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„Das Virus setzt bei den nobelsten Gefühlen an“
Der Ebola-Beauftragte der Bundesregierung Walter Lindner über die Menschen in den Krisenländern, die Strapazen der freiwilligen Helfer und Pläne für „Weißhelme“. Erschienen im Tagesspiegel vom 02.11.2014.
Der Ebola-Beauftragte der Bundesregierung Walter Lindner über die Menschen in den Krisenländern, die Strapazen der freiwilligen Helfer und Pläne für „Weißhelme“. Erschienen im Tagesspiegel vom 02.11.2014.
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Herr Lindner, Sie sind erst kürzlich von Ihren Reisen in die Ebola-Länder zurückgekehrt. Dürfen wir Ihnen die Hand geben?
Nein, ich vermeide bewusst jeden Körperkontakt. Das entspricht den Vorsichtsmaßnahmen, die auch in den von Ebola betroffenen Staaten gelten. Daran hält sich jeder – ohne Ausnahme. Man bemüht sich, Menschenansammlungen zu meiden. Die Schulen und Universitäten sind geschlossen. Ich kontrolliere 21 Tage lang meine Körpertemperatur, denn so lange dauert die Inkubationszeit bei Ebola, das in der Regel mit Fieber beginnt.
Können Sie persönlich die Angst vor einer Ansteckung ausblenden?
Angst ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich habe schon einen Heidenrespekt vor diesem Virus. Ich war inzwischen zweimal in Westafrika, insgesamt fast zwei Wochen – immer mit dem Gefühl: Pass auf! Da ist immer dieser Gedanke, ob man vielleicht gerade eine Türklinke anfasst, die vorher jemand berührt hat, der Ebola-Symptome zeigt. Und diese Selbstbeschau des Körpers. Man wacht auf und fragt sich: Habe ich jetzt nicht Kopfweh, ist mir nicht heiß? Das ist zwar irrational, aber es belastet einen.
Wie halten die Menschen in Westafrika das aus?
Es ist sehr schwer für sie, menschliche Regungen wie Umarmungen oder Händeschütteln zu unterdrücken. Ganz schlimm ist es natürlich, wenn man Erkrankte in seiner Nähe hat. Stellen Sie sich vor, Ihr eigenes Kind wird von Männern in Schutzanzügen abgeholt, es ruft nach Ihnen, doch Sie dürfen es nicht einmal mehr berühren. Ich habe mit Müttern gesprochen. Die haben mir gesagt, sie wären lieber mit ihrem Kind gestorben als es wegzugeben. Das ist ja das Teuflische an diesem Virus, dass es bei den nobelsten Gefühlen des Menschen ansetzt: Zuneigung, Zuwendung, Liebe, Fürsorge.
Das klingt, als sei die Epidemie der grausamen Fantasie eines Schriftstellers entsprungen.
Leider ist sie Realität. Viele Menschen wollen ihre erkrankten Angehörigen nicht einfach so liegen lassen, sie halten ihnen die Hand beim Sterben. Doch bei Ebola kann das tödlich sein. Der Hauptübertragungsweg in Westafrika sind Bestattungen. Die örtlichen Riten und Traditionen bieten der Übertragung des Ebola-Virus einen fruchtbaren Nährboden. 60 bis 70 Prozent der Erkrankten haben sich bei Beerdigungen angesteckt. Muslime waschen ihre Toten, andere kleiden sie an und halten ihnen die Hand. Wenn sie das nicht tun, ist nach ihrem Glauben die Seele des Toten verloren. Wie soll man diese Menschen überzeugen, dass sie auf ihre Bräuche verzichten sollen?
Wie gehen die Behörden in Guinea, Liberia und Sierra Leone damit um?
Man kann und muss vor allem Aufklärung betreiben. Die Regierungen richten Appelle an die Bevölkerung, in Liberia sind Beerdigungen nach den lokalen Bräuchen sogar verboten worden. Viele Tote werden nun verbrannt, was dort völlig unüblich ist.
Ist die Epidemie nicht längst außer Kontrolle geraten?
Wie lange es dauert, die Epidemie in den Griff zu bekommen, weiß ich nicht. Das weiß niemand. Wir haben hier auch eine völlig neue Situation: für die UN, die Staatengemeinschaft, für jeden von uns. Auch daher wurden am Anfang Fehler gemacht. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir es schaffen werden. Wenn man in Westafrika unterwegs ist, erkennt man zwar die Dimension der Epidemie, aber man sieht eben auch, wie viele Helfer inzwischen vor Ort sind. Und es gibt Staaten wie Nigeria, die es durch schnelles und konsequentes Eingreifen geschafft haben, eine Verbreitung der Krankheit zu verhindern.
Australien etwa gibt keine Visa für die Ebola- Länder mehr aus. Ist nun totale Abschottung nötig?
Nein. Das Wichtigste ist: Wir müssen Ebola isolieren und nicht die Ebola-Länder. Wir müssen alles tun, damit die Epidemie sich nicht aus diesen Ländern ausbreitet. Aber wir dürfen diese Länder nicht durch unnötige Isolierung noch stärker belasten. Vor Ort ist es wichtig, dass die Bevölkerung im Erkennen und im Umgang mit dem Virus sensibilisiert wird. Wir müssen unsererseits dafür Sorge tragen, dass die Helfer, die wir in die betroffene Region schicken, gut ausgebildet und ausgerüstet sind. Und natürlich ist auch ein vernünftiges Kontrollsystem an den Flughäfen hier ein wichtiger Schutz. Für jene, die aus dem Einsatz zurückkehren, ist es aber auch wichtig, dass sie, so wie ich auch, ihren Körper ganz genau beobachten, um mögliche Symptome so früh wie möglich zu entdecken.
Besteht die Gefahr, dass in Westafrika auch die Wirtschaft und staatliche Strukturen kollabieren?
Die Lage ist in allen drei Ländern kritisch. Liberia und Sierra Leone waren gerade erst dabei, nach langen Bürgerkriegen wieder auf die Beine zu kommen. Das soziale und wirtschaftliche Leben ist zum Teil massiv beeinträchtigt. Es gibt Produktionsausfälle in der Landwirtschaft und Einschränkungen beim Handel. Die Arbeitslosigkeit steigt. Schulen und Universitäten sind geschlossen. Natürlich müssen wir die weitere Verbreitung des Ebola-Virus mit allen Mitteln verhindern, aber wir müssen gleichzeitig auch dafür sorgen, dass staatliche Strukturen erhalten und gestützt oder auch aufgebaut werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Staaten durch das Ebola-Virus ins Chaos abgleiten.
Wäre es nicht besser, jetzt noch mehr Geld in die Hand zu nehmen und einen Marshallplan für die Region aufzustellen, statt später jahrzehntelang mit den Folgen zu leben?
Das geschieht doch schon. Die UN, die EU, wir Deutschen und andere arbeiten bereits gemeinsam daran, die Folgen der Ebola-Krise zu bekämpfen. So erhalten zum Beispiel die betroffenen Staaten Budget-Hilfen, damit sie ihre Gesundheitssysteme aufrechterhalten und ihre Sicherheitskräfte bezahlen können, die unter anderem die Quarantäne einzelner Dörfer oder Stadtteile überwachen. Zudem wird es darum gehen, zukünftig beispielsweise den Gesundheitssektor oder auch die Infrastruktur, hier denke ich insbesondere an die Wasserversorgung, zu stärken und auszubauen.
Die EU hat mehr als 800 Millionen Euro für den Kampf gegen Ebola zur Verfügung gestellt. Wer behält den Überblick über die internationale Hilfe?
Wichtig ist zunächst einmal, dass wir als Staatengemeinschaft hier alle an einem Strang ziehen. Klar ist: Es ist Geld da, und es geht im Moment vor allem darum, die Hilfe zu koordinieren, damit sie so schnell und so effektiv wie möglich dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird. Das machen hauptsächlich die UN, die darin Erfahrung haben. Und es ist eine Herausforderung, genügend Helfer zu finden, die dort hingehen und Erkrankte behandeln.
Wo sollen die herkommen? Es kursieren Zahlen, wonach bis zu 40 000 Helfer benötigt werden. In Deutschland sind aber nur etwa 500 Freiwillige ausgesucht worden, 200 vom Roten Kreuz, 300 von der Bundeswehr.
Ich wäre bei den Zahlen vorsichtig. Prognosen sind sehr schwer. Und: Man muss sehr genau hinschauen, wen man wirklich in die Krisenländer schicken kann. Die Helfer müssen psychisch stabil und körperlich absolut fit sein. Wer sich meldet, zeigt Zivilcourage.
Was erwartet zum Beispiel einen Arzt oder Sanitäter dort?
Die Arbeit ist außergewöhnlich strapaziös. Die Temperatur in den Krisenländern liegt ohnehin schon bei rund 35 Grad bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit. In den Zelten der Helfer ist es noch heißer. Dann müssen sie den luftdichten Anzug tragen. Darin steigen die Temperaturen auf 49 Grad. In diesen müssen sie eine Stunde lang arbeiten. Ich habe Helfer gesehen, die aus einem Behandlungszelt kamen. Als sie die Stiefel auszogen, flossen drei oder vier Liter Schweiß heraus.
Wie sieht die Planung der deutschen Hilfe vor Ort konkret aus?
Das Deutsche Rote Kreuz wird etwa zusammen mit der Bundeswehr und mithilfe des Technischen Hilfswerks in Monrovia ein Behandlungszentrum mit 100 Betten übernehmen. Anfangs war geplant, dass die Deutschen ein eigenes Behandlungszentrum aufbauen, doch inzwischen ist entschieden worden, dass die Weltgesundheitsorganisation in Liberia alle Behandlungszentren errichtet und einzelne Organisationen diese dann übernehmen. Und in Kenema in Sierra Leone wird in einer Behandlungsstation des Internationalen Roten Kreuzes eine signifikante Bettenzahl vom Deutschen Roten Kreuz übernommen. Für den Fall, dass sich einer unserer Helfer trotz aller Sicherheitsvorkehrungen mit dem Ebola-Virus vor Ort anstecken sollte und ein Rücktransport nach Deutschland erfolgen muss, steht unsere Rettungskette.
Die westliche Welt hat spät auf die Epidemie reagiert. Warum lief die Hilfsmaschinerie erst an, als Ebola auch für uns zu einem Sicherheitsrisiko wurde?
Es ist richtig, wir haben zu spät auf Ebola reagiert. Ich werde aber jetzt nicht nach den Ursachen des späten Handelns forschen. Wir brauchen alle unsere Energie, um die Krise zu bewältigen. Hierzu gehört auch, dass wir schon jetzt daran denken, wie wir zukünftig auf derartige Krisen besser und vor allem schneller reagieren können. Hier gibt es auf Initiative von Außenminister Steinmeier ja auch schon auf EU-Ebene Überlegungen, sogenannte „Weißhelme“, also eine spezielle Gruppe von medizinischem Personal, aufzubauen.
Interview: Hans Monath und Ulrike Scheffer. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegels.