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Rede des Staatsministers für Europa, Michael Roth, bei der Gesprächsrunde zum Thema: „Sexuelle Minderheiten unter Druck: Was tun gegen Diskriminierung und Ausgrenzung?“
--es gilt das gesprochene Wort--
Herzlich willkommen im Auswärtigen Amt zu unserer heutigen Gesprächsrunde. Diese Veranstaltung war mir ein besonderes Herzensanliegen – gerade weil ich weiß, dass Homosexualität an vielen Orten auf der Welt immer noch ein Tabuthema ist, das lieber verschwiegen wird. Das Auswärtige Amt ist bekannt als offenes, tolerantes Haus, das sich weltweit für mehr Verständnis und Akzeptanz gegenüber Minderheiten jeder Art einsetzt. Und deshalb liegt mir auch viel daran, heute mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir der Diskriminierung und Ausgrenzung von LGBTI-Personen wirksam begegnen können.
Als Staatsminister bin ich viel unterwegs in Europa und der Welt. Auch wenn vielen meiner Gesprächspartner wohl bekannt sein dürfte, dass ihnen ein schwuler Politiker gegenübersitzt, ist mir selbst auf meinen Reisen offene Diskriminierung noch niemals begegnet.
Mir ist aber bewusst, dass viele Lesben, Schwulen, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle in den Ländern, die ich besuche, ganz andere Erfahrungen machen. Deshalb ist es mir wichtig, mich vor Ort auch mit Vertreterinnen und Vertretern von LGBTI-Gruppen auszutauschen – gerade dort, wo sexuelle Minderheiten immer noch viel stärker unter Druck stehen als hierzulande, wie beispielsweise in der Türkei, in Bulgarien oder auf dem westlichen Balkan.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Mein Engagement hat nicht in erster Linie damit zu tun, dass mich dieses Thema auch persönlich betrifft. Für jeden aufgeklärten Europäer sollte der Kampf gegen Homophobie ebenso selbstverständlich sein wie der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und die Ausgrenzung anderer Minderheiten.
Denn Europa ist doch mehr als nur ein Binnenmarkt und eine Währungsunion – wir sind vor allem eine einzigartige Wertegemeinschaft. Es reicht nicht, wenn europäische Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder der Schutz von Minderheiten nur auf dem Papier Bestand haben. Sie müssen auch im täglichen Miteinander gepflegt und verteidigt werden. In einer offenen, liberalen Gesellschaft ist das nicht die Kür, sondern die Pflicht – für jeden von uns. Akzeptanz und Toleranz gegenüber Minderheiten sind kein generöses Geschenk, sondern eine unverhandelbare Grundlage unseres Zusammenlebens in Europa!
Unsere eigene Geschichte in Deutschland gebietet, dass wir uns entschieden gegen jegliche Form der Diskriminierung und Ausgrenzung einsetzen.
Damit meine ich nicht nur die Verfolgung von Homosexuellen zur Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch die Diskriminierung in der Zeit danach, in der der Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs bis 1969 in der NS-Fassung von 1935 zehntausendfach angewendet wurde. Erst 1994 wurden die Restbestände des Paragraphen 175 gänzlich abgeschafft.
Ja, In den vergangenen Jahren sind wir in Deutschland weit voran gekommen. Doch auch hierzulande bleibt auf dem Weg zur vollständigen rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften immer einiges zu tun. Und unabhängig von der geltenden Rechtslage sind homophobe Klischees und Vorurteile auch in Deutschland immer noch an der Tagesordnung.
Denn selbst mitten in Europa gehört es leider immer noch nicht zur Normalität, im Alltag offen mit der eigenen Homosexualität umzugehen.
Das hat uns zuletzt auch die EU-Grundrechteagentur nochmal ins Stammbuch geschrieben, die eine große Umfrage unter 93.000 Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in den 28 Mitgliedstaaten der EU durchgeführt hat. Die Ergebnisse zeigen: Viele von ihnen leiden immer noch unter Diskriminierung, ja teilweise sogar unter physischer Gewalt. Viele verheimlichen ihre Identität und leben in Isolation oder sogar Angst. Es ist bedrückend, dass 66 Prozent der Befragten sich nicht trauen, in der Öffentlichkeit die Hand ihres gleichgeschlechtlichen Partners zu halten.
Und lassen Sie uns nicht vergessen, wie dramatisch es anderswo in der Welt aussieht: In mehr als 75 Staaten werden Angehörige sexueller Minderheiten immer noch strafrechtlich verfolgt. Häufig drohen ihnen lange Haftstrafen – und in sieben Staaten in Afrika und der arabischen Welt sogar das Todesurteil Im Jahr 2015 ist das beschämend und skandalös!
Die Bundesregierung setzt sich aktiv gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten ein. Auf bilateraler und multilateraler Ebene arbeiten wir daran, dass LGBTI-Rechte weltweit als untrennbarer Bestandteil der Menschenrechte geachtet werden. Wichtig ist mir dabei, dass wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf die Staaten richten, die sowieso schon im Fokus der medialen Aufmerksamkeit stehen.
Die Bundesregierung wendet sich konsequent gegen jegliche Form von Menschenrechtsverletzungen, wo immer auch sie stattfinden. Dabei müssen wir aber immer sicherstellen, dass etwaige Sanktionen auch tatsächlich die Verantwortlichen treffen, und nicht die Opfer der Menschenrechtsverletzungen.
Ebenso wichtig ist es, dass wir nicht nur auf negative Entwicklungen reagieren, sondern auch aktiv unseren Beitrag zu einem langfristigen positiven gesellschaftlichen Wandel leisten. Deshalb unterstützt die Bundesregierung Menschen, die einen solchen Wandel befördern können, politisch und finanziell bei ihrer Arbeit.
Wir brauchen vitale Zivilgesellschaften mit engagierten und couragierten Menschen, die bereits sind, sich einzumischen, mitzumachen und der Politik auch mal den Spiegel vorzuhalten. Menschenrechtsverteidiger, aber auch Künstler, Anwältinnen, Journalistinnen und Politiker müssen in die Lage versetzt werden, sich zu vernetzen, Kapazitäten aufzubauen, Räume und Ideen für einen Wandel zu schaffen und in ihrer Gesellschaft voranzutreiben. Viele unserer Auslandsvertretungen haben mittlerweile einen engen Austausch mit LTBI-Gruppen etabliert.
Ich freue mich, dass wir jetzt die Gelegenheit haben, uns mit unseren Gästen über die Lage und Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in Europa auszutauschen. Alle Gäste haben eines gemeinsam:
Sie legen mit Ihren Aktivitäten immer wieder den Finger in die Wunde. Auf dem langen, steinigen Weg zu mehr Toleranz und Gleichberechtigung brauchen wir couragierte Mitstreiter wie Sie! Ich freue mich auf eine anregende Diskussion mit Ihnen und heiße Sie alle nochmals herzlich willkommen!