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Rede von Außenminister Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag zur Lage im Mittleren Osten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Terroranschlag im Zentrum von Istanbul hat gestern zwölf Menschen in den Tod gerissen. Viele wurden verletzt. Wir wissen jetzt, dass zehn der Todesopfer deutsche Staatsbürger sind. Sie waren Reisende, neugierig auf die Welt. Sie bestaunten einen der schönsten Plätze der Türkei, gerade zu dem Zeitpunkt, als die Bombe detonierte.
Wir sind vereint mit den Angehörigen in der Trauer über die Opfer, vereint auch in Wut und Abscheu gegenüber dieser heimtückischen Tat. Klar ist für uns: Deutschland darf und wird sich von Mord und Gewalt nicht einschüchtern lassen. Ganz im Gegenteil, gemeinsam mit unseren Partnern werden wir dem Terror weiter entgegentreten: hier zu Hause mit den Mitteln von Polizei und Rechtsstaat, aber auch im Kampf um die Köpfe junger Menschen. Und nicht zuletzt auch mit den Möglichkeiten, die Außenpolitik hat, indem wir uns darum bemühen, Eskalationen in unserer Nachbarschaft entgegenzuwirken, die nur neuen Hass und neuen Terror schüren.
Meine Damen und Herren, das gilt ganz besonders auch für den Mittleren Osten, eine Region, in der über viele Jahre hinweg die Gräben tiefer, die religiösen bzw. konfessionellen Spannungen erbitterter und die Konflikte brutaler geworden sind. All das wird zunehmend überlagert vom Ringen zwischen Sunniten und Schiiten und deren Schutzmächten Saudi-Arabien und Iran.
Am Beginn dieses Jahres ist die Spannung zwischen Riad und Teheran brandgefährlich eskaliert. Brandgefährlich, nicht nur weil sich das bilaterale Verhältnis der beiden hart auf eine offene Konfrontation zubewegt hat, sondern auch, weil diese Eskalation alles zu vernichten droht, was wir im letzten Jahr auf den Weg gebracht haben. Denn 2015 haben wir doch gerade dort - im Krisenbogen zwischen Libyen und Irak - ein paar Fortschritte erzielt, die Hoffnungsschimmer aufscheinen ließen.
Im Juli haben wir nach über zehn Jahren Verhandlungen das Nuklearabkommen mit dem Iran geschlossen, und jetzt gerade stehen wir kurz vor dem sogenannten Implementation Day. In Libyen gelang es am Jahresende, einen wichtigen Schritt hin auf dem Weg zu einer Regierung der nationalen Einheit zu machen - auch dank der Vermittlungsbemühungen der VN, zuletzt unter Leitung eines deutschen Diplomaten. Im Syrienkonflikt ist es nach fünf viel zu langen Jahren des Blutvergießens gelungen, im sogenannten Wiener Prozess endlich alle Akteure an einen Tisch zu holen, die wir zur Lösung brauchen - auch Riad und Teheran.
Dahin zu gelangen, liebe Kolleginnen und Kollegen, war schwierig und mühsam. Weil es so war, darf das gerade jetzt nicht aufs Spiel gesetzt werden. Deshalb erwarten wir von Teheran und von Riad, dass sie sich auf den Verhandlungsweg einlassen und nicht das Erreichte durch bilaterale Eskalationen torpedieren
Sie, die beiden - Iran und Saudi-Arabien -, haben den entscheidenden Einfluss in der Nachbarschaft. Das gilt für Jemen, aber es gilt auch für Syrien. Wir erwarten, dass sie von diesem Einfluss vernünftig und verantwortlich Gebrauch machen. Wir - Deutschland, Europa, die E3+3 - können das politisch und diplomatisch unterstützen; aber wir können Vernunft und Verantwortung anderer nicht ersetzen. Das Grauen in Syrien muss ein Ende haben. Deshalb müssen die hart errungenen Wiener Gespräche fortgeführt werden, und zwar mit Teheran und mit Riad. Anders wird es nicht gehen.
Die politischen Prozesse sind der Kern unserer Bemühungen im Mittleren Osten. Aber sie sind bei weitem nicht alles. Die Stichworte kennen Sie: der Kampf gegen den Terror des IS, die Stabilisierung der Krisenstaaten und vor allen Dingen die humanitäre Hilfe für die Betroffenen und Vertriebenen. Ich kann in der kurzen Redezeit nicht alles erwähnen. Sie haben hier im Hohen Hause zum Ende des vergangenen Jahres einen Haushalt verabschiedet, der in beispiellosem Umfang humanitäre Hilfe im Mittleren Osten ermöglicht. Ich kann Ihnen versprechen: Wir in der Bundesregierung werden sie mit unseren Möglichkeiten umsetzen.
Im Kampf gegen den IS steht morgen ein weiteres Mandat zur Debatte. Auf Bitte der irakischen Regierung leistet die Bundeswehr seit einem knappen Jahr Unterstützung im Nordirak. Wir haben Peschmerga und lokale Sicherheitskräfte ausgebildet und ausgerüstet. Das Engagement zeigt Wirkung: Der IS verliert an Boden. Wir wollen die Ausbildung weiter intensivieren und zusätzlich in den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten investieren. Für dieses Mandat kann ich schon jetzt um Unterstützung bitten.
Am Ende aber wirkt diese harte Arbeit nur, wenn sie in politische Prozesse eingebettet ist. Dafür ist es nötig, dass wir eben auch mit schwierigen Partnern reden. Natürlich verstehe ich die Skepsis, wenn es um Saudi-Arabien geht. Natürlich dürfen wir nicht wegschauen, wenn es um Menschenrechte, um Hinrichtungen oder um Extremismus geht.
Die Frage ist aber, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen.
Reisen absagen, dichtmachen und Belehrungen über die heimischen Medien erteilen: Wer glaubt, dass so Außenpolitik funktioniert, der irrt meiner Ansicht nach. Außenpolitik funktioniert nicht aus der Sofaecke mit der Fernbedienung in der Hand. Wenn wir überhaupt etwas bewirken wollen, dann müssen wir raus in die Welt, dann müssen wir hin zu den Konflikten. Wir müssen mit den Konfliktparteien reden, gerade auch mit den schwierigen. Andersherum gesagt: Wenn ich mit all den Ländern nicht mehr sprechen würde, deren Politik wir nicht teilen, dann hätte ich in der Tat mehr Zeit, unsere prima Beziehungen zu Luxemburg zu pflegen. Das würde ich gerne machen. Aber das ist deutlich weniger, als man weltweit von uns erwartet. Ich jedenfalls werde im vor uns liegenden Jahr eher mehr und ganz gewiss nicht weniger Reisen in den Mittleren Osten unternehmen.