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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Einweihung des Dokumentationszentrums zu den Wehrmachtmassakern von Ponte Buggianese
Verehrte Damen und Herren,
werte Gäste!
„Eran tutti innocenti, poveri cuori umani. Dissen quei malviventi: “Voi siete partigiani!„ Vecchi e ragazzi, donne e bambini, barbaramente fecen morì.“
(Zitat aus einem in der Region sehr bekannten Lied: „Sie waren alle unschuldig, die armen Menschen. Die Verbrecher sagten: “Ihr seid Partisanen!„ Alte und Junge, Frauen und Kinder brachten sie barbarisch ums Leben“)
Noch heute erzählt der „Canzone del Padule“ von dem furchtbaren Tag im August 1944, als deutsche Soldaten hier in Ponto Buggianese 175 Menschen töteten - in sinnloser Gewalt. Ihre Opfer waren Zivilisten - Männer, Frauen und Kinder. Menschen auf der Flucht vor dem Krieg. Menschen, die eine sichere Zuflucht suchten.
Wer diese schöne Region hier in der Toskana besucht, der stößt vielerorts auf Gedenktafeln - große und kleine, mit vielen und mit wenigen Namen. Die Erinnerung ist im Padule in Stein gemeißelt. Aber nicht nur das. Was geschehen ist, hat sich in die Biographien vieler Menschen gegraben.
Und trotz dieser schrecklichen Verbrechen, trotz dieses dunkelsten Kapitels unserer gemeinsamen Geschichte, wer als Deutscher ins Padule reist, der erlebt hier etwas Besonderes. Wenn man mit den Menschen spricht - auch mit denen, die das Schreckliche miterleiden mussten, dann wird man als Deutscher nicht mit Ablehnung oder gar Feindseligkeit, sondern heute mit Herzlichkeit und im Sinne gemeinsamer Überwindung von schrecklicher Vergangenheit begrüßt.
Ich selbst habe Ähnliches letztes Jahr in Civitella erlebt, wo ich an der Seite von Federica Mogherini des schrecklichen Massakers dort gedachte. Und auch heute erlebe ich das – hier in diesem Dorf, hier an der Seite von Paolo Gentiloni. Das ist für mich sehr bewegend.
Und es ist keine Selbstverständlichkeit. Es zeugt von menschlicher Güte und Größe. Es zeigt auch, dass Italien und Deutschland in den vergangenen sieben Jahrzehnten einen langen Weg zurückgelegt haben. Einen Weg, der Freundschaft und Vertrauen begründet hat in einem vereinten Europa. Dafür bin ich zutiefst dankbar.
Dieses gegenseitige Vertrauen stand auch am Anfang unseres Weges hin zu einer Kultur des gemeinsamen Erinnerns, die lange gefehlt hat. Und für die nun auch dieser Ort steht.
Diese Arbeit begann damals während meiner ersten Amtszeit mit der Einrichtung der gemeinsamen Historiker-Kommission. Zusammen haben wir dann den Zukunftsfond geschaffen, einen Fond, der Menschen ganz konkret in ihrer Arbeit für Aufarbeitung und Versöhnung unterstützt.
Und so ist heute auch eine Gelegenheit, Dir, Paolo, für Deine vertrauensvolle Arbeit an diesem gemeinsamen Ziel zu danken. Vor allem aber auch den Gemeinden und Verbänden in Italien: dafür, dass sie diese Geste der Versöhnung angenommen haben.
Was wir heute in Ponte Buggianese einweihen können, das entsteht auch an anderen Orten in Italien und in Deutschland. All diese Stätten konnten und können aber nur wachsen, weil Sie, meine Damen und Herren, aktiv daran mitwirken. Dafür: meinen herzlichen Dank!
Giorgio Napolitano hat einmal gesagt: !Tra le pietre con cui abbiamo costruito questa Europa unita, c'è la pietra della memoria. Ne costituisce uno dei fondamenti, la pietra di una memoria che non può essere rimossa„.
[Unter den Steinen, mit denen wir das vereinte Europa errichtet haben, ist der Stein der Erinnerung. Er bildet eines seiner Fundamente, der Stein einer Erinnerung, der nicht herausgenommen werden kann]
Es stimmt: Die gemeinsame Erinnerung macht uns den Wert Europas bewusst. Aber es stimmt auch, dass dieses Bewusstsein von jeder Generation neu entwickelt werden muss!
Deshalb ist mir besonders wichtig, dass auch dies hier ein Ort sein wird, an dem junge Menschen aus Deutschland und Italien zusammenkommen, um im Wissen um die Vergangenheit ihre gemeinsame Zukunft in einem geeinten Europa zu gestalten.
Dies ist heute vielleicht wichtiger denn je. Die Flüchtlingskrise stellt Europa derzeit vor eine seiner größten Bewährungsproben – vielleicht die größte überhaupt. Abertausende fliehen vor Krieg und Gewalt und suchen Schutz bei uns in Europa. Italien erlebt dies jeden Tag auf dramatische Weise vor seinen Küsten. Und für uns alle ist klar: Diese Herausforderung kann kein Land Europas alleine schaffen. Die Antwort können nicht die Rezepte des vergangenen Jahrhunderts sein: der Rückzug auf den Nationalstaat. Die Antwort muss vielmehr ein besseres, ein größeres Miteinander in Europa sein. Ein Europa, das sich auf seine Grundfesten besinnt: auf Solidarität und Menschlichkeit.
Meine Damen und Herren,
das Fundament für dieses starke und solidarische Europa sind der Austausch und die Begegnung der Menschen. Dialog und gegenseitiges Kennenlernen - das schafft Vertrauen und Gemeinsamkeit, die wir für die Lösung unserer Aufgaben brauchen.
Wenn ich das sage, dann schaue ich vor allem auf Sie, liebe Schülerinnen und Schüler!
Viele von Ihnen haben schon selbst erlebt, dass Europa keine abstrakte Idee ist, sondern eine ganz konkrete Chance! Ob durch Schüleraustausch, ein Studienjahr in Deutschland, ein Praktikum in einem europäischen Nachbarland - Ich ermutige Sie alle: Nutzen Sie die Chance, die Europa bietet! Gerade an einem Ort wie diesem hier in Ponte Buggianese wird uns bewusst, wie wertvoll das ist, was wir in Europa in den letzten 70 Jahren erreicht haben: Frieden. Partnerschaft. Gemeinschaft. Es ist die Aufgabe Ihrer Generation, dies nicht nur zu bewahren. Sondern aktiv zu gestalten. Deswegen sage ich: Leben Sie Europa! Es ist Ihre, es ist unsere Zukunft!
Vielen Dank!