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„Unser Ziel ist nachhaltige Politik“

10.06.2013 - Interview

Außenminister Westerwelle spricht im Interview mit der WELT am Sonntag unter anderem über den Konflikt in Syrien, die Entwicklungen in der Türkei und das deutsche Engagement in Afghanistan.

Außenminister Guido Westerwelle sprach im Interview mit der WELT am Sonntag über den Syrienkonflikt, das Urteil gegen Mitarbeiter einer deutschen Nichtregierungsorganisation in Kairo, die Entwicklungen in der Türkei und das deutsche Engagement in Afghanistan.

Herr Westerwelle, bekommen Sie Ihre Reisestationen der letzten zehn Tage noch zusammen?

Problemlos. Ottawa, Washington, Mexiko City, New York, Berlin, Kaliningrad. Und wenn dieses Interview erscheint, werde ich Kabul, Mazar-i-Sharif und Islamabad hinzu gefügt haben.

Ist diese klassische Reisediplomatie in Zeiten moderner Kommunikationsmittel noch zeitgemäß?

Sie ist nötiger denn je. Denn nichts ersetzt das Vier-Augen-Gespräch und den persönlichen Austausch.

Ist sie auch effektiv? Oder verzweifeln Sie gelegentlich am Weltgeschehen, zum Beispiel in Syrien, wo sich trotz intensivster Diplomatie kein Ende des Krieges abzeichnet?

Es ist nicht leicht, das angesichts des unvorstellbaren Leids zu sagen, aber diplomatische Lösungen können dauern. Sehen Sie: Vor wenigen Wochen war ich in Serbien und im Kosovo. Viele haben vergessen, dass dort noch immer deutsche Soldaten stationiert sind – mehr als eine Dekade nach dem Balkankrieg. Augenscheinlich ist uns jetzt ein entscheidender Beitrag zur Normalisierung gelungen. In Syrien sind wir noch mittendrin in einer Tragödie. Wir tun alles, um mit der geplanten Konferenz in Genf eine politische Lösung zu ermöglichen.

Auf dem Balkan haben die USA politische Verhandlungen militärisch erzwungen. Warum nicht in Syrien?

Ich halte nichts von laut diskutierten Interventionsszenarien. Militärisches Eingreifen wird keine nachhaltige Stabilität in das Land bringen. Wir sollten der neuen Initiative der USA und Russlands eine echte Chance geben. Die Erfolgsaussichten einer Syrien-Konferenz sind zwar aus heutiger Sicht nicht überragend groß. Aber es wäre ein Fehler, nicht alles zu versuchen.

Was trägt Deutschland bei, damit diese Konferenz Ertrag bringt?

Zunächst haben wir nicht erst seit der Münchener Sicherheitskonferenz mit darauf gedrängt, dass es überhaupt zu dieser russisch-amerikanischen Initiative gekommen ist. Und nun werden wir unseren Einfluss nutzen, damit alle an den Verhandlungstisch kommen. Das Bauen diplomatischer Brücken ist nicht so spektakulär wie Forderungen nach Waffenlieferungen oder Militäreinsätzen. Unser Ziel ist nachhaltige Politik. Und vergessen Sie nicht: Wir sind eines der größten Geberländer für humanitäre Hilfen in Syrien und für die Bewältigung der Flüchtlingsströme an den Grenzen.

Die säkulare Opposition wird zwischen dem Assad-Regime und den radikalen Islamisten zunehmend zerrieben. Wenn man diesen gemäßigten Kräfte keine Waffen oder militärischen Beistand gibt, was dann?

Ein Problem dieser gemäßigten Kräfte ist ihre Uneinigkeit. Dennoch unterstützen wir die Nationale Koalition nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten – zum Beispiel durch ein Projektbüro, dass wir an der türkischen Grenze eingerichtet haben, um beim Aufbau der Infrastruktur, der Versorgung des Bäckers oder der Schule in den von der Opposition kontrollierten Gebieten zu helfen. In der Außenpolitik gibt es leider nicht immer die einfache, für alle verständliche Lösung. Natürlich liegt die Hauptverantwortung für die Gewalt beim Regime von Assad. Aber auch Dschihadisten und Extremisten auf der anderen Seite tragen Verantwortung für schwere Grausamkeiten. Die Anziehungskraft, die derzeit von diesen Radikalen in Syrien ausgeht und Gleichgesinnte aus aller Welt anlockt, beunruhigt mich zutiefst.

Ist das noch ein Bürgerkrieg oder eher ein Stellvertreterkrieg?

Ich fürchte, es ist ein Stellvertreterkrieg geworden, unter anderen mit einer religiös-ethnischen Dimension. Nehmen Sie nur das Engagement der Hisbollah auf Seiten Assads oder von al-Qaida gegen das Regime von Assad. Wir müssen alles tun, dass dies alles nicht zu einem großen regionalen Krieg wird.

Ihr französischer Kollege Fabius hat Erkenntnisse, wonach Assad das Giftgas Sarin eingesetzt hat. Die internationale Gemeinschaft, auch Sie, hat das als rote Linie für eine Intervention festgelegt.

Laurent Fabius hat mich vor der Veröffentlichung darüber informiert. Wir waren uns einig, dass diese Erkenntnisse den Vereinten Nationen übergeben werden müssen, die sie dann mit anderen Untersuchungen und Hinweisen abgleichen. Sie verstehen, dass der Einsatz von Massenvernichtungswaffen, selbst in kleineren Mengen, ein so schwerwiegender Vorgang wäre, dass erst einmal die Fakten und Belege im Zusammenhang gesichtet werden müssen. Vorher sind Spekulationen nicht angebracht.

