann-Stiftung und ich, auf nahezu allen Gebieten, bei allen Themen. Und es gibt viele Schnittmengen zwischen dem, was die Bertelsmann-Stiftung tut, und dem, was das AA bei den gleichen Themen versucht.
Meine Damen und Herren,
ich freue mich über das große Interesse, das Ihre Anwesenheit hier zeigt, obwohl ich eine kleine Einschränkung habe: In Zeiten, in denen sich die Menschen für Außenpolitik zu interessieren beginnen, ist das selten ein gutes Zeichen für den Zustand der Welt, eher im Gegenteil. Es dokumentiert, dass die Menschen Sorgen haben. Der Zustand dieser Welt ist in der Tat nicht gut. Oder mit anderen Worten – die Welt ist aus den Fugen. Ich kann mich in meiner ganzen politischen Biographie nicht an eine einzige Periode erinnern, wo wir so viele tiefgreifende, gefährliche Konflikte gehabt hätten, nie so, wie im Augenblick. Aber es ist nicht nur die Zahl der Konflikte, die beunruhigend ist, sondern die ungeheure Dynamik, mit der sie sich im Augenblick entwickeln.
Das kann man selbst feststellen, wenn man sich die Testfrage stellt: Wo waren wir eigentlich vor zwei, drei Jahren? Wie haben wir damals gedacht? Zwei drei Jahre, im Sommer 2013, da hatten wir Bundestagswahl, da hat der grüne Bundestagspolitiker Jürgen Trittin gesagt: „Wenn wir mit der CDU die Regierung bilden, das Außenministerium streben wir nicht mehr an. Das ist unwichtig“.
Vor zwei, drei Jahren- hätte da irgendjemand von uns gedacht, dass die Frage von Krieg und Frieden jemals auf den europäischen Kontinent zurückkehren würdet? Das ist geschehen nach der Annexion der Krim und dem, was folgte. Vor zwei, drei Jahren- hätten wir gedacht, dass eine Organisation, die sich Staat nennt, „Islamischer Staat“, sich ein ganzes Territorium irgendwo zwischen Iran und Syrien unter den Nagel reißt? Hätten wir gedacht zu dieser Zeit, dass wir erneut in die Fänge eines internationalen Terrorismus geraten? Anschlagsorte in Europa, 11 Tote Deutsche bei dem Anschlag in Istanbul. Und hätten wir gedacht vor zwei, drei Jahren, dass sich heute die Europäische Union in einem Kampf um ihre Zukunft befindet? In einer Dreifachkrise - von noch nicht überwundener Finanzkrise, verbunden mit dem Stichwort Griechenland, einer BREXIT-Diskussion, die wir gerade mit Großbritannien führen, und natürlich der auf europäischer Ebene noch ungelösten Migrationsfrage.
Vor zwei, drei Jahren waren das Fragen, die wir nicht vorausgesehen haben. Und die Welt hat sich in diesen zwei Jahren verändert. Das ist es, was ich meine, wenn ich von dieser ungeheuer gefährlichen Dynamik spreche, mit der sich die Dinge im Augenblick entwickeln. Das macht eben nicht nur Ihnen Sorgen, sondern ich bekenne, das macht auch dem Außenminister selbst Sorgen.
Die Frage, die Sie daran anschließen könnten ist: Wenn das so ist, dass wir eine Vielzahl von Krisen gleichzeitig haben, die sich mit ungeheurer Dynamik entwickeln, ist das eigentlich ein Zufall? Ich glaube, so ganz zufällig ist das nicht, dass sich das ereignet. Wir erleben heute die Fernwirkung der Veränderung in der Welt um das Jahr 1989/90 herum. Bis dahin haben wir gelebt in einer Zweiteilung der Welt. Die Welt war beherrscht von zwei großen Systemen. Das eine wurde von Washington aus gesteuert, das andere von Moskau aus. Und jeder hatte sich einzuordnen, entweder zur einen Seite oder zur anderen Seite. Dieses System, diese alte Ordnung brachte auch Gewissheiten mit sich – ganz zynisch. Und wir waren riesig froh darüber, dass das 1989/1990 ein Ende hatte. Für uns war es keine abstrakte Frage, sondern für uns war es die Voraussetzung dafür, dass sich die deutsche Wiedervereinigung überhaupt ereignen konnte.
Und es war nicht nur eine deutsche Wiedervereinigung, sondern eine europäische Wiedervereinigung mit Folgewirkungen, die wir heute noch spüren. Oder mit anderen Worten: Wir wissen, dass 1990 nach der Auflösung des Warschauer Paktes, nach der Erosion, nach dem Zerfall der Sowjetunion eine alte Ordnung untergegangen ist. Und wir freuen uns darüber. Die Blockkonfrontation ist untergegangen. Aber das Beunruhigende daran ist, dass seitdem keine neue Ordnung an die Stelle der alten gekommen ist. Wir haben gedacht, das machen die Amerikaner jetzt alleine. Das hat nicht richtig funktioniert. Wir Deutschen haben vielleicht etwas unrealistisch gehofft: Na ja, wenn es die alte Zweiteilung nicht mehr gibt, dann verteilt sich die Verantwortung in der Welt auf ganz viele Schultern. Das hat bisher jedoch so auch nicht funktioniert. Und deshalb komme ich zu dem Ergebnis, dass ich sage: Da ist eine alte Ordnung untergegangen. Es ist keine neue Ordnung an die Stelle getreten. Die Welt ist auf der Suche nach einer neuen Ordnung, und diese Suche nach einer neuen Ordnung vollzieht sich eben nicht im Seminardiskurs bei der Bertelsmann-Stiftung oder an deutschen Universitäten, sondern das Ringen um Einfluss, um Dominanz, um Vorherrschaft in unterschiedlichen Regionen der Welt, dieses Ringen entlädt sich eben gewaltsam. Und das erleben wir in dieser Zeit in Regionen von Nordafrika und im Mittleren Osten.
Die nächste Frage, die sich anschließt: Was haben wir eigentlich damit zu tun? Haben wir eigentlich irgendetwas mit diesen Konflikten zu tun? Ich glaube, den Beweis haben wir inzwischen bekommen in Gestalt von mehr als 1 Mio. Flüchtlingen im vergangenen Jahr, die nach Deutschland gekommen sind. Mit diesen Menschen sind die Krisen der Welt buchstäblich bei uns zuhause angekommen -in unseren Ortschaften, in unseren Schulen, in unseren Turnhallen und anderswo.
Ich will eins vorneweg sagen: Für mich ist völlig klar, dass wir mit der Zahl der Flüchtlinge im Jahr 2016 nicht da landen dürfen, wo wir 2015 waren. Das muss signifikant runtergehen. Für mich ist ebenso klar, wenn darüber gestritten wird, über die Frage der Flüchtlinge, dann muss das in einer Demokratie auch zulässig sein. Und wenn mit Heftigkeit gestritten wird, dann drückt das vielleicht nicht unterschiedliche Positionen, sondern auch tatsächliche Sorgen aus. Und klar muss auch sein: wir müssen Maßnahmen ergreifen, dass die Zahlen wieder runtergehen. Wir haben es auf der Bundesebene gemacht. Asylpaket I ist verabschiedet worden. Bei Asylpaket II haben wir Verständigung erzielt. Ich hoffe, dass wir jetzt am Donnerstag und Freitag auf dem Europäischen Gipfel ein gutes Stück weiterkommen.
Ich bin ganz zufrieden darüber, dass die Türkei eigene Verpflichtungen übernommen hat. Die Türkei ist das Schlüsselland, das darüber entscheiden wird, wie viele Flüchtlinge nach Europa kommen. Und ich hoffe darauf, dass die Türkei ihre Verpflichtungen erfüllt. Dazu gehört eben auch, dass man den Großteil der Flüchtlinge zunächst in der Türkei versorgt, und nicht aufs Mittelmeer schicken lässt. Wir werden mit der Türkei darüber reden - wenn sie ihren Teil der Verpflichtungen erfüllt, dann können wir uns auch vorstellen, dass wir bestimmte Kontingente jährlich der Türkei abnehmen.
Aber, meine Damen und Herren, was wäre eigentlich, wenn wir alle miteinander in Deutschland und in Europa richtig gut sind? Wenn wir das auf der nationalen Ebene hinkriegen, was notwendig ist, wenn wir in Europa die Regelungen hinkriegen, die bisher noch unmöglich sind, weil viele sich der europäischen Solidarität verweigern. Was wäre dann? Die bittere Wahrheit ist, dass die Menschen in Syrien wahrscheinlich nicht ohne Not einfach Haus und Hof verlassen und im Stich lassen. Und Europa, das wissen wir auch, war nicht immer das Traumziel der Menschen dort. Syrien ist ein kulturell reiches und wirtschaftlich jedenfalls kein armes Land. Nein, die ganze Wahrheit ist eben, dass die Menschen fliehen vor Krieg und Bürgerkrieg, vor Gewalt, vor Terrorismus. Und deshalb ist meine These: Solange wir nicht an die Wurzel herangehen, solange wir nicht an die Fluchtursachen herangehen, wird alles, was wir hier machen mit Asylpaketen ein Operieren an den Symptomen sein.
Deshalb ist Außenpolitik im Augenblick so wichtig, weil wir unsere Möglichkeiten nutzen müssen, um Konflikte, die die Menschen in die Flucht treiben, entscheidend zu entschärfen. Gelingt das? Dazu werden Sie sich sicherlich eine eigene Meinung gebildet haben. Das ist auch relativ einfach, wenn man jeden Abend die Fernsehbilder sieht, die von immer noch größerer Brutalität scheinbar überboten werden. Auch heute wieder Bombardements, bei denen mindestens eins, vielleicht sogar zwei Krankenhäuser in Mitleidenschaft gezogen worden sind; 50 Tote allein in einem Krankenhaus in Nord-Syrien. Ich glaube, mehr muss man eigentlich gar nicht sagen. Eine politische Lösung in Syrien ist dringender denn je.
Wir haben jetzt 5 Jahre Bürgerkrieg. Wir haben 300.000 Tote allein in Syrien. Wir haben 12 Mio. Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. 4 Mio., die sich außerhalb der Grenzen Syriens bewegen. Der Rest, und denen geht es ungleich viel schlechter, die bewegen sich hilflos innerhalb von Syrien, zwischen den Frontenlinien der unterschiedlichen Milizen, von denen man nicht weiß, ob sie morgen Freund oder Feind sind. Das sind diejenigen, die am ärgsten dran sind und auch diejenigen, die im Augenblick zu denen gehören, die wir mit humanitärer Hilfe in der Vergangenheit kaum versorgen konnten.
Was ist das eigentlich für ein Konflikt, wenn wir da über Syrien reden? 2011, noch nicht so lange her, ergaben sich Veränderungen in Nordafrika. Mubarak, Ben Ali - autoritäre Herrschaft ging zu Ende per Rebellion in Nordafrika. Tunesien ist noch übrig geblieben von diesen mutigen Entwicklungen, kämpft aber intern auch sehr, dass der Weg zur Demokratie möglich bleibt.
