Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Deutschland und Israel: 50 Jahre Verantwortung

27.12.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel im Jahr 2015. Erschienen in der Jewish Voice from Germany (27.12.2014).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel im Jahr 2015. Erschienen in der Jewish Voice from Germany (27.12.2014).

***

Im neuen Jahr feiern wir das fünfzigjährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. So ein Anlass mag manchem heute wenig spektakulär erscheinen, vielleicht sogar etwas formalistisch. Aber seinerzeit war die Entscheidung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem jüdischen Staat und Deutschland alles andere als eine Formsache. Vor allem in Israel ging diesem Schritt eine Phase heftiger politischer Debatten voraus. Im Gedächtnis von Hunderttausenden waren der Holocaust und die Trauer um die von Deutschen ermordeten Angehörigen fest eingebrannt.

Es war deshalb keineswegs selbstverständlich, dass das der neue deutsche Staat, die Bundesrepublik Deutschland, als Partner akzeptiert würde. Weitsichtige Politiker von David Ben-Gurion und Konrad Adenauer bis Shimon Peres und Johannes Rau brachten die Annäherung zwischen beiden Ländern voran; viele engagierte Menschen auf beiden Seiten haben dieses Werk fortgeführt. So ist eine Partnerschaft und Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern entstanden, deren Dichte und Tiefe sich vor fünfzig Jahren kaum jemand vorstellen konnte.

Voraussetzung für diese einzigartige Erfolgsgeschichte war zweierlei: Zum einen, dass Israel dem Land der Täter, Deutschland, die Hand zur Versöhnung gereicht hat. Zum anderen, dass Deutschland seine Verantwortung für die Verbrechen des Holocaust angenommen hat und auch Verantwortung für die Existenz und Sicherheit des Staates Israel übernommen hat.

Die erste Dimension dieser Verantwortung bedarf kaum weiterer Erklärung. Bis heute stellen das gemeinsame Gedenken an die Shoa und der gemeinsame Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ein wesentliches Element der Beziehungen dar.

Die erschreckenden Ausbrüche von Judenhass, die Parolen und Übergriffe, die wir während des Gaza-Kriegs im vergangenen Jahr in deutschen Städten erleben mussten, haben aber gezeigt, dass dieser Kampf nichts an Dringlichkeit und Aktualität verloren hat.

Klar ist: Antisemitismus ist eine Gefahr nicht nur für Juden, sondern für die demokratische Gesellschaft insgesamt. Der Aufgabe, Hass auf den Straßen und in den Köpfen entgegenzutreten, muss sich deshalb auch die ganze Gesellschaft stellen. Juden müssen in Deutschland sicher leben und sich frei und ohne Angst bewegen können. Das ist ein Teil der Verantwortung, von der wir sprechen.

Aber was bedeutet es, wenn wir sagen, dass Deutschland auch Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel übernimmt?

Ein solcher Fall ist der Atomkonflikt mit Iran. Israel sieht sich wie kein anderes Land von der Perspektive einer nuklearen Aufrüstung des Iran bedroht. Die unsäglichen Vernichtungstiraden des iranischen Revolutionsführers gegen den jüdischen Staat bestärken uns darin, diese Sorge ernst zu nehmen.

Gemeinsam mit unseren Partnern sind wir überzeugt, dass der realistischste Weg, eine atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern, in der Kombination aus politischem und wirtschaftlichem Druck und Verhandlungen besteht. Deshalb haben wir gemeinsam mit den Partnern schrittweise ein wirksames Sanktionsregime aufgebaut, und deshalb verhandeln wir seit Ende 2013 im Rahmen der E3+3 mit dem Iran über eine friedliche Lösung.

Dabei ist für Deutschland klar: einer Einigung werden wir nur zustimmen, wenn sie einen iranischen Weg zur Atombombe unzweideutig, nachprüfbar und dauerhaft ausschließt -gerade weil wir nicht nur im eigenen Namen verhandeln, sondern auch andere, vor allem für Israel, Verantwortung tragen.

Auch aus diesem Grund sind wir bei den Verhandlungen in Wien nicht in der selbstgesetzten Frist bis zum 24. November zu einem Abschluss gekommen. Dennoch hat es in einem Jahr Verhandlungen echte Fortschritte gegeben, und deswegen waren wir uns mit unseren Partnern einig, jetzt noch nicht aufzugeben. Wir haben uns jetzt noch einige wenige Monate Zeit genommen, um zu versuchen, die noch bestehenden Differenzen auszuräumen.

