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„Deeskalation ist Gebot der Stunde“

05.10.2012 - Interview

Interview mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle zur Lage nach dem syrischen Granatenbeschuss auf ein türkisches Grenzdorf, zum iranischen Atomprogramm und zur Lage Griechenlands. Erschienen u.a. in der Passauer Neuen Presse vom 05.10.2012, teils in gekürzter Fassung.

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Türkischer Vergeltungsangriff gegen Syrien: Das türkische Parlament billigt ein Mandat für einen Syrien-Einsatz. Spielt Premierminister Erdogan mit dem Feuer?

Die Empörung in der Türkei über die Gewalt aus Syrien ist verständlich. Auch wir sind empört und schockiert über den Tod der türkischen Familie. Unsere Sorge ist groß. Dieser erneute syrische Angriff auf die territoriale Integrität der Türkei ist ein schwerwiegender Vorfall. Dennoch rufen wir zu einer besonnenen Reaktion auf.

Die türkische Regierung hat wiederholt vergeblich um internationale Unterstützung in dem Konflikt mit Syrien gebeten.

Deutschland stand und steht solidarisch an der Seite des NATO-Partners Türkei. Gleichzeitig ist Deeskalation das Gebot der Stunde. Was sich in den letzten Stunden an der türkisch-syrischen Grenze ereignet hat, sollten alle Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum Anlass nehmen, ihre Haltung zu überdenken und endlich die Blockade im Sicherheitsrat zu überwinden.

Militärische Optionen kommen in Syrien auch weiterhin nicht in Frage?

Die NATO hat die Gewalt aus Syrien verurteilt und ein klares Zeichen der Solidarität gesetzt. Solidarität und Besonnenheit sind nun das Gebot der Stunde. Und: Die Türkei hat die NATO-Partner unverzüglich konsultiert. Das zeigt doch, dass die türkische Regierung sich nicht nur der Verantwortung für die eigenen Bürger bewusst ist, sondern auch ihre Verantwortung als Mitglied der Allianz wahrnehmen will.

Wie lässt sich die Blockade von Russland und China im Sicherheitsrat noch auflösen?

Dass auch Russland die Tötung der türkischen Familie verurteilt und Syrien zu einer Entschuldigung aufgefordert hat, ist ein gutes Signal. Diejenigen, die bisher im Sicherheitsrat blockiert haben, sollten jetzt erkennen, dass die Gefahr eines Flächenbrandes für die gesamte Region wächst, je länger der innersyrische Konflikt ungelöst bleibt. Russland und China sollten die jüngsten Spannungen an der türkisch-syrischen Grenze zum Anlass nehmen, ihre Haltung im Sicherheitsrat noch einmal zu überdenken. Wir brauchen eine politische Lösung und einen Neuanfang für Syrien.

Die türkische Führung hat sich zuletzt immer wieder vergeblich für eine Sicherheitszone unter internationaler Kontrolle für Flüchtlinge auf syrischem Gebiet ausgesprochen. Sollte diese Initiative noch einmal geprüft werden?

Wir setzen auf Deeskalation. Ich werde mich nicht an Diskussionen über militärische Optionen beteiligen und Öl ins Feuer gießen. Deutschland hat in den letzten Monaten wie kaum ein anderes Land humanitäre Hilfe in Syrien und in den Nachbarländern geleistet.

Die humanitäre Lage und die Situation in Syrien wird immer dramatischer. Sollte auch Deutschland Flüchtlinge aufnehmen?

Die Versorgung der Flüchtlinge vor Ort muss Priorität haben. Sie wollen nicht dauerhaft ihr Land verlassen, sondern möglichst rasch nach Hause zurückkehren und mithelfen, ein neues Syrien aufzubauen. Dennoch: Ich schließe eine Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien in Deutschland nicht aus. Das ist eine Entscheidung, die nur gemeinsam mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union getroffen werden kann. Wir werden unser Engagement für die Flüchtlinge aus Syrien fortsetzen.

Die Lage im Atomkonflikt mit Teheran spitzt sich weiter zu. Droht diese Auseinandersetzung im Schatten der Gewalt in Syrien zu eskalieren?

Die jüngsten Nachrichten aus dem Iran zeigen, dass die Sanktionen wirken. Eine diplomatische und politische Lösung ist möglich und bleibt der beste Weg. Wir sind mit unseren Partnern weiter zu substanziellen Verhandlungen mit Iran bereit. Wenn Iran dazu nicht bereit ist, werden wir die Sanktionspolitik weiter verschärfen. Eine atomare Bewaffnung des Iran ist nicht akzeptabel.

Thema Griechenland: Schlechte Nachrichten aus Athen. Braucht die griechische Regierung mehr Zeit für die Reformen und Einsparziele?

Die Troika wird in Kürze ihren Bericht über die wahre Lage in Griechenland vorlegen. Dann werden wir die Fakten kennen und auf dieser Grundlage entscheiden können. Ich unterstütze die Reformpolitik der Regierung Samaras. Die Konsolidierung Griechenlands ist die Voraussetzung dafür, dass das Land wieder aus diesem Tal der Tränen herauskommen kann. Das wäre eine gute Nachricht für Europa.

Fragen: Andreas Herholz. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse

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