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„Mit Bremer Tugenden viel bewegen“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist in diesem Jahr Ehrengast beim traditionsreichen Bremer „Schaffermahl“. Darüber und über die aktuellen Friedensbemühungen zu Syrien sprach er mit dem Weser Kurier (12.02.2016).
Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist in diesem Jahr Ehrengast beim traditionsreichen Bremer „Schaffermahl“. Darüber und über die aktuellen Friedensbemühungen zur Krise in Syrien sprach er mit dem Weser Kurier (12.02.2016).
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Herr Minister, mit welchen Hoffnungen sind Sie ins neue Jahr gegangen?
Das neue Jahr hat begonnen wie das alte geendet ist: Mit Krisen und Konflikten, mit der Gefahr weiterer Eskalationen, mit einer unverändert dramatischen Lage in Syrien, mit Leid, Tod und Vertreibung, mit einer Welt in Unordnung, deren Folgen wir auch bei uns in Deutschland und in Europa unmittelbar spüren. Leider kann ich keine baldige Erlösung von all dem versprechen. Was ich aber zusagen kann, ist, dass wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um mehr Stabilität und Frieden in unserer Nachbarschaft zu erreichen und unseren Werten und unseren Interessen Geltung zu verschaffen.
Die außenpolitische Lage ist herausfordernd – warum haben Sie sich entschieden, trotzdem nach Bremen zu kommen und bei der Schaffermahlzeit zu sprechen?
Ich freue mich, und es ist eine große Ehre für mich, als Gast zur Bremer Schaffermahlzeit eingeladen zu sein. Das passiert einem ja bekanntlich nur einmal im Leben. Zum Glück ist zwischen der Syrien-Konferenz und dem Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz ein bisschen Zeit, um dafür nach Bremen kommen zu können. Ich bin sehr gespannt auf die Stunden in Bremen und freue mich darauf sehr.
Welche Botschaft wollen Sie bei Ihrer Rede den Kaufleuten, Kapitänen und übrigen Gästen vermitteln?
Weltoffenheit und Toleranz, Großherzigkeit und Optimismus sind die Markenzeichen der Hansestadt Bremen. Mit diesen Tugenden lässt sich viel bewegen, nicht nur in Handel und Seefahrt, sondern auch in der Außenpolitik.
Frauen werden nur im Ausnahmefall zur Schaffermahlzeit eingeladen. Stört Sie das?
Auf dem Janadriyah-Festival in Riad, das ich in der vergangenen Woche in Saudi-Arabien besucht habe, waren Frauen auch weitgehend Fehlanzeige . . . Im Ernst: Ich meine zu verstehen, dass es nicht immer ganz leicht ist, die Brücke zwischen jahrhundertealten Traditionen und den berechtigten Vorstellungen der Moderne zu schlagen. Von außen und aus der Ferne der Hauptstadt Berlin betrachtet, scheint mir das in Bremen ganz gut zu gelingen.
Für Kaufleute sind außenpolitische Konflikte Gift. Sie haben davor gewarnt, dass der Bürgerkrieg in Syrien weitere fünf Jahre dauern kann, wenn man auf eine militärische Lösung setzt. Die Syrien-Friedensgespräche in Genf sind derzeit ausgesetzt. Was muss passieren, damit sie wieder in Gang kommen?
In Syrien haben wir eine höchst komplizierte Lage. Dass es dem Uno-Sonderbeauftragten De Mistura überhaupt gelungen ist, die Parteien in Genf an den Verhandlungstisch zu bringen, war ein von vielen schon nicht mehr erwarteter Fortschritt, und mehr, als in den nun fast fünf Jahren dieses schrecklichen Bürgerkriegs bisher gelungen ist. Dass der Beginn der Gespräche sehr schwierig werden würde, damit musste man rechnen. Angesichts der syrischen Militäroffensive bei Aleppo und der fortgesetzten Belagerungen von Städten und Dörfern war die Unterbrechung der Gespräche vielleicht der einzige Weg, einen frühzeitigen Kollaps der Verhandlungen zu verhindern. Was wir dringend brauchen, ist ein klares Bekenntnis zu den Wiener Prinzipien, zu dem dort vereinbarten politischen Prozess, und zwar von allen internationalen und regionalen Mächten. Nur mit gemeinsamem Druck von außen kann und wird es in Genf Fortschritte geben. Deshalb müssen wir die Verhandlungspause nutzen, um mit allen, die sich ja in Wien und im Uno-Sicherheitsrat auf den Fahrplan für den Syrien-Friedensprozess verpflichtet haben, zu einer Verständigung über konkrete nächste Schritte zu kommen, vor allem im Hinblick auf Waffenstillstände und eine Verbesserung der humanitären Zugänge in Syrien.
Wenn das gelingt: Wie bald ist der Frieden in Syrien denkbar? Noch in diesem Jahr?
