Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Syrien: „Ich mache mir allergrößte Sorgen“

01.09.2013 - Interview

Interview von Außenminister Westerwelle mit der Welt am Sonntag zur Situation in Syrien. Erschienen am 01.09.2013

***

Herr Westerwelle, seit Beginn des Syrien-Konflikts haben Sie sich für eine politische Lösung eingesetzt. Nun steuern die USA auf einen Militärschlag zu. Hat Ihre Diplomatie versagt?

Vor allem Russland blockiert seit Jahren den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Syrien-Frage. Wir haben in den vergangenen Tagen sehr darauf gedrängt, dass der Sicherheitsrat noch einmal mit den furchtbaren Vorgängen in Syrien befasst wird. Ich begrüße, dass dies von Großbritannien dann auch angestoßen wurde. Wir werden uns weiter mit Nachdruck für eine gemeinsame Haltung der Weltgemeinschaft einsetzen. Die Bundeskanzlerin und ich haben dazu zahllose Gespräche geführt, mit unseren Partnern und Verbündeten im Westen ebenso wie mit Russland, China und den Staaten der Region. Eines ist klar: Nur eine politische Lösung, im Wege von Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien und der Einsetzung einer Übergangsregierung, kann Syrien dauerhaften Frieden und Stabilität bringen.

Wie bewerten Sie die Beweise der US-Regierung, dass Assad für den Giftgasangriff verantwortlich ist?

Die vom amerikanischen Außenminister John Kerry vorgebrachten Argumente wiegen schwer. Sie weisen klar in Richtung des Assad-Regimes. Sie sind plausibel. Jeder sollte sie ernst nehmen. Umso mehr setzen wir uns jetzt dafür ein, dass die Untersuchungen der Vereinten Nationen so schnell wie irgend möglich abgeschlossen werden. Wir werden weiter intensiv mit unseren Verbündeten und Partnern beraten und uns für eine geschlossene Haltung der Weltgemeinschaft einsetzen.

Welchen Beitrag erwartet Amerika von Deutschland? Und welchen sind Sie bereit zu leisten?

Eine militärische Beteiligung Deutschlands ist nicht angefragt, sie wird von uns auch nicht in Betracht gezogen. Uns setzen schon das Grundgesetz und die verfasungsgerichtliche Rechtsprechung enge Grenzen. Die Mittel für das deutsche Projektbüro zur Unterstützung des Wiederaufbaus durch die gemäßigte syrische Opposition erhöhen wir weiter. Auch der von uns mit den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgelegte Trust Fund sammelt erfolgreich erhebliche Mittel für die Wiederaufbauarbeit der Opposition. Deutschland engagiert sich in außerordentlichem Umfang humanitär. Noch nie zuvor haben wir so viel Mittel zur Linderung der Not in einem Land bereitgestellt. Wir gehören zu den größten Gebern für die syrischen Flüchtlinge.

Eine militärische Unterstützung bleibt ausgeschlossen?

Es geht nicht darum, mit dem Ziel eines „regime change“ in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen oder eine militärische Entscheidung zugunsten der Rebellen zu erzwingen. Es geht um die richtige Antwort der Weltgemeinschaft auf den erstmaligen Einsatz chemischer Massenvernichtungswaffen im 21. Jahrhundert. Solche Waffen sind seit langem international geächtet und völkerrechtlich verboten. Würde die internationale Gemeinschaft zur Tagesordnung übergehen, wenn der Einsatz chemischer Massenvernichtungswaffen bewiesen ist, wäre dies eine schwere Bürde für unsere Zukunft. Jeder, der den Einsatz solcher Waffen in Erwägung zieht, muss wissen, dass er mit Konsequenzen der Weltgemeinschaft rechnen muss. Unsere Haltung orientiert sich hier an unseren außenpolitischen Interessen und unseren Wertvorstellungen.

Wie lange dauert es, bis die UN die Ergebnisse ihrer Inspektion bekannt machen?

