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„Jetzt beginnt Phase zwei der Zeitenwende“ - Interview von Außenminister Wadephul mit dem Spiegel
Erschienen am 19.06.2025.
Frage
Herr Minister, als Sie vor wenigen Tagen im Nahen Osten waren, griff Israel Iran an, Sie gerieten in eine Krisenmission. Haben Sie damit gerechnet, dass Ihr Start ins Amt so turbulent würde?
Johann Wadephul
Nein, in der Form habe ich das nicht kommen sehen. Aber wenn man mit einer so dramatischen Situation konfrontiert ist, bleibt keine Zeit für die Rückschau.
Frage
Was auffiel: Vor Ihren jüngsten Gesprächen in Kairo telefonierte Kanzler Friedrich Merz mit dem ägyptischen Präsidenten, und vor Ihrem anschließenden Besuch in Oman sprach Merz mit dem Sultan. Stehen Sie als Außenminister in Konkurrenz mit einem Außenkanzler?
Johann Wadephul
Das ist unser Verständnis von Außenpolitik aus einem Guss. Wir bespielen unterschiedliche Ebenen und ergänzen uns. Das ist das Normalste der Welt. Der Bundeskanzler vertraut mir, ich vertraue ihm. Das ist wichtige Voraussetzung dafür, dass ich meine Arbeit machen kann.
Frage
Politik aus einem Guss, wie läuft das konkret ab?
Johann Wadephul
Die allermeisten unserer Gespräche laufen so ab, dass der Kanzler mich nach meiner Meinung fragt.
Frage
Widersprechen Sie ihm auch mal?
Johann Wadephul
Ich habe weder zu Oppositionszeiten noch seit der Regierungsübernahme Anlass gehabt, Friedrich Merz groß zu widersprechen. Ich habe aber auch kein Problem damit zu akzeptieren, dass er der Regierungschef ist und über die Richtlinienkompetenz verfügt.
Frage
Sie sind häufig unterwegs. Haben Sie noch ein Leben abseits der Politik?
Johann Wadephul
Das ist schwieriger geworden, aber mein Familienleben ist mir sehr wichtig. So versuche ich beispielsweise, mit meiner Frau weiterhin den Wochenendmarkt in meinem Heimatort oder Theater-Aufführungen in Hamburg zu besuchen.
Frage
Sie sind gläubiger Protestant, wünschen Ihren Mitmenschen „Gottes Segen“. Im Nahen Osten berufen sich viele Politiker bei Entscheidungen auf Gott. Sehen Sie darin einen Missbrauch von Religion?
Johann Wadephul
Viele Menschen begreifen ihr persönliches religiöses Bekenntnis als Grundorientierung im Leben. Ich finde das gut und richtig. Aus einer religiösen Überzeugung sollte man aber keine Politik im engeren Sinne ableiten. Religiös zu sein, bedeutet für mich, offen zu sein gegenüber anderen. Meine Kirchengemeinde in Berlin-Mitte betreibt das„House of One“, dort kommen Christen, Juden und Muslime zusammen und beten gemeinsam. Manchmal wünschte ich, auch im Nahen Osten würden Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen stärker betont.
Frage
Kann Deutschland Einfluss nehmen auf die gefährliche Lage im Nahen und Mittleren Osten?
Johann Wadephul
Ich denke schon. Viele Außenminister in der arabischen Welt kenne ich bereits aus meiner Zeit in der Opposition. Allen ist klar, dass Deutschland eine Verantwortung für die Sicherheit Israels hat, trotzdem schätzt man uns als fairen, verlässlichen Gesprächspartner.
Frage
Anders als die USA wurde die Bundesregierung nicht vorab von den Israelis über den Großangriff auf Iran informiert. Sie wurden bei einem Zwischenstopp in Kairo von der Nachricht überrascht. Haben Sie sich über dieses Vorgehen geärgert?
Johann Wadephul
Bei solchen militärischen Operationen gehört der Überraschungseffekt dazu. Mein israelischer Amtskollege Gideon Sa`ar hat mich dann kurzfristig und umfangreich ins Bild gesetzt.
