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„Ungarn muss Rechtsstaat bleiben“

05.03.2013 - Interview

Ungarn müsse weiter unter Beweis stellen, dass es über wirksame, auf Gewaltenteilung beruhende Kontrollmechanismen verfüge, fordert Staatsminister Michael Georg Link in einem Namensbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 05.03.13.
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Erst der Mut unserer Freunde in Ungarn machte die „Sternstunde“ der Deutschen im Jahre 1989 möglich, als sie in Sopron das erste Loch in den Eisernen Vorhang schnitten. Die Beziehungen zu Ungarn haben spätestens seit damals eine ganz besondere Qualität. Der Beitritt Ungarns zu EU und NATO war für uns nicht nur Überzeugung, er kam von Herzen.

Es lässt uns deshalb nicht gleichgültig, dass die ungarische Regierung für ihre Auffassung von Rechtsstaatlichkeit und politischer Kultur in der Kritik steht. Die Vorwürfe zielen vor allem auf die Art und Geschwindigkeit, mit der die neue Verfassung erarbeitet wurde sowie auf Gesetzesvorhaben zu den Themen Medienfreiheit, Datenschutz und der Reform des Justizwesens. Ungarn hat sich in dieser Situation dem Dialog mit der EU-Kommission, dem Europarat und anderen internationalen Organisationen gestellt. Wichtige Punkte wurden zurecht nachgebessert. Zugleich hat das ungarische Verfassungsgericht wichtige Korrekturen erwirkt.

Hinzu kamen Spannungen mit internationalen Geldgebern sowie fragwürdige Auflagen für ausländische Unternehmen. Kurzfristig mag das der Haushaltskonsolidierung dienen. Doch eine Diskriminierung ausländischer Unternehmen wird sich als Bumerang erweisen. Rechtssicherheit ist Voraussetzung für unternehmerisches Handeln.

Gleichermaßen besorgniserregend sind die Gesetzesentwürfe, die die Kompetenzen des ungarischen Verfassungsgerichtes berühren. Kritiker werfen der Regierung vor, sie wolle das Gericht schwächen, weil es vorangegangene Vorhaben der Regierung für verfassungswidrig erklärt hatte. Vieles davon soll nun in die Verfassung aufgenommen werden. Wenn zugleich das Verfassungsgericht das so entstandene Verfassungsrecht künftig nur noch formal aber nicht mehr inhaltlich prüfen dürfte, würden ihm wichtige Kompetenzen entzogen.

Ein Verfassungsgericht muss, im Sinne der Gewaltenteilung, eine unabhängige Instanz sein. Die Richter bewiesen diese Unabhängigkeit als sie Teile des umstrittenen Mediengesetzes kippten. Umso mehr überrascht nun eine neue Initiative zur Einschränkung der Meinungsfreiheit zum angeblichen Schutz der Würde der ungarischen Nation. Sie soll Verfassungsrang erhalten und würde der Verfassungsgerichtsbarkeit entzogen. Will die Regierung damit missliebige Urteile des obersten Gerichtes unterlaufen?

Ob diese Diagnose zutrifft oder nicht: es sollte auch nur der Anschein vermieden werden, das Prinzip der Gewaltenteilung in Frage zu stellen. Ich setze darauf, dass das ungarische Parlament bei der Behandlung der Gesetzentwürfe seiner Verantwortung gerecht wird.

Wie geht es weiter? Dass Ungarn in der Kritik der Medien steht, liegt nicht an den Medien. Als Freund Ungarns wünsche ich mir erstens, dass Ungarn weiter unter Beweis stellt, dass es über wirksame, auf Gewaltenteilung beruhenden Kontrollmechanismen verfügt. Es bedarf eines lebendigen Parlaments mit einer wahrnehmbaren Opposition und eines selbstbewussten Verfassungsgerichts mit angemessenen Kompetenzen. Ich wünsche mir zweitens, dass die Zweidrittelmehrheit, auf die sich die Regierung stützt, mit Augenmaß genutzt wird. Auch eine Zweidrittelmehrheit ist kein Freifahrschein. Die Stärke der Regierung beruht auch auf ihrer Verantwortung für die Integrität der Verfassungsordnung sowie der Einbindung demokratischer Kräfte, innerhalb und außerhalb des Parlaments und der Gemeinsamkeit der Demokraten gegen die Antisemiten der „Jobbik“. Ich wünsche mir drittens, dass Ungarn die Ratschläge der EU-Kommission und des Europarats annimmt.

Ungarn ist und bleibt ein unverzichtbarer Teil der europäischen Familie. Unsere europäischen Werte, die wir gemeinsam in die Welt tragen, müssen wir auch zuhause hochhalten. Diesem Gedanken dient auch die Initiative von Außenminister Westerwelle zur Stärkung der europäischen Grundwerte. Wir brauchen auf EU-Ebene handhabbare Instrumente, mit denen wir Fehlentwicklungen, die unsere gemeinsame Wertebasis beeinträchtigen, begegnen können. Das muss für alle EU-Mitglieder gelten, neue wie alte.

Wie jeder Mitgliedstaat bleibt Ungarn Herr seiner kulturellen Identität. Aber der geerbten nationalen Identität fügen wir in der zusammenwachsenden EU die Identität gemeinsamer Werte hinzu. Bundespräsident Gauck übersetzte dieses politische Credo in seiner Europa-Rede in den Auftrag europäisch gemeinsam gelebter Werte. Der Rechtsstaat ist der zentralste unter ihnen. Er muss sich ohne Wenn und Aber entfalten können

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