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„Das transatlantische Verhältnis wäre unter Romney nicht schlechter“

04.11.2012 - Interview

Der Koordinator für die transatlantischen Beziehungen, Harald Leibrecht, spricht im Interview mit dem Deutschlandfunk über die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen. Gesendet am 04.11.2012.

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Der Osten der USA, Herr Leibrecht, steht dieser Tage noch ganz unter dem Eindruck des Hurrikan „Sandy“ und der Schäden, die er hinterlassen hat: Todesopfer, Millionen Menschen ohne Elektrizität. Dazu ein Präsident, der Gelegenheit bekam, sich als pragmatischer Krisenmanager zu präsentieren. Und einen Korrespondenten habe ich gehört, der brachte seinen Eindruck folgendermaßen auf den Punkt: „Wenige Tage vor der Wahl scheint ein Wirbelsturm das Rennen um die Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika entschieden zu haben“ . Ist das auch Ihr Eindruck, ist die Wahl bereits entschieden?

Zunächst sind unsere Gedanken natürlich bei den vielen Menschen, die durch den Wirbelsturm in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es gab ja Todesopfer, aber natürlich haben auch viele ihr Zuhause verloren. Deshalb sind in unseren Gedanken bei diesen Menschen. Aber, so wie ich die Amerikaner kenne, werden sie doch recht schnell wieder zur Normalität zurückkehren. Der Sturm selber ist natürlich auch politisch letztendlich zu bewerten. Da ist jetzt ein Präsident, der das Ruder in die Hand nimmt, der die Hilfsmaßnahmen mit anlaufen lässt, der schnell Entscheidungen trifft. Das kommt bei den Amerikanern immer gut an - eine starke Führungspersönlichkeit …

... und der ja auch gezeigt hat, wie gut er und wie reibungslos er mit einem republikanischen Gouverneur wie Chris Christie von New Jersey, einem Staat, der besonders betroffen war, zusammenarbeiten kann.

Ja, und der Gouverneur hat ihn ja auch sehr gelobt ob der Entscheidungsgeschwindigkeit von Obama und dass er die Dinge auch anpackt. Das ist sicherlich, wenn man das auf den Wahlkampf bezieht, für Obama ein Pluspunkt. Auf der anderen Seite ist gerade New Jersey, aber auch New York, sehr demokratisch geprägt. Und jetzt ist die Frage, inwieweit bis zum Wahltag am kommenden Dienstag Obama es auch schafft, diese Menschen wieder soweit zu mobilisieren, dass sie auch zur Wahl gehen und ihn dann auch unterstützen.

Und würden Sie sagen, die Hoffnung besteht für Obama?

Die Hoffnung besteht, ohne Frage. Aber viele Menschen kämpfen jetzt einfach mit den tagtäglichen Problemen, die so eine Nachsturmzeit mit sich bringt. Und es ist jetzt wichtig, dass sie trotzdem ihre demokratische Pflicht wahrnehmen und auch zur Wahl gehen - nicht nur die Unterstützer von Obama, sondern natürlich auch von Romney.

Gleichzeitig haben die Folgen des Sturms ja aber eben auch wieder eine Seite der amerikanischen Gesellschaft zutage gefördert, über die hierzulande immer wieder der Kopf geschüttelt wird, Und damit sind wir direkt beim Thema: Eine Infrastruktur, die ja schon bei geringeren Stürmen nicht standhält. Wir wissen alle, wie es ist. Ein Gewittersturm im Sommer zum Beispiel kann dazu führen: Bäume knicken ab, die Stromleitungen, die vielerorts über Land verlaufen, werden beschädigt, Hunderttausende sind dann oftmals ohne Strom, ohne Klimaanlage, ohne Kühlschränke. Wie sehen Sie das, sind da wirklich ganz notwendige Investitionen versäumt worden über Jahrzehnte?