Frage
Was ist die viel beschworene Freundschaft mit Israel wert, wenn Sie über so wichtige Ereignisse erst im Nachhinein erfahren?
Johann Wadephul
Entscheidend ist, dass wir uns über die strategische Lage dauerhaft und eng austauschen. Es war bekannt, dass Iran ein nukleares Anreicherungsprogramm betreibt, das sich mit einer friedlichen, zivilen Nutzung nicht mehr begründen lässt. Es war auch kein Geheimnis, dass das Regime in Teheran ein Programm mit weitreichenden Raketen vorantreibt, das Israel und Europa bedroht. Israel und Deutschland haben die Gefahr, die von Iran ausgeht, gleich eingeschätzt.
Frage
Nach Beginn der Militäroperation gegen Iran haben Sie erst Verständnis für die Entscheidung der israelischen Regierung gezeigt, dann zur Deeskalation aufgerufen. Was gilt nun: Ist es völkerrechtlich richtig, dass Israel angegriffen hat, oder nicht?
Johann Wadephul
Ich kann keine abschließende völkerrechtliche Einschätzung abgeben. Dazu würden wir Informationen benötigen, die wir nicht haben.
Frage
Lassen Sie das vom Auswärtigen Amt prüfen?
Johann Wadephul
Dazu bräuchten wir alle Fakten, die Entscheidungsgrundlage der Israelis gewesen sind. Fest steht, dass Israel seine Existenz und das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger schützen darf.
Frage
Halten Sie die israelischen Militäreinsätze gegen Iran für moralisch richtig?
Johann Wadephul
Ich glaube nicht, dass es die allererste Aufgabe von uns Deutschen ist, moralische Urteile über den Staat Israel zu fällen. Iran stellt eine Bedrohung für Israel dar. Die erklärte Staatsideologie des iranischen Regimes ist es, Israel zu vernichten. Die Regierung Netanyahu sah sich zum Handeln genötigt. Ich sehe keinen Anlass, diese Entscheidung zu kritisieren.
Frage
Der Kanzler hat auf dem G7 Gipfel in Kanada erklärt, Israel mache für uns in Iran die „Drecksarbeit“. Teilen Sie diese Einschätzung:
Johann Wadephul
Wie schon gesagt – Deutschland und Israel haben die Gefahr, die von Iran für die Menschen in der Region und weit darüber hinaus ausgeht, gleich eingeschätzt. Da bin ich mir auch vollkommen einig mit dem Bundeskanzler.
Frage
Der Schutz Israels gehört seit der Kanzlerschaft Angela Merkels zur deutschen Staatsräson, im Jahr 2008 begründete sie das mit den Vernichtungsdrohungen aus Teheran. Wird die Bundesregierung Israel helfen, wenn die iranischen Angriffe weitergehen und die Zahl der Opfer steigt?
Johann Wadephul
Ich versuche, eine Eskalation zu verhindern. Ich warne Teheran davor, internationale Vereinbarungen aufzukündigen und den Konflikt auszuweiten. Aber man kann das nicht ausschließen. Israel wird sich immer auf Deutschland verlassen können.
Frage
Am Freitag wollen Sie sich mit den Außenministern von Großbritannien und Frankreich in Genf mit ihrem iranischen Amtskollegen treffen. Was erhoffen Sie sich davon?
Johann Wadephul
Die Lage ist unglaublich angespannt, es ist kaum abzusehen, wie sich die nächsten Tage entwickeln. Jetzt nur auf das Beste zu hoffen, reicht nicht. Hoffnung ist keine Kategorie von Diplomatie. Gespräche schon.
Frage
Kanzler Merz warnte davor, dass eine Eskalation des Konflikts die gesamte Region destabilisieren könnte. Seit Jahrzehnten gehört es zu den Standardsätzen deutscher Diplomatie, vor Destabilisierung im Nahen und Mittleren Osten zu warnen. Ist der Begriff noch angemessen?
Johann Wadephul
In der derzeitigen Lage ist er fast eine Untertreibung. Sollte der Konflikt zwischen Israel und Iran auf Andere übergreifen, droht mehr als bloß Destabilisierung.
