Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

„Wachsendes Gewicht Chinas in der Welt beim Wort nehmen“ (Interview)

18.10.2012 - Interview

Außenminister Westerwelle im Interview zu seinem China-Besuch in der vergangenen Woche, zu Chinas Rolle in der internationalen Gemeinschaft und zu den aktuellen Territorialkonflikten in der Region. Erschienen in der Zeit vom 18.10.2012

***

Zum dritten Mal haben Sie sich vergangene Woche mit dem chinesischen Außenminister zum „Strategischen Dialog“ getroffen. Was ist der Zweck – und was ist der Nutzen?

Unser Dialog nimmt mehr und mehr welt- und regionalpolitische Fragen in den Blick. Das heißt, dass wir nicht nur miteinander wirtschaftliche Interessen verfolgen, kulturell zusammenarbeiten und einen Rechtstaatsdialog führen, sondern dass wir das wachsende Gewicht Chinas in der Welt, in der Weltpolitik beim Worte nehmen.

Wo gibt es Dissens?

Wir sehen es aktuell in Syrien. Aus unserer Sicht müssten die strategischen Interessen Chinas in der Region und in Syrien eigentlich andere sein als die Russlands.

Nämlich welche?

Russland hat ein anderes Verhältnis zum Nahen und Mittleren Osten. Es ist bei der Energie von Importen unabhängig, China dagegen sehr darauf angewiesen, dass Energie bezahlbar bleibt, dass seine Energieversorgung stabil und zuverlässig ist. Alles andere gefährdet die Entwicklungsziele Pekings und das dynamische Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft.

Welchen Einfluss hat China in Damaskus?

Einen unmittelbaren und einen mittelbaren – direkte Kontakte mit Regierung und Opposition, aber auch indirekte Hebel, beispielsweise über Russland. Es ist in unserem Interesse, dass wir alle in unseren Bemühungen nicht nachlassen, mit Russland zu sprechen, damit wir im Sicherheitsrat die frustrierende und kritikwürdige Blockadesituation überwinden können.

Nimmt China international die Verantwortung wahr, die einem Land seiner Größe und Bedeutung entspricht?

Mehr und mehr. Wir leben nicht in einer bi- oder unipolaren Welt, wir leben in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts. China ist heute eines der ganz großen Kraftzentren. Je kräftiger China wirtschaftlich wird, desto wichtiger ist es, dass es die daraus erwachsende politische Autorität verantwortungsvoll einsetzt, nämlich für Frieden, Stabilität und Ausgleich.

Die chinesische Führung sagt stets, ihr wichtigster Beitrag zur internationalen Stabilität sei die Entwicklung des eigenen Landes.

Das ist ja auch nicht falsch. Und es ist eine ganz bemerkenswerte Anstrengung und Leistung. Die Führung um Ministerpräsident Wen Jiabao hört jetzt auf. Ich werde ihn als einen für sein Land erfolgreichen Ministerpräsidenten in Erinnerung behalten. Uns erscheint China als ein riesiges und gleichzeitig sehr homogenes Reich. Das ist es nicht: China ist ein Vielvölkerstaat, mit vielen Sprachen und vielen Kulturen, und es ist deswegen auch kein Wunder, dass China so viel Wert auf die „harmonische Gesellschaft“ legt. Das ist der Ausgleich zwischen Reich und Arm, zwischen Land und Stadt, zwischen Binnenland und Küstenregionen. Aber es ist natürlich auch der Ausgleich zwischen unterschiedlichen Kulturen, Ethnien und Mentalitäten.

Die „harmonische Gesellschaft“ – das ist natürlich auch ein ideologischer Begriff, der schwer zu vereinbaren ist mit unserer Vorstellung von einer offenen Gesellschaft.

Als liberaler Politiker bin ich überzeugt, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Öffnung mindestens langfristig miteinander verbunden sind. Das lässt sich im modernen China auch beobachten Aber: China und Deutschland haben ganz unterschiedliche kulturelle, historische und philosophische Wurzeln. Unsere Wertvorstellungen können deshalb auch nicht deckungsgleich sein. Umso bemerkenswerter, dass es uns gelingt, trotz dieser Unterschiede offen zu sprechen und so eng zusammenzuarbeiten.