Diese Entwicklung, Arabellion genannt, von der nahm man an, dass sie am Anfang des syrischen Bürgerkrieges stand. Meine Haltung dazu war eine andere. Wer Syrien kannte, der wusste: auch dort gibt es Demonstrationen auf den Straßen, sie hatten auch etwas mit Freiheit und Demokratie zu tun. Aber Syrien ist leider von Anfang an immer auch etwas anderes gewesen. Syrien ist ein Tummelplatz gewesen für die Interessen seiner Nachbarn. Insofern fällt es mir schwer, wenn ich von einem syrischen Bürgerkrieg rede. Denn dieses Wort tut, als sei der Konflikt ein endogener Konflikt, der in Syrien ausgebrochen ist und von den Syrern geführt wird. Faktisch ist es so, dass wir einen seit 5 Jahren festgefressenen Bürgerkrieg haben, der aber eben überlagert wird von allen ethnischen und allen religiösen Spannungen in dieser Region. Und eigentlich ist das syrische Kampffeld zu einem Stellvertreterkrieg geworden, in dem um die Vorherrschaft in der gesamten muslimischen Welt gekämpft wird. Da gibt es Interessen des Iran, da gibt es Interessen der Golfstaaten, insbesondere von Saudi-Arabien. Und deshalb habe ich bei der Münchner Sicherheitskonferenz so heftig widersprochen, als viele versucht haben, den syrischen Bürgerkrieg und die Frage, wie man ihn löst, über den Leisten des Kalten Krieges zu schlagen. Ich glaube, das ist eine Unterschätzung des Konfliktes. Was ihn so schwer lösbar macht, ist, dass alle regionalen Nachbarn irgendeine Rolle, irgendein nationales Interesse in und an diesem syrischen Bürgerkrieg haben. Und deshalb nützt es nichts, allein die Russen und die Amerikaner zusammen zu bringen, sondern sie brauchen, wenn sie wirklich etwas bewegen wollen, wenn sie diesen Konflikt entschärfen, beruhigen wollen, den Weg bereiten wollen zu einer politischen Lösungen, dann brauchen sie auch all die anderen. Dann braucht man auch die Türkei. Dass die Türkei auch Interessen hat, wird in diesen Tagen sichtbar an den Bombardements, die die Türkei ausgeübt hat. Es wird sichtbar beim Iran, der mit der Hisbollah, mit der schiitischen Kampftruppe in Syrien selbst unterwegs ist. Es wird deutlich an den vielen nicht-iranischen arabischen-muslimischen Interessen, die wir alle mit am Tisch haben müssen, um überhaupt eine Lösung hinzukriegen.
Ist das überhaupt möglich, wenn ich sage, nach 5 Jahren festgefressener Bürgerkrieg? Es ist schwer. Und wer den Mittleren Osten kennt, auch den Nahen Osten im Übrigen, der weiß, in dieser Region gibt es nie Anlass zu Optimismus. Aber - wir sind im Augenblick dabei, den Dingen ein Fundament zu geben, einen Verhandlungsmechanismus einzurichten, bei dem wir alle regionalen Player, auf die es ankommt, an einen Tisch zu bringen. Das hat mit Russen und Amerikanern geklappt. Es war lange Zeit schwierig mit Iranern und Saudis. Das sind die eigentlichen Mächte, die im Mittleren Osten hart aufeinander stoßen. Entscheidend ist, dass jeder Staat für sich weiß: Es gibt eine Verantwortung jenseits der Grenzen. Es gibt eine Verantwortung für die Region. Die haben auch Iran und Saudi-Arabien.
Deshalb haben wir dafür geworben, dass sie trotz unterschiedlicher Interessen dennoch den Weg antreten, und zu unserer Münchner Gruppe, früher Wiener Gruppe, dazukommen. Dazu haben wir dann erneut am vergangenen Donnerstag eine fast komplette Nacht lang verhandelt. Weil man natürlich mit Blick auf das, was sich am Boden ereignet und was sich bei Ihnen im Wohnzimmer in den Fernsehbildern widerspiegelt, im Augenblick vor allen Dingen eines tun muss: Wir haben im Augenblick 400.000 Menschen in Syrien, die eingeschlossen sind, so dass Hilfskonvois des Internationalen Roten Kreuzes dort überhaupt nicht hinkommen. Darum haben wir uns am Donnerstag gesagt: Vorrang hat erstmal das Humanitäre. Der zweite wichtige Punkt war, wenigstens einen Weg zu ebnen, wie man über die nächsten Tage und Wochen zu einer Beruhigung der Kampfsituation kommen kann. Jedenfalls zwischen den Regime-Kräften und den Kräften der sogenannten moderaten Opposition. Für dies muss man weiter kämpfen, hin zu einem Waffenstillstand zwischen den Regierungskräften und der moderaten Opposition.
In der humanitären Frage sind wir einen Schritt weitergekommen. Unmittelbar nach den Verhandlungen hatten wir am Samstag einen größeren Hilfskonvoi in die umkämpfte Stadt Duma, wo die Leute schon seit Wochen hungern, Wasser- und Stromversorgung zusammengebrochen ist, insbesondere keine Milch mehr für die Kinder vorhanden ist. Wir hoffen, dass wir, morgen einen zweiten größeren Konvoi zur eingeschlossenen Bevölkerung einer weiteren syrischen Stadt bringen können.
Bei dem Waffenstillstand ist es deshalb so schwierig, weil man in der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland, zwischen dem Iran und Saudi-Arabien nicht ganz einig ist, welche die Gruppen sind, die zu bekämpfen sind. Es ist auf der einen Seite ISIS und AL NUSRA, die kennt jeder, auf der anderen Seite gibt es eine moderate Opposition, und dazwischen gibt es noch ein paar andere, von denen die Russen und die Iraner sagen: die sind genauso wie ISIS, die müssen bekämpft werden. Einige Golf-Staaten sagen: Nein, die gehören zu uns, das sind Moderate. Deshalb: Solange wir uns nicht verständigt haben, über die Einordnung dieser Gruppen, solange gibt es nur eine Möglichkeit: Wir konzentrieren uns auf die Bekämpfung von ISIS und Al Nusra und müssen im Übrigen mit der ganzen Kampfaktivität runterfahren. Sonst finden wir den Einstieg in den Waffenstillstand, der ja innerhalb einer Woche erreicht sein soll, nicht mehr, wenn auf dem Niveau der letzten Tage weitergebombt wird.
Ich glaube, dass der mühsame Weg, der von Widerständen und vielen Rückschlägen begleitet ist, sich lohnt. Der syrische Konflikt, wenn man ihn nicht nur seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges, sondern vielleicht noch 5 Jahre zuvor bewertet, seit 2004/2005, ist eine Chronik der ausgelassenen Chance. Wir hatten immerhin die Möglichkeit, dass es nicht zur Eskalation kommt. Die Möglichkeiten sind nicht ergriffen worden oder aber sind von den Konfliktparteien nicht akzeptiert worden. Ich glaube, angesichts der Dramatik, in der sich die humanitäre Lage dort entwickelt, ist es uns einfach nicht erlaubt, jetzt zu scheitern. Will sagen, es gibt keine Garantie und es gibt keinen Grund für Optimismus, dass das alles in den nächsten Tagen wunderbar wird – wird es nicht. Aber ich glaube, es ist uns einfach nicht erlaubt, mit dem Blick auf ein mögliches Scheitern der Bemühungen, das zu unterlassen, was jetzt möglich ist.
Was hält einen eigentlich als Außenminister auch in solchen fast aussichtslosen Situationen, aufrecht, um es immer wieder zu versuchen, auch, wenn es ein paar Mal gescheitert ist? Das ist vielleicht die Erfahrung, die man selbst in der eigenen Biographie gesammelt hat. Wo man sich dann sagt, manchmal dauert es eben lange, aber man kommt trotzdem zu einem Ergebnis.
Heute sind die Auseinandersetzungen mit Iran über die atomare Bewaffnung schon kaum noch in Erinnerung, obwohl wir die Vereinbarung erst im Juli letzten Jahres geschlossen haben. Das ist so ein Beispiel für mich, wo ich sage: auch wenn es verdammt noch mal schwer ist, es gibt eigentlich keine Rechtfertigung aufzugeben. Wir waren vor 12 Jahren in einem Riesenkonflikt mit den Iranern. 2005 habe ich zum ersten Mal an den Verhandlungen in meiner ersten Amtszeit teilgenommen. Wir haben mehr als 10 Jahre mit Iran verhandelt. Und ich kann Ihnen sagen: die Verhandlungen waren ähnlich schwierig, wie die, die wir jetzt über Syrien führen.
