Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Staatsekretär Stephan Steinlein bei der Festveranstaltung zum 10 jährigen Jubiläum der Freya-von-Moltke-Stiftung

04.09.2015 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrter Herr Köhler,
lieber Caspar von Moltke,
szanowny Panie Ambasadorze, lieber Jerzy,
liebe Freunde des Neuen Kreisau,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude und Ehre, einige Worte zum zehnjährigen Bestehen der Freya-von-Moltke-Stiftung sagen zu dürfen. Dabei rede ich heute nicht zu Ihnen als einer der Geburtshelfer des neuen Kreisau, als Zeitzeuge.

Sondern ich rede zu Ihnen in Vertretung unseres Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier. Er kann leider wegen des informellen Außenministertreffens in Luxemburg nicht persönlich hier sein. Aber er hat mich gebeten, Ihnen seine herzlichen Grüße zu übermitteln.

Aus vielen Jahren gemeinsamer Arbeit weiß ich, wie sehr ihm die Weiterentwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses am Herzen liegt. Und ich weiß auch, wie sehr er die Begegnungs- und Erinnerungsarbeit im neuen Kreisau schätzt. Auch deshalb hat er, gemeinsam mit seinem polnischen Amtskollegen Grzegorz Schetyna, die Schirmherrschaft für das großartige Projekt „Musik aus Kreisau. Für Europa“ übernommen.

Dass ich heute als geborener Ostdeutscher hier stehen und eine so altehrwürdige Institution wie das Auswärtige Amt vertreten darf, ist aber durchaus nicht ohne eine gewisse Symbolik. Auch und gerade mit Blick auf Kreisau.

Sie alle kennen den Satz von Jean-Claude Junker: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!“ Ein Satz, dessen besondere Aktualität ich in diesen Tagen wohl nicht besonders unterstreichen muss. Leider.

Aber wir alle, die wir uns mit dem Kreisauer Kreis und dem europäischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus beschäftigt haben, wissen auch, dass es gerade die Idee eines geeinten Europa war, die viele Überlegungen ganz unterschiedlicher Widerstandsgruppen wie ein roter Faden durchzieht - in ganz Europa, in Frankreich ebenso wie in Polen.

Nur wenige dachten dabei so mutig voraus wie Helmuth James von Moltke, der in einem Dokument aus dem Jahre 1941, also noch vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, seine Zukunftsvision folgendermaßen beschreibt: „Europa ist ein Bundesstaat mit einheitlicher Souveränität.“

Aber alle wussten oder ahnten zumindest, dass es nach den zahllosen Opfern, nach den physischen und moralischen Zerstörungen des Krieges und der Besetzung kein Zurück in die alte Welt rivalisierender europäischer Nationalstaaten gab.

Europa mag über Soldatenfriedhöfen errichtet worden sein. Aber die moralische und konzeptionelle Kraft zum Neuanfang bezog es aus dem Widerstand.

Die gemeinsame Erfahrung des Widerstands half, nach innen gewendet, die alten ideologischen Feindschaften der Vorkriegszeit einzuebnen und in den Staaten Westeuropas so etwas wie einen demokratischen Grundkonsens zu definieren. Und sie verlieh, nach außen gewendet, der alten Idee eines gemeinsamen europäischen Wertefundaments neuen Glanz - und am Ende eine ziemliche politische Durchschlagskraft.

Viele der Kreisauer haben ihren Mut mit dem Leben bezahlt. Sie erlebten diesen Neuanfang nicht. Aber allein die Tatsache, dass es sie gab, dass sie ihre Stimme erhoben haben, dass sie gegen das verbrecherische Hitlerregime aufgestanden sind, gab unseren künftigen europäischen Partnern die Hoffnung, dass wir Deutschen uns nicht endgültig aus dem Kreis der zivilisierten Völker verabschiedet hatten. Und ermöglichte so die großmütige Geste, uns Deutschen die Hände entgegenzustrecken und uns Schritt für Schritt in den Kreis der europäischen Demokratien zurückzuführen.

Das gilt übrigens auch für das Haus, aus dem ich komme! Das Auswärtige Amt war kein Hort des Widerstands, wie es manchmal nach dem Krieg behauptet wurde. Das hat die 2010 vorgelegte große Untersuchung von Norbert Frei und Eckart Conze noch einmal in aller Klarheit belegt. Ich bin mir sicher, dass es allein Hans Bernd von Haeften und Adam von Trott zu Solz oder Ulrich von Hassel zu verdanken ist, dass es dieses Amt mit seiner altehrwürdigen Tradition heute noch gibt. Und ich als sein Vertreter heute zu Ihnen sprechen kann.

Nun, und auch das neue Kreisau hat viel mit Widerstand und Europa zu tun. Auf den Tag genau vor 26 Jahren und 2 Monaten trafen sich in Breslau Polen, Deutsche aus Ost und West, Amerikaner und Niederländer und diskutierten über ein Europa jenseits von Ost und West.

Die Mauer stand noch, in Leipzig gab es noch keine Montagsdemonstrationen. Aber in Polen fanden am gleichen Tag, es war der 4. Juni 1989, die ersten halbfreien Wahlen statt. Der Wind der Veränderung wehte durch Europa, und es war für uns Deutsche ein Wind, der aus dem Osten kam.

Der Schirmherr Ihrer Stiftung, Bundespräsident Joachim Gauck, hat für diese Erfahrung ein wunderschönes Wort geprägt: „Die europäische Sprache der Freiheit ist Polnisch!“

Genau so haben wir das damals empfunden, in Ost-Berlin, in Rostock, in Jena, oder wo immer wir diesen faszinierenden Klang der Freiheit und Selbstbefreiung gehört haben.

