Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Außenminister Guido Westerwelle in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages zu Mali
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass wir in dieser Debatte parteiübergreifend - mit einer Ausnahme vielleicht - eine große Gemeinsamkeit haben: Wir alle sehen die Relevanz, wir alle sind nicht der Meinung, dass Mali alle anderen angeht nur nicht uns Europäer, sondern wir können ein unmittelbares eigenes Interesse daran erkennen, durch unsere Politik daran mitzuwirken, Mali insgesamt zu stabilisieren.
Der Kampf gegen den Terrorismus auch im Norden von Mali ist keine Angelegenheit anderer, es ist unsere gemeinsame Angelegenheit. Deswegen will ich vorab ein Wort des Dankes an all die Frauen und Männer richten, die Soldatinnen und Soldaten - Afrikaner und Franzosen -, die jetzt in Mali ihr Leben riskieren, um unsere Freiheit vor Terrorismus zu schützen. Ich möchte in diesen Dank aber auch diejenigen einschließen, die, wie zum Beispiel unsere deutschen Soldaten, die unter großer Lebensgefahr in Afghanistan ihren Dienst verrichten, anderswo auf der Welt gegen Terrorismus kämpfen. Sie stehen hier gerade für unsere Freiheit und für unsere europäischen Werte.
Ich will zum Ausdruck bringen, dass es in einer solchen Debatte natürlich normal ist, dass sich die Opposition Dinge sucht, die sie anders machen würde und kritisiert. Das soll auch so sein. Ich darf aber noch einmal in Erinnerung rufen, was sowohl die Spitzen der Fraktion der SPD, Herr Kollege Steinmeier, Herr Kollege Steinbrück, als auch die Spitzen der Fraktion der Grünen, jedenfalls Herr Kollege Trittin, dazu gesagt haben, und stelle fest, dass sich das sehr weit mit unserer grundsätzlichen Bewertung der Lage deckt.
Das mag in einem Jahr, in dem alle offensichtlich schon an Wahlen denken, nicht opportun erscheinen, aber ich glaube, es ist gar nicht schlecht, dass wir bei einer solch fundamentalen Frage auch den Bürgerinnen und Bürgern zu erkennen geben, dass wir hier über die Richtung und Substanz unserer Mali-Politik in Wahrheit überparteilich eine ganz ähnliche Einschätzung haben und so auch die Entscheidungen treffen.
Das hat ja auch die Debatte, die hier in der letzten Woche stattgefunden hat, durch die bemerkenswerten Ansprachen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten François Hollande und auch durch die Wortmeldungen aus verschiedenen Fraktionen von uns und natürlich auch aus Frankreich zum Ausdruck gebracht.
Ich will zum Zweiten sagen, was die Ursachen dieses Konflikts sind. Ich glaube, Frau Wieczorek-Zeul war es, die am Anfang gesagt hat, es wäre zu einfach, dies mit einem Konflikt, also mit dem Krieg in Libyen und damit monokausal, zu erklären. Ich teile das.
Die Entwicklung im Norden Malis hat vor allen Dingen drei Ursachen: Die erste Ursache ist die wichtigste ‑ darauf komme ich gleich im Anschluss noch ‑, nämlich das leider immer noch herrschende und in Teilen auch berechtigte Gefühl der Bevölkerung im Norden Malis, dass sie nicht in vollem Umfange an den Entwicklungschancen von ganz Mali, vom Kernland Mali, partizipieren können. Mit anderen Worten: Dass der Norden Malis unterprivilegiert ist, ist eine der Hauptursachen für den Konflikt. Deswegen müssen wir hier auch mit einer politischen Lösung ansetzen und ist es wichtig, dass wir hier auch vernetzt denken, auch ausdrücklich im Bereich der wirtschaftlichen Unterstützung und der Entwicklungszusammenarbeit.
Die zweite Ursache ist natürlich auch das ‑ es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden ‑, was durch den Konflikt in Libyen entstanden ist. Es sind Kräfte und Kämpfer mit Waffen in die gesamte Sahelzone eingedrungen, die insbesondere ein spezielles Momentum im Norden Malis genutzt haben, um ihren Ungeist, ihre Aggression und ihre Gewalt zu verbreiten.
Bevor ich zur dritten Ursache komme, darf ich mir eine Bemerkung zwischendurch erlauben: Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, ich habe den Hinweis auf Herrn Gaddafi nicht ganz verstanden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Herrn Gaddafi jedenfalls nie im Zelt besucht, und sie hat auch nie zugelassen, dass er im Tiergarten beim Kanzleramt ein Zelt aufstellen konnte. Ich wollte das hier nur noch einmal erwähnen, bevor sich hier etwas Falsches festsetzt.
Die dritte Ursache ist auch von ganz großer Bedeutung: Im Frühjahr letzten Jahres hat dort natürlich ein Putsch stattgefunden. Das heißt, die malischen Kräfte, die ohnehin schon mit großen inneren Zerwürfnissen zu tun hatten, wurden dadurch, dass im März letzten Jahres ein Putsch stattgefunden hat, abermals geschwächt. Man hat also erlebt, dass die eigentliche Staatsgewalt ‑ das, was man dort Staatsgewalt nennt; das wäre mit unseren Vorstellungen übrigens nur schwer vereinbar ‑ noch einmal geschwächt worden ist.
Zumindest diese drei Ursachen stehen im Mittelpunkt der Entwicklung. Wenn man diese drei Ursachen kennt, dann kennt man meiner Einschätzung nach auch die politischen Schlussfolgerungen. Das Ziel muss nämlich sein, dass wir eine nachhaltige politische Lösung erarbeiten. Eine politische Lösung muss eben ausdrücklich auch einen Fahrplan beinhalten: Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Ordnung, innerer Ausgleich, wirtschaftliche und soziale Teilhabe des Südens, aber eben ausdrücklich auch des Nordens.
