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Rede von Außenminister Guido Westerwelle bei der Deutsch-russischen NGO-Konferenz

25.04.2013 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrter Professor Fedotov,
sehr geehrter Kollege Schockenhoff,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ich begrüße Sie herzlich zur deutsch-russischen NGO-Konferenz im Europasaal des Auswärtigen Amts.

Nichtregierungsorganisationen gehören heute zu den treibenden politischen Kräften in einer immer enger vernetzten Welt. NGOs gehen heute nicht selten voran, verlassen ausgetretene Pfade des Denkens und Handelns und entwickeln neue Lösungsansätze.

Ihre Nähe zu den Problemen, ihr Fachwissen und auch ihre Vernetzung untereinander macht sie zu wertvollen politischen Akteuren.

Gerade in Zeiten der Globalisierung gilt: Staat und Zivilgesellschaft können nur gemeinsam und über nationale Grenzen hinweg auf eine immer komplexere Welt reagieren und die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit lösen.

Eine Gesellschaft, die das zivile Engagement mündiger Bürger fördert, ist besser in der Lage, sich den weltweiten Veränderungen anzupassen.

Nur die lernende Gesellschaft ist eine stabile Gesellschaft, weil sie mit Veränderungen Schritt halten kann.

Freie, vielfältige Gesellschaften bieten auf lange Sicht mehr Stabilität als unfreie Gesellschaften, die in erzwungener Einheit verharren. Heute, im Zeitalter der Globalisierung, gilt dies mehr als je zuvor.

Walther Rathenau, der große deutsche Außenminister der 20er Jahre, sagte: „Die Wasser der Weltgeschichte fließen unablässig hinab zum Tale, das da Freiheit heißt. Sie lassen sich durch nichts umkehren, höchstens aufhalten. Doch überlange Stauung bricht die Dämme“.

Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit sind die Grundlagen des russischen wie des deutschen Rechtssystems.

Im deutschen Grundgesetz heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die russische Verfassung lautet: „Anerkennung, Wahrung und Schutz der Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers sind Verpflichtung des Staates.“ Das ist ein gutes Beispiel für den gemeinsamen Raum der europäischen Werte.

Es wird manchmal behauptet, der Westen wolle Russland seine Werte aufzwingen. Dieser Vorwurf ist unberechtigt und sogar gefährlich, weil er Russland außerhalb des europäischen Wertesystems stellt. Im Rahmen von Europarat und OSZE haben wir gemeinsam uns zu diesen europäischen Werten bekannt.

Präsident Putin hat sich immer wieder zur europäischen Orientierung Russlands bekannt. Lassen Sie uns ihn beim Wort nehmen. Frieden, Freiheit und Wohlstand haben ihr Fundament in unseren europäischen Werten. Und deshalb bleibt das Leitbild einer strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland richtig.

Frieden und gedeihliche Entwicklung auf unserem Kontinent kann es nur geben, wenn Europäer und Russen aufeinander zugehen.

Bei der diesjährigen Hannover-Messe war Russland Partnerland. Unser bilaterales Handelsvolumen stieg im letzten Jahr auf ein Rekordhoch von über 80 Milliarden Euro. Potenzial für eine weitere Steigerung ist vorhanden.

Der wirtschaftliche Austausch wird sich umso stärker entwickeln, je besser die Rahmenbedingungen dafür sind. Hierzu zählen vor allem Rechtsstaatlichkeit und transparentes sowie berechenbares Verwaltungshandeln.

Der Einsatz für gute Investitionsbedingungen und für eine starke Zivilgesellschaft sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille.

Wir begrüßen, dass Russland für Investitionen noch attraktiver werden will. Und wir begrüßen, dass auch Russland die Mittelschicht stärken will. Dabei werden wir Russland gern unterstützen.

Wie stark die Mittelschicht in einem Land ist, sagt nicht nur etwas aus über die Wirtschaft, sondern auch über die Gerechtigkeit in einem Land. Eine breite und gesunde Mittelschicht ist die Klammer einer stabilen Gesellschaft.

Deshalb haben mein Kollege Sergej Lawrow und ich vereinbart, das Thema Mittelschicht zum Gegenstand der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft zu machen. In wenigen Tagen findet in Moskau eine erste deutsch-russische Konferenz zu diesem Thema statt. Ich freue mich, dass das Deutsch-Russische Forum als Ko-Organisator bei dieser Konferenz dabei ist.

Es gibt in unseren beiden Ländern eine lebendige und bunte Zivilgesellschaft. Es gibt zehntausende Freiwillige, die sich mit großem Engagement beispielsweise dem Schutz der Umwelt widmen oder sich für soziale Projekte engagieren. Wir begrüßen ehrenamtliches Engagement für Toleranz, für Bildungschancen, für Rechtssicherheit, für Menschenrechte und für andere ehrenwerte Ziele.

Wenn Nichtregierungsorganisationen von staatlicher Seite Misstrauen entgegenschlägt, werden die Bedingungen für ihre Arbeit sehr schwierig.

Kritisiert zu werden, ist nie schön für Regierungen. Wichtig ist aber, dass die Politik die Zivilgesellschaft als Partner auffasst.

Wir erwarten, dass NGOs fair und respektvoll behandelt werden. Wenn dem nicht so ist, dann erheben wir unsere Stimme. Wir können nicht akzeptieren, dass die Zivilgesellschaft mehr und mehr eingeschränkt wird. Das Strafrecht, gar Haftstrafen, ist aus unserer Sicht dafür nicht das Mittel der Wahl.

Seit Februar sind mehrere Hundert Nichtregierungsorganisationen in Russland umfassend kontrolliert worden. Die Bundesregierung sieht dieses konzertierte Vorgehen mit Sorge.

Nicht nur, weil auch deutsche Organisationen betroffen sind. Wir sind vor allem besorgt über die Auswirkungen auf die russische Zivilgesellschaft. Das hat die Bundesregierung ihren russischen Partnern sehr deutlich gemacht.

Den betroffenen Organisationen wird vorgeworfen, ihre Arbeit mithilfe ausländischer Gelder zu finanzieren.

Zivilgesellschaft ist kein nationales Projekt, erst recht nicht in Zeiten der Globalisierung. Die Themen und Herausforderungen, denen die Zivilgesellschaft sich heute widmet, überschreiten häufig die Landesgrenzen. In Zeiten wachsender Verflechtung sind Regierungen, Unternehmen und auch NGOs regional, national und international aktiv. Wir leben in einer vernetzten Welt.

Die Gesellschaften Deutschlands und Russlands wollen wir weiter miteinander verflechten. Wir wollen die Begegnung von Menschen aus beiden Ländern fördern und die Zusammenarbeit deutscher und russischer NGOs erleichtern.

Deutschland steht zum langfristigen Ziel der Visafreiheit zwischen Russland und der Europäischen Union. Ich werde mich auch in Zukunft für den Fortschritt der Verhandlungen über das Visaerleichterungsabkommen einsetzen.

Bis dahin sollten bereits jetzt alle Erleichterungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, die uns das europäische Recht gibt. Das ist mir ein persönliches Anliegen.

Unser Blick für die strategischen Chancen der Zusammenarbeit mit Russland steht nicht im Widerspruch zu einem offenen und mitunter auch kritischen Dialog in partnerschaftlichem Geist.

Ich danke Ihnen für Ihre wichtige Arbeit und ermutige Sie, in Ihrem Engagement nicht nachzulassen.

Nicht weniger, sondern mehr Dialog, mehr Offenheit, mehr Austausch sind das Gebot der Stunde. Sie wissen am besten, wie schwer dieser Weg ist. Aber er ist richtig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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