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„Europa ist mehr als eine Währung“

31.10.2012 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle im Interview zur europäischen Zukunftsgruppe und zum Rechtsstaatsdialog mit Russland. Erschienen im Badischen Tagblatt vom 31.10.2012.

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Herr Westerwelle, Sie haben mit anderen Außenministern der EU eine sogenannte Zukunftsgruppe gegründet, in der Sie über die Zukunft der EU nachdenken. Dabei kommen Sie zu dem Ergebnis: Mehr Europa. Warum?

Wenn wir als Europäer in einer Welt mit vielen neuen Kraftzentren in Asien, in Lateinamerika und auch in Afrika unseren Wohlstand und unsere freiheitliche Lebensweise behaupten wollen, sind wir gut beraten, uns als Schicksals- und Kulturgemeinschaft enger zusammenzutun. Wenn ich sage: Mehr Europa, dann meine ich damit natürlich auch ein besseres Europa. Mehr Europa heißt nicht, dass sich Brüssel neue Aufgaben aneignet, die anderswo besser aufgehoben sind.

Was heißt besseres Europa aus Ihrer Sicht?

Die Schuldenkrise hat doch gezeigt, dass manche Entscheidung zu lange gebraucht hat. Die Strukturen in Europa sind noch nicht transparent und effizient genug. Daran müssen wir in den europäischen Institutionen arbeiten. Es ist wie im richtigen Leben: Aus einer Krise muss man und kann man auch lernen.

Kann es dabei in Europa auch mit verschiedenen Geschwindigkeiten vorangehen?

Wir haben bereits jetzt ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Volle Reisefreiheit gibt es im Schengen-Raum, in dem nicht alle EU-Länder dabei sind. Die gemeinsame Währung gilt in 17 der 27 Mitgliedstaaten der EU. Und wir werden auch den nächsten Schritt der Integration in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen müssen, denn Sicherheit ist in Europa zwischen den Ländern auf das engste miteinander verwoben. Wenn wir da gemeinsam vorangehen, kann das auch Einsparungen für die Steuerzahler mit sich bringen. Alle sind eingeladen, den Weg der europäischen Integration mitzugehen. Niemand ist ausgeschlossen oder würde ausgesperrt. Aber wer nicht oder noch nicht will, darf alle anderen nicht davon abhalten können. Wenn ich von einer weiteren Beschleunigung der Globalisierung spreche, geht es nicht noch mal um eine Zeitspanne von 50 Jahren, sondern um ein Jahrzehnt.

Alle sind eingeladen, auch die Briten. Die sagen gerne: Europa ist ein gemeinsamer Markt, mehr nicht.

Europa ist mehr als eine Währung, auch mehr als ein Binnenmarkt. Europa ist eine politische Union, die sich mit eigenen Werten in der Welt behaupten will. Diesen Selbstbehauptungswillen müssen wir Europäer auch zeigen, indem wir zusammenhalten und unsere Union fortentwickeln. Nur so gewinnen wir auch das Vertrauen der Welt zurück. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Großbritannien in Sachen Europa etwas zögerlicher ist, ich erinnere mich noch gut an Margret Thatcher.

I want my money back, lautete ihr legendärer Spruch, mit dem sie britische Geldzahlungen zurückgefordert hat.

Ja. Aber natürlich gehören die Briten zu Europa. Sie haben einen festen Platz im europäischen Haus.

Täuscht der Eindruck, oder haben Sie sich in Ihrem dritten Amtsjahr gewandelt: Sie haben Europa als Thema entdeckt.

Ich habe beispielsweise schon vor einem Jahr auf unserem Bundesparteitag in Frankfurt mit einer proeuropäischen Rede Klartext gesprochen. Ihnen fällt nun die Arbeit unserer Zukunftsgruppe besonders auf. Neu ist mein Engagement für Europa aber nicht.

Aber Sie betonen diese Arbeit jetzt mehr.

Der Boden, auf den diese Ideen fallen, ist fruchtbarer geworden, weil mehr und mehr Menschen sehen, dass es nicht ausreicht, eine Krise zu verwalten und Krisenmanagement zu betreiben. Wir müssen Europa jetzt auch eine neue politische Perspektive geben. Außerdem war es notwendig, in die eine oder andere innerdeutsche Debatte einzugreifen. Es gab da verunglückte Äußerungen, wie jene eines Landesministers, der an Griechenland ein Exempel statuieren wollte. Der Ton macht die Musik, gerade in der Europapolitik. Ich habe jetzt aber den Eindruck: Immer mehr überzeugte Europäer finden zu ihrer Stimme zurück.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb unlängst von einer „Achse des Misstrauens“, zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen Merkel und Hollande.

Das ist unzutreffend.

Inwiefern?

Beobachter müssen immer zuspitzen, weil sie glauben, dass dadurch die Dinge klarer werden. Das passt aber in Sachen Europa nicht. Die Lage ist kompliziert, und wir werden ihr nur gerecht, wenn wir differenziert herangehen. Die Forderung nach einer Vergemeinschaftung der Schulden Europas wird doch nicht nur von einigen europäischen Regierungen erhoben, sondern auch von der deutschen Opposition. Das ist also eher eine politisch-inhaltliche Diskussion als eine Auseinandersetzung zum Beispiel zwischen Berlin und Paris. Nationale Zuspitzungen sind da unpassend. Natürlich gibt es vor EU-Gipfeln Vorverhandlungen mit unterschiedlichen Positionen. Entscheidend ist aber nicht, dass man mit identischen Haltungen in Verhandlungen hineingeht, sondern dass anschließend ein guter Kompromiss herauskommt. Wir denken: Man löst keine Schuldenkrise, indem man das Schuldenmachen erleichtert.

Ist das ein Hauptproblem, dass man zu vieles aus der deutschen Warte sieht?

Wir Deutsche sind derzeit stark. Wir müssen aber mit unserer Stärke sensibel umgehen. Derzeit prägt sich das Deutschlandbild in Europa und der Welt auf viele Jahre. Ich rate zu Fingerspitzengefühl. Die teutonische Keule der Selbstüberschätzung wird schnell zu einem Bumerang. Kein anderes Land in Europa ist wie Deutschland mit seiner Exportwirtschaft und mit Millionen Arbeitsplätzen so sehr mit Europa verbunden. Wir exportieren mehr nach Belgien als nach Brasilien.

Ein anderes Thema: Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, hat die russische Regierung immer wieder stark kritisiert, jetzt wird er von der russischen Regierung nicht mehr als Gesprächspartner anerkannt. Übertreibt er oder übertreiben die Russen?

Wir haben eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland. Da geht es nicht nur um Handelsinteressen und Energielieferungen, sondern auch um einen Rechtsstaatsdialog. Es ist allgemein bekannt, dass wir mit einigen Entscheidungen der russischen Politik, ich denke etwa an die Syrien-Frage im Sicherheitsrat, nicht einverstanden sind. Ich rate dazu, den Gesprächsfaden gerade bei den Meinungsverschiedenheiten mit Russland nicht zu kappen oder auszudünnen, sondern zu kräftigen.

An wen geht dieser Appell?

An alle.

Wie sehen Sie den Petersburger Dialog?

Der Petersburger Dialog ist eine wichtige deutsch-russische Plattform. Die Kontakte zwischen unseren Zivilgesellschaften sind von großer Bedeutung. Gerade weil wir manche Entwicklung in Russland kritisch sehen, sollten wir uns unserer Einwirkungsmöglichkeiten auf Russland nicht dadurch berauben, dass wir den Gesprächsfaden abschneiden.

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Fragen: Dieter Link. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Badischen Tagblattes.

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