Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Polen und Deutsche: „Die Fremdheit ist dem gegenseitigen Respekt gewichen“
Gespräch mit Ministerpräsident Dietmar Woidke, Koordinator der Bundesregierung für deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit. Erschienen im Deutsch-Polnischen Magazin DIALOG Nr. 111 (2015)
***
Herr Ministerpräsident, wie haben Sie reagiert, als Ihnen die Bundesregierung die Aufgabe des Koordinators für die deutsch-polnische Zusammenarbeit angeboten hat?
Vor allem habe ich mich über die Anfrage von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sehr gefreut. Es ist ein Amt, das sich sehr gut mit meinen Aufgaben als Ministerpräsident des Landes Brandenburg verträgt. Vor allem aber sah ich direkt die Chance, über diese Funktion wichtige Anliegen gegenüber Polen voranbringen zu können.
Viele Experten waren von Ihrer Ernennung überrascht, denn bislang hat man Sie vor allem als Experten für innenpolitische Fragen wahrgenommen.
Ich antworte mit einer Gegenfrage: Was liegt näher, als den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg zum Koordinator für zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit zu machen? Brandenburg ist das Bundesland mit der längsten Grenze zu Polen. In unserer Landesverfassung ist die Zusammenarbeit mit Polen festgeschrieben. Als Ministerpräsident kann ich außerdem dank des föderalen Systems bei vielen Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses mitreden, sei es bei Bildungsfragen, bei Verkehrsverbindungen oder auch bei der Finanzierung von Institutionen wie dem Deutschen Polen-Institut in Darmstadt.
Wie verstehen Sie die Rolle des Koordinators? Wollen Sie als Moderator zwischen den Akteuren vermitteln oder eine eigene politische Agenda formulieren und versuchen, diese politisch durchzusetzen?
Ich denke es geht um beides. Einerseits habe ich mir eigene Schwerpunkte gesetzt: Die Themen Jugend und Sprache, aber auch die Bahnverbindungen sowie die Sicherheit im Grenzraum liegen mir besonders am Herzen. Da gibt es viele Überschneidungen zu meinen Aufgaben als Ministerpräsident und derzeit als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Ebenso wichtig ist, zwischen den Akteuren im deutsch-polnischen Verhältnis zu moderieren und sich für die Stärkung und Absicherung des deutsch-polnischen zivilgesellschaftlichen Netzwerks einzusetzen. Vieles davon geschieht hinter den Kulissen. Gerade wenn es um Geld geht, muss man häufig dicke Bretter bohren.
Was fasziniert Sie an Polen, an der polnischen Kultur? Was ist Ihnen kulturell fremd, was können Sie nicht verstehen?
Meine Antwort überrascht Sie jetzt vielleicht. Aber faszinierend finde ich vor allem die Gemeinsamkeiten. Natürlich gibt es unterschiedliche historische Erfahrungen und konfessionelle Bindungen. Die polnische Mentalität ist vielleicht etwas spontaner als die der Deutschen, und die Gastfreundschaft ist zu Recht legendär. Aber wenn ich mir den Alltag der Menschen anschaue – ich selbst wohne direkt an der Grenze in Forst – dann sind die Unterschiede gar nicht so groß. Übrigens ist das auch in der Politik so: Deutschland und Polen stehen eher für Besonnenheit und für Verlässlichkeit. Da ticken wir ziemlich ähnlich.
