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„Wir werden im Bemühen nach Aufklärung nicht nachlassen“

07.07.2013 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle und US-Botschafter Philip D. Murphy sprechen in einem gemeinsamen Interview mit der Bild am Sonntag über die Abhör-Aktivitäten der National Security Agency und das deutsch-amerikanische Verhältnis.

Außenminister Guido Westerwelle und US-Botschafter Phliip D. Murphy sprechen in einem gemeinsamen Interview über die Abhör-Aktivitäten der National Security Agency und das deutsch-amerikanische Verhältnis. Erschienen in der Bild am Sonntag vom 07.07.2013.

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Herr Murphy, vier erfolgreiche Jahre als US-Botschafter in Deutschland gehen für Sie in dieser Woche zu Ende. Ausgerechnet Ihre letzten Tage in Berlin werden nun bestimmt von der Diskussion um die Abhöraktionen der NSA. Wie geht es Ihnen dabei?

Murphy: Es waren fantastische vier Jahre in Berlin, für meine Familie und mich war es die Erfahrung unseres Lebens. Die letzten Tage sind kompliziert, aber ich bin zuversichtlich, dass wir da gut durchkommen. Bis auf höchste Ebene verstehen wir, dass es eine Frage des Vertrauens ist, das wir wieder herstellen müssen und auch werden. Es geht schließlich um einen unserer besten Verbündeten, um Deutschland.

Die US-Dienste sollen jeden Monat Verbindungsdaten von bis zu 500 Millionen Telefonaten, E-Mails oder SMS aus Deutschland illegal abgegriffen und gespeichert haben, EU-Büros in Washington und New York verwanzt haben. Geht man so mit Freunden um?

Murphy: Ich habe diese Berichte mit großer Überraschung gelesen. Jetzt ist es an uns, konkrete Schritte zu unternehmen, um Vertrauen wiederherzustellen. Die Dinge müssen wieder dahin kommen, wo sie hingehören. Ich bin überzeugt, das wird uns gelingen.

Herr Westerwelle, können wir den Amerikanern noch in jeder Hinsicht trauen, und wie behandelt man Freunde, die einen bespitzelt haben?

Westerwelle: Die Vereinigten Staaten von Amerika waren, sind und bleiben unsere engsten Verbündeten und Freunde außerhalb Europas. Und wir werden es gemeinsam schaffen, dass sich die dunklen Wolken der Abhöraffäre wieder am Himmel verziehen.

Erwarten Sie eine Entschuldigung aus Washington?

Westerwelle: Zuerst erwarte ich, dass wir alles aufklären. Das Abhören von Freunden wäre ein schwerwiegender Vorgang, den wir nicht hinnehmen werden. Schon bald wird sich eine gemeinsame Kommission aus Vertretern der EU und der amerikanischen Regierung über die Fakten austauschen und diese überprüfen.

Wusste die Bundesregierung vor den Enthüllungen im „Spiegel“, in welchem Umfang die Amerikaner Daten in Deutschland abgegriffen haben?

Westerwelle: Ich werde die Vorgänge erst bewerten, wenn sie durch Fakten erhärtet worden sind. Klar ist aber: Wären solche Abhörmaßnahmen mir im Vorfeld bekannt gewesen, wäre ich in den USA längst vorstellig geworden.

Bundesinnenminister Friedrich rät allen Kollegen, keine Anbieter für vertrauliche Mitteilungen zu nutzen mit Servern in den USA. Wie handhaben Sie dies, Herr Westerwelle?

Westerwelle: Als Außenminister ist man sich im Klaren, dass man besondere Sicherheitsregeln einhalten muss.

Herr Botschafter, Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt mitteilen, das Abhören von Freunden sei inakzeptabel. Werden sich die USA für das Vorgehen ihrer Geheimdienste entschuldigen?

