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„Kurs halten“

15.03.2013 - Interview

Europa muss die politische Kraft aufbringen, den Kurs der Stabilitätspolitik fortzuführen, fordert Außenminister Guido Westerwelle in einem Beitrag zur europäischen Haushalts- und Wirtschaftspolitik.

Europa müsse die politische Kraft aufbringen, den Kurs der Stabilitätspolitik fortzuführen, fordert Außenminister Guido Westerwelle in einem Beitrag zur europäischen Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Erschienen in englischer Sprache in der Financial Times vom 15.03.2013.

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Nach den italienischen Parlamentswahlen hat eine altbekannte These mancherorts wieder Auftrieb bekommen: Nicht hausgemachte Probleme, sondern eine von außen oktroyierte, einseitige Sparpolitik habe zu dem Wahlergebnis geführt. Dieser „Austeritätskurs“ sei nun abgewählt. Wachstum lasse sich rasch und bequem durch schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme schaffen.

Diese Sichtweise ist doppelt falsch. Erstens wurden in den von der Krise besonders schwer getroffenen Ländern der Eurozone trotz erheblicher Härten bisher allenthalben Regierungen gewählt, die in ihren Ländern einen soliden Stabilitätskurs verfolgen. Das gilt für Spanien und Portugal genauso wie für Irland und für Griechenland. Auch die neue Regierung in Zypern hat Strukturreformen angekündigt. Und auch in Italien hat selbst Silvio Berlusconi den Reformkurs von Mario Monti mitgetragen, wenn auch spät und nur halbherzig.

Zweitens mag das Begriffspaar „Austerität oder Wachstum“ als politischer Kampfbegriff taugen, jedenfalls aber nicht als Beschreibung realer Alternativen. Wer behauptet, Sparen und Wachstum seien unüberbrückbare Gegensätze, der unterstellt auch, dass Wachstum nur durch neue Schulden entstehen kann. Dabei wissen wir doch seit langem: Staatsausgaben auf Pump können - wenn überhaupt - allenfalls konjunkturelle Strohfeuer entfachen, sicher aber keinen nachhaltigen Aufschwung begründen. Mehr noch: Bei immer weiter wachsenden Staatsschulden kommt früher oder später der Moment der Wahrheit, dann nämlich, wenn die Märkte als Gläubiger das Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit verlieren. Nichts ist doch für einen Staat schlimmer, als sich in größte Abhängigkeit von den Finanzmärkten zu begeben.

2013 könnte für Europa das schwierigste Krisenjahr werden. Zwar zeitigen die Reformen erste Erfolge. Neues Vertrauen ist an den Finanzmärkten gewachsen, die Haushaltsdefizite und Unwuchten innerhalb der Eurozone gehen zurück. Doch es braucht Zeit, bis diese Vorboten eines Aufschwungs in der realen Wirtschaft ankommen. Noch verharrt die Eurozone in der Rezession. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in einigen Ländern auf ein unerträgliches Maß angestiegen.

Tatsächlich stehen wir in Europa vor der folgenden Alternative: Entweder wir führen unsere Politik des ausgewogenen Dreiklangs aus Solidarität, Wachstum durch mehr Wettbewerbsfähigkeit und Haushaltskonsolidierung fort. Oder wir fallen in die alte, längst gescheiterte Schuldenpolitik zurück.

Letzteres wäre fatal. Denn unbestreitbar besteht ein Zusammenhang zwischen solider Finanzpolitik, Wachstum und Beschäftigung. Überall dort, wo die Regeln der Solidität nicht genügend beachtet wurden, herrscht heute die größte Arbeitslosigkeit – weil nämlich dort niemand investiert. Wer deshalb jetzt in alte Schuldenmuster zurückfällt, machts nichts besser, sondern zementiert über Jahre und Jahrzehnte Massenarbeitslosigkeit in Europa.

Es gibt keine Abkürzung, keinen einfachen Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit – auch wenn die Medizin oft bitter schmeckt. Diese Erfahrung haben auch wir Deutsche gemacht. Entscheidend ist der richtige Mix aus ineinander greifenden Reformen. Sie brauchen Zeit, aber sie wirken.

Genauso wichtig aber ist es, dass die Menschen die Überzeugung an die Wirkung der Medizin nicht verlieren. Deshalb muss jetzt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, besonders der Förderung der Jugendbeschäftigung absolute Priorität auf der europäischen Agenda erhalten. Arbeitslos zu sein ist eine Tragödie für jeden Einzelnen genauso wie für die ganze Volkswirtschaft. Kein Land kann es sich leisten, die Arbeitskraft und Inspiration seiner Menschen zu vergeuden.

Vorrangig bleiben Reformen zur Modernisierung der Arbeitsmärkte und zur Förderung der Arbeitsmarktmobilität. Unverzichtbar sind auch weitere Investitionen bei Bildung und Forschung. Deutschland kann hier durch eine enge Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung helfen. Wie bei uns sollten überall in Europa Unternehmen, die neue Arbeitsplätze schaffen wollen, durch leichteren Zugang zu den Kreditmärkten verstärkt gefördert werden. Förderbanken wie die Europäische Investitionsbank spielen dabei eine Schlüsselrolle.

In ganz Europa müssen wir dauerhaft refombereit und refomfähig sein. Natürlich gilt das auch für Deutschland. Wir sind besser durch die Krise gekommen als manche unserer europäischen Partner und stehen heute so gut da wie lange nicht mehr, weil wir rechtzeitig tief greifende und auch schmerzafte Reformen durchgesetzt haben und weil wir mit der Konsolidierungspolitik schon Anfang 2010 begonnen haben. So sind wir nicht in den psychologischen Strudel der Krise geraten.

Es wäre allerdings ein schwerer Fehler zu glauben, dass Deutschland nun auf Dauer immun gegen Krisen wäre und bei uns keine weiteren Reformen erforderlich sind. Wir sollten uns alle daran erinnern, dass vor wenig mehr als 10 Jahren Deutschland noch als ‚kranker Mann Europas’ galt. Deshalb setzt die Bundesregierung mit allem Nachdruck auf gesunde Staatsfinanzen, einschließlich eines ausgeglichen Bundeshaushalts in 2014, und setzt ihren Reformkurs für mehr Wettbewerbsfähigkeit fort. Nicht zuletzt stärken wir auch die Nachfrage, steigern dadurch die Exporte unserer europäischen Partnern nach Deutschland, und bieten jungen, qualifizierten Europäern echte Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wir wissen: Es wird auch der deutschen Wirtschaft auf Dauer nicht gut gehen, wenn es unseren europäischen Partnern auf Dauer schlecht geht.

Das europäische Schiff ist jetzt an einem kritischen Punkt. Die gefährlichsten Klippen sind umfahren, aber der Hafen ist noch nicht erreicht. Was an Vertrauen wiedergewonnen wurde, dürfen wir nicht wieder verspielen. Wir müssen die politische Kraft aufbringen, den Kurs der Stabilitätspolitik fortzuführen. Kurs halten wird sich auszahlen.

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