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Interview von Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der Jewish Voice from Germany

09.05.2015 - Interview

Themen: das deutsch-israelische Verhältnis, die Verhandlungen zum iranischen Nuklearprogramm, der Nahostkonflikt, das Verhältnis der europäischen Staaten zu Russland, Verhandlungen über das transatlanstische Freihandelsabkommen TTIP. Erschienen am 9.Mai 2015.

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Bei Ihrer Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZs Sachsenhausens betonten Sie: „Israel und Deutschland sind in tiefer Freundschaft verbunden.“ In Israel ist Deutschland in, vor allem bei Jugendlichen. Jeder zweite Israeli war schon einmal in Deutschland, vor allem Berlin ist bei jüngeren Israelis Hype. Umgekehrt ist Israel nicht besonders populär in Deutschland – wie alle Umfragen zeigen. Wie kann man über die staatlichen, wissenschaftlichen, geschäftlichen Beziehungen hinaus die Menschen einander näher bringen?

In den deutschen Medien wird über Israel leider häufig nur im Kontext des Nahostkonflikts berichtet. Das ist eine sehr eindimensionale Betrachtung, die kaum der Realität entspricht. Der Austausch zwischen Israelis und Deutschen ist um Einiges vielfältiger. Gerade in Kunst und Literatur, aber auch in der Wissenschaft, nicht zuletzt im IT-Sektor und den Kreativbranchen gibt es in Deutschland eine ungebrochen große Faszination für Israel. Israel ist aber auch das Land, in dem deutsche NGOs und Kirchen weltweit die meisten Projekte mit jungen Leuten durchführen. Allein in und rund um Jerusalem gibt es jedes Jahr um die 1000 Freiwillige, die dort in den verschiedensten Einrichtungen arbeiten. Mein Eindruck ist: Auch die junge Generation von Deutschen und Israelis ist neugierig aufeinander und will mehr voneinander wissen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte 2008 vor der Knesset, dass Israels Sicherheit „deutsche Staatsräson“ sei und damit nicht verhandelbar ist. Jetzt haben die Gespräche in Lausanne der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland mit Iran zunächst zu einem technischen Abkommen geführt. Ist nun eine politische Aussage möglich, die das Existenzrecht aller Staaten der Region, auch Israels, gewährleistet?

Deutschland und die Verhandlungspartner der E3+3 sind sich der Sicherheitsbedürfnisse Israels sehr bewusst. Es wird keinen schlechten Deal mit uns geben. Das habe ich auch meinem israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman versichert. Am Ende wird nur eine Vereinbarung unterschrieben, die tatsächlich ein Mehr an Sicherheit für Israel bedeutet. Dafür bieten die Eckpunkte, die in Lausanne vereinbart wurden, die beste Chance. Auf dieser Basis muss jetzt bis Ende Juni eine detaillierte und wasserdichte Vereinbarung ausformuliert werden.

Legt Deutschland Wert auf ein Statement im Sinne Israels?

Wir suchen das Gespräch mit Israel. Mit den israelischen Kollegen habe ich unmittelbar nach Lausanne telefoniert und Eckpunkte wie weiteres Verfahren erläutert. Und natürlich bleiben wir während der nächsten Wochen der Verhandlungen in Kontakt.

Sie sagten in unserem letzten Interview mit der Jewish Voice, April 2013: „Es muss auch dort (Iran) ein paar verantwortliche Führer geben, die sehen, dass auch der Iran den drohenden Flächenbrand im gesamten Mittleren Osten nicht überleben wird.“ Seither haben Sie mit ihrem iranischen Amtskollegen und anderen Politikern, unter anderen Präsident Rohani, gesprochen. Glauben Sie, dass Iran jetzt eine Regierung besitzt, die das ebenfalls so sieht?

In den Verhandlungen mit dem iranischen Außenminister und dem iranischen Präsidenten haben wir den Eindruck gewonnen, dass diese Regierung den festen Willen hat, die Verhandlungen zum Erfolg zu führen. Dies würde nicht nur den Konflikt beenden, sondern der iranischen Bevölkerung auch die wirtschaftlichen Perspektiven öffnen, die dem Land aufgrund der Sanktionen viele Jahre versagt waren. Vieles wird davon abhängen, ob sich am Ende diejenigen, die das Abkommen und damit das Ende des Konflikts wollen, gegen die Skeptiker und Gegner unter den Revolutionären Garden und innerhalb der klerikalen Kreise durchsetzen. Dieser Machtkampf ist noch nicht entschieden.

Sie sprachen vom Konflikt. Der Konflikt ist einseitig. Ich versteh‘ das immer noch nicht. Israel und Iran hatten gute Beziehungen. Doch seit 1979 erklärt das Regime Israels Zerstörung zum Ziel…

Ich meine den Nuklearkonflikt, in dem Iran seit 12 Jahren der ganzen Weltgemeinschaft gegenübersteht, und den seit langem bestehenden Konflikt mit den USA, in dem es zum ersten Mal seit 35 Jahren Bewegung gibt. Aber Sie haben Recht: Niemand darf erwarten, dass damit über Nacht die Probleme im Verhältnis zu Iran ausgeräumt werden: Die Vernichtungstiraden der Hardliner gegen Israel, die Aufrüstung der Hisbollah, Irans fragwürdige Rolle in Syrien und Irak. Dennoch: Eine Einigung im Nuklearstreit kann der erste Schritt auf einem Weg sein, mit dem der Iran sich aus der langjährigen Isolation und Konfrontation herausbegibt. Ein Weg, der hoffentlich in Zukunft auch die Hasspropaganda gegen Israel auf dem historischen Müllhaufen lässt, auf den sie gehört.

Ist die Lieferung von U-Booten an Israel ein deutscher Weg, Israels Sicherheit zu gewährleisten?

Israels Sicherheit hat für uns die allerhöchste Priorität. Dazu gehört traditionell auch die Kooperation bei der Stärkung maritimer Sicherheit. Wir sehen uns auch hier weiter in der Verantwortung.

Kann sich Saudi-Arabien sicher fühlen?

Die Sicherheit Saudi-Arabiens ist nicht allein eine Frage des Nuklearkonfliktes. Wir erleben, wie sich Strukturen im Nahen und Mittleren Osten auflösen, die wir im letzten halben Jahrhundert kannten, ohne dass eine neue Ordnung abzusehen wäre. Jahrhundertealte Konflikte zwischen Volks- und Religionsgruppen sind neu aufgebrochen. Dabei ist der Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten nur ein Teil einer hochkomplexen und explosiven Gemengelage. Hinzu kommen innersunnitische Kämpfe um den einzig „wahren Islam“. Diese religiöse Überlagerung leistet nicht nur Terrorismus und Extremismus Vorschub, sie macht auch die bestehenden zwischenstaatlichen Konflikte noch unkontrollierbarer und eine Deeskalation und Stabilisierung in der Region noch schwieriger.

Was kann Deutschland tun, damit ein Staat Israel und ein Staat Palästina miteinander in Frieden leben?

Diese Frage hätte ich vor einem Jahr leichter beantworten können: Damals schienen die Bemühungen von US-Außenminister John Kerry, die wir nach Kräften unterstützt haben, auf einem guten Weg. Leider ist der Weg derzeit abgebrochen und vieles, was seitdem passiert ist, auch Äußerungen im israelischen Wahlkampf, hat das Wiederanknüpfen nicht einfacher gemacht. Dennoch, für mich bleibt es dabei: Die Zweistaatenlösung ist noch immer der einzig realistische Weg. Das setzt voraus, dass ein zweiter Staat möglich bleibt und daraus speist sich die Kritik der internationalen Staatengemeinschaft an dem Ausbau der Siedlungen. Ich hoffe, dass nach der Regierungsbildung in Israel und vor einem Wahljahr in den USA noch eine neue Anstrengung für Frieden in Nahost unternommen wird.

Russland ist seit Jahrhunderten ein historischer Teil des europäischen Konzerts. Nun findet in Elmau ein G7-Treffen, also ohne Moskau, statt... Wie kann man Russland wieder in globalen Klangkörper integrieren?

Keiner kann ein Interesse an einer dauerhaften Isolation Russlands haben. Ganz im Gegenteil: Wir würden uns Bedingungen wünschen, unter denen aus den G7 wieder G8 werden könnten. Denn viele internationale Konflikte lassen sich nur mit Hilfe Russlands bewältigen. Moskaus Rückkehr an den Tisch der G8 führt über die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Ohne einen maßgeblichen Beitrag zur Entschärfung des Konflikts in der Ostukraine, den Moskau leisten kann und leisten muss, können wir nicht so tun, als hätte es die Krim-Annexion oder den Konflikt in der Ostukraine nie gegeben und zur Tagesordnung übergehen.

