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„Unser Ansehen in Europa nicht beschädigen“
Außenminister Guido Westerwelle über die deutsche Euro-Debatte und die Syrien-Krise. Erschienen in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau vom 04.09.2012
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Herr Minister, immer mehr Menschen fliehen vor der Gewalt in Syrien. Nachbarstaaten wie der Türkei fällt es zunehmend schwer, alle Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Wie kann Deutschland helfen?
Deutschland hat bereits mehr als 22 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe im Syrien-Konflikt bereitgestellt. Damit sind wir eines der stärksten Geberländer weltweit. Auch meinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu habe ich vor einiger Zeit Unterstützung bei der Flüchtlingsversorgung angeboten. Das Angebot steht.
Können Sie sich vorstellen, dass Deutschland syrische Flüchtlinge aufnimmt?
Ich schließe das nicht aus, aber Priorität hat derzeit die Hilfe vor Ort. Denn leider ist klar: So lange die Gewalt gegen die syrische Zivilbevölkerung anhält, wird es Flüchtlinge geben. Im September sitzt Deutschland dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Wir wollen dies nutzen, um die Isolation des Regimes weiter voranzutreiben. Wir wollen helfen, dass ein neues, friedliches, demokratisches und plurales Syrien entsteht.
Die Türkei hat im Sicherheitsrat kürzlich für die Einrichtung von Schutzzonen in Syrien geworben – ohne Erfolg. Wäre es ein sinnvoller Weg, um das Leid zu lindern und die Anrainer zu entlasten?
Ich rate dazu, hier sehr überlegt zu handeln. Eine Schutzzone müsste womöglich militärisch gesichert werden, dafür gibt es derzeit kein UN-Mandat. Wir wollen einen politischen Neuanfang in Syrien. Dem dient zum Beispiel auch das Treffen der Arbeitsgruppe Wirtschaftlicher Wiederaufbau unter dem Dach der „Friends of Syria“ am Dienstag in Berlin. Deutschland führt gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den Vorsitz. Unser Ziel ist es, durch kluge Politik einen Flächenbrand in der gesamten Region zu verhindern.
Bislang kann sich der syrische Diktator Baschar al-Assad auf Russland und China verlassen. Die beiden UN-Vetomächte blockieren eine weltweite Ächtung seines Regimes. Sie selbst waren gerade in Peking. Konnten Sie dort Bewegung feststellen?
China ist ein strategischer Partner, aber in Sachen Syrien bestehen weiter Meinungsverschiedenheiten. Gleichwohl hoffe ich, dass China und Russland zu einer Neubewertung kommen. Dafür setzt sich nicht nur der Westen ein. Auch in der arabischen Welt kann Assad kaum noch auf Unterstützung zählen, wie der ägyptische Präsident Mohammed Mursi gerade klar gemacht hat. Ich rufe China und Russland auf, nicht länger ihre schützenden Hände über Assad zu halten.
Der Westen sagt seit vielen Monaten, Assad müsse weg. Aber wo soll er hin – vor den Internationalen Strafgerichtshof oder ins Exil?
Assads Zeit ist vorüber, aber der Zeitpunkt seines Abgangs steht noch nicht fest. Es ist zu wünschen, dass er sich eines Tages vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten muss. Wenn aber die Gewalt in Syrien beendet und ein friedlicher Übergang eingeleitet werden könnte, indem er das Land verlässt, dann wäre auch dies ein verantwortbarer Weg.
Die Eurokrise wühlt die Bürger auf. Auch in der Koalition und in Ihrer eigenen Partei gibt es heftige Diskussionen über den richtigen Kurs. CSU-Generalsekretär Dobrindt will Griechenland aus der Eurozone werfen. Droht die Debatte im Wahljahr 2013 aus den Fugen zu geraten?
Der Euro ist nicht in der Krise, sondern ist und bleibt eine stabile Währung. Wir haben in Europa eine Schuldenkrise, die zu einer Vertrauenskrise geworden ist. Unsere Politik der Haushaltsdisziplin, der Solidarität und der Wachstumsorientierung gibt die richtigen Antworten. Gleichwohl: Wir müssen aufpassen, dass wir Deutsche durch parteitaktisch motivierte Wortmeldungen nicht dauerhaft unser Ansehen in Europa und in der Welt beschädigen. Die Diskussion mit teilweise sehr hässlichen Einlassungen bleibt nicht in Deutschland, sie strahlt weit über unsere Grenzen hinaus.
Woran machen Sie das fest?
Ich komme gerade aus Peking, Hongkong und Kuwait. Dort bin ich von vielen immer wieder nach der Situation in Europa und auch nach der Debatte in Deutschland gefragt worden. Leider nähren manche Wortmeldungen fälschlicherweise Zweifel an unserem Bekenntnis zur gemeinsamen Währung und auch zu Europa, und zeichnen ein Bild der Respektlosigkeit gegenüber anderen europäischen Ländern. Beides entspricht nicht den Tatsachen, aber im Ausland stellt sich leider dieser Eindruck mitunter ein.
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Fragen: Thorsten Knuf. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau.