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Grußwort von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim „History Campus“ im Deutschen Historischen Museum
--- es gilt das gesprochene Wort ---
Sehr geehrter Herr Krüger,
sehr geehrter Herr Wehmeier,
sehr geehrter Professor Koch,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des History Campus,
liebe Gäste!
„History will teach us nothing.“
So heißt ein bekannter Song von Sting aus dem Jahr 1987. Das Lied ruft dazu auf, die Vergangenheit ein für alle Mal abzuschütteln, sich frei zu machen von geschichtlichen Zwängen und Automatismen. Denn, so singt Sting: „Wenn wir uns nicht von der Vergangenheit befreien, wird alles nur noch schlimmer werden“.
Sting war nicht der Erste, der so etwas gesagt hat. Mein französischer Amtskollege Laurent Fabius hat mich kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass sich der große französische Dichter Paul Valéry ganz ähnlich zur Entstehung des Ersten Weltkriegs geäußert hat. Er meinte, aus der Geschichte sei nur eins zu lernen: Nämlich, dass Völker und Staaten nichts aus ihr lernten.
Meine Damen und Herren, dass Sie hier sind, lässt mich vermuten: Sie glauben genauso wenig wie ich daran, dass Sting und Valéry es ganz so einfach gemeint haben, wie es auf den ersten Blick scheint.
Umso herzlicher heiße ich Sie zum History Campus hier im Deutschen Historischen Museum willkommen.
400 junge, angehende Historiker aus 40 Ländern Europas und Nordafrikas sind nach Berlin gekommen, um darüber zu diskutieren, was die schreckliche Geschichte des Ersten Weltkriegs für unsere Gegenwart bedeutet.
Diese Premiere allein ist eine ermutigende Nachricht. Sie passt gut zu diesem 9. Mai, an dem wir den Jahrestag der historischen Rede von Robert Schuman feiern, die nach dem Grauen zweier Weltkriege die richtigen Lehren gezogen und den Weg für die europäische Einigung gebahnt hat. Sie setzt ein Zeichen der Zuversicht an diesem 9. Mai, an dem wir mit der schweren Krise in der Ukraine ringen.
Als Außenminister erlebe ich tagtäglich: Verstehen ist eine Grundbedingung erfolgreicher Außenpolitik. Daher finde ich es ziemlich absurd, wenn in diesen Tagen Verstehen von manchen Kommentatoren zum Unding erklärt wird.
Wer einen Konflikt lösen will, braucht Verständigung. Und für eine Verständigung braucht es zwar kein Einverständnis, aber Verständnis.
In den Vereinten Nationen sind fast 200 Staaten vertreten. Wenn wir uns in unseren außenpolitischen Beziehungen auf diejenigen von den 200 Staaten beschränken würden, mit denen wir politisch durch und durch einverstanden sind: Ich glaube, dann könnte das Auswärtige Amt in ein deutlich kleineres Gebäude umziehen. Und die teuren Mieten für unsere Botschaften könnten wir uns auch sparen…
Verständigen kann sich nur, wer bereit ist, die Welt mit den Augen von anderen zu sehen. ‚Perception‘ hat Henry Kissinger das genannt.
Wenn ich die Geschichte von 1914 betrachte, dann schockiert mich das Versagen einer Diplomatie, der die Fähigkeit zu Verständnis und Verständigung abhandengekommen war. Max Weber hat das brutal auf den Punkt gebracht, als er 1914 schrieb: „Die Hunderttausenden bluten für die entsetzliche Unfähigkeit unserer Diplomatie“.
Natürlich wiederholt sich Geschichte nie im Maßstab eins zu eins. Wir haben immer die Möglichkeit einzugreifen. Und genau deshalb lohnt sich der wache Blick zurück.
Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs haben wir auf unserem Kontinent eine Friedensordnung erreicht, die auf Versöhnung und guter Nachbarschaft setzt. Bei dem, was heute vor uns liegt, kann uns diese gemeinsame europäische Leistung nur ermutigen. Das gilt insbesondere mit Blick auf die dramatische Lage in der Ukraine, wo wir vor der wohl schwierigsten außenpolitischen Krise in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs stehen.
Vielleicht ist es ja letztlich das, was Sting uns sagen will. Wenn Sie also das nächste Mal eine alte Sting-Platte auflegen – wahrscheinlich liegen die noch irgendwo im Plattenschrank Ihrer Eltern – dann tun Sie was für Ihr Geschichtsstudium.
Meine Damen und Herren, ich freue mich außerordentlich auf die Diskussion mit Ihnen!