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„Es geht darum, den Ukraine-Konflikt zu entschärfen“

01.12.2014 - Interview


Im Interview mit bild.de sprach Außenminister Steinmeier über die Ukraine-Krise, die Lage im Balkanstaat Moldau und den Kampf gegen die Terrororganisation ISIS. Erschienen am 29. November 2014.

Herr Minister, Russlands Präsident Putin lässt Kriegsschiffe in den Ärmelkanal fahren und provoziert mit Bomber-Flügen über der Ostsee. Wie ernst nehmen Sie dieses Säbelrasseln?

Das ist nichts, was zur Entschärfung beiträgt, und auch überflüssig; aber zu allen Zeiten, und völlig unabhängig vom Ukraine-Konflikt, fahren russische Kriegsschiffe in internationalen Gewässern, auch durch den Ärmelkanal, fliegen russische Kampfflugzeuge durch internationalen Luftraum und dürfen das nach den Regeln des Völkerrechts auch. Wir müssen das nicht gut finden, sollten das auch nicht überbewerten.

Am Sonntag wird im Balkanstaat Moldau gewählt. Wie groß ist die Gefahr, dass dem Land unter russischem Einfluss eine ähnliche Zerreißprobe droht wie der Ukraine?

Das ist nicht vergleichbar. Auf jeden Fall müssen wir alles tun, um zu verhindern, dass Moldau auf einen solchen Krisenpfad gerät. Wir erwarten von allen Seiten, dass es vor, während und nach den Wahlen keine unbotmäßige Einflussnahme von außen gibt.

Moldau strebt - wie die Ukraine - in die EU. Befürworten Sie einen Beitritt?

Die Frage stellt sich doch zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht. Moldau ist eines der ärmsten Länder in Europa – dazu ein Land mit großen innenpolitischen Spannungen und einem großen Problemstau. Die Wähler haben jetzt die Wahl, ob sie den langen und beschwerlichen Reformweg in Richtung Marktwirtschaft fortsetzen wollen. Wir jedenfalls unterstützen Moldau dabei, dass es wirtschaftlich vorankommt, zuletzt zum Beispiel mit Vereinbarungen über visafreies Reisen.

Ihr Parteifreund Egon Bahr ist dafür, die russische Annexion der Krim zwar nicht offiziell anzuerkennen, aber als politische Tatsache hinzunehmen...

Egon Bahr, den ich sehr schätze, argumentiert aufgrund seiner Erfahrungen in der Ostpolitik der sechziger und siebziger Jahre. Das war eine ganz andere Situation. Wenn heute, sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs, Grenzen willkürlich verändert und Völkerrecht verletzt wird, dann können wir das nicht ignorieren und zur Tagesordnung übergehen. Das steht zwischen uns – entbindet uns allerdings nicht von der Verantwortung, dennoch mit allen Möglichkeiten an der Entschärfung des Konflikts zu arbeiten.

Ganz ehrlich, Herr Minister: Gab oder gibt es bezüglich des Umgangs mit Russlands Präsident Putin Meinungsunterschiede zwischen Ihnen und Kanzlerin Merkel?

Worum geht es denn wirklich? Es geht darum, einen Konflikt in der Ukraine zu entschärfen und eine neue Spaltung Europas zu verhindern. Das ist gemeinsame Politik der deutschen Bundesregierung. Und da bringen sich die Bundeskanzlerin und der Außenminister mit ihren jeweiligen Erfahrungen und Fähigkeiten voll ein. Und das mit größtem Einsatz und vollem Bewusstsein um die Verantwortung Deutschlands!

Kann die Ukraine denn überhaupt noch auf die Beine kommen?

Die neue Regierung in Kiew hat unsere volle Unterstützung, wenn sie das tut, was sie sich nun vorgenommen hat, nämlich durchgreifende Reformen an Haupt und Gliedern. Fast die Zeit einer Generation ist zuvor verschenkt worden, auch nach der Orangenen Revolution. Jetzt ist der Moment zu handeln, um so schnell wie möglich zurückzufinden zu wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Stabilität. Das wird ein steiler und steiniger Weg für die Ukraine und wird auch uns Nachbarn noch für eine Reihe von Jahren fordern.

Sie haben letzte Woche ausführlich mit Putin gesprochen. Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?

Wir haben ein unterschiedliches Bild von den Ursachen des Ukraine-Konflikts. Die russische Sicht ist wie ein geschlossenes Weltbild, sieht Fehler fast ausschließlich aufseiten des Westens. Das sind schwierige Gespräche, aber notwendige ebenso! Zwei Dinge bleiben dennoch festzuhalten – Erstens: Obwohl wir zweifellos kaum vorangekommen sind, will Moskau an den Minsker Vereinbarungen festhalten. Zweitens erkenne ich das Interesse Moskaus, mit dem Westen über die großen Konflikte der Welt, wie in Syrien und im Irak, im Gespräch zu bleiben.

Der zweite Großkonflikt in diesem Jahr: In den letzten Tagen hatte es den Anschein, als könne der ISIS-Vorstoß im Irak gestoppt werden. Ist das die Wende?

Diese Frage würde ich gern mit Ja beantworten. Aber das wäre voreilig. Es gibt an einigen Fronten Fortschritte, das stimmt, aber ISIS ist noch lange nicht geschlagen. In den letzten Wochen hat immerhin der Nimbus der Unbesiegbarkeit von ISIS zu bröckeln begonnen. Wir müssen verhindern, dass sich die Terroristen in den eroberten Gebieten dauerhaft festsetzen.

Warum tut sich die Welt so schwer, mit einer Bande islamistischer Terroristen fertig zu werden?

Alle Erfahrung, aus Afghanistan und den ersten beiden Irak-Kriegen, lehrt uns: Wirklich besiegen kann man Gruppen wie ISIS nicht aus der Luft. Und da niemand bereit ist, Bodentruppen zu entsenden, kann man nur auf lokale Kräfte setzen: die irakische Armee, die freie syrische Armee und kurdische Peschmerga, die viel Unterstützung brauchen, um im Kampf gegen ISIS zu bestehen.

Können Sie sich vorstellen, dass am Ende sogar Syriens Präsident Assad zum Verbündeten des Westens gegen ISIS werden könnte?

Das ist nach mehr als 200.000 Toten für mich nicht denkbar. Nachdenken müssen wir aber darüber, wie wir in Syrien Schritte zu einem Ende der inzwischen völlig entgrenzten Gewalt gehen können. Es dauert nicht mehr lange, bis die Hälfte der Syrer vor Gewalt und Krieg auf der Flucht sein werden. Die Vorschläge des UN-Sondergesandten de Mistura, jetzt zunächst kleinere beruhigte Zonen und lokale Waffenruhen hinzubekommen, sind richtig. Das ist keine politische Lösung, wäre aber ein kleiner Anfang.

Die Fragen stellte Rolf Kleine. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Axel-Springer-Verlags.

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