Jeder von uns, der die USA bereist, weiß und sieht, dass es hier große Defizite gibt, dass die Straßen oft nicht mehr allzu gut sind, dass die Stromversorgung schlecht ist, dass es oft Blackouts gibt, also die Stromversorgung insgesamt zusammenbricht, und das doch in einem zunehmenden Maße. Das ärgert die Menschen zu Hause, aber das ist ein echtes Problem auch für die vielen Firmen, die oft im Hightechbereich tätig sind, wo ja schon Millisekunden schädlich sind. Und wenn hier teilweise stundenlang der Strom ausfällt, ist das natürlich ein riesengroßes Problem. Natürlich müssten die USA viel, viel Geld in die Hand nehmen, um diese Defizite auch zu beseitigen. Ich sehe im Moment, das ist nicht der Fall, sondern die USA müssen auch sparen. Sie haben ja einen unausgeglichenen Haushalt, sie haben auch ein hohes Außenhandelsdefizit. Und darum fehlt einfach das Geld, um direkt vor Ort, in den Gemeinden, in den Städten, in den Kommunen zu investieren. Und das merken die Bürger und sehen die Bürger des Landes natürlich selber auch.

Geld war für anderes natürlich da. Was ist Ihre Erklärung dafür, dass an so grundlegenden Infrastrukturmaßnahmen dann eben doch gespart wurde?

Zunächst einmal möchte der Bundesstaat sich nicht immer direkt in alles einmischen, was direkt die Kommunen auch zu tun haben. Es ist ein föderaler Staat, so wie bei uns. Also, viele der Infrastrukturmaßnahmen müssen natürlich auch in den Kommunen angepackt werden oder auch in den Bundesländern. Trotzdem haben die USA in den letzten Jahren hier einfach zu wenig ausgegeben, das spüren sie heute auch. Sie haben aber kein Mittel, um diesen Gordischen Knoten auch durchzuschlagen, und das tut den USA weh auch in der Wirtschaftskraft, denn heute ist ja auch Mobilität gerade bei den Amerikanern sehr wichtig. Sie brauchen eine gute Infrastruktur. Wenn ich zum Beispiel an die Eisenbahn denke: Es hat sich in Amerika nie letztlich so entwickelt. Einen richtigen Personennahverkehr, ein schnelles Zugsystem - alles das gibt es nicht. Die Amerikaner verlassen sich sehr stark auf die Fliegerei, dass man mit dem Flugzeug alles erreichen kann, und natürlich aufs Auto. Und gerade jetzt zeigt es sich, dass das nicht immer die richtige Politik war. Es wäre heute auch gut, ein gut ausgebautes Schienennetz zu haben, vergleichbar mit unserem Land.

Um den Horizont da noch etwas weiter zu öffnen: Es ist im vergangenen Jahr ein Buch erschienen mit dem Titel „That used to be us“. Ich glaube, es ist noch nicht auf Deutsch erschienen. Man könnte sagen „Das waren wir mal“ oder „Das sind wir früher mal gewesen“ - von zwei bekannten amerikanischen Journalisten. Und eine ihrer Thesen ist: Die Amerikaner haben eigentlich sich zu lange über ihren Erfolg beim Ende des Kalten Krieges gefreut und haben im Grunde genommen in den letzten 20 Jahren so ein bisschen verschlafen, um das Wort noch mal zu verwenden, Grundsatzentscheidungen zu treffen, um das Land auch neu auszurichten, neu zu positionieren in einer sich sehr stark verändernden globalisierenden Welt, wo eben auch andere Handels- und Wirtschaftsmächte eine größere Rolle spielen. Würden Sie das unterstreichen?

Teils teils vielleicht schon. Es waren sicherlich auch Zeiten, wo die USA sehr viel mehr in ihre Infrastruktur hätten stecken können. Doch auf der anderen Seite muss man sehen: Die Amerikaner ticken anders. Es gibt ja auch eine gewisse Staatsferne oder Kritik gegenüber dem Staat. Man möchte, dass der Staat sich nicht überall einmischt. Er soll dafür sorgen, dass man in sicheren Außengrenzen lebt, dass die innere Sicherheit in Ordnung ist, dass es gewisse Rahmenbedingungen gibt, um sich wirtschaftlich zu entwickeln. Aber der Staat ist nicht für alles zuständig. Und deshalb verlangt der Staat auch nicht so viel Steuern von seinen Bürgern, wie wir sie in Deutschland bezahlen. Wir haben dafür ein ganz anderes Sozialsystem, aber auch eine ganz andere Infrastruktur, denn der Staat hat letztendlich mehr Geld, um in diesem Bereich auch zu investieren oder zu finanzieren. Und man sieht das ja an „Obamacare“ oder an der Reform der Gesundheitspolitik, wie schwierig es ist, neue Ideen einzubringen und zumindest einmal auch eine gesundheitliche Grundversorgung für die Menschen auf den Weg zu bringen. In Deutschland ist für uns die Krankenvorsorge ein Minimum, das wir wollen und das auch uns wichtig ist. In den USA wird das nicht so gesehen, da wird es als sehr persönliche Sache gesehen, und es gibt viele Menschen, die sagen: Ich muss mich selber krankenversichern, dafür ist der Staat nicht zuständig.