In drei Wochen beginnt in Peking der 18. Parteitag. Fast die gesamte Führung wird ausgewechselt. Erwarten Sie Veränderungen in der Außenpolitik?

Ich hoffe auf Kontinuität – mit einigen Korrekturen.

Welchen Korrekturen?

Zum Beispiel in der Syrien-Frage. Ich hoffe, dass große Brüche in der Öffnungspolitik vermieden werden. Ich sehe auch die Rückschläge, die es immer wieder gibt, etwa wenn Künstler verhaftet werden. Wir sprechen dieses an. Aber: Ich bin in einem Alter, in dem ich politisch einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren erlebt habe. In dieser Zeit gab es bei den kurzen Wellen ein Auf und Ab. Die lange Welle aber, seit dem Öffnungsbeschluss der KP Chinas 1979 bis heute, weist in die richtige Richtung.

Bei den Territorialkonflikten im Südchinesischen Meer und beim Inselstreit mit Japan ist Chinas Rolle alles andere als konstruktiv.

Ich hoffe, dass sich alle Beteiligten bewusst sind, dass diese Probleme nur durch Gespräche und in Verhandlungen gelöst werden können.

Die Spannungen zwischen China und Japan haben den „Strategischen Dialog“ mit Ihrem Außenministerkollegen Yang in Peking beherrscht. Es kracht gewaltig zwischen China und Japan …

Uns besorgen die jüngsten Entwicklungen. Das habe ich Außenminister Yang auch gesagt. Mein Rat ist: Deeskalation. Eine Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaft der Welt würde auch unseren Interessen zuwiderlaufen. Alles, was Wachstum, Handel und Investitionen in einer großen, für die Weltwirtschaft so entscheidenden Region behindert, sollte im allseitigen Interesse unterbleiben.

Sie haben auch die Menschenrechte angesprochen. Ist das nicht inzwischen zu einem für beide Seiten lästigen Ritual geworden?

(schweigt lange) Das eigentliche Engagement für die Menschenrechtsverteidiger, für Künstler und Minderheiten findet nicht in Pressekonferenzen statt.

Was tun Sie konkret?

Ich denke, dass die Bundesregierung bei der Verbesserung von manchen Schicksalen und Lebensumständen sehr viel mehr getan hat, als öffentlich bekannt geworden ist. Gerade in China ist Fingerspitzengefühl von allergrößter Bedeutung. Sie können im Westen auch mal hemdsärmelig und buchstäblich mit Schulterklopfen vorgehen. Das geht in China nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann geht es um Gesichtswahrung. Respektiert man diese Regeln, dann kann man vieles bewirken. Wir haben uns anschließend nur nicht für die Lösung des einen oder anderen Falles feiern lassen. Das gehört dazu.

Ist die Vergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den regimekritischen Schriftsteller Liao Yiwu ein gutes Signal?

Liao Yiwu ist ein bedeutender Schriftsteller, China eine große Literatur- und Kulturnation. Das zeigt auch die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees, Mo Yan seinen Literaturpreis zu verleihen. Vor wenigen Tagen habe ich bei der Eröffnung der Buchmesse gesprochen. Die Preisverleihung an Liao Yiwu ist eine bemerkenswerte Entscheidung der deutschen Zivilgesellschaft. Dafür muss sich kein deutsches Regierungsmitglied in China erklären.

Seit Februar 2009 haben sich 44 Tibeter aus Protest gegen Chinas Tibet-Politik angezündet. Wie haben Sie in Peking das Thema Tibet angesprochen?

Es ist traurig, dass so viele Menschen sich so etwas antun. Das kann nur Ausdruck echter Verzweiflung sein. Das lässt niemanden kalt. Ich habe diese Frage zum ersten Mal mit meinem heutigen Außenministerkollegen Yang angesprochen, als er mich noch als Oppositionsführer zu Zeiten der Großen Koalition empfing. Die FDP hatte auch durch unseren verstorbenen Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff enge Beziehungen zu Menschen aus Tibet.

Das Büro der Naumann-Stiftung in Peking wurde wegen eines Streits über Tibet geschlossen.

Genau. Es liegt also nahe, dass ich dieses Thema nicht ausspare. Es liegt auch daran, dass wir uns gut kennen. Ich erinnere mich noch genau: Als ich das erste Mal 2007 offiziell in China war und das damals ansprach, wurde das Gespräch doch kühler und formaler. Heute können wir die Dinge ansprechen, und die Gespräche gehen weiter. Auch das zählt zu den hoffnungsvollen Zeichen, die ich mit der langen Welle beschrieben habe.

Die Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer haben immer mehr südostasiatische Staaten aus Sorge vor der wachsenden Macht Chinas an die Seite der USA getrieben. Nehmen die Amerikaner indirekt auch europäische Interessen wahr? Europa ist in dieser Region sicherheitspolitisch überhaupt nicht präsent, will es auch gar nicht sein.

Die Amerikaner verfolgen natürlich in erster Linie ihre eigenen Interessen, auch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, wenn sie sich stärker im asiatisch-pazifischen Raum engagieren. In aller Offenheit: Das tun wir auch. Wo es um friedliche Konfliktlösungen und politische Kooperation geht, sind unsere Interessen identisch mit denen unserer amerikanischen Partner. Wir stehen aber, wenn es um Abschlüsse und Aufträge für deutsche und europäische Firmen geht, durchaus auch in Konkurrenz.

Ist das die Arbeitsteilung im Westen: Die Amerikaner nehmen ihre militärisch-strategischen Interessen wahr, die Europäer ihre wirtschaftlichen Interessen?

Ist es nicht vielmehr so, dass in Zeiten der Globalisierung die Stärke einer Volkswirtschaft das eigentliche Fundament außenpolitischer Autorität geworden ist und nicht mehr so sehr die Größe von Armeen? Warum ist Deutschland so hoch angesehen in der Welt? Hoffentlich auch wegen geschickter Diplomatie und das seit vielen Jahren; vermutlich auch wegen unserer Hilfsbereitschaft in Notlagen, aber mit Sicherheit, weil wir wirtschaftlich einiges Gewicht in die internationale Waagschale werfen. Das kann sich in einer multipolaren Welt aber schnell ändern. Wir Europäer sind deshalb gut beraten, unsere Hausaufgaben bei Konsolidierung und Wachstum zu machen und uns stärker zusammenzuschließen, wenn wir mit unserem europäischen ‚way of life’ Gewicht und Einfluss in der Welt behalten wollen. Manche Äußerung aus Deutschland ist mir zu halbstark und zu selbstzufrieden, wenn es um Europa geht. Es wird Deutschland auf Dauer nicht gut gehen, wenn es Europa auf Dauer schlecht geht

Asien rüstet immer stärker auf, gerade auch China. Der Nationalismus wächst. Was kann Asien von Europa, von seinen historischen Erfahrungen lernen?

Eines kann man von Europa lernen, wie vermutlich von keiner anderen Region der Welt, nämlich dass das Kooperationsmodell dem Konfrontationsmodell um Längen überlegen ist. Die europäische Integration ist das erfolgreichste Friedens- und Wohlstandsprojekt der Geschichte. Das ist die Botschaft des Friedensnobelpreises an die Europäische Union. Und es ist ein Auftrag für die Zukunft.

Zieht Asien diese Lehre?

Mein Eindruck ist, dass in Asien die Stimmen und Kräfte immer stärker werden., die das so sehen wie wir. Jedenfalls ist den meisten klar, dass eine Politik der Konfrontation die Entwicklungsziele aller gefährdet. Auch die eigenen.

Fragen: Matthias Nass. Übernahme mit freundlicher Genenmigung der Zeit.

Verwandte Inhalte

Schlagworte

nach oben