Geistig waren wir alle Kinder der Solidarnosc. Und dass Kreisau in Polen lag, war für uns damals der entscheidende Grund zu sagen: Lasst uns dort einen Ort gründen, im heutigen Polen, wo wir gemeinsam Vorstellungen entwickeln können für ein gemeinsames Europa, ein Europa der Freiheit, ein Europa der Demokratie, ein Europa, in dem die Mauern in den Herzen und Köpfen eingerissen werden.

Wenige habe das von Anfang an so intuitiv begriffen und so verinnerlicht wie die Namenspatronin Ihrer Stiftung, die unvergessliche Freya von Moltke.

Als Helmut Kohl sie einlud, ihn nach Kreisau zur Versöhnungsmesse zu begleiten, war ihre Antwort: „Wir Moltkes kommen erst nach Kreisau, wenn die Polen uns einladen.“

Nun, die Polen haben sie eingeladen. Freya von Moltke wurde Ehrenvorsitzende der der polnischen „Stiftung Kreisau für europäische Verständigung“. Und wann immer sie nach Kreisau kam, und das war ziemlich häufig, solange es ihr Gesundheitszustand erlaubte, kam sie nach Hause. Allerdings nicht im Sinne einer Rückkehr in die alte Heimat. Sondern im Sinne der Reise an einen Ort, an dem gemeinsame Zukunft erdacht, erstritten und gestaltet wird.

Der ebenfalls unvergessliche Ludwig Mehlhorn, ein Neuer Kreisauer der ersten Stunde, ein großartiger Polenkenner und Vordenker der ostdeutschen Opposition, hat die von ihm kuratierte Dauerausstellung im Neuen Kreisau unter die Überschrift gestellt „Odrzucając kłamstwo“, „In der Wahrheit leben“. In ihr hat er versucht, die verschiedenen Widerstandstraditionen, die sich in Kreisau treffen, der Kreisauer Kreis, die polnische Solidarnosc und die ostdeutsche Opposition, zusammenzuführen und für unsere europäische Zukunft lesbar zu machen.

Fünf Charakteristika hat er herausgearbeitet, die Menschen auszeichnen, die sich mutig Diktaturen gegenüberstellen:

Distanz zum herrschenden politischen Diskurs,

- die Fähigkeit, Unrecht wahrzunehmen und sich ihm entgegenzustellen,

- Zivilcourage und Risikobereitschaft,

- der Glaube an die Kraft menschlicher Solidarität,

- und schließlich die Bereitschaft, sich einzumischen und sich dabei auch die Hände schmutzig zu machen.

Das sind gleichzeitig auch die Eigenschaften, die es braucht, um Freiheit und Demokratie in unserer Zeit zu verteidigen. Denn selten waren sie so bedroht wie heute - von innen wie von außen.

Nicht nur östlich von uns, auch innerhalb der Europäischen Union, gewinnt das Modell des starken Mannes oder des starken Staates an Anziehungskraft. Ähnlich wie in den 20er und 30er Jahren erscheint vielen in der Welt die westliche Demokratie müde und entscheidungsschwach. Südlich und südöstlich Europas lösen sich staatliche Strukturen in Nichts auf. An ihre Stelle treten bewaffnete Bürgerkriegsparteien unterschiedlicher religiös-ideologischer Provenienz. Millionen von Menschen verlieren die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in ihrer Heimat und machen sich auf den Weg - übrigens nicht nach Russland oder nach Saudi-Arabien oder in den Iran, sondern in Richtung des alten, vermeintlich schwachen Europas.

Das Neue Kreisau wurde und wird in vielfältiger Weise von den Regierungen unterstützt. Aber es wird bis heute getragen vom bürgerschaftlichen Engagement.

Ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie als Freunde und Förderer des Neuen Kreisau mit dafür sorgen, dass Kreisau sich die Freiheit und die Kraft bürgerschaftlichen Handelns erhält. Wir erleben gerade in diesen Tagen wieder, welche Energien dieses Engagement freisetzen kann. Ich habe gestern das alte Aufnahmelager Marienfelde besucht. In ihm wurden früher die Flüchtlinge aus der DDR untergebracht. Heute leben dort 700 Menschen, davon 350 Syrer. Und viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich, um sicherzustellen, dass diese Menschen in unserem Land willkommen sind.

Widerstand gegen staatliches Handeln mag nicht in gleicher Weise nötig sein wie in früherer Zeit. Zumindest hoffe ich das, als Vertreter einer rechtsstaatlich und demokratisch legitimierten Regierung. Aber der Impuls, der aus der Kreisauer Zeit und den 80er Jahren zu uns hinüberwirkt, ist das Engagement freier Bürgerinnen und Bürger für das gemeinsame Wohl. Und dafür braucht es auch heute noch die fünf Charakteristika, von denen Ludwig Mehlhorn spricht.

Meine Damen und Herren,

ich danke Ihnen, dass Sie sich als Bürgerinnen und Bürger mit der Freya-von-Moltke-Stiftung für dieses gemeinsame Wohl einsetzen. Für die Verständigung zwischen Polen und Deutschen. Für ein tolerantes, offenes, demokratisches Europa. Und für ein Weltbürgertum, dessen bester Ausdruck vielleicht immer noch die Musik ist, von der wir heute so großartige Kostproben hören können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Verwandte Inhalte

nach oben