Haben Sie als Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen den Eindruck, dass das hier in Deutschland ausreichend verstanden wird, dass es auch ausreichend erklärt worden ist, dieses grundsätzlich unterschiedliche Staatsverständnis?

Nein, da müssen wir noch vieles leisten. Natürlich erkläre ich auf beiden Seiten des Atlantiks, wie wir Deutschen zum Beispiel ticken oder die USA, und dann erklärt man das hier. Aber es gibt natürlich schon auch viele Unterschiede, gerade auch in der Gesellschaft - eben, dass es weniger Staatshörigkeit gibt, dass man kritischer ist, dass man aber auch nicht gleich nach dem Staat ruft, wenn was schief geht, wenn man auch selbst in eine finanzielle Notlage kommt, eine persönliche, oder gesundheitlich. Dass man erst einmal versucht, sich selber am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und nicht der Staat gleich zuständig ist. Trotzdem gibt es in der amerikanischen Gesellschaft zunehmend Menschen, die durch soziale Raster auch fallen, die selber eben nicht vorsorgen können im Bereich der Gesundheit und der Rente. Und natürlich ist es richtig und gut, dass Präsident Obama diesen Bereich auch angepackt hat.

Vor dem Hintergrund dessen, was wir uns vergegenwärtigen: Es gibt grundsätzlich ein anderes Staatsverständnis, und es gibt eine größere Skepsis dem Staat gegenüber als hier in Deutschland, zum Beispiel. Muss man dennoch sagen, dass der Wettbewerb, den wir im Augenblick noch sehen und der in wenigen Tagen ja zu Ende gehen wird zwischen den beiden Kandidaten - zwischen dem demokratischen Präsidenten Barack Obama und dem republikanischen Herausforderer Mitt Romney - eben auch genau ein Wettkampf ist zwischen diesen beiden unterschiedlichen Philosophien: Mehr Staat und weniger Staat. Erkennen Sie einen Trend in der amerikanischen Gesellschaft, wohin das gehen könnte? Denn was alle Umfragen im Augenblick sagen, muss man schon sagen, es ist ja sehr knapp.

Ja, es wird extrem knapp. Aber Sie haben schon richtig gesagt: Die beiden Kandidaten haben unterschiedliche Ansichten, wie ein Staat funktionieren soll - Obama mehr in Richtung, dass man sagt, es muss eben eine soziale Grundabsicherung geben. Bei Mitt Romney ist das nicht so, obwohl er selber in Massachusetts als Gouverneur so ein System eingeführt hat, das Obama quasi als Blaupause für seine Politik auch genommen hat …

…mit Blick auf die Gesundheitsreform…

…mit Blick auf die Gesundheitsreform. Und Romney hat sich inzwischen selber von seiner eigenen Reform auch distanziert. Auf der anderen Seite möchte Obama ja auch Steuererhöhungen, vor allem in erster Linie für sehr gut verdienende Menschen, für die Reichen. Einerseits klingt das sehr populär, auf der anderen Seite ist das auch die Frage, ob das letztendlich die Staatsfinanzen saniert. Romney hat da ein völlig anderes Bild, er möchte durchweg die Steuern reduzieren und er setzt natürlich auch auf die Wirtschaftskraft des Landes, und das ist seine erklärte Politik.

Haben Sie eine ganz klare Meinung dazu, was besser für die Vereinigten Staaten von Amerika wäre in dem jetzigen Zustand?

Es wäre sicherlich ein Mix aus beidem. Ich sehe schon, und ich bin ja viel in den Vereinigten Staaten unterwegs, dass es zunehmend auch Menschen gibt, die um ihr tägliches Leben mehr kämpfen müssen, dass sie keinen Job haben. Die Krise in Amerika ist inzwischen nicht nur bei Armen angekommen, sondern auch beim sogenannten Mittelstand, gehobenem Mittelstand, Anwälte, die mobil sein müssten. Die sagen: Ich finde woanders einen guten Job, ich kann aber nicht weg, weil ich mein Haus abbezahlen muss, ich kann es aber nicht verkaufen, weil die Zinsen so hoch sind. Ich kann zwar noch die Zinsen bezahlen - aber es ist einfach eine ganz, ganz schwierige Situation. Und hier muss man den Menschen Perspektiven aufzeigen. Obama hat dies auch vor. Auf der anderen Seite: Mitt Romney ist jemand natürlich selber als erfolgreicher Unternehmer weiß, auf was es ankommt - dass man einerseits sparen muss, auf der anderen Seite auch Investitionen betätigen muss, und das nicht nur im Land, sondern auch nach außen hin. Also ich sehe auch durchaus sehr große Chancen, dass auch das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA mit beiden Präsidenten hoffentlich in Gang kommt. Aber Mitt Romney ist da sicherlich noch etwas engagierter.

Sie haben die Auswirkungen der Finanzkrise, der Wirtschaftskrise, die ja schon seit einigen Jahren anhält, beschrieben, was auch den Immobilienmarkt angeht, auch Probleme, die sich wirklich direkt im Alltag der Menschen widerspiegeln. Dabei sind wir natürlich jetzt auch bei einer Art Bilanz der Amtszeit, der vier Jahre von US-Präsident Obama. Vor genau vier Jahren sprach alle Welt von “Hope and Change”, und selbst einige Stammwähler der Republikaner ließen sich anstecken von der Begeisterung und der Euphorie. Fragen wir mal so: Wo sind Hope und Change hin in den USA vier Jahre später?

Ja, es ist natürlich auch viel Ernüchterung eingekehrt. Damals wollten die Menschen in den USA auch einen politischen Wechsel, weil sie mit Georg W. Bush nicht einverstanden waren. Obama hat hier sehr viel Hoffnungen geweckt, dass auch ein neuer politischer Stil ins Land kommt, dass auch die so genannten Minderheiten - Latinos, die asiatischstämmige Bevölkerung, die African-Americans - mehr Mitbestimmungen bekommen oder mehr in der Gesellschaft mitwirken können. Diese Wähler haben Obama ja auch sehr stark unterstützt. Und da ist dann am Ende doch viel Ernüchterung gekommen und man hat gesagt, so viel konnte er für uns noch nicht bewirken. Er hat auch nicht dafür gesorgt, dass die vielen Millionen Menschen, die in Amerika illegal leben, illegale Einwanderer, dass man versucht, sie in irgendeiner Art und Weise in die Legalität bringt, dass sie in Zukunft auch versicherungspflichtig arbeiten können, dass sie eine soziale Absicherung auch haben, da ist vieles nicht passiert. Auf der anderen Seite hat Obama eben die Reformen der Gesundheitspolitik eingeführt. Sehr viele Menschen werden davon auch jetzt Vorteile haben, insbesondere auch die älteren Menschen. Das wird sich sicherlich auch widerspiegeln. Aber diese große Aufbruchstimmung, dieses „Yes, we can“, das ist sehr stark abgeklungen. Und natürlich ein Präsident, der bereits im Amt ist und eine Wiederwahl will, kann diesen zündenden Funken sicherlich nicht noch mal so haben, sondern er wird jetzt daran gemessen, was hat er geleistet die vier Jahre und traut man ihm zu, dass er die nächsten vier Jahre auch gute Politik macht.

Hat er damals falsche Prioritäten gesetzt, wenn wir uns eben anschauen, dass die wirtschaftliche Situation eben sich nicht in der Art und Weise gebessert hat, wie viele ja gehofft haben?

