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„Die Griechen haben Fairness verdient“

08.10.2012 - Interview

Minister Westerwelle im Interview zur griechischen Schuldenkrise und zu Syrien.

Vor der Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Athen spricht sich Außenminister Guido Westerwelle für einen fairen und respektvollen Umgang mit dem in einer Schuldenkrise steckenden Griechenland aus. Angesichts des syrisch-türkischen Konflikts warnt er vor der Gefahr eines Flächenbrands. Erschienen in der Bild vom 08.10.2012 (in der Blattfassung wurde das Interview gekürzt).

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Die Kanzlerin fährt am Dienstag nach Griechenland. Welche Botschaft sehen Sie darin?

Es ist eine europäische Geste, ein Akt der Anerkennung für die griechische Regierung, die mit ihrer Reformpolitik unter großem Druck steht.

Hat die Regierung Samaras das verdient? Bei den Reformen geht in der Praxis doch nicht viel voran?

Die griechische Regierung muss und will ihre Hausaufgaben machen. Ich lehne es ab, das Land einfach abzuschreiben. Die Griechen haben Fairness und Respekt verdient. Und sie haben verdient, dass wir nicht mit Halbwissen urteilen, sondern abwarten, wie der Bericht der Troika (EU, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) ausfällt.

Der Bericht wurde mehrfach verschoben, weil die Regierung nicht voran kommt.

Ein ganzes Land unter die Lupe zu nehmen, dauert eben seine Zeit. Und wir sollten auch die positiven Nachrichten zur Kenntnis nehmen. In mehreren europäischen Staaten gibt es echte Fortschritte. Es ist ein erstmals seit langem wieder ein Silberstreif am Horizont zu sehen.

In Europa und der Euro-Zone ist die Krise nicht ausgestanden. Brauchen wir eine umfassende politische Neuordnung?

Kurzfristig brauchen wir Haushaltsdisziplin, Reformen und Solidarität. Mittelfristig kommen wir um Vertragsänderungen nicht herum. Und langfristig wünsche ich mir eine echte europäische Verfassung.

Warum?

Europa gewinnt in der Welt nur Vertrauen zurück, wenn wir Europäer zeigen, dass wir an uns selber glauben. Wir müssen klare Signale setzen und die EU-Vertiefung fortsetzen. Europa braucht mehr Effizienz und Transparenz. Es geht also nicht nur um mehr Europa, sondern um ein besseres Europa. Vieles lässt sich auch ohne neuen Vertrag machen, aber nicht alles. Meine Vorschläge liegen auf dem Tisch.

Ist das nicht alles nur Zukunftsmusik?

Nein. Wir brauchen bessere Regeln gegen zu viel Schulden - und die Möglichkeit, diese auch durchzusetzen. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Das ist unsere Lehre aus der Krise. Das unterscheidet die Bundesregierung von der Opposition, die Euro-Bonds will. Deutschland müsste dann gesamtschuldnerisch für die Schulden der anderen Euro-Staaten haften. Das würde uns überfordern, und die Reformkraft der anderen Länder unterfordern.

An der türkisch-syrischen Grenze wird geschossen und gebombt. Ist das schon Krieg?

Die Gefahr eines Flächenbrands wächst jedenfalls. Das syrische Regime muss seine Feindseligkeiten sofort einstellen und auf weitere Provokationen verzichten.

Die Türkei ist NATO-Partner und könnte den „Bündnisfall“ ausrufen. Dann müsste die Bundeswehr in den Einsatz, oder?

Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Unser Bündnispartner Türkei hat die Solidarität der NATO. Ich kann die Empörung in der Türkei sehr gut verstehen; es sind auch Kinder zu unschuldigen Opfern geworden. Dennoch ist Besonnenheit und Deeskalation das Gebot der Stunde.

Wie lange hält sich das Regime Assad noch?

Die Erosion des Assad-Regimes ist in vollem Gang. Wir werden die Unterstützung für den demokratischen Neuanfang in Syrien noch ausweiten.

Deutschland hatte den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat, aber der findet keine einheitliche Linie. Sind Sie frustriert?

Es ist enttäuschend, dass Russland noch immer seine schützende Hand über Assad hält. Je länger das andauert, je länger die Gewalt bleibt, desto schwieriger wird auch der Übergang zu einem neuen, demokratischen Syrien.

Letzte Frage zum deutschen Wahlkampf. Schließen Sie eine Koalition der FDP mit SPD und Grünen aus?

Die Wirtschaft wächst, die Löhne steigen und die Arbeitslosigkeit schrumpft. Gleichzeitig hat diese bürgerliche Regierung das Land entschlossen auf Sparkurs gebracht. Auch darum genießt Deutschland heute großes Vertrauen in der Welt. Ich rufe die Parteien auf, nicht jetzt schon den Wahlkampf zu beginnen. Ein Jahr Dauer-Wahlkampf wäre schlimm für Deutschland. Die Herausforderungen in Deutschland, Europa und der Welt sind viel zu groß, als dass wir uns in Deutschland eine politische Lähmung leisten können.

Fragen: N. Blome und S. Haselberger. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Bild.

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