Macht Frankreich diese Erkenntnisse nun publik, um seine Argumentation für Waffenlieferungen zu unterlegen?

Das halte ich für ausgeschlossen. Ich kann nachvollziehen, dass Großbritannien und Frankreich die Option von Waffenlieferungen auf den Tisch legen wollen. Aber umgekehrt verstehen die Partner auch unsere Sorge, dass diese Waffen in die Hände von Radikalen gelangen könnten. Nicht zuletzt wegen unserer besonderen Verantwortung für Israel sind wir sehr vorsichtig in der Abwägung. Es sind in Syrien leider auch Terroristen am Werk, denen es nicht nur um Damaskus geht, sondern anschließend um Jerusalem. Da regen sich bei mir alle Schutzinstinkte für unsere israelischen Partner und Freunde. Es geht ja nicht um irgendwelche Waffen, sondern um moderne Flugabwehrsysteme. Wenn davon nur eines in die falschen Hände käme, könnte das eine erhebliche Gefährdung für Israel und die gesamte zivile Luftfahrt sein.

Was sagt der russische Außenminister Lawrow zu dieser Gefahr?

Ich habe mit ihm in Kaliningrad über die Berichte gesprochen, wonach russische Waffenlieferungen geplant seien. Ich habe sehr deutlich gemacht, dass wir das für kontraproduktiv und schädlich halten – und den Eindruck gewonnen, dass aktuell eine Lieferung von S-300-Flugabwehrraketen aus Russland nach Syrien nicht ansteht.

Bei zwei weiteren Regionalmächten rumort es. Ägypten hat Mitarbeiter der Adenauer-Stiftung zu Haftstrafen verurteilt, in der Türkei sind Zehntausende Demonstranten gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Gründe zur Sorge?

Das inakzeptable Urteil des Gerichts in Kairo ist eine erhebliche Belastung der bilateralen Beziehungen. Wir hatten mit der Regierung Präsident Mursis eine Einigung erzielt, die Arbeit der Adenauer-Stiftung in das bilaterale Kulturabkommen aufzunehmen. Umso verärgerter bin ich über dieses erkennbar politisch motivierte Urteil. Dennoch wäre es jetzt falsch, sich aus Zorn abzuwenden: Ägypten ist ein Schlüsselland der gesamten Region, eben auch für Israel. Und was die Türkei angeht: Taksim ist nicht Tahrir, Istanbul nicht Kairo. Die Türkei ist eine Demokratie, deren innere Verfasstheit sich jetzt in Anbetracht von Protesten beweisen muss. Dass es eine selbstbewusste und mutige Zivilgesellschaft gibt, die für politische Ziele auf die Straße geht, ist ein Zeichen der Reifung.

Die Reaktion der Polizei beunruhigt Sie nicht?

Das ist eine Bewährungsprobe für die türkische Regierung, Europa und der Welt zu zeigen, dass die Herrschaft des Rechts und die Freiheitsrechte ihr etwas gelten. Ich begrüße, dass die türkische Regierung öffentlich von einer Überreaktion gesprochen hat…

… Ministerpräsident Erdogan nicht. Er stand für die Hoffnung, dass sich Demokratie und politischer Islam versöhnen lassen. Sehen Sie diese Hoffnung durch seine zunehmend autokratischen Züge gefährdet?

Ministerpräsident Erdogan hat eine besondere Verantwortung, die Lage zu beruhigen. Dieser Verantwortung muss er sich bewusst sein.

An diesem Wochenende widmen Sie sich Afghanistan, eröffnen in Mazar-i-Sharif ein deutsches Konsulat. Wer soll das nach dem Abzug der internationalen Truppen 2014 schützen?

Die einheimischen Sicherheitskräfte, die sich schon jetzt um 90 Prozent des Staatsgebiets kümmern. Die Lage in Afghanistan ist noch lange nicht stabil, das gilt für die Sicherheit und die Gesellschaft. Dennoch muss die Übergabe der Verantwortung fortgesetzt werden. Wir können nicht auf Dauer mit Zehntausenden Soldaten dort bleiben. Und wir lassen das Land ja nicht im Stich, sondern bleiben mit zivilen Kräften und einer deutlich reduzierten Zahl von Soldaten weiter dort.

Sie haben als erstes Land das Angebot gemacht, mit 600 bis 800 Soldaten weiter ausbilden zu wollen. Die Bündnispartner haben sich noch nicht geäußert, auch Präsident Karsai hat Sie offiziell nicht gebeten, im Land zu bleiben.

Unsere Partner haben uns sehr ermutigende Signale gegeben, dass sie folgen werden. Wir wollen im Norden weiter Führungsnation bleiben, weil es unser außenpolitisches Markenzeichen ist, einmal übernommene Aufgaben zuverlässig und verantwortlich zu Ende zu führen. Mit Präsident Karsai habe ich in Kabul gesprochen. Er hat klar gemacht, dass der das deutsche Angebot einer Beteiligung an einer internationalen Ausbildungs- und Beratungsmission in Afghanistan für die Zeit nach dem Abzug unserer Kampftruppen 2014 ausdrücklich begrüßt.

Erschienen in der Welt am Sonntag am 9. Juni 2013. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Axel Springer Verlags.

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