Sie sind unterbrochen gewesen, sie sind abgebrochen worden, und viele Male haben wir mit dem Iran am Rande einer wirklichen militärischen Konfrontation gestanden. Wenn es nicht in dieser Runde der Verhandler einige gegeben hätte, die gesagt haben „lasst es uns noch mal versuchen“, dann weiß ich nicht, wohin die ganze Entwicklung gegangen wäre. Ich bin rückblickend froh, dass wir schlicht und einfach mit lippischer Sturheit weiter verhandelt haben und dass wir nach mehr als 10 Jahren die Verständigung mit dem Iran erzielt haben. Aus zwei Gründen ist dies ganz wichtig.
Erstens, weil wir immerhin erreicht haben, dass in dieser Vereinbarung, die im Juli unterzeichnet worden ist, der Iran auf die Entwicklung der Atombombe verzichtet hat .
Und zweitens, weil wir verhindert haben, dass durch eine iranische Bewaffnung ein Rüstungswettlauf in der ganzen Region losgelöst worden wäre, denn Iran, Saudi-Arabien, Ägypten und andere hätten das Gleiche für sich beansprucht. Insofern glaube ich, ist diese Vereinbarung in ihrer Bedeutung außenpolitisch nicht zu unterschätzen. Aber sie ist natürlich auch innenpolitisch für Iran wichtig, weil jetzt auf einmal die Reformer in Iran Wind unter den Flügeln spüren. Sie können ihrer eigenen Bevölkerung zeigen: Es bewegt sich was. Iran kommt auf die internationalen Weltmärkte zurück.
Iran hat nach wie vor eine gut ausgebildete Jugend, die am Ende keine anderen Wünsche hat als unsere Jugend. Sie möchten lesen, sie möchten reisen, sie möchten freies Internet haben. Ich glaube, deshalb hat die Vereinbarung über die an der Oberfläche sichtbaren außenpolitischen Ziele eben auch eine erhebliche Innendimension und kann helfen, dieses Land zu verändern zu einem hoffentlich konstruktiven Partner in der Region zu machen.
Ein letztes Beispiel dafür, dass man manchmal einfach standhaft bleiben muss, ist das Beispiel Ost-Ukraine. Der Konflikt ist ein relativ junger Konflikt, aber in Europa vielleicht der gefährlichste.
Im letzten Jahr ging es bei der Münchner Sicherheitskonferenz fast ausschließlich um das Thema Ukraine. Und auch da schieden sich die Geister. Wie greifen wir ein in diesen Ukraine-Konflikt? Die einen haben gesagt: „Das kann man nur machen, indem wir jetzt Waffen, Waffen, Waffen schicken.“ Die anderen, zu denen ich gehört habe, sagten: „Wenn ich mir diesen Konflikt anschaue, bei den Partnern, die auf beiden Seiten stehen - ich glaube, das ist kein Konflikt, den wir militärisch lösen können.“
Diese Haltung hat uns zum Minsker Abkommen geführt. Dieses Abkommen war nicht perfekt, und die Umsetzung ist es erst recht nicht. Insofern kein übertriebenes Selbstbewusstsein an dieser Stelle. Aber es hat es immerhin möglich gemacht, dass sich durch den Fahrplan, den wir beim Minsker Abkommen aufgeschrieben haben, die Gewalttätigkeit der Auseinandersetzungen wesentlich beruhigt hat. Für außenpolitische Beobachter mag das nicht so viel wert sein, aber für die Menschen schon. Deshalb müssen wir weiter verhandeln. Politisch ist das Problem nicht gelöst. Da müssen wir weiter mit besonderer Geduld und Beharrlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit verhandeln, eben auch mit den Russen am Tisch.
