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„Jeder muss teilhaben können“
Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, im Interview zum deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom 18.02.2013.
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Wenn junge Menschen nach 23 Jahren ihren deutschen Pass abgeben müssen, ist das eigentlich ein Fall für den Menschenrechtsbeauftragten?
Das ist zunächst kein Fall für den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, denn meine Aufgabe ist es, mich in der Außenpolitik um Menschenrechte zu kümmern. Hierzu gehört allerdings auch, dass wir in der Menschenrechtspolitik, die wir nach außen vertreten, glaubwürdig sind. Wir müssen nach innen das praktizieren, was wir nach außen vertreten. Das gilt auch für Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit für alle, demokratische Teilhabe und ähnliche wesentliche Menschenrechtsaspekte.
Sie sehen diese Rechte durch das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht verletzt?
Problematisch ist vor allem die ungleiche Behandlung von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Für Kinder binationaler Ehen, für Menschen aus der EU oder für Spätaussiedler ist in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft ohne weiteres möglich. Anderen Menschen wird das, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind, unmöglich gemacht. Das halte ich für eine Ungleichbehandlung. Die Urenkel von deutschen Einwanderern in Argentinien, die keinen Bezug mehr zu Deutschland haben außer dem deutschen Urgroßvater, haben einen argentinischen und einen deutschen Pass und können den Deutschen Bundestag mitwählen, während türkische Einwanderer und ihre Kinder in Deutschland nicht wählen können, obwohl sie hier wohnen, Steuern zahlen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, nur weil sie nicht auf ihren türkischen Pass verzichten wollen. Das finde ich schwer auszuhalten.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU verweist auf den Fall eines Berliner Gewalttäters, der als Doppelstaatler nun in der Türkei Schutz findet. Überzeugt Sie das?
Warum sollten wir Zigtausende Bürger für das Fehlverhalten eines Einzelnen in Haftung nehmen? Das überzeugt mich überhaupt nicht.
Sie halten das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht für überkommen?
Unser Staatsbürgerschaftsrecht folgte ursprünglich dem Abstammungsprinzip. In den vergangenen Jahren haben wir ein paar Schritte in Richtung Territorialprinzip gemacht. Wir sollten das vollenden und sagen: Derjenige, der bei uns wohnt, hat auch einen Anspruch darauf, politisch mitzugestalten. Jeder muss teilhaben können, jeder muss wählen können. Das ist auch ein Anspruch an uns als Demokraten. Im Moment schließen wir durch Ungleichbehandlung eine große Gruppe von der Teilnahme an Wahlen aus. Auch bei qualifizierten Zuwanderern halte ich es für wichtig, dass wir ihnen die Perspektive der vollen Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen bieten.
Loyalitätskonflikte befürchten Sie nicht?
Es ist doch kein Problem, wenn Menschen sich ihrer Herkunft oder der Herkunft ihrer Eltern verbunden fühlen. Ich fühle mich dem Emsland verbunden, wo ich geboren wurde, aber nur ein Jahr gelebt habe. Und ich fühle mich Luxemburg verbunden, wo ich als Jugendlicher gelebt habe. So fühlen sich andere den Ländern ihrer Eltern verpflichtet. Ich sehe dieses Loyalitätsproblem nicht. Das gehört zu Persönlichkeiten dazu, dass die Herkunft der Eltern eine Rolle spielt als Teil der Identität. Außerdem stört es mich, dass diese Frage nur bei einigen gestellt wird. Das sollten wir wesentlich entspannter angehen.
Was schlagen Sie vor?
Wenn wir davon ausgehen, dass es das Recht eines jeden sein sollte, demokratisch teilzuhaben, dann müssen wir die Einbürgerung weiter erleichtern und uns nicht über die doppelte Staatsbürgerschaft den Kopf zerbrechen. Unsere Botschaft sollte sein: Wir können gut damit leben, wenn jemand einen zweiten Pass hat und sich dem Land seiner Eltern verbunden fühlt. Wichtig ist, dass er bei uns die vollen staatsbürgerschaftlichen Rechte genießt.
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Fragen: Daniel Brössler. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung.