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„Griechenland hat jetzt die historische Chance, seine Modernisierung entschlossen anzupacken“

29.10.2015 - Interview

Aus Anlass seines heutigen Besuchs in Athen sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der griechischen Zeitung Ta Nea.

Aus Anlass seines heutigen Besuchs in Athen sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der griechischen Zeitung Ta Nea (29.1.0.2015).

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Sie sind der erste offizielle deutsche Gast der Syriza-Regierung. Ist Ihr Besuch ein Zeichen dafür, dass Alexis Tsipras oder Syriza sich geändert haben? Glauben Sie, dass er sich nun politisch nach Mitte-Links und in Richtung der Sozialdemokratie bewegt?

Wir haben schon mit der ersten Regierung von Ministerpräsident Tsipras vom ersten Tag an engen Kontakt gesucht, ich habe meinen Kollegen Nikos Kotzias gleich nach seinem Amtsantritt in Brüssel begrüßt, er war seither mehrfach bei mir in Berlin. Es ist eine im allerbesten Sinne europäische Selbstverständlichkeit, dass Berlin und Athen zusammenarbeiten, und das erst recht in einer wirklich schwierigen Lage, in der Griechenland zu Recht auf europäische Solidarität baut. Unsere Zusammenarbeit mit Griechenland werden wir natürlich auch mit der neuen, alten Regierung fortsetzen – im europäischen Verbund und auch im bilateralen Verhältnis.

Griechenland hat fünf Jahre Austeritätsprogramme hinter sich und braucht dennoch ein drittes Bailout. Was ist schiefgelaufen? Glauben Sie, dass eine gegen diese Programme gerichtete Partei (Syriza) Griechenlands Probleme wirklich lösen kann?

Wir haben uns alle nach intensiven Verhandlungen und auch schmerzhaften Kompromissen auf ein umfassendes Reformpaket geeinigt. Ich rate dazu, das jetzt entschlossen umzusetzen, genauso im Übrigen wie mit der Hilfe aus Europa nicht nachzulassen, die Griechenland auch weiter braucht.

Reformen von der Größenordnung, die Griechenland sich vorgenommen hat, können doch nicht sofort Wirkung zeigen. Niemand weiß das besser als wir: Unsere deutsche ‚Reformagenda 2010‘ hat den Grundstein für eine Halbierung der Arbeitslosigkeit, neuen Wohlstand, zurückgewonnene globale Wettbewerbsfähigkeit und dynamisches Wachstum gelegt, aber das wurde erst richtig erkennbar, nachdem Bundeskanzler Schröder nach den dann folgenden Bundestagswahlen die Macht schon verloren hatte. In Griechenland ist die Lage viel besser: Ministerpräsident Tsipras kann die Reformen mit dem demokratischen Mandat aus den letzten Wahlen nicht nur mit langem Atem, Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen umsetzen und durchsetzen. Er hat auch die Chance, selber noch die politische Ernte für die großen politischen Anstrengungen einzufahren – mit Wachstum, vielen neuen Arbeitsplätzen und endlich wieder guten neuen Perspektiven für die Menschen in Griechenland.

Griechenland hat jetzt die historische Chance, seine Modernisierung entschlossen anzupacken. Jetzt, und nicht erst morgen, ist der Moment, das zu tun. Die Ergebnisse werden sich einstellen und sie lohnen jeden Einsatz und jede Anstrengung, das wissen wir in Deutschland aus unserer eigenen Erfahrung.

Wolfgang Schäuble argumentiert, dass Griechenland keine neuen Schuldenerleichterungen braucht. Aber Frankreich, IWF und die USA stellen sich hinter einen Schuldenschnitt. Was glauben Sie? Führen neue Sparprogramme denn zukünftig zum Erfolg?

Ich denke, es ist jetzt ganz wichtig, sich an den getroffenen Vereinbarungen zu orientieren. Leistungen aus dem Rettungspaket erfolgen, sobald die dafür vereinbarten Voraussetzungen vorliegen und die Reformzusagen umgesetzt sind, die Griechenland dafür gemacht hat.

Solidarität und Reformen – das sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille und des Weges aus der Krise, den die griechische Regierung gewählt hat. Ich glaube, wir tun gut daran – übrigens auf allen Seiten - jetzt nicht an jeder Weggabelung, bei jeder kleinen Schwierigkeit neue Wünsche zu formulieren oder Forderungen aufzustellen.

Jetzt kommt es darauf an, mit Beharrlichkeit und Ausdauer das Reformpaket umzusetzen und alle gemeinsam Vertrauen zu schaffen. Selbstverständlich werden die europäischen Partner, allen voran Deutschland, Griechenland auch weiter fest zur Seite stehen und sich an das halten, was vereinbart worden ist.