Frage
Im vergangenen Oktober, nach den Schlägen Israels gegen die libanesische Hisbollah, warnte Ihre Vorgängerin Annalena Baerbock vor einer Destabilisierung des Nahen Ostens. Damals haben Sie das kritisiert, nahmen Israel in Schutz, heute aber klingen Sie ähnlich wie Baerbock. Haben Sie dazugelernt?
Johann Wadephul
Die Situation heute ist nicht mit jener im vergangenen Jahr vergleichbar. Israel ging gegen die Hisbollah vor, weil es täglich vom Libanon aus angegriffen wurde und ein großer Teil Nordisraels unbewohnbar war. Daher hielt ich damals das militärische Vorgehen Israels für richtig. Aber wir sind jetzt in einer anderen, komplexeren Dimension.
Frage
Kürzlich übten Sie scharfe Kritik an Israel wegen des Vorgehens im Gazastreifen. Sie sagten, die Bundesregierung lasse sich nicht„in eine Position bringen, dass wir zu einer Zwangssolidarität gezwungen werden“. In der Union hat das viele empört. Warum sprachen Sie von Zwangssolidarität?
Johann Wadephul
Ich verstehe, dass meine Wortwahl von einigen Unionskollegen kritisiert wurde, mein Kollege Sa`ar hat mich auch darauf angesprochen. Für die Bundesregierung gilt, dass Israels Sicherheit Staatsräson ist. Gleichzeitig gilt das humanitäre Völkerrecht. Die Situation im Gazastreifen ist dramatisch, darauf muss Deutschland hinweisen und mit Forderungen reagieren können.
Frage
Hat der neue, kritischere Ton, den Sie und auch der Kanzler gegenüber Israel anschlagen, Ihre Gespräche in der Golfregion erleichtert?
Johann Wadephul
Davon bin ich überzeugt. Aber das war nicht der Grund dafür, dass wir deutlich wurden. Es geht uns um die Sache. Deutschland wird zum Leid in Gaza nicht schweigen.
Frage
In der arabischen Welt werfen viele Deutschland vor, mit zweierlei Maß zu messen. Berlin gebe sich gegenüber Russlands Kriegsführung in der Ukraine besonders kritisch, während es sich bei Israel zurückhalte.
Johann Wadephul
In arabischen Ländern herrscht mitunter der Eindruck vor, wir wären auf einem Auge blind. Das sind wir nicht. Wir vertreten die Regeln des internationalen Rechts in allen Regionen, unser Maßstab bleibt derselbe. Wir pochen gegenüber Russland darauf, dass es sich an internationales Recht hält. Das fordern wir aber auch von Staaten in anderen Teilen der Welt ein, auch von jenen des Nahen und Mittleren Ostens.
Frage
In proisraelischen Kreisen, auch in ihrer Partei, spotten manche, dass es angesichts ihrer Kritik an Israel keinen Unterschied gemacht hätte, wenn Baerbock Außenministerin geblieben wäre. Was entgegnen Sie Ihren Kritikern?
Johann Wadephul
Ich bin sehr zufrieden damit, wie ich in das Amt hineingefunden habe und dabei von vielen Mitarbeitern unterstützt wurde. Meine zahlreichen Gesprächskontakte in Europa, aber auch und gerade die im Nahen und Mittleren Osten zeigen mir, dass Deutschland als Gesprächspartner geschätzt wird.
Frage
Was unterscheidet Ihre Außenpolitik denn von der Ihrer grünen Vorgängerin?
Johann Wadephul
Ich habe in meiner ersten Rede deutlich gemacht, dass ich mich auf das Wesentliche konzentrieren will, mit nüchternem, realistischem Blick. Vor allem geht es mir darum, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand in Deutschland und Europa zu bewahren. Das ist schon ein anderer Akzent. Außenpolitik eignet sich aber nicht für revolutionäre Akte. Kontinuität ist wichtig, sonst nähme unsere Verlässlichkeit Schaden. Dennoch wird man nach Abschluss der Legislaturperiode erkennen können, dass ich manches anders gemacht habe als meine Vorgängerin.
Frage
Sie betonen, dass Sie auch mit Vertretern von Staaten reden möchten, die westliche Werte nicht teilen. Empfanden Sie Baerbocks Stil als überheblich?