Herr Kollege Gehrcke, natürlich ist es richtig, dass wir unverändert ‑ hier sind wir uns mit Frankreich und übrigens auch mit allen afrikanischen Staaten, die sich jetzt engagieren, völlig einig ‑ eine politische Lösung brauchen. Wenn Frankreich in dieser zugespitzten Lage vor ganz kurzer Zeit aber nicht eingegriffen hätte, wenn Frankreich nicht bereit gewesen wäre, militärische Nothilfe zu leisten, dann hätten wir heute überhaupt gar keinen Raum mehr für irgendwelche Gespräche und irgendeinen politischen Ausgleich. Bamako wäre eingenommen worden. Dass das die Absicht war, wusste man spätestens, seitdem die Extremisten in Richtung Mopti gezogen sind und auf dem Weg dorthin eine Stadt nach der anderen erobert haben.
Es war erkennbar: Die Franzosen, die die Kräfte vor Ort hatten, auch aufgrund des geschichtlichen Hintergrundes, haben gehandelt. Wir helfen den Franzosen vor allen Dingen am besten dadurch, dass wir jetzt, genau wie es die Vereinten Nationen in der Resolution 2085 fordern, die Afrikaner selbst befähigen, ihre Aufgabe für die Stabilisierung im Norden Malis wahrzunehmen. Das ist nicht nur die Haltung der Bundesregierung. Das ist auch die erklärte Haltung der Franzosen. So hat sich Präsident Hollande hier in der letzten Woche geäußert. So verstehen wir auch Partnerschaft. Das ist kein Gegeneinander. Im Gegenteil: Diese Partnerschaft verbindet uns.
Schließlich möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass es natürlich nicht reicht, in der Regierung eine Roadmap zu verabschieden, sondern dass sie auch implementiert werden muss. Das heißt, wir brauchen die Zustimmung aller politischen Kräfte. Wir brauchen vor allen Dingen die Zustimmung des Parlaments.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Es hat schon zugestimmt!)
- Aller Kräfte, habe ich ja gerade gesagt. - Dass wir den Ernst der Lage als Bundesregierung erst gesehen hätten, nachdem die Situation eskaliert ist, diese Einschätzung kann ich nicht teilen, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul. Ich selbst bin im November in Bamako gewesen, und wir haben dort Gespräche geführt. Wir haben die Gespräche deshalb geführt, weil wir der Überzeugung sind, dass sich hier die Lage zuspitzt und dass es unbedingt notwendig ist, eine politische Lösung zu befördern. Daran werden wir auch weiter arbeiten.
Deutschland ist bereit, sich wie in den 90er-Jahren bei einem politischen Prozess besonders zu engagieren. Dieses Angebot ist gemacht worden, dieses Angebot ist auch angenommen worden. Darüber hinaus helfen wir logistisch.
Was die Ausbildungsmission angeht, so muss ich Ihnen da sagen, Herr Kollege Gehrcke: Wir haben doch hier gemeinsam festgestellt - ich habe es doch in Besprechungen mit Ihnen und anderen immer wieder gesagt -: Wir pflegen engsten Austausch mit dem Deutschen Bundestag. Wenn wir auch nur in die Nähe einer Mandatspflicht kommen, werden wir sofort den Deutschen Bundestag um ein Mandat bitten. Wenn Sie sagen, unser Verhalten sei rechtswidrig, dann bitte ich Sie ausdrücklich, die Gerichte anzurufen; denn das kann man nicht machen, hier zu behaupten, die Bundesregierung würde sich rechtswidrig verhalten, sich aber dann als Abgeordneter hinzusetzen und nichts zu tun. Wir verhalten uns streng völkerrechtlich korrekt, streng gebunden an die Verfassung und selbstverständlich auch strengstens gebunden an das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Einen anderen Eindruck kann man hier nicht stehen lassen.
Meine Damen und Herren, natürlich bleibt es so, dass wir in Europa noch eine Menge zu tun haben. Natürlich bleibt es so, dass wir immer tarieren und auch sehen müssen, was in der spezifischen, konkreten Lage wirklich erforderlich ist. Das heißt, wir sind auch in der Lage, nachzusteuern. Das werden wir auch tun. Aber bitte vergessen wir eins nicht: Vergessen wir nicht das Schicksal der Menschen. Die humanitäre Hilfe: Sie bleibt natürlich unparteiisch. Sie bleibt neutral. Aber wir müssen in Anbetracht dieses militärischen Konfliktes auf jeden Fall auf die Menschen, auf die Opfer schauen, die es dort gibt. Die humanitäre Hilfe: Sie ist umso notwendiger.
Es ist vorbildlich, was hier Deutschland leistet. Wir haben viel Respekt für das bekommen, was wir gestern in Addis Abeba in anderer Hinsicht angekündigt haben. Wir sind eines der stärksten Geberländer. Wenn man alles zusammenrechnet, auch unseren Anteil an dem, was Europa tut, kommen wir auf einen Betrag von 100 bis 120 Millionen US-Dollar. Ich finde, Deutschland muss sich nicht verstecken, sondern Deutschland kann wirklich sagen: Wir verhalten uns international in jeder Hinsicht vorbildlich. Deswegen möchte ich sagen: Ich verstehe, dass Sie da und dort Kritik üben, aber ich denke, in Wahrheit teilen Sie in der Substanz die Mali-Politik der Bundesregierung. Ich finde, das ist für keinen von uns zum Schaden. Vielen Dank.