Na ja, es war eine ganz, ganz schwierige Situation. Der Immobilienmarkt war zusammengebrochen, das Weltfinanzsystem war in großen Schwierigkeiten. Also, er musste ja einfach erst mal handeln und möglichst schnell sein Land wieder auf Kurs bringen. Das ist ihm, glaube ich, in weiten Teilen auch gelungen. Ich habe auch gemerkt, dass auch die Forderungen der amerikanischen Administration gegenüber Europa und Deutschland ja sehr massiv waren. Man sagt, ihr müsst in Europa auch die Staatsschuldenkrise, die Eurokrise auch bewältigen. Sonst schwappt das nach Amerika über. Also, man hatte schon das Bewusstsein, dass man ganz schnell auch im Wirtschaftsbereich etwas ändert. Und Obama ging auf einer langen Strecke auch auf die Republikaner zu und hat versucht, sie ins Boot mit rein zu nehmen. Das war aber eine ganz schwierige Kiste. Und gerade, als es auch darum ging, dass man auch die Verschuldungsgrenze innerhalb Amerikas erhöht, war es nicht möglich, fast nicht möglich, weil eine reine Blockadepolitik vieler republikanischer Politiker, insbesondere der Tea Party auch war. Und das hat dadurch das Regieren in Amerika besonders schwierig gemacht.

Schauen wir mal auf die Perspektive der Deutschen. Wie schauen wir auf die Vereinigten Staaten von Amerika? Es ist ja sehr interessant, dass Obama für seine geleistete Arbeit in den vergangenen vier Jahren trotz oder vielleicht gerade wegen der Euphorie, die damals hier geherrscht hat, sehr, sehr stark kritisiert wird. Auf der anderen Seite wäre ein Präsident Romney, glaube ich, für viele wohl völlig tabu. Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass Menschen freiwillig die Republikaner wählen. Also interessanterweise würden 90 Prozent der Deutschen Obama wieder wählen, trotz der starken Kritik, die sie an ihm üben. Was heißt das für Sie? Ist das irgendwie auch eine Art Verblendung oder Naivität der deutschen Öffentlichkeit?

Nein, das ist keine Naivität, aber Obama ist nun einmal sehr beliebt. Das hat man ja gemerkt vor seiner letzten Wahl, als er hier an der Siegessäule gesprochen hat, dass eben Tausende und Abertausende Menschen ihm zugehört haben und waren begeistert davon, wie er spricht, was er sagt, wie er Amerika auch verändern möchte und die Beziehung auch zu Europa sieht. Aber wir Deutschen beschäftigen uns ja nicht unbedingt tagtäglich mit der amerikanischen Innenpolitik. Und da sieht es eben anders aus. Und wir haben ja schon vorher ein paar Themen angesprochen, nicht alle sind begeistert von einem Präsidenten, der eben mehr Sozialausgaben produziert, der nicht so erfolgreich ist, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Es stagniert im Moment. Da haben sich natürlich viele von Obama viel versprochen, dass sich in vier Jahren auch viel ändern wird. Alles das ist so jetzt noch nicht eingetreten. Allerdings sind vier Jahre unter Umständen auch kurz, um weitreichende Reformen durchzusetzen. Und natürlich ist Amerika hier auch gespalten. Es gibt ja das Mehrheitswahlsystem. Das heißt, in einem Bundesland - 'the winner takes it all' - gewinnt immer einer. Und es gibt sehr viele Staaten, die eben sehr republikanisch orientiert sind und die Menschen sehr konservative Wähler auch sind. Uns in Deutschland hat vielleicht der Vorwahlkampf etwas verwirrt, die sogenannten 'Primaries', wo ja mancher Paradiesvogel - will ich es mal nennen - plötzlich amerikanischer Präsident werden wollte. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch erkennen, dass es durchaus ein sehr demokratisches System ist. Eine Partei wählt sich über einen längeren Zeitraum und durch viel Wahlkampf ihren eigenen Kandidaten. Und das ist ja auch schon ein Unterschied hier zu Deutschland, wo eben eine Handvoll Führungspersönlichkeiten einer Partei mehr oder weniger bestimmt, wer der nächste Kanzlerkandidat wird. Die Partei segnet es nachher ab. Aber in Amerika ist es so. Und natürlich hat Romney am Anfang auch sehr, sehr stark polarisiert. Er hat die extrem Konservativen angesprochen, auch mit seinem Vizepräsidentenkandidaten, mit Paul Ryan, hat er das noch mal unterstützt. Und dann, bei den Fernsehdebatten, ist er noch mal ja völlig umgeschwenkt Richtung Mitte, denn er weiß auch, dass die amerikanischen Wahlen und die Wahlen in USA in der Mitte gewonnen werden und nicht an den Rändern.

