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Rede von Außenminister Guido Westerwelle anlässlich der Eröffnung der Ausstellungen „1914 – die Avantgarden im Kampf“ und „Missing Sons – Verlorene Söhne“ in Bonn

07.11.2013 - Rede

Zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg sprach Außenminister Westerwelle anlässlich der Eröffnung der Ausstellungen „1914 - Die Avantgarden im Kampf“ und „Missing Sons - Verlorene Söhne“ am 7. November 2013 in der Bundeskunsthalle in Bonn.

Zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg sprach Außenminister Westerwelle anlässlich der Eröffnung der Ausstellungen „1914 - Die Avantgarden im Kampf“ und „Missing Sons - Verlorene Söhne“ am 7. November 2013 in der Bundeskunsthalle in Bonn.

Außenminister Westerwelle spricht in der Bundeskunsthalle
Außenminister Westerwelle in der Bundeskunsthalle© photothek/Huenerfauth

-- es gilt das gesprochene Wort --

Kunst und Kultur spiegeln den Stand einer Gesellschaft wider. Oft gehen sie ihr voran, ja treiben die Entwicklung einer Gesellschaft an. Das gilt in besonderem Maße für die Avantgarde.

Vor 100 Jahren war es für europäische Künstler Ehrensache, zur Avantgarde zu zählen. Es ging ihnen um den Aufbruch der Menschheit zu neuen Ufern gehen.

Kampf gehörte für viele zum Selbstverständnis. Nicht unbedingt im wörtlichen Sinn. In den Caféhäusern und Salons von Paris, Berlin und Wien sprach man vom Kampf gegen die Fesseln der Tradition. Gegen die Fesseln der Moral.

Dann geriet die Avantgarde tatsächlich in den Kampf. Ab August 1914 setzte tatsächlich ein Epochenwandel ein mit verheerenden Folgen für Millionen von Menschen.

Am Anfang haben viele den Krieg sogar begrüßt: als Prüfung, durch die Europa gehen müsse, um Neues zu erschaffen. Viele Künstler zogen zunächst begeistert in den Krieg.

Man glaubte, sogar im Krieg einen Sinn zu erkennen.

Dann löschte der Schrecken der industrialisierten Materialschlachten alle falsche Kriegsromantik aus. Der wirkliche Kampf erwies sich als Menschheitskatastrophe. Die Brutalität des Ersten Weltkriegs überstieg jedes Fassungsvermögen.

Die Moderne, die viele Künstler herbeigesehnt hatten, zeigte ihre todbringende Fratze. Bereits in den ersten Kriegswochen wurden in Belgien und Nordfrankreich die Schrecken dieses Krieges sichtbar.

An der Ostfront wurde die Stadt Kalisch im August 1914 fast vollständig zerstört. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg kostete tausende Zivilisten das Leben.

Der Einsatz von Giftgas gab dem Krieg eine ganz neue, ganz besonders grausame Dimension.

Am Ende standen politische und gesellschaftliche Umwälzungen in großen Teilen Europas und der Welt.

Viele fühlten sich zu kurz gekommen und forderten Revanche. Wir wissen heute, wie unheilvoll diese Saat war.

Das Wort vom Ersten Weltkrieg als der „Ursprungskatastrophe des 20. Jahrhunderts“ hat seine traurige Gültigkeit.

In Deutschland macht sich nach dem als einseitig empfundenen Friedensschluss in weiten Kreisen aggressiver Revanchismus breit. Der Zivilisationsbruch des Dritten Reichs kündigte sich an.

Die Nationalsozialisten zielten von Beginn an offen darauf ab, die aus dem Ersten Weltkrieg entstandene Ordnung gewaltsam umzustoßen. Es gelang ihnen in furchtbarem Ausmaß.

2014 begehen wir nicht nur den 100. Jahrestag des Ersten, sondern auch den 75. Jahrestag des Zweiten Weltkriegs. Die Erinnerung an den Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschland und an den Holocaust wird unser Gedenken 2014 wesentlich mitbestimmen.

Manche sagen, die Deutschen verstanden erst nach dem Zweiten Weltkrieg, dass sie schon den Ersten verloren hatten.

Die Großmacht- und Weltpolitik Deutschlands endete 1945 in der politischen, militärischen und vor allem moralischen Katastrophe.

Die Teilung unseres Landes und Europas in der Welt des Kalten Krieges waren die bittere Konsequenz.

Umso größer war 1989 die Begeisterung, als die Berliner Mauer fiel und friedliche Revolutionen in Mittel- und Osteuropa den eisernen Vorhang durchbrachen. Im nächsten Jahr ist das 25 Jahre her. Das ist das dritte große Datum des europäischen Gedenkjahres 2014.

Wer die Geschichte kennt, der weiß: Wenn Europa nicht mehr gebracht hätte als Frieden über Jahrzehnte auf unserem Kontinent, es hätte sich schon gelohnt.

Die Europäische Union ist eine Friedensunion nach innen und nach außen. Mit der Gründung der Europäischen Union wurde das Konfrontationsprinzip durch das Kooperationsprinzip abgelöst. Kooperation kann anstrengend sein. Wer aber die Folgen von Konfrontation kennt, und die Bilder dieser Ausstellung sprechen eine klare Sprache, der weiß, dass Kooperation jede Mühe wert ist.

Europa ist nicht nur die Antwort auf das dunkelste Kapitel unsere Geschichte, sondern auch die Antwort auf unsere Welt des Wandels.

Wir Europäer sind als Schicksals- und Kulturgemeinschaft miteinander verbunden. Auch das zeigt diese Ausstellung.

Selbst während des Zweiten Weltkriegs und während des Kalten Kriegs haben die Künstler Europas in Literatur, Musik und bildender Kunst zu einer verwandten Formensprache gefunden, obwohl sie nicht miteinander sprechen durften. Das gemeinsame kulturelle Erbe lebte.

Die europäische Kulturgemeinschaft wird hier greifbar und zwar in dem Moment ihrer größten historischen Prüfung.

Ich danke der Bundeskunsthalle und allen Beteiligten. Sie erinnern nicht nur an eine furchtbare Epoche unserer gemeinsamen Vergangenheit, sondern auch an unsere Verantwortung für die Zukunft Europas.

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