Auf welchem Entwicklungsniveau befinden sich heute die deutsch-polnischen Beziehungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene? Wo haben sie Ihrer Ansicht nach vorbildlichen Charakter für Europa, sind Motor für die Entwicklung, wo gibt es Defizite, wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Die politischen Beziehungen sind heute besser denn je. Davon konnte ich mich am 27. April bei den Deutsch-Polnischen Regierungskonsultationen in Warschau überzeugen. Die Regierungskabinette beider Länder waren so gut wie komplett anwesend. Selten habe ich auf einer politischen Veranstaltung ein so großes Einvernehmen und so viel Gemeinsamkeit erlebt. Bezeichnend war, dass sich fast alle Regierungsmitglieder untereinander mit Vornamen anreden. Das Vertrauen ist über die letzten Jahre stark gewachsen. Es gibt zahlreiche Projekte, die beide Länder gemeinsam umsetzen oder in Europa voran bringen. Selbstverständlich gibt es auch noch viel Handlungsbedarf. Deutsch-polnische Jugendaustausche müssen besser gefördert werden. Die Bahnverbindungen müssen besser werden. Vor allem aber dürfen wir nicht der Versuchung erliegen, den heutigen Zustand als selbstverständlich hinzunehmen. Wir müssen Tag für Tag daran arbeiten. In diese Richtung ging auch die letzte Rede von Professor Władysław Bartoszewski, des polnischen Deutschland-Beauftragten, die er noch an seinem Todestag am 24. April, drei Tage vor den von ihm vorbereiteten Regierungskonsultationen, fertig gestellt hat und die dann von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz verlesen wurde. Ich sehe das auch als sein Vermächtnis an.
Wenn Sie heute polnische Akteure, Politiker, Journalisten oder Unternehmer treffen, haben Sie dann den Eindruck, dass man sich grundsätzlich vertraut? Wie ist Ihrer Ansicht nach das Klima der Zusammenarbeit heute, wie eng und partnerschaftlich können Deutsche und Polen heute miteinander zusammenarbeiten?
Ich habe den Eindruck, dass zwischen den politischen Akteuren, aber auch in der Wirtschaft ein großes Vertrauen besteht. Und bei den jungen Menschen sowieso. In den Medien dagegen werden manchmal künstlich Konflikte herbeigeredet. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: in Sachen Ukraine wird in einigen polnischen Medien manchmal der Eindruck erweckt, Berlin warte nur darauf, sich mit Moskau gegen die Interessen Polens und der Ukraine zu verbünden. Tatsächlich ist es gerade Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der im Auftrag der Bundeskanzlerin den direkten Kontakt zur polnischen Regierung pflegt. Polen und Deutschland liegen hier auf einer Linie – vor allem wenn Sie sich einmal die Debatten in andern europäischen Ländern anschauen. Das gilt übrigens nicht nur für die Regierungen beider Länder, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zur Haltung der Polen und der Deutschen in der Ukrainekrise hat hier ganz erstaunliche Gemeinsamkeiten zu Tage gefördert.
Vielleicht ist so viel Übereinstimmung aber journalistisch nicht spannend genug. Ein Problem ist sicher auch, dass es nur noch sehr wenige polnische Korrespondenten in Berlin gibt. Umso wichtiger sind vor diesem Hintergrund die Deutsch-Polnischen Medientage, die alljährlich von den Ländern und Wojewodschaften der Grenzregion, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit sowie der Robert Bosch-Stiftung organisiert werden.
Der Krieg in der Ukraine, das Verständnis vieler deutscher Politiker und Journalisten für Putins Ukraine-Politik hat bei vielen Polen altes Misstrauen gegenüber Deutschland geweckt. Die Politik gegenüber Russland und der Ukraine wird in Polen als ein wichtiger Test für die deutsch-polnischen Beziehungen wahrgenommen. Haben wir diesen Test bislang gut bestanden?
Die Politik gegenüber Russland und der Ukraine ist sicherlich mehr als ein deutsch-polnisches Thema. Vor allem ist sie ein europäisches Thema. Hier finde ich es ganz erstaunlich, wie eng wir in Europa bereits zusammen gerückt sind. Wir haben uns nicht spalten lassen, selbst zu so schwierigen Fragen wie den Sanktionen gegen Russland. Auch was unsere beiden Länder betrifft, habe ich – wie bereits gesagt – den Eindruck, dass wir da auf gleicher Welle senden. Bei den jüngsten Regierungskonsultationen wurde das nachdrücklich bestätigt. Das sollten wir uns auch nicht kaputtreden lassen!
In welchen Bereichen wollen Sie als Koordinator schwerpunktmäßig aktiv werden? Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit? Wie wollen Sie Ihre Ziele durchsetzen?