Mit Blick auf das transatlantische Verhältnis wünschen Sie sich diesbezüglich eine Wiederwahl des Präsidenten Obama, der sich ja ausdrücklich als pazifischen Präsidenten bezeichnet hat. Und es gibt ja Beobachter, die sagen, eher unter Mitt Romney würde das transatlantische Verhältnis eine Renaissance erfahren mit einem Mann, der ja auch einige Jahre in Frankreich gelebt hat und französisch spricht.

Also, zunächst einmal wird die Bundesregierung mit jedem gewählten amerikanischen Präsidenten gut arbeiten. Und das transatlantische Verhältnis ist nun mal einfach sehr gut, das muss man sagen. Das wäre sicherlich unter Romney dann auch nicht schlechter. Wir kennen Romney einfach noch zu wenig, um ihn so einzuschätzen, ist er jetzt der große Transatlantiker oder nicht. Wir wissen allerdings bei Obama, wie Sie richtig sagen, dass er sich eben sehr stark Richtung Asien orientiert.

Ist das zum Schaden des transatlantischen Verhältnisses?

Nein, es muss nicht zum Schaden sein. Ich werde ja auch immer wieder angesprochen, wie wollen wir diesen Wettbewerb aufnehmen? Da sage ich, das ist vielleicht ein Wettbewerb in den Produkten, in den Dienstleistungen, im Finanzsektor, aber wir sollten auch diese sehr starken transatlantischen Beziehungen dazu nutzen, gemeinsam mit den USA diese neuen Märkte zu erschließen und gerade auch, wenn es darum geht, Standards zu setzen, gemeinsam vorzugehen. Nicht, dass uns andere nachher diktieren, wie unsere Produkte auszusehen haben, sondern dass wir selber einen Einfluss darauf haben.

Europa hat in den TV-Debatten, die wir gesehen haben, so gut wie gar keine Rolle gespielt. Das haben viele Beobachter hierzulande mit einer gewissen Beleidigung auch zur Kenntnis genommen. Und das ist ja auch kein Zufall. Ist das symptomatisch für einen Bedeutungsverlust dieses Kontinents im Blick der USA oder auch amerikanischer Präsidentschaftsbewerber?

Nein, so würde ich das nicht sehen. Vieles, was auch in den Debatten diskutiert wird drüben in Amerika, muss man unter dem Aspekt des Wahlkampfes sehen. Der Wahlkampf in Amerika wird nicht durch Außenpolitik gewonnen, sondern durch die Innenpolitik. Und natürlich werden außenpolitische Themen besprochen, aber beide Kandidaten haben sich ja sehr eindeutig auch für Europa ausgesprochen. Und ich bin da Realist genug, um zu wissen, dass gerade im Wahlkampf Europa insofern keine Rolle spielt, dass es jetzt wahlkampfentscheidend ist. Aber beide Kandidaten sind natürlich auch sehr besorgt darüber, ob wir Europäer unsere Staatsschuldenkrise und die Eurokrise in den Griff bekommen oder nicht. Umgekehrt sind wir auch interessiert, dass die Vereinigten Staaten ihre Wirtschaftskrise, ihre Schwierigkeiten, die sie da auch haben, auch in den Griff bekommen, denn beide Märkte hängen doch auch sehr eng miteinander zusammen.

Schauen wir mal auf kommenden Dienstagabend. Es könnte knapp werden, das haben wir jetzt schon mehrfach angesprochen. Es gibt Beobachter, die befürchten, es könnte eine Art Remake von Florida 2000 geben, dass es nämlich so knapp werden könnte, dass am Ende ganz banale Details anfangen, eine Rolle zu spielen, man noch mal genau nachrechnen, noch mal genau nachzählen muss. Es gab ja inzwischen auch schon wieder Meldungen über den Verdacht zumindest von Unregelmäßigkeiten bei den Wahlunterlagen. Halten Sie es für völlig ausgeschlossen, dass wir eine solche Zitterpartie wie vor zwölf Jahren noch einmal bekommen?

Im Moment scheint alles drin zu sein. Die sogenannten Swing-States, diese Staaten, die sich eben noch nicht entschlossen haben, in welche Richtung sie letztendlich mehrheitlich wählen, da sind die Umfragen ganz, ganz eng. Das bewegt sich zum Teil im Zehntel-Prozent-Bereich. Und es kann durchaus sein, dass also nicht plötzlich nur die großen Swing-States ausschlaggebend sind, sondern vielleicht plötzlich auch ein kleines Land mit wenigen Wahlmännern. Das ist ja ein ganz anderes Wahlsystem dort als bei uns, und da können wenige Stimmen schon sehr viel ausmachen. Wenn wir an das Jahr 2000 denken, da hatte Al Gore als Präsidentschaftskandidat die meisten tatsächlichen Stimmen der Wähler, die sogenannte „Popular Vote“, trotzdem hat Bush ganz knapp aber gewonnen, weil er in Florida die Mehrheit bekam und somit mehr Staaten bekommen hat. „The winner takes it all“, also auch hier kann es sehr knapp werden. Und wenn es ein Patt gibt und beide gleich viele Wahlmänner haben, dann entscheidet das Repräsentantenhaus. Und da würde dann Romney Präsident werden, denn die meisten Einzelstaaten, wie es ausschaut, wählen republikanisch.

Und auch, wenn es Unterschiede gibt zwischen ...

Jedes Land hat eine Stimme.

Ja, wer bekommt die Mehrheit der Wähler und wer die Mehrheit der Wahlmännerstimmen? Das ist in der Verfassung sehr klar geregelt, wer es dann am Ende wird. Dennoch steht hier zu befürchten, dass dann die Frage losgeht, ist das eigentlich noch ein gerechtes Wahlsystem? Ist es nicht eigentlich völlig überholt und altfränkisch noch aus der „Postkutschenzeit“? würden Sie das als eine dringliche Frage sehen, die man diskutieren muss?

Ich werde, wenn ich in den USA bin, oft auf unser Wahlrecht angesprochen. Ich werde gefragt, wie ist das denn, ihr habt ja auch kleinere Parteien bei euch drin, es sind nicht nur CDU und SPD, aber es gibt die Grünen, es gibt die FDP, es gibt andere, die Linken. Und dann erkläre ich unser Wahlsystem, das erst mal bisschen komplizierter klingt, aber sehr plausibel. Und ich habe dann das Gefühl, Leute, die sich in den USA mit diesem Thema befassen, könnten sich auch mit einem Wahlrecht anfreunden, das eben auch kleineren Gruppierungen und Parteien die Chance gibt, parlamentarisch vertreten zu sein und eben auch für ihren Bereich dann eintreten. Dass es in Deutschland mehr Umweltbewusstsein gibt oder die Anti-Atombewegung hat auch damit zu tun, dass es hierfür auch kleine Parteien gibt, die sich dafür sehr stark einsetzen. In der großen Partei findet das in dem Maße bei Weitem nicht statt.

Wann am Mittwochmorgen deutscher Zeit haben wir ein Ergebnis für das Weiße Haus?

Das ist eine gute Frage. Wenn es ganz gut läuft, denke ich so gegen fünf Uhr früh. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das nicht nur eine sehr lange Wahlnacht, sondern auch der Morgen danach noch etwas länger wird. Ich hoffe, dass wir dann aber zu einem klaren Votum letztendlich kommen, dass wir sehen, wer der nächste Präsident wird und dass es nicht, wie schon einmal, zu einer wochenlangen Nachzählung kommt. Kleine Unstimmigkeiten gab es schon immer. Das hat auch oft mit diesen veralterten Wahlmaschinen und so was zu tun. Oder viele Menschen haben sich vielleicht auch zu spät registriert. Es ist ja nicht so wie bei uns, dass man automatisch eine Wahlbescheinigung bekommt, sondern man muss ja selber aktiv werden. Und da findet sich dann plötzlich einer nicht auf der Wahlliste. Aber im Großen und Ganzen denke ich, ist das System gut. Aber wie schnell wir dann letztendlich wissen, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird, steht noch ein bisschen in den Sternen.

Herr Leibrecht, herzlichen Dank für das Gespräch.

Ich danke Ihnen.

Fragen: Bettina Klein. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks.

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