Die Flüchtlingsthematik spaltet die EU und die Große Koalition in Deutschland. Haben Europa und Angela Merkel genug getan, um die Krise zu lösen? Sind Sie mit dem Krisenmanagement der griechischen Regierung zufrieden?

Wir alle in Europa sind von dem großen Flüchtlingsstrom betroffen, der sich wegen der zahlreichen ungelösten Konflikte und Krisen aus dem Nahen und Mittleren Osten auf uns zukommt. In ganz Europa, aber besonders entlang der Migrationsroute der Flüchtlinge, von Griechenland über den Balkan und Österreich bis zu uns nach Deutschland stehen wir vor enormen Aufgaben, die wir nur gemeinsam stemmen können. Es ist klar, dass Griechenland, das so bemüht ist, wieder wirtschaftlich auf die Beine zu kommen, den Zustrom gerade jetzt als besondere Bürde empfindet. Wir stehen in dieser Krise zusammen. Wir werden Griechenland bei der Bewältigung dieser großen Herausforderungen tatkräftig unterstützen. Entsprechende Entscheidungen haben wir in den letzten Tagen in Brüssel und Berlin schon getroffen. Das setzen wir fort.

Ich bin fest überzeugt, dass wir gerade jetzt mehr Mut zu mehr Europa brauchen. Nur gemeinsam werden wir der Lage wirklich Herr werden: bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen, bei der Entwicklung eines gemeinsamen Asyl- und Migrationssystems und auch bei der fairen Verteilung von Flüchtlingen. Es sind keine leichten Zeiten für Europa. Aber wenn wir es klug anstellen, können uns die großen Aufgaben, die wir gemeinsam bewältigen, näher zusammenwachsen lassen.

Oftmals macht Deutschland den Eindruck eines „reluctant hegemon“ – sowohl in der Griechenland-Thematik, als auch in der Ukraine-Krise. Warum bringt sich Deutschland nicht noch weiter auf der internationalen Bühne ein? Wie wird sich Deutschland gegenüber Russland und Putin in Syrien positionieren?

Es ist bemerkenswert, dass Sie so fragen – oft höre ich den gegenteiligen Vorwurf. Richtig ist: Deutschland strebt nicht nach einer Führungsrolle, schon gar nicht im Alleingang und zu Lasten anderer. Aber wir dürfen auch nicht davor zurückschrecken, international mehr Verantwortung zu übernehmen, wenn wir gefragt werden. Bei einigen Themen, wie im Ukraine-Konflikt mit Russland und bei den Atom-Verhandlungen mit Iran stehen wir in der ersten Reihe der internationalen Krisendiplomatie. Aber wir überschätzen auch nicht unsere Möglichkeiten. Deswegen müssen wir uns immer wieder fragen: Wo wird gerade Deutschland gebraucht? Welchen Beitrag können wir mit unseren Mitteln tatsächlich leisten? Immer gilt: Letztlich geht es nur gemeinsam, mit den Partnern der Europäischen Union.

Wo stehen –Ihrer Meinung nach – die deutsch-griechischen Beziehungen aktuell?

Mir, wie so vielen Deutschen, liegt so viel an Griechenland. Wir lieben Ihr Land und Ihre Kultur, Musik und Sprache. In Griechenland lässt sich so viel erleben und entdecken. Hier finden sich viele der historischen, politischen, religiösen und gesellschaftlichen Wurzeln unseres gemeinsamen Europa. Unser Kontinent ist ohne Griechenland nicht denkbar.

Wir haben das größte Interesse daran, nach schwierigen Jahren jetzt rasch wieder zu der Vertrautheit zurückzufinden, die die deutsch-griechischen Beziehungen schon immer und besonders in den vergangenen drei Jahrzehnten enger und partnerschaftlicher Zusammenarbeit geprägt hat. Mein Amtskollege Nikos Kotzias und ich haben uns gemeinsam vorgenommen, die Missverständnisse der letzten Jahre zu überwinden und an das herausragende Niveau der letzten Jahrzehnte anzuknüpfen. Wir haben in den zurückliegenden Monaten intensiv daran gearbeitet, in vielen wichtigen Fragen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wir haben schon viel erreicht und sind auf einem sehr gutem Weg. Ich wünsche mir, dass wir Deutsche und Griechen gemeinsam und zuversichtlich in die Zukunft schauen. Die Initiative zur Schaffung eines deutsch-griechischen Jugendwerks liegt mir deshalb besonders am Herzen.

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