Murphy: Wir machen einen Schritt nach dem anderen. Zunächst werden wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern diese Reihe von Vorwürfen aufklären. Wir müssen erst die Fakten kennen. Wenn wir sie kennen, können wir das weitere Vorgehen besprechen.

Können Sie ausschließen, dass deutsche Regierungsmitglieder, der Außenminister und die Kanzlerin von den USA abgehört wurden?

Murphy: Ich überlasse es meinem Präsidenten, für unser Land zu sprechen. Lassen Sie uns bitte zunächst alle Fakten klären.

Schreiben Sie persönlich eigentlich unverkrampft E-Mails?

Murphy: Ich habe überhaupt keine Bedenken. Aber ich muss gestehen: Ich benutze niemals einen Computer, sondern meine beiden Blackberrys. Ein dienstliches der Botschaft und mein privates – auch für Mails.

Westerwelle: Meine Unbefangenheit werde ich mir bewahren. Der Schutz der Privatsphäre ist nicht nur in Europa ein hohes Gut. Das ist auch ein ehernes Prinzip der amerikanischen Demokratie. Deswegen sind die Vorwürfe ja so verstörend.

Murphy: Das möchte ich unterstreichen: Wie in Deutschland, gibt es diese Debatte auch in Amerika. Die Privatsphäre nehmen wir sehr ernst. Das Recht darauf ist in unserer „Bill of Rights“ verankert.

Ist Edward Snowden für die USA jetzt Staatsfeind Nummer 1?

Murphy: Wir haben zu Snowden ein Verhältnis wie zu jedem anderen Menschen in einer solchen Situation. Meine persönliche Ansicht ist: Wir alle unterzeichnen Verträge mit Regeln und Gesetzen für unsere Arbeit. In einer offenen Demokratie können sie gegen alles demonstrieren. Es gibt richtige Wege, seinen Protest auszudrücken, und es gibt falsche Wege. Der Weg, den er mit seinen Aktionen gegangen ist, enttäuscht mich.

Welche Zukunft hat Snowden verdient: lebenslange Haft in einem amerikanischen Gefängnis oder ein ruhiges Leben in einem sicheren Staat?

Westerwelle: In Rechtsstaaten sind solche Fragen richtigerweise Angelegenheiten der unabhängigen Justiz.

Murphy: Das sehe ich genauso.

Herr Westerwelle, Sie hatten versichert, die Aufnahme des Enthüllers Edward Snowden in Deutschland zu prüfen. Diese Woche wurde sein Asylantrag abgelehnt. Die richtige Entscheidung?

Westerwelle: Nach einer Prüfung durch die zuständigen Ministerien müssen wir feststellen, dass die Voraussetzung für eine Aufnahme von Herrn Snowden in Deutschland nicht vorliegen. Zum einen befindet er sich in Russland. Dort ist ihm nach unseren Informationen ein Bleiberecht angeboten worden. Zum anderen sind die USA eben ein Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz.

35 Prozent der Deutschen würden Snowden daheim verstecken und 50 Prozent sehen in ihm einen Helden. Ist Snowden ein Held oder ein Verräter?

Westerwelle: Diese Zahlen zeigen, dass die Deutschen, was den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre angeht, ein sehr sensibles Volk sind. Das gefällt mir als Liberalem.

Wie tief ist der Graben zwischen Amerikanern und Deutschen heute, und gibt es Antiamerikanismus in Deutschland?

Westerwelle: Sollten sich diese Berichte bewahrheiten, wäre das ein ernster Schatten über den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Aber ich finde es völlig unangemessen, wie einige auf dieser Affäre ihr parteipolitisches und antiamerikanisches Süppchen kochen. Wir dürfen doch nicht vergessen, dass wir über Jahrzehnte hervorragend zusammengearbeitet haben. Die USA haben uns Deutschen nach den Schrecken des Krieges eine Chance für einen Wiederaufbau in Freiheit gegeben. Wir haben den USA bis hin zur Wiedervereinigung so viel zu verdanken.

Herr Murphy, die Deutschen haben in ihrer Vergangenheit zwei Diktaturen erlebt, die Gestapo- und Stasi-Vergangenheit sind gerade in Berlin bis heute greifbar. Verstehen Sie die Empörung der Deutschen vor diesem Hintergrund?

Murphy: Ich kann absolut nachvollziehen, dass die Deutschen vor dem Hintergrund ihrer Geschichte besonders sensibel sind, was Datenschutz betrifft. Die geschichtlichen Erfahrungen Amerikas und Deutschlands sind sicher unterschiedlich, aber auch wir kümmern uns mit Leidenschaft um die Bürgerrechte. Ich habe in meinen vier Jahren in Deutschland keinen Antiamerikanismus erlebt. Barack Obama wird hier geliebt. Er wünschte, er hätte eine solche Unterstützung wie in Deutschland auch in Amerika.

Wird der Schutz der Privatsphäre unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus geopfert?

Westerwelle: Nein. Präsident Obama hat sich ja gerade erst bei seinem Besuch in Berlin zu einer vernünftigen Balance zwischen Sicherheitsinteressen und dem Schutz der Privatsphäre bekannt. Das ist der richtige politische Kompass. Ob diesem Kompass in seiner Administration oder bei den amerikanischen Geheimdiensten alle gefolgt sind, kann ich jetzt noch nicht beurteilen.

Wird die US-Administration denn Deutschland berichten, welche Erkenntnisse sie aus den Abhöraktionen gewonnen hat?

Murphy: Ich kann das nicht beantworten, aber ich kann sagen: Anfang nächster Woche sind Mitarbeiter deutscher Nachrichtendienste in Washington und tauschen sich mit der amerikanischen Regierung aus, um für Aufklärung zu sorgen. Kanzlerin Merkel hat mit Präsident Obama telefoniert. Der Präsident versteht die Sorgen der Deutschen.

Westerwelle: Der Beauftragte für Sicherheitspolitik des Auswärtigen Amtes ist auf meine Bitte bereits nach Washington gereist. Jeder Bürger kann sich darauf verlassen, dass wir bei unserem Bemühen nach Aufklärung nicht nachlassen werden.

Wird das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wegen der Affäre gestoppt oder verschoben?

Westerwelle: Das geplante Freihandelsabkommen ist ein wichtiges Instrument, um auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen. Dieses Ziel dürfen wir wegen der Abhöraffäre nicht gefährden. Schließlich geht es darum, die hohe Arbeitslosigkeit in Europa zu bekämpfen und sich in der Konkurrenz zu den neuen Kraftzentren wie China besser aufzustellen.

Murphy: Wir brauchen diese Handels- und Investitionspartnerschaft und sollten die Verhandlungen unbedingt wie geplant angehen.

Die US-Dienste schätzen Deutschland laut Dokumenten nur als „Partner dritter Klasse“ ein. Ist das wahr?

Murphy: Diese Bemerkung in dem Bericht des „Spiegel“ hat mich am meisten verärgert. Sollte dies zutreffen, müssen das die Mitarbeiter unserer Nachrichtendienste noch erklären. Ich kann Ihnen versichern: Deutschland ist einer unserer besten Verbündeten auf der ganzen Welt, wenn nicht sogar der beste. Ich würde sagen, in jedem Fall Nummer eins oder zwei. Denken Sie nur an die deutsche Unterstützung in Afghanistan auch über 2014 hinaus. Denken Sie an unsere großen Stützpunkte hier in Deutschland und die Gastfreundschaft Ihres Landes. Wenn man die gesamten deutsch-amerikanischen Beziehungen betrachtet, und das ist mein Job, kann ich nur sagen: Sie sind Partner erster Klasse.

Westerwelle: Diese Freundschaft ist first rate.

Fragen: R. Eichinger, W. Mayer und B. Uhlenbroich. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Bild am Sonntag.

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