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Warum Deutschland Waffen in den Nordirak liefert

04.09.2014 - Interview

Humanitäre und militärische Hilfe alleine reichen nicht aus, um die Terrororganisation Islamischer Staat wirkungsvoll zu bekämpfen. Es bedarf einer internationalen politischen Strategie, um dem Morden Einhalt zu gebieten. Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Erschienen in der österreichischen Zeitung „Die Presse“ (04.09.2014).

Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Erschienen in der österreichischen Zeitung „Die Presse“ (04.09.2014).

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Humanitäre und militärische Hilfe alleine reichen nicht aus, um die Terrororganisation Islamischer Staat wirkungsvoll zu bekämpfen. Es bedarf einer internationalen politischen Strategie, um dem Morden Einhalt zu gebieten.

Mit ungeheurer Brutalität rücken die Terrorgruppen des „Islamischen Staates“ (IS) vor. Sie ermorden und vertreiben alle, die sich ihnen in den Weg stellen, sie versklaven und erniedrigen Andersdenkende in ihrem Herrschaftsbereich. Jesiden, Christen, aber auch Muslime, die sich nicht ihrer radikalen Ideologie beugen wollen, müssen alles aufgeben und fliehen, um ihr nacktes Leben zu retten. IS kontrolliert inzwischen ein grenzüberschreitendes Gebiet mit über fünf Millionen Menschen, Städten, Ölquellen, Staudämmen und Flughäfen. Beunruhigend ist, dass zu diesen Terroristen auch eine wachsende Zahl von Menschen aus Europa gehört.

Mit den erbeuteten modernen Waffensystemen und erheblichen finanziellen Mitteln ist IS zu einer existenziellen Bedrohung für die Region Kurdistan-Irak, für das irakische Staatswesen, ja die ganze, ohnehin durch Krisen destabilisierte Ordnung des Mittleren Ostens geworden. Ohne das entschlossene Eingreifen der Vereinigten Staaten wäre der letzte Vormarsch von IS von den schlecht(er) ausgerüsteten kurdischen Sicherheitskräften wohl nicht zu stoppen gewesen.

Humanitäre Hilfe

In dieser dramatischen Lage hat die Bundesregierung entschieden, den flüchtenden Menschen in Not humanitäre Hilfe zu leisten und die kurdische Regionalregierung im Kampf gegen IS zu unterstützen, mit Nahrung, Decken, Zelten, Stromaggregaten, aber auch mit Waffen und militärischer Ausrüstung. Das hat in Deutschland zu intensiven Debatten geführt. Manche wollen darin gar eine fundamentale Veränderung der deutschen Außenpolitik sehen.

Ich teile diese Einschätzung nicht. Richtig ist: Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung, und das nicht nur im Kampf gegen IS, im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan, in Afrika. Besonders engagieren wir uns in europäischer Abstimmung in der brandgefährlichen Krise in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, zwischen Russland und der Ukraine. Unsere Verantwortung ist immer konkret. Sie leitet sich daraus ab, wie weit fundamentale Prinzipien einer friedlichen und gerechten internationalen Ordnung gefährdet sind, wie weit unsere eigenen Interessen berührt sind und wie weit unsere engsten Partner und Verbündeten betroffen sind.

Unsere Skepsis gegenüber militärischen Interventionen und unser restriktiver Ansatz beim Export von Waffen sind politisch gut begründet und tief im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert. Es gibt keinen Paradigmenwechsel hinsichtlich unserer außenpolitischen Prinzipien, zu denen auch das Gebot militärischer Zurückhaltung gehört! Aber wir können und dürfen angesichts der tatsächlichen Gefahren und Bedrohungen auch für unsere Sicherheit und unsere Interessen nicht nur über Grundsätze reden oder uns gar dahinter verstecken.

Wir sehen die Risiken und Dilemmata, wir entscheiden über unser Handeln oder Nichthandeln im Wissen um die damit verbundenen Widersprüche, im Lichte unserer Werte und Interessen, mit größtmöglicher Sorgfalt und in enger Absprache mit unseren europäischen, transatlantischen und regionalen Partnern.

Wo Massenmord droht und die Stabilität und Ordnung von Staaten und ganzen Regionen in Gefahr gerät, wo politische Lösungen ohne militärische Begleitung keine Aussicht auf Erfolg haben, müssen wir bereit sein, ehrlich die Risiken eines eigenen Engagements gegen die Folgen des Nichtstuns abzuwägen.

Beteiligung in Afghanistan

So haben wir uns 1999 im Kosovo und im Jahr 2001 in Afghanistan für eine deutsche Beteiligung an einem internationalen Militäreinsatz entschieden. Und immer noch aus guten Gründen war Deutschland 2003 gegen eine militärische Intervention im Irak.

Unser Engagement gegen den „Islamischen Staat“ fängt nicht bei Waffenlieferungen an und hört auch nicht damit auf. IS kann man weder allein mit humanitären noch mit militärischen Mitteln beikommen. Wir müssen in der internationalen Gemeinschaft eine breiter angelegte und schlüssige politische Strategie entwickeln, um dieser Terrororganisation systematisch entgegenzutreten. Ich sehe dafür vor allem vier Elemente: eine neue, handlungsfähige irakische Regierung in Bagdad, die alle Bevölkerungsgruppen einbindet und IS durch einen politischen Schulterschluss mit den sunnitischen Stämmen den Nährboden entzieht. Intensive Diplomatie mit dem Ziel einer Verständigung unter den Staaten der Region, gemeinsam gegen die Bedrohung durch IS vorzugehen.

Schließlich eine klare Distanzierung aller Autoritäten der islamischen Welt, um die von den Propagandisten und Ideologen des „Islamischen Staats“ behauptete religiöse Legitimität ihrer Barbarei als blanken Zynismus zu entlarven. Und viertens entschlossene Maßnahmen, um den Zustrom an Kämpfern und Geld zu erschweren und zu unterbinden.

Vielen Menschen in Deutschland und Europa scheint es, als gerate die Welt aus den Fugen, im Krisenbogen vom Maghreb bis in den Mittleren Osten, aber auch im Osten Europas. Krisen und Konflikte rücken näher an uns heran, auch in unserer europäischen Nachbarschaft gelten Gewissheiten nicht mehr, die wir 25 Jahre lang für selbstverständlich gehalten hatten.

Abschotten ist nicht möglich

Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten uns von einer in Unordnung geratenen Welt einfach abschotten – und vielleicht gerade noch humanitär helfen. Unser Wohlstand und unsere Sicherheit hängen von unserer beispiellosen politischen und wirtschaftlichen Vernetzung mit der ganzen Welt ab. Wo Ordnung zerfällt – erst recht in der Nähe der Außengrenzen Europas – da sind auch wir betroffen.

Deshalb müssen wir uns selbst nüchtern fragen: Was können und was müssen wir tun? Dabei sollten wir uns stets auch der Grenzen unserer Möglichkeiten bewusst sein: Deutschland ist das größte Land in der Europäischen Union, politisch stabil und wirtschaftlich stark, aber was wir politisch, humanitär und militärisch zu Konfliktlösungen beitragen können, wird erst im Zusammenwirken mit anderen Gewicht haben und Wirkung entfalten. Das gemeinsame Handeln mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern ist und bleibt deshalb die elementare Grundlage deutscher Außenpolitik.

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