Meine Schwerpunkte sind einerseits die Pflege des zivilgesellschaftlichen Netzwerks, also der vielen Institutionen und Organisationen, die das Fundament unserer Beziehungen ausmachen. Es geht mir aber auch darum, bestimmte Dauerbaustellen in den deutsch-polnischen Beziehungen anzugehen. Dazu gehört insbesondere der Ausbau der Bahnverbindungen. Wenn man sagt, dass Oder und Neiße die Naht sind, an der Deutschland und Polen zusammenwachsen, dann bilden die Verkehrsverbindungen die Fäden, die diese Naht zusammenhalten. Deswegen werde ich für Herbst dieses Jahres die Regierungen und Bahngesellschaften zu einem deutsch-polnischen Bahngipfel einladen.
Wichtig ist mir auch das Thema Bildung und Jugend. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk muss finanziell gestärkt werden. Nach vielen Gesprächen bin ich optimistisch, dass wir hier vorankommen werden. Ein weiteres Thema ist der Polnisch-Unterricht in Deutschland, der auch noch ausbaufähig ist …
Im Jahr 2000 haben die Außenminister Joschka Fischer und Bronislaw Geremek in einem gemeinsamen Artikel in den Tageszeitungen „Der Tagesspiegel“ und „Rzeczpospolita“ die Vision der deutsch-polnischen Grenzregion als eines Gebiets der Modernisierung und Innovation gezeichnet – eines „Oder-Verbunds“ als europäisches Innovationszentrum (Zitat ist den Fragen beigefügt). Diese Vision klingt auch heute sehr utopisch. Was ist von diesen Ambitionen geblieben? Wieso ist die Grenzregion nicht zu dem gewünschten Zentrum der Modernisierung geworden?
Eine Art von „Oder-Verbund“ gibt es bereits: Seit vielen Jahren arbeiten die Bundesländer und Wojewodschaften der Grenzregion in der „Oder-Partnerschaft“ zusammen. Auch gibt es gut arbeitende Euroregionen entlang der Grenze. Aber natürlich bleibt der Anspruch eines europäischen Innovationszentrums noch eine Vision. Wir dürfen nicht vergessen: die Grenzregion ist – anders als die oft zitierte Rheinschiene – auf beiden Seiten der Grenze trotz aller Fortschritte eine strukturschwache Region. Echte grenzüberschreitende Kooperation ist auch erst seit 1989 möglich – befördert durch den Nachbarschaftsvertrag von 1991. Auf Augenhöhe begegnen wir uns erst, seitdem Polen 2004 der EU beigetreten ist. Elf Jahre sind eine historisch kurze Zeitspanne. Ich rate also zu etwas mehr Geduld! Gleichzeitig lohnt es, den Blick auf Entwicklungen zu richten, die sich im Grenzraum Tag für Tag ereignen. So siedeln sich zum Beispiel immer mehr Polen westlich der Oder an und arbeiten in Deutschland oder, als Grenzpendler, weiterhin in ihrer Heimat. Hierzu gibt es eine lesenswerte Studie, die „Vom Verschwinden einer Grenze“ berichtet. Wir sind also auf einem langen Weg zu einer normalen europäischen Grenzregion.
Welche Rolle spielt die grenznahe Zusammenarbeit für die deutsch-polnische Partnerschaft? Für viele Polen ist die Oderregion nicht Zentrum sondern eine Peripherie, ohne große ökonomische und kulturelle Bedeutung für die zentralen Regionen Polens. Wie hat sich in Deutschland die Wahrnehmung der grenznahen Nachbarschaft entwickelt?
Weder der Warschauer noch der Berliner denkt sofort an die Grenzregion, wenn er morgens aufwacht. Aus Sicht der Hauptstädte ist das hier oftmals noch Peripherie. Ich würde mir tatsächlich manchmal etwas mehr Aufmerksamkeit für die Belange der Grenzregion wünschen, v.a. wenn es um den Ausbau der Verkehrsverbindungen geht. Aber das ist ja genau meine Aufgabe als Polen-Koordinator: darauf aufmerksam zu machen. Bei den letzten Regierungskonsultationen in Warschau ist das gut gelungen: Grenzüberschreitende Themen spielten nicht nur im Plenum eine Rolle. Auch wurde in meinem Beisein ein Abkommen über die Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im Grenzregebiet unterzeichnet, welches für die Häfen zwischen Berlin und Stettin aber auch für den Hochwasserschutz von hoher Bedeutung ist.
Ist in den letzten 25 Jahren so etwas wie eine deutsch-polnische Identität entlang der Oder entstanden? Wie nahe fühlen sich Deutsche und Polen in der Region?
Ich würde nicht so weit gehen, gleich von einer deutsch-polnischen Identität zu sprechen. Aber gibt es so etwas zwischen Deutschland und Frankreich? Die deutsch-polnische Grenzregion ist zu jung, die Menschen wurden nach dem Krieg zusammengewürfelt, und kulturelle und sprachliche Bindungen gilt es erst noch aufzubauen. Aber eines kann man sagen: die Fremdheit ist dem gegenseitigen Respekt gewichen. Darauf kann emotionale Nähe wachsen. Aber man muss den Menschen Zeit lassen. Wir brauchen auch zukunftsweisende Projekte: Anfang September letzten Jahres konnte ich an der Einweihung eines Polnisch-Deutschen Kindergartens in Słubice teilnehmen. Eine entsprechende deutsch-polnische Kita gibt es in Frankfurt (Oder). Spielende und lernende Kinder entwickeln eine selbstverständliche emotionale Nähe, über alle Sprachgrenzen hinaus.
Wo sehen Sie die Stärken und die Schwächen der grenznahen Zusammenarbeit? Welche Fortschritte sollten auch über die Grenzen der Oderregion wahrgenommen werden?
Die Schwächen habe ich benannt, sie liegen in den schwierigen Ausgangsbedingungen. Die Stärke liegt darin, dass wir hier von den Erfahrungen anderer Grenzregionen lernen können. Manches geht hier schneller. Ein Beispiel: unser neues deutsch-polnisches Polizeiabkommen geht weit über das hinaus, was z.B. mit Frankreich vorhanden ist. Das war nur möglich, weil Vertrauen auf beiden Seiten besteht.
Besorgniserregend waren im vergangenen Jahr die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg vor allem in den Wahlkreisen nahe an der deutsch-polnischen Grenze? Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? Haben dort besonders viele Wähler Angst vor dem Nachbarn, vor den Folgen der zunehmenden Integration? Spiegeln sich in diesem Wahlverhalten tatsächliche Probleme der Grenzregion wider?
Populistische Parteien profitieren in zynischer Weise von den Ängsten der Menschen. Diese Ängste haben oftmals einen realen Kern, wenn wir zum Beispiel an die Grenzkriminalität denken. Aber die angeblichen Antworten der Populisten gehen völlig an der Realität vorbei. Wir brauchen nicht dichte Grenzen, sondern mehr Zusammenarbeit über die Grenze hinweg.
In der Vergangenheit wurde die polnische Grenzregion hauptsächlich von deutschen Einkaufstouristen besucht. Können mittlerweile neue Trends verzeichnet werden? Nehmen Deutsche nun die polnischen Westregionen auch als interessante Nachbarn wahr?
Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Einkaufstourismus findet längst in beide Richtungen statt. Ohne polnische Kunden könnten Einkaufszentren in Schwedt oder Frankfurt (Oder) heute nicht mehr existieren. Das gleiche gilt für den Erholungs- und Kulturtourismus. Nicht umsonst wirbt unsere Tourismusmarketinggesellschaft gerade in diesen Wochen auf Bussen und Straßenbahnen in Warschau und Posen für Urlaub in Brandenburg. Polen bilden die größte ausländische Touristengruppe in Brandenburg. Davon leben unsere Hotels und Gaststätten. Das schafft automatisch auch Interesse aneinander. In anderen Grenzregionen ist das nicht anders.
Wo sehen Sie wirtschaftliche Potentiale für die deutsch-polnische Grenzregion?