Das offensichtlichste Beispiel von Verantwortung für Israels Sicherheit ist aber der tragische Konflikt mit den Palästinensern. Ganz Deutschland hat im letzten Sommer die Angriffe der Hamas auf Israel mit großer Sorge und Anteilnahme verfolgt. Die jüngsten Auseinandersetzungen in und um Jerusalem und die zunehmenden Terrorakte gegen unschuldige Zivilisten zeigen: Der Status Quo ist unhaltbar. Für uns ist klar: Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bietet nur eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung.

Weil wir Verantwortung für Israels Sicherheit tragen, stehen wir mit unseren europäischen Partnern bereit, eine Friedenslösung politisch und wirtschaftlich zu unterstützen. Deswegen habe ich im Sommer mit meinem britischen und französischen Amtskollegen Vorschläge gemacht, wie Europa einen nachhaltigen Waffenstillstand für Gaza unterstützen könnte, der einerseits Israels Sicherheitsbedürfnissen Rechnung trägt und andererseits der Bevölkerung in Gaza wieder Entwicklungsperspektiven eröffnet. Dazu müssten allerdings zunächst einmal die seit September stockenden Verhandlungen zwischen den Parteien in Kairo wieder in Gang kommen.

Ich weiß, dass angesichts des jahrzehntealten Misstrauens jedes Zugehen auf die andere Seite für Israelis wie für Palästinenser mit schmerzlichen Kompromissen verbunden ist, auch wenn uns diese Schritte aus der Ferne einfach vorkommen. Aber es führt kein Weg daran vorbei: wenn wir die Logik von Gewalt und Gegengewalt überwinden wollen, müssen wir besser früher als später einen Wiedereinstieg in die Verhandlungen für eine Zwei-Staaten-Lösung finden. Israelis und Palästinenser an diese Perspektive zu erinnern und zu helfen, Wege dorthin offenzuhalten, vielleicht ist auch das Teil unserer Verantwortung für Israels Sicherheit.

Fünfzig Jahre nach den zögerlichen Anfängen sind Deutschland und Israel enge Freunde und Partner geworden. In fünfzig Jahren ist ein enges Geflecht entstanden, das sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasst.

Ausgerechnet ein Schokopudding wurde im letzten Jahr zum Symbol für ein neues Phänomen, das zeigt, wie eng diese Beziehung inzwischen geworden ist- und gleichzeitig auch dafür, dass sie auch nach fünfzig Jahren eben doch noch nicht selbstverständlich ist: Tausende junge Israelis sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen, wo sie nicht zuletzt das lebendige Kulturleben und die kreative Startup-Szene der Stadt bereichern. Ein anderer Aspekt, der sie nach Berlin lockt, sind aber auch die günstigen Lebenshaltungskosten.

Das Foto eines Schokopuddings - samt seinem erstaunlich niedrigen Preis - in einem Berliner Discounter postete eine Gruppe junger Israelis auf Facebook, mit einem provokanten Text, der aus Protest gegen hohe Lebensmittelpreise in Israel zur Auswanderung nach Berlin aufruft. Das Puddingfoto löste einen Sturm der Entrüstung aus – nicht nur wegen der politischen Botschaft, sondern auch, weil die Vorstellung, dass junge Israelis heute Deutschland als ihre – vielleicht auch nur vorübergehende Heimat – wählen, für Manche immer noch schwer zu akzeptieren ist.

Trotzdem dürfen wir stolz auf das sein, was wir in diesen fünfzig Jahren erreicht haben. Denn die Annäherung zwischen Israel und Deutschland ist mehr als ein Elitenprojekt: sie wäre in dieser Form gar nicht vorstellbar gewesen ohne das breite Engagement vieler Menschen in beiden Gesellschaften für die Aussöhnung.

Im Jubiläumsjahr 2015 wollen wir deshalb gemeinsam die Menschen in den Blick rücken, die diesen Prozess möglich gemacht haben. Wir werden mit einer Serie von Veranstaltungen in ganz Israel die vielen Facetten dieser Partnerschaft sichtbar machen, von der Wissenschaftszusammenarbeit, dem Sport, zahlreichen Städtepartnerschaften und Jugendaustausch bis hin zu zukunftsweisenden Themen wie Energieerzeugung, alternativen Transportsystemen oder gegenseitigem Lernen bei Start-ups und Innovationen. Und ganz viel Kultur soll es geben! Deutsche in Israel und Israelische in Deutschland!

Zu feiern gibt es also viel mehr als nur das Bestehen diplomatischer Beziehungen. Das Jubiläum ist vor allem auch das einer einzigartigen Geschichte von Versöhnung, Freundschaft und Kooperation. Diese unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte soll 2015 im Mittelpunkt stehen– eine Brücke, die aus der Vergangenheit in die Zukunft reicht.

Verwandte Inhalte

Schlagworte

nach oben