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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth im Deutschen Bundestag zur Verlängerung des Mandats für die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Operation Active Endeavour (OAE)

03.12.2015 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort--

Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

In Deutschland diskutieren wir in diesen Tage viel über Solidarität und militärischen Beistand unter Partnern: Die Frage, ob und wie wir unsere französischen Freunde nach den brutalen Anschlägen von Paris auch militärisch im Kampf gegen den Terror unterstützen wollen, beschäftigt uns in dieser Woche hier im Deutschen Bundestag.

Und fast erscheint es wie ein Déjà-vu: Denn vor 14 Jahren haben wir in diesem Hohen Haus schon einmal über eine militärische Operation beraten, die eine unmittelbare Antwort auf den islamistischen Terror war – nämlich die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington.

Damals hatte die Nato zum ersten und bislang einzigen Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags ausgerufen. In der Folge wurde im Oktober 2001 die Operation „Active Endeavour“ ins Leben gerufen, um durch eine Überwachung des Mittelmeerraums die Terrorgefahr an der Südflanke der NATO abzuwehren. Seitdem ist die Operation mehrfach verlängert worden.

Aktuell schätzt die Bundeswehr die terroristische Bedrohung im Mittelmeerraum als „eher abstrakt“ ein. Warum brauchen wir die Operation also auch im Jahr 2015 noch?

Erstens: Wir sollten uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Wie schnell aus einer abstrakten Bedrohung ein ganz konkreter Anschlag werden kann, haben wir zuletzt wiederholt erlebt.

Nicht nur in Paris, sondern auch in Tunesien, in Ägypten, im Libanon und in der Türkei sind hunderte Menschen dem islamistischen Terror zum Opfer gefallen.

Und nicht nur die Anschlagsziele liegen in Ländern, die unmittelbar an das Mittelmeer grenzen. Das gilt ebenso für die Gebiete, in denen Terroristen rekrutiert und ausgebildet werden. Die Gefahren des internationalen Terrorismus für unsere europäischen Gesellschaften sind heute so präsent wie selten seit 2001.

Zweitens: Die Sicherheitslage im Mittelmeer ist seit 2001 deutlich vielschichtiger geworden.

Organisierte Kriminalität, Schlepper und Schleuser sowie die zunehmende und nur schwer zu berechnende Präsenz Russlands im Mittelmeer sind Entwicklungen, über die wir uns ein umfassendes Bild verschaffen müssen – auch um uns notfalls vor daraus erwachsenden Gefahren zu schützen.

Drittens: Und noch etwas dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Der internationale Terrorismus bedroht nicht nur unsere Sicherheit, sondern auch eine der wichtigsten Lebensadern unseres wirtschaftlichen Wohlstands. Das Mittelmeer hat für Deutschland als Transport- und Handelsweg eine überragende Bedeutung. 2014 wurden insgesamt über 300 Mio. Tonnen Fracht auf dem Seeweg aus und nach Deutschland im- und exportiert. Der größte Teil der Handelsrouten aus und nach Asien verläuft durch das Mittelmeer. Wir sind im Mittelmeer also auch wirtschaftlich verwundbar.

All diese Punkte verdeutlichen: Es gibt auch heute noch gute Gründe, die Operation „Active Endeavour“ weiter fortzuführen.

Klar ist aber auch: Die Operation muss weiter entwickelt werden und sich den veränderten Anforderungen anpassen.

Denn die ursprüngliche Ausrichtung der Operation aus dem Jahr 2001 wird der Einsatzrealität nicht mehr gerecht. Heute benötigen wir ein viel breiteres Einsatzprofil, um die vielschichtigen Risiken und Bedrohungen im Mittelmeer noch stärker in den Blick nehmen zu können.

Das heißt: Weg vom robustem Einsatz der Anfangszeit, hin zu einer breit angelegten Lagebilderstellung und der Schaffung einer Plattform zur Zusammenarbeit mit den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers und anderen Nationen, die sich an der Operation beteiligen.

Auch die seit 2001 fortgeltende Rechtsgrundlage, die auf dem NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags beruht, ist heute – 14 Jahre nach den Terroranschlägen in den USA – nicht mehr zeitgemäß.

Deshalb setzt sich die Bundesregierung seit mehreren Jahren dafür ein, das Einsatzprofil zeitgemäß auszugestalten und die Operation von Artikel 5 des NATO-Vertrags zu entkoppeln.

Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen haben diesen Prozess im Februar 2014 durch ein gemeinsames Schreiben an den NATO-Generalsekretär in Gang gebracht. Seitdem haben wir für dieses Vorhaben in Brüssel intensiv Überzeugungsarbeit geleistet.

Wir werben dafür, die Operation zu einer maritimen Sicherheitsoperation der NATO umzuwandeln. Sie soll an den spezifischen Bedarf im Mittelmeer angepasst stehen und für jedes Aufgabenfeld auf einer soliden rechtlichen Grundlage stehen.

Dafür bietet die Maritime Strategie der NATO von 2011 den geeigneten Ausgangspunkt. Sie formuliert sieben Sicherheitsaufgaben.

Dies sind die (1) Lagebildaufklärung, (2) die Unterstützung der Anrainerstaaten beim Aufbau eigener maritimer Sicherheitskapazitäten, (3) der Kampf gegen den Terrorismus, (4) der Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, (5) die Abriegelung von Seegebieten, (6) die Sicherung kritischer maritimer Infrastruktur und (7) der Schutz der Freiheit der Meere.

Sicher sind nicht alle sieben Aufgaben der Maritimen Sicherheitsstrategie gleichermaßen relevant für das Mittelmeer. Deshalb sollte das künftige Operationsprofil eine Auswahl vornehmen: zwischen aktiv wahrzunehmenden Aufgaben einerseits und ruhenden Aufgaben andererseits.

Letztere sind nur bei nachvollziehbarer und konkreter Notwendigkeit einzeln durch einen Beschluss aller 28 NATO-Mitglieder zu aktivieren.

Unsere Bemühungen waren erfolgreich: Am 3. Juli 2015 haben die NATO-Bündnispartner einvernehmlich die Umwandlung der Operation im Grundsatz beschlossen. Die Umsetzung dieses Kompromisses, der auch die Entkoppelung von Artikel 5 des NATO-Vertrags vorsieht, ist damit auf einem guten Wege.

Nun gilt es, noch einen neuen Operationsplan zu erstellen. Wir sind zuversichtlich, dass dies bis zum NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli nächsten Jahres gelingt.

Um diese Arbeiten abschließen zu können, bitten wir um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung unter unveränderten Bedingungen. Die Laufzeit soll jedoch bis zum 15. Juli 2016 begrenzt werden.

Damit signalisieren wir auch in das Bündnis hinein die klare Erwartung, dass die Umwandlung der Operation bis zum NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 abgeschlossen ist. Wenn das geschehen ist, werden wir uns erneut mit einem Mandatsantrag an den Bundestag wenden.

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