Polen ist schon heute der wichtigste Handelspartner Brandenburgs. Es gibt kaum noch ein Unternehmen in der Grenzregion, welches keine Kontakte nach Polen unterhält. Das gilt auch in umgekehrter Richtung für die polnischen Unternehmen. Von Handel und Tourismus habe ich schon gesprochen. Ohne die Zusammenarbeit wäre die Arbeitslosigkeit heute auf beiden Seiten höher. Die Vorteile liegen auf der Hand. Seit März gibt es in Frankfurt (Oder) – Słubice eine grenzüberschreitende Versorgung mit Fernwärme. Das schafft eine bessere Auslastung der Stadtwerke, spart Energie und Kosten. Das kann ich mir auch in anderen Bereichen vorstellen, so in der Gesundheitsversorgung.
Gibt es zwischen den benachbarten Bundesländern und Wojewodschaften gemeinsame Zielsetzungen für eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Integration des Grenzraumes?
Im Rahmen der bereits erwähnten „Oderpartnerschaft“ haben sich all diese Regionen verpflichtet, einen gemeinsamen Entwicklungsplan auszuarbeiten. Die Deutsch-Polnische Regierungskommission verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Aber erwarten Sie bitte keinen Masterplan für alle Themen einer Grenzregion. So etwas entwickelt sich!
Was kann die Politik konkret für eine positive ökonomische und kulturelle Entwicklung der Grenzregion tun? Haben Landesregierungen und die Bundesregierungen überhaupt noch wirksame Instrumente, um die Entwicklung positiv zu beeinflussen?
Selbstverständlich! Einmal abgesehen von diversen Förderprogrammen, die uns zur Verfügung stehen, ist das Wichtigste, was die Politik tun kann, Barrieren abzuschaffen und Systeme aneinander anzugleichen. Die Liste der Beispiele ist lang: Berufsabschlüsse müssen auf beiden Seiten anerkannt werden, die Besteuerung von Pendlern muss geregelt, die Gesundheitsversorgung aufeinander abgestimmt werden. Und vor allem muss die Verkehrsinfrastruktur nicht nur ausgebaut werden, sondern so miteinander harmonieren, dass Sie problemlos von A nach B kommen. Ohne Politik kommt man hier nicht voran.
Die lokale Presse berichtet immer wieder von zunehmender Kriminalität in der deutsch-polnischen Grenzregion. Wie real sind die Gefahren?
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Grenzregion – übrigens auf beiden Seiten – besonders von Kriminalität betroffen ist. Wahr ist aber auch, dass die Kriminalität gegenüber den frühen neunziger Jahren insgesamt deutlich zurückgegangen ist. Es gibt allerdings Bereiche wie Einbrüche und KfZ-Diebstähle, die für Bevölkerung und Wirtschaft besonders spürbar und schmerzhaft sind. Das lässt sich auch nicht schönreden. Worüber dagegen seltener berichtet wird, ist die wirklich vorbildhafte Zusammenarbeit der Polizeien beider Länder. Es gibt Sprachkurse, gemeinsame Streifen und sogar eine gemeinsame Dienststelle von Polizei, Zoll und Grenzschutz in Świecko. Am 9. Juli wird ein neuer Polizeivertrag in Kraft treten, der die Möglichkeiten noch einmal verbessern wird.
Ohne Sprachkenntnisse ist der deutsch-polnische Dialog schwierig zu entwickeln. Wie haben sich die Kenntnisse der Sprache und Kultur des Nachbarn in der Grenzregion entwickelt? Was sind Ihre subjektiven Beobachtungen?
Es gibt kein Land der Welt mit mehr Deutschlernern als Polen. Demgegenüber sind die nach wie vor geringen Polnisch-Kenntnisse auf deutscher Seite ein großes Manko. Das wird sich aber nur langsam verändern. Wir können die Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Was wir aber tun können, ist, das Interesse in Deutschland an Polen und an Polnisch zu wecken und zu steigern. Hier ist einerseits der polnische Staat aufgerufen mehr zu tun. Andererseits liegt es auch in unserem eigenen Interesse. Daher unterstütze ich als Polen-Koordinator zukunftsweisende Projekte in diese Richtung.