Ich nenne Ihnen diese drei Beispiele, weil wir uns nach meiner Überzeugung davon verabschieden müssen, dass wir die Welt durch Statements bewegen können. Man muss in der Öffentlichkeit auch die Wahrheit sagen. Aber die ganze Wahrheit ist dann die: Bewegen können Sie in der Außenpolitik nur etwas, wenn Sie mit Beharrlichkeit und Unbeirrbarkeit, dass Diplomatie und Außenpolitik etwas verändern können, an diesen Zielen festhalten. Und das Ziel kann eigentlich nur sein, die strittigen Parteien in friedliche zu verwandeln, selbst, wenn das nur unvollständig gelingt.
Das ist interessant, weil wir darüber vor einigen Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz diskutiert haben – über deutsche Verantwortung in der Außenpolitik. Ich hatte eine Rede gehalten, Gauck hatte eine Rede gehalten, sowie die Verteidigungsministerin. Und plötzlich gab es eine Debatte über die Verantwortung Deutschlands in der Welt. Und da hat sich ganz offenbar was verändert.
Bis 1990 wurden wir außenpolitisch eigentlich nicht gefragt, sondern wir waren in einer Sondersituation. Das galt für die damalige DDR genauso. Die beiden wurden außenpolitisch von den jeweiligen Bündnissen, ich will nicht sagen in Ruhe gelassen, aber auch nicht zu allergrößter Verantwortung gefordert. Diese Sondersituation hat sich durch die Wiedervereinigung natürlich verändert. Deutschlands Rolle in der Welt hat sich verändert. Gott sei Dank hat sich auch das Bild von den Deutschen in der Welt verändert. Wiedervereint, wirtschaftlich stark, fest in Europa verankert, international vernetzt. Im Übrigen, wie kaum ein anderes Land. Und jetzt nicht nur Fußball-Weltmeister, sondern Handball-Europameister und Grand Slam-Sieger…
Nicht nur das Bild der Deutschen hat sich verändert, auch die Rolle der Deutschen hat sich verändert. Wir sind jetzt nicht nur Teilnehmer am Weltgeschehen mit gleichen Rechten, sondern wir sind jetzt auch Teilnehmer am Weltgeschehen mit den gleichen Pflichten.
In meinen Augen war die Debatte, die wir in Deutschland gehabt haben über die Frage der Verantwortung, etwas schief. Weil immer gefragt wurde: Warum suchen die Deutschen nach Verantwortung? Meine Antwort ist: Wir Deutschen müssen nicht nach Verantwortung suchen, sondern wir haben sie inzwischen! Und wir müssen sie akzeptieren und sie auch ausfüllen.
Meine Damen und Herren, die Zeiten sind in der Tat nicht einfach. Außenpolitisch nicht, im Inneren auch nicht. Das Flüchtlingsthema wird uns noch lange beschäftigen. Wir sind weit davon entfernt, das wirklich bewältigt zu haben. Und dafür müssen wir arbeiten, keine Frage.
Klar ist auch: Es gibt nicht die eine Entscheidung. Es gibt nicht das eine Rezept, mit dem man das Flüchtlingsproblem von heute auf morgen vom Tisch bringen kann. Ich kann auch nicht befehlen, dass europäische Solidarität morgen herrscht, sondern wir werden dafür arbeiten müssen. Wir werden darum ringen müssen. Wir werden im Inneren vor schwierigen Entscheidungen stehen.
Aber eines will ich am Ende auch sagen: Es ist ja nicht ganz selbstverständlich, dass gerade Deutschland heute für viele Menschen in der Welt ein Rettungsanker ist. Ausgerechnet Deutschland, das zur Geschichte des 20. Jahrhunderts Beiträge geleistet hat, die die dunklen Seiten der Geschichtsbücher gefüllt haben. Und ausgerechnet dieses Deutschland steht heute auch für Demokratie, für Stabilität und Humanität in einer in der Tat unfriedlichen und krisengebeutelten Welt. Und dass das so ist, dass wir dafür stehen, für Demokratie, Stabilität und Humanität, darüber sollten wir uns wahrlich nicht beklagen. Vielen Dank.