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Ein politisches Konzept gegen ISIS
Außenpolitik muss auch dort Verantwortung übernehmen, wo es keine Erfolgsgarantien gibt. Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung (09.12.2015).
Außenpolitik muss auch dort Verantwortung übernehmen, wo es keine Erfolgsgarantien gibt. Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung (09.12.2015).
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Die Terroranschläge von Paris vom 13. November haben nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa im Herzen getroffen.
Für mich ist klar: Die Antwort kann nicht lauten, zu Hause zu bleiben und die Fensterläden zu verrammeln. Unsere Lebensweise und unsere offene Gesellschaft aufzugeben, hieße, den Terroristen in die Hand zu spielen.
Unsere Antwort muss in erster Linie eine politische sein: Nach innen mehr Wachsamkeit und ein Ausbau der Kooperation der Sicherheitsbehörden mit unseren Partnern. Wir müssen uns entschlossen gegen Ausgrenzung stellen und unsere Integrationsanstrengungen auf allen Ebenen verstärken.
Entscheidend ist aber, dass wir das Übel des islamistischen Terrorismus, das Übel von ISIS, an der Wurzel packen, und zwar dort, wo es entstanden ist, im Irak und in Syrien.
In der Nacht der Attentate haben wir Frankreich versprochen, an seiner Seite zu stehen. Wir stehen in der Verantwortung, dieses Versprechen einzulösen. Wir haben letzte Woche entschieden, dass ein Teil davon auch ein militärischer Beitrag zum Kampf gegen ISIS ist.
Wir alle wissen: Terrorismus lässt sich nicht mit Bomben besiegen - aber wir wissen eben auch, dass die Bedrohung durch ISIS ohne militärische Mittel nicht zu stoppen sein wird und sonst in einem Jahr nichts mehr übrig sein könnte, was noch einer politischen Lösung zugänglich wäre.
In den letzten beiden Tagen habe ich den Irak besucht. Dort ist es im letzten Jahr gelungen, ISIS aus einem Viertel seines Territoriums zu vertreiben.
Dennoch: Die schwersten Aufgaben stehen noch bevor. Entscheidend für den Erfolg unserer politischen Strategie sind vor allem drei Dinge:
Zum einen die Unterstützung derjenigen, die sich ISIS entgegenstellen. Die Entscheidung im letzten Sommer, die Peschmerga mit Waffen und Munition zu versorgen, war nicht ohne Risiko, aber sie war richtig. Vor drei Wochen haben die Peschmerga die Stadt Sindschar - wo ISIS im letzten Sommer entsetzliche Massaker an den Jesiden angerichtet hat - wieder befreit, auch dank unserer Unterstützung. Und Fakt ist auch: Der Vormarsch von ISIS wäre nicht zu stoppen gewesen ohne die Luftschläge der Alliierten.
Zweitens wissen wir aus vergangenen Konflikten, wie wichtig es ist, in den von ISIS zurückeroberten Gebieten das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen. Deshalb investieren wir in die Stabilisierung dieser Regionen, bauen Polizei, Schulen, Strom- und Wasserversorgung wieder auf. Nach der Befreiung der Stadt Tikrit konnten so auch dank deutscher Hilfe über 150.000 Menschen in ihre Häuser zurückkehren.
Das dritte Element ist das schwierigste und zugleich das wichtigste: Denn die politischen Konflikte und das Chaos, die die Ausbreitung von ISIS erst ermöglicht haben, sind mit militärischen Mitteln nicht zu beseitigen. Dauerhaft können wir die Bedrohung durch ISIS nur überwinden, wenn alle Bevölkerungsgruppen in Irak und Syrien wieder eine gemeinsame politische Perspektive haben. Im Irak hat Ministerpräsident Abadi mit einem mutigen Reformprogramm die Tür geöffnet, um auch den Sunniten wieder politische Teilhabe zu ermöglichen.
Für Syrien scheint ein solcher politischer Prozess noch in weiter Ferne. Trotzdem müssen wir mit aller Kraft darauf hinarbeiten. Und kaum einer hat dafür mehr gestritten als die deutsche Außenpolitik. Ich selbst habe im letzten Jahr unzählige, oft auch schwierige Gespräche geführt, in Riad und Teheran, in Ankara, Beirut, Amman und Wien.
Deshalb macht es mir Hoffnung, dass es jetzt in Wien erstmals nach fast fünf Jahren Bürgerkrieg gelungen ist, alle entscheidenden Staaten an den Verhandlungstisch zu bringen und einen Fahrplan für einen Waffenstillstand und einen politischen Übergangsprozess zu vereinbaren. Das ist noch kein Grund zur Euphorie. Aber zum ersten Mal gibt es einen Minimalkonsens für einen Weg zur Lösung des Syrienkonflikts, auf den sich nicht nur Russland und die USA geeinigt haben, sondern auch Iran und Saudi-Arabien. Mit dem Treffen der syrischen Opposition in Riad ist der erste Schritt auf diesem Weg gegangen.
Es wird noch ein langer und mühsamer Weg sein, und ob er gelingt, liegt nicht allein in unserer Hand. Einige der Partner, die wir dafür brauchen, verfolgen teils andere Interessen als wir, manche sind untereinander tief zerstritten. Aber die Komplexität der Lage zu beklagen, ist kein Ersatz für Politik. Und dass manche politischen Realitäten sich nicht in simple Freund-Feind-Muster pressen lassen, kann keine Ausrede sein, uns zurückzulehnen und abzuwarten, bis sich die Widersprüche und Konflikte der Region von selbst auflösen – oder bis es keinen Staat und keine Strukturen mehr gibt, die wir retten könnten.
Dass das gut ist, und beharrliches Verhandeln tatsächlich zum Erfolg führen kann, haben die Wiener Iran-Verhandlungen gezeigt. Auch in Libyen haben wir die Chance, unter dem Dach der Vereinten Nationen und mit einem erfahrenen deutschen Diplomaten an der Spitze einen politischen Weg zurück zu einem geordneten Staatswesen zu finden.
Außenpolitik muss sich der Wirklichkeit mit ihren Unwägbarkeiten stellen und auch dort Verantwortung übernehmen - für unser Handeln wie für unser Nicht-Handeln - wo es keine Erfolgsgarantien gibt. Umso wichtiger ist es, dass unsere Zielrichtung stimmt. Die Unterwerfung ganzer Territorien durch ISIS und die Bedrohung durch IS-Terror lässt sich nicht verhindern, indem wir in Angststarre verfallen und uns abschotten, sondern mit Beharrlichkeit und einer klugen Gesamtstrategie, in der Sicherheit, humanitäre, zivile und politische Maßnahmen ineinandergreifen.