Wird Deutschland die Annexion der Krim hinnehmen?

Die Annexion der Krim ist und bleibt völkerrechtswidrig. Dass grundlegende Regeln des friedlichen Zusammenlebens der Völker auf solche Art und Weise verletzt und infrage gestellt werden, können wir nicht hinnehmen. Gemeinsam mit unseren EU-Partnern haben wir deshalb auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim mit unseren Sanktionen und einer konsequenten Politik der Nichtanerkennung eine klare Antwort gegeben.

Die baltischen Staaten und Polen fühlen sich durch Moskau bedroht. Wie sorgen die EU und Berlin für mehr Sicherheit?

Ich verstehe die Sorgen in den baltischen Staaten, insbesondere in Estland und Lettland mit ihren großen russischsprachigen Minderheiten von rund 25 Prozent. Ich war in dieser Amtszeit schon fünfmal im Baltikum, um Solidarität zu zeigen und den Balten zu versichern, dass wir die dortige Beunruhigung verstehen. Für uns ist klar: Als Mitglieder der NATO stehen die baltischen Staaten unter dem Schutz von Artikel 5 des NATO-Vertrages. Schon seit Beginn der Ukraine-Krise beteiligt sich Deutschland aktiv an den sogenannten Reassurance-Maßnahmen der NATO: bei AWACS-Überwachungsflügen, beim Air Policing, und bei der Marineüberwachung in der Ostsee. Beim NATO-Gipfel 2014 in Wales haben wir beschlossen, die Reaktionsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der Allianz zu erhöhen. Dazu bauen wir zum Beispiel gemeinsam mit Polen und Dänemark das multinationale Korps in Stettin (Szczecin) aus. Dazu kommt der Aufbau der Very High Readiness Joint Task Force, die Deutschland gerade beim deutsch-niederländischen Korps in Münster für die NATO voranbringt. Das alles sind Maßnahmen, die der veränderten Lage und damit auch den Sorgen in Osteuropa und in den baltischen Staaten Rechnung tragen.

Ist die Anerkennung des Kosovo eine Erbsünde der EU-Politik?

Von Russland werden gerne Vergleiche zwischen der Unabhängigkeit des Kosovo und der Krim-Annexion zitiert. Das ist aus meiner Sicht aber abwegig. Im Kosovo ist es zu ethnischen Säuberungen, Massenvergewaltigungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekommen. Darauf folgte ein langer politischer Prozess unter Einbindung der internationalen Gemeinschaft und des UN-Sicherheitsrates, mit dem Ziel, die kosovarische Bevölkerung zu schützen. Erst das Scheitern der fast zehnjährigen Bemühungen war letztendlich der Auslöser für die weitere völkerrechtliche Entwicklung bis hin zur Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Die Annexion der Krim hingegen wurde überhaupt erst durch eine Verletzung der Souveränität eines Nachbarstaates und einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot möglich. Aus meiner Sicht sind die Dinge nicht vergleichbar.

TTIP ist in Deutschland so unpopulär wie nirgends sonst. Wie kann man die Menschen von den Vorteilen des transatlantischen Handelsabkommens überzeugen?

Ich habe das Gefühl, dass in TTIP und die Verhandlungen manches hineingeheimnisst wird, was gar nicht Gegenstand des Abkommens ist. Es gibt doch unzählige Diskussionsveranstaltungen, wo Mitglieder der Bundesregierung, Parlamentarier und andere Verantwortliche über TTIP informieren. Wir führen viele Gespräche, wo wir uns offen und ehrlich mit den Ängsten und Befürchtungen der Bevölkerung auseinandersetzen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, den Verhandlungen diesen Mythos zu nehmen und uns auf das zu konzentrieren, worum es eigentlich geht: Ein Vertrag, der für beide Seiten des Atlantiks eine große, vielleicht sogar eine einzigartige Chance bietet, gemeinsam globale Standards zu setzen – in der Gewissheit, dass genau diese Standards sicherlich in zehn Jahren von anderen etabliert werden, wenn wir es jetzt nicht tun. Dass am Ende die von uns allen gewünschten hohen Standards herauskämen, wenn wir das Feld anderen überließen, lässt sich mindestens bezweifeln.

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