Seit Jahren wird immer wieder von verschiedenen Akteuren der deutsch-polnischen Zusammenarbeit der Wunsch geäußert, die polnische Sprache insbesondere in der Grenzregion stärker zu fördern, vor allem bei sehr jungen Menschen. In Brandenburg gibt es einige Schulen, die Polnisch als Fremdsprache anbieten. Deckt das Angebot die Nachfrage, oder bleibt diese eher zurückhaltend?
Unser Ziel ist, das Angebot auszubauen. Dazu bedarf es jedoch einer größeren Nachfrage, die zwar allmählich steigt, aber immer noch zu gering ist. Das kann man, wie gesagt, nicht von oben anordnen. Das geht nur, indem man bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei deren Eltern, das Bewusstsein dafür stärkt, dass es sich lohnt, Polnisch zu lernen: Lerne ich Polnisch, habe ich bessere Chancen, einen guten Job in meiner Heimatregion zu finden. Ungemein wichtig sind auch persönliche Erfahrungen: Junge Menschen, die einmal in lebendigen Metropolen wie Posen oder Breslau waren, werden vermutlich auch Interesse an Polnisch entwickeln. Als Polen-Koordinator habe ich die Schirmherrschaft über das Projekt „PolenMobil“ übernommen. Entwickelt vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt wird das „PolenMobil“ Schulen in ganz Deutschland anfahren, um dort Neugierde auf Polen und Polnisch zu machen. Wir werden dadurch nicht von heute auf morgen flächendeckend Polnisch-Unterricht an den Schulen haben, aber ich bin mir sicher, dass das Interesse steigen wird.
Um Ressentiments gegenüber dem Nachbarn abzubauen, bedarf es neben politischen Maßnahmen vor allem zivilgesellschaftliches Engagement. Wo sehen Sie Stärken und Schwächen der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen?
Die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen ist traditionell gut aufgestellt. Der Bundesverband der Deutsch-Polnischen Gesellschaften ist ein lebendiges Beispiel dafür. Es gibt eigentlich kaum noch einen Bereich, in dem es keine zivilgesellschaftlichen Kontakte gibt. Viele reichen bis weit in die Zeit vor 1989 zurück. Das zwischengesellschaftliche Netzwerk ist beeindruckend eng. Denken Sie nur an die zahlreichen Städtepartnerschaften, die Hochschul- und Schulpartnerschaften. Die vielen jungen selbstbewussten Polinnen und Polen, die sich nach dem EU-Beitritt in Deutschland niedergelassen haben, die hier studieren, arbeiten und unsere Kultur bereichern, haben ganz erheblich dazu beigetragen, dass Polen inzwischen in Deutschland den Ruf eines modernen, interessanten und erfolgreichen Landes genießt.
Welche zivilgesellschaftlichen Projekte verdienen besondere Aufmerksamkeit? Welche Projekte sollten finanziell von den Landesregierungen und von der Bundesregierung unterstützt werden?
Solch eine Frage zu beantworten, birgt für einen Politiker immer ein gewisses Risiko… Im nächsten Jahr begehen wir das 25. Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Als Koordinator werde ich mich dafür engagieren, dass die zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit dann besondere Aufmerksamkeit erfahren wird. Besonders am Herzen liegt mir das Deutsche Polen Institut Darmstadt, das von Bund und Ländern gemeinsam getragen wird. Hier habe ich mich in Gesprächen mit meinen Länderkollegen persönlich engagiert und bin zuversichtlich, dass wir eine angemessene und dauerhafte Finanzierung sichern werden. Natürlich freue ich mich auch, dass Ihr Magazin, der DIALOG, dank des Engagements des Auswärtigen Amts und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit weiterhin auf einer sicheren finanziellen Grundlage steht. Der DIALOG stößt wichtige deutsch-polnische Debatten an. Dafür wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg und viele Leserinnen und Leser auf beiden Seiten der Oder !
Interview: Basil Kerski. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift DIALOG.
http://www.dialogmagazin.eu/ausgabendetails/nr-111-2015.html