Für die Menschen in Syrien, die jeden Tag unter dem Bombenterror, unter Belagerungen, Gewalt und der Willkür der syrischen Armee und der Milizen leiden, kann ein Ende des Bürgerkriegs jedenfalls nicht früh genug kommen. Deshalb haben wir uns in Wien einen ambitionierten Zeitplan vorgenommen, mit dem Beginn der Gespräche im Januar und einem sechsmonatigen politischen Übergangsprozess. Aber klar ist auch: Jeder einzelne Schritt auf diesem Weg wird noch viel Mühe kosten, auch Rückschläge kann und wird es immer wieder geben. Trotzdem haben wir nicht nur ein eigenes Interesse, sondern auch eine moralische Pflicht, weiter mit aller Kraft daran zu arbeiten.
In der Zwischenzeit treibt die Terrorgruppe Daesch – Sie sprechen von IS – in Irak und Syrien weiter ihr Unwesen. Ist sie überhaupt zu stoppen?
Ja, das wird uns gelingen, wenn wir die gemeinsam vereinbarte Strategie eines Dreiklangs aus politischen, gesellschaftlich-kulturellen und militärischen Maßnahmen konsequent weiterverfolgen. Aber wir brauchen auch einen langen Atem. Im Irak ist es im letzten Jahr gelungen, IS aus mehr als einem Drittel der von ihm eroberten Gebieten zu vertreiben – mit Hilfe der internationalen Anti-IS-Koalition. Dazu gehört die militärische Unterstützung für die Peschmerga und die irakische Armee, aber auch die Stabilisierung und der schnelle Wiederaufbau in den von IS befreiten Gebieten. Hier hat Deutschland eine Führungsrolle übernommen, weil wir aus früheren Konflikten wissen: Entscheidend für einen langfristigen Erfolg ist es, schnell das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Auch mit deutscher Hilfe konnte so in der Stadt Tikrit der größte Teil der Bevölkerung, das sind über 150 000 Menschen, wieder in ihre Häuser zurückkehren.
Für eine so stark vom Welthandel abhängige Stadt wie Bremen ist das schwächelnde Wachstum in China eine ernste Angelegenheit. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung Chinas?
China hat seit dem Öffnungsbeschluss der Kommunistischen Partei 1978 in nur zwei Generationen eine geradezu unglaubliche Entwicklung genommen. Aus einem armen Entwicklungsland ist ein Powerhouse der Weltwirtschaft geworden. Wir Deutschen haben daran mit unseren Produkten beträchtlichen Anteil und auch stark profitiert. Jetzt tritt China in eine neue Phase seiner Entwicklung hin zu einem hoffentlich nachhaltigerem Wachstum ein. Auch das bietet uns Deutschen neue Chancen für Handel und Investitionen mit dem Reich der Mitte. Für uns ist China auch politisch ein ganz wichtiger Partner. Der politische Dialog mit Peking ist vielleicht so eng wie nie zuvor. Das ist wichtig, auch um China immer wieder in unsere Bemühungen um Konfliktbewältigung einzubinden. Bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ist uns das gut gelungen.
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Die Schaffermahlzeit ist eine karitative Veranstaltung, die Spenden kommen dem Haus Seefahrt, einer Fürsorgeeinrichtung für Seeleute, zugute. Empfinden Sie das als etwas Besonderes?
Ja, es ist großartig, wie als Jahrhunderte währende Tradition hier in Bremen die Verantwortung für die Schwächeren gelebt wird. Zivilgesellschaftliches Engagement ist das Rückgrat einer selbstbewussten Bürgergesellschaft. Dieser Tradition fühlt man sich in Bremen verpflichtet. Das ist wirklich vorbildlich, für unser Land und darüber hinaus.
Wie oft holen Sie eigentlich Ihren Frack aus dem Kleiderschrank? Und wie gerne?
Die Welt der Diplomatie ist nüchterner geworden: Ein dunkler Anzug ist meistens das Maß der Dinge. Einen Stresemann brauche ich einmal im Jahr für den Empfang des Diplomatischen Korps beim Bundespräsidenten. Einen Frack braucht es in Berlin noch seltener. Zu feierlichen Anlässen gehört auch die richtige Kleidung, beim Schaffermahl eben der Frack. Etwas ungewohnt wird es schon für mich sein...
Und sieht man Sie später abends noch beim Seefahrtsball?
Das wäre schön. Vielleicht würde ich ja sogar zum Tanzen aufgefordert. Leider wird das aber nichts. Das tut mir jetzt schon leid. Aber ich muss noch am Abend nach München zurückkehren und dort auf der Sicherheitskonferenz Gespräche und Verhandlungen führen, unter anderem mit Moskau.
Interview: Moritz Döbler. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Weser Kuriers