Johann Wadephul
Ich will mir kein Urteil über die Amtsführung von Annalena Baerbock erlauben. Ich werde mit ihr in ihrer neuen Funktion als Präsidentin der Uno-Generalversammlung zusammenarbeiten. Für mich gilt: Gesprächsfähigkeit ist die Voraussetzung für erfolgreiche Außenpolitik. Man sollte jede Gesprächspartnerin und jeden Gesprächspartner erst einmal so nehmen, wie sie sind. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Werte oder Interessen aufgeben.
Frage
Könnten Sie sich auch vorstellen, mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zu sprechen?
Johann Wadephul
Ein Außenminister ist immer gut beraten, Gespräche mit niemandem auszuschließen. Für den russischen Außenminister gilt: Erst müssten wir Europäer zu der Entscheidung kommen, dass Gespräche mit der Führung in Moskau sinnvoll sind. Es fehlt ja nicht an Gesprächsangeboten seitens der Ukraine. Es fehlt am Willen Putins, seine Angriffe einzustellen.
Frage
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine könnte vom Konflikt zwischen Israel und Iran überschattet werden. Besorgt Sie das?
Johann Wadephul
Ja, das tut es. Wir vergessen die Ukraine nicht. Und das gilt auch für andere kriegerische Auseinandersetzungen und humanitäre Katastrophen wie jene im Sudan und Südsudan, wo es ein Massensterben gibt.
Frage
Erwarten Sie, dass Russland im Laufe dieses Jahres zu ernsthaften Friedensgesprächen bereit sein wird?
Johann Wadephul
Je konsequenter der Westen gegenüber Moskau auftritt, desto wahrscheinlicher ist es, dass Wladimir Putin in Verhandlungen einwilligt. Das bedeutet, dass wir auch in der militärischen Unterstützung nicht nachlassen dürfen: Wir müssen Kyjiw weiterhin helfen. Das ist für unsere Freiheit notwendig.
Frage
Rechnen Sie damit, dass Russland in diesem Sommer eine neue Großoffensive gegen die Ukraine startet?
Johann Wadephul
Jeder weitere Tag dieses Krieges ist fürchterlich. Die Europäer sind entschlossen, aber unser Handeln ist wirksamer, wenn wir es eng mit den USA abstimmen. Wenn das gelingt, wird Putin sehr schnell bereit sein zu verhandeln.
Frage
Sie haben sich vor einigen Wochen als erster Minister des neuen Kabinetts dafür ausgesprochen, dass Deutschland fünf Prozent seiner Wirtschaftskraft für Verteidigung ausgibt. Es gab viel Kritik. Hat Sie das überrascht?
Johann Wadephul
Ja und nein. Vielleicht waren nicht alle darauf vorbereitet, dass so weitreichende Entscheidungen anstehen. Aber in nur wenigen Tagen trifft sich die Nato zu ihrem jährlichen Gipfel in Den Haag. Dort wird sich der Vorschlag von Generalsekretär Mark Rutte durchsetzen, die Investitionen in unsere Verteidigung auf fünf Prozent zu steigern. Deutschland muss ein Vorbild sein, wir müssen bereit sein, zu führen. Es liegt an uns, das Notwendige für unsere Sicherheit zu tun und die Nato zusammenzuhalten.
Frage
Kanzler Merz hat angekündigt, die Bundeswehr zur stärksten Armee unter den europäischen Verbündeten zu machen. Das klingt nach einer Aufgabe für Generationen. Tut die Bundesregierung genug, um ihre Anstrengungen in der Verteidigungspolitik den Menschen zu erklären?
Johann Wadephul
Wir müssen noch viel mehr über unsere Sicherheit reden. Jetzt beginnt Phase zwei der Zeitenwende. Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern deutlich sagen, dass ohne ein großes Investitionsprogramm in unsere Verteidigung Deutschland und Europa in der Zukunft nicht sicher sein werden. Dazu gehört mehr Personal in der Bundeswehr, aber auch eine deutliche Stärkung des Zivilschutzes. Das ist eine große Vermittlungsaufgabe für uns in der Regierung.
Interview: Christoph Schult und Severin Weiland