Ich habe dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zugesagt zu helfen, damit die Ergebnisse zügig vorliegen. Wir leisten unseren handfesten Beitrag, damit die Untersuchungen schnell zu Ende gebracht werden können. Die Inspektoren haben mitsamt der von ihnen genommenen Proben in einem vom Auswärtigen Amt gecharterten Flugzeug die Region verlassen und sind nach Europa zurückgekehrt. Ich erwarte, dass die Analysen der Proben jetzt unverzüglich beginnen, mit allem Hochdruck vorgenommen und dann im Sicherheitsrat beraten werden.

Deutschland hat ein Raketenabwehrsystem an der türkisch-syrischen Grenze stationiert. Die Bundeswehr könnte damit unversehens zur Kriegspartei werden...

Das Mandat des Deutschen Bundestags für diesen Einsatz in der Türkei ist rein defensiv und wird von der Bundesregierung strengstens beachtet.

Die Bundeswehr bleibt in der Türkei - ganz gleich, was passiert?

Ich muss es den anderen überlassen, zu spekulieren.

Ist Syrien ein Thema für den Wahlkampf?

Wir reden über einen blutigen Bürgerkrieg mit inzwischen Zehntausenden Toten, Millionen Flüchtlingen und dem Einsatz chemischer Waffen. Das ist eine höchst ernsthafte Lage, über die wir bei uns in Deutschland natürlich sprechen sollten, und zwar ohne parteitaktische Hintergedanken. Wir haben von Beginn an in der Syrien-Frage intensiv das Gespräch mit Russland geführt. Ich bin in meinen Gesprächen mit Moskau mehrfach fast an die diplomatische Schmerzgrenze gegangen. Wir haben alles versucht. die russische Regierung umzustimmen.

War es ein Fehler Obamas, einen Giftgaseinsatz als „rote Linie“ für eine Intervention zu markieren?

Die ganze internationale Gemeinschaft - ausdrücklich auch Russland und China - hat damals deutlich gemacht, dass sie einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien nicht hinnehmen wird. Wir sind in den letzten Jahren bei der Vernichtung der weltweit verbreiteten Bestände dieser geächteten Waffen gut vorangekommen. Deutschland hat sich dafür besonders engagiert, erhebliche Mittel eingesetzt und auch sein technisches Know How bei der Vernichtung chemischer Waffen bereitgestellt, in jüngster Zeit etwa in Libyen. Es gibt aber noch immer Staaten, die sich dem internationalen Verbots- und Vernichtungsregime entziehen. Dazu gehören insbesondere Nordkorea und Syrien. Deshalb gilt: Wer nach einem, Einsatz solcher Waffen einfach wegschaut und zur Tagesordnung übergeht, ermutigt dazu, dass erneut solche Waffen eingesetzt werden könnten. Auch deshalb lautet unser eindringlicher Appell an Russland, gemeinsam mit der Weltgemeinschaft hier ein klares Zeichen zu setzen.

Ist eine Intervention ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats völkerrechtlich legitimiert?

Unser Ziel ist eine geschlossene Haltung und gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft im Sicherheitsrat. Alles andere sind Spekulationen, an denen ich mich sicher nicht beteiligen werde.

Das Assad-Regime droht, Attacken auf Syrien würden den Nahen Osten in einen „Feuerball“ verwandeln. Wie ernst nehmen Sie das?

Ich mache mir nicht erst seit der Zuspitzung der letzten Tage allergrößte Sorgen über die Gefahr eines sich in der Region ausbreitenden Flächenbrandes.

In welcher Lage sehen Sie Israel?

Für die deutsche Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten ist die Sicherheit Israels immer ein Anliegen von größter Bedeutung. Ich teile die Sorgen, die man sich in Israel um die eigene Sicherheit macht.

Verändert sich die Terrorgefahr in Deutschland, wenn eine Intervention in Syrien erfolgt?

Diese Frage stellt sich auch dann, wenn die internationale Gemeinschaft bei einem Einsatz von Massenvernichtungswaffen wegsehen würde.

[...]

Interview: Jochen Gaugele, Thorsten Jungholt.


Verwandte Inhalte

Schlagworte

nach oben