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„Vertrauen kehrt nur zurück, wenn die Schulden sinken“ (Interview)

21.07.2012 - Interview

Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt äußert sich Minister Westerwelle zur Schuldenkrise in Europa, der Energiepolitik, der Lage im Nahen Osten und zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die Fragen stellte Karsten Kammholz.

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Hamburger Abendblatt: Herr Minister, seit vier Jahren lebt Europa im Krisenmodus. Wie optimistisch sind Sie noch, dass der Kontinent gestärkt aus der Schuldenmisere hervorgeht?

Außenminister Guido Westerwelle: Wenn wir mit Ausdauer, Kraft und einer nötigen Portion Optimismus unsere Arbeit fortsetzen, werden wir es schaffen. Die Schuldenkrise ist zu einer Vertrauenskrise geworden, und das Vertrauen kehrt nur zurück, wenn die Schulden sinken.

Vertrauen Sie noch Griechenland? Athen braucht einen ungeplanten Zwischenkredit. Dabei sollte die nächste Überweisung aus dem Hilfspaket erst im September folgen.

Wir wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Aber Griechenland hat es selbst in der Hand, ob es dabei bleiben will. Wir werden einer substanziellen Änderung der getroffenen Vereinbarungen nicht zustimmen. Ich kann die griechische Regierung nur bitten, das sehr ernst zu nehmen.

Halten Sie ein drittes Hilfsprogramm mit deutscher Unterstützung für denkbar?

Die Frage stellt sich derzeit nicht. Ich sehe aber Wünsche aus Griechenland, die Dinge von Grund auf neu zu verhandeln und die eigenen Reformpflichten substanziell infrage zu stellen. Da kann ich nur sagen: Das geht nicht. Das ist ein Rubikon, den wir nicht überschreiten werden.

Kommt Griechenland langsam an den Punkt, an dem es einen Austritt aus dem Euro erwägen muss?

Griechenland sollte nicht nur sagen, dass es zur Euro-Zone gehören will, sondern mit klarer Reformpolitik und der Einhaltung getroffener Absprachen auch so handeln. Wenn Vereinbarungen, auf deren Grundlage enorme Summen bereitgestellt worden sind, auf einmal nichts mehr gelten sollen, werde ich mich entschieden dagegen wenden. Erst verhandeln, dann vereinbaren, dann Hilfe erhalten - und danach gelten die eigenen Verpflichtungen nicht mehr? Das kann nicht funktionieren.

Hilfe benötigt offenbar auch das Prestigeprojekt der Bundesregierung, die Energiewende. Die Strompreise steigen, der Netzausbau stockt, der Norden sorgt sich um den Anschluss der Windparks auf See. Brauchen wir auch hier mehr Europa?

Die Energiewende in Deutschland wird umso besser gelingen, je mehr sie in eine europäische Politik eingebettet ist. Energiepolitik ist keine allein nationale Frage mehr, sondern bedarf der europäischen Vernetzung. Die Stärkung des Energiemarktes in Europa hat das Zeug, zu einem großen Wachstumsimpuls für die EU zu werden.

Wie könnte eine gemeinsame europäische Energieversorgung aussehen?

Seit Jahrzehnten bekommen wir in großen Pipelines Gas aus Sibirien. Warum sollte es denn nicht möglich sein, in den Ländern des Mittelmeers Solarkraftwerke zu bauen und die Energie nach Deutschland zu transportieren? Ich weiß um die technischen Schwierigkeiten. Aber wir haben mit den ersten Projekten bereits begonnen. Das Potenzial ist groß. Und: Wir müssen unsere nationale Energieversorgung diversifizieren. Wir müssen breit aufgestellt sein.

Seit 16 Monaten herrscht Bürgerkrieg in Syrien. Uno-Schätzungen zufolge hat der Konflikt bislang mehr als 17 000 Todesopfer gefordert. Fühlen Sie sich machtlos angesichts der Tragödie?

Wenn so viele Menschen sterben und man von dem Leid so vieler Menschen erfährt, fühlt man sich immer auch ein Stück weit machtlos. Das darf aber nicht dazu verleiten aufzugeben. Wenn wir aufhören, an einer politischen Lösung zu arbeiten, würden wir die Menschen in Syrien aufgeben. Das werden wir nicht tun.

Engste Vertraute des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sind einem Anschlag zum Opfer gefallen. Ist das der Anfang vom Ende des Machthabers?

Das wird sich zeigen. Die Gewalt kehrt jetzt dorthin zurück, wo sie ihren Ausgang genommen hat, nämlich zum Assad-Regime nach Damaskus. Wir müssen als internationale Gemeinschaft entschlossen handeln und den Friedensplan von Kofi Annan mit Autorität versehen, damit er durchsetzbar wird, auch mit Sanktionen.

Aber Uno-Sanktionen wird es wegen der Veto-Mächte Russland und China weiter nicht geben.

Ich bin enttäuscht über das Verhalten von Moskau und Peking. Sie haben mit ihrer Blockade im Sicherheitsrat gerade den Kräften den Rücken gestärkt, die die Spirale der Gewalt weiterdrehen wollen.

Können Sie nachvollziehen, warum Russland und China den syrischen Präsidenten stützen?

Es mag um den Schutz der eigenen strategischen Interessen gehen. Die russische Regierung übersieht dabei, dass sie die gesamte arabische Welt gegen sich aufbringt.

Muss die Weltgemeinschaft einen anderen Weg finden, um Assad unter Druck zu setzen?

Es gibt auch jetzt keinen Anlass für Spekulationen über eine internationale Militärintervention. Wir wollen mit politischen Mitteln dazu beitragen, dass ein glaubwürdiger Übergangsprozess beginnt und ein demokratischer Neuanfang in Syrien gelingen kann.

Nach dem Anschlag auf israelische Touristen in Bulgarien hat Israels Regierung dem Iran die Schuld zugewiesen. Welche Erkenntnisse haben Sie über die Täter?

Wir haben keine eigenen Erkenntnisse. Der Anschlag ist verabscheuungswürdig und besonders hinterhältig. Dass so viele junge Menschen getroffen wurden, macht mich besonders traurig.

Das Attentat wurde auf europäischem Boden verübt. Können israelische Staatsbürger bedenkenlos in der EU reisen?

Wenn israelische Bürger zu Gast in Europa sind, dann müssen sie sich hier in Sicherheit und ohne Angst aufhalten können. Wir werden alles tun, um Anschläge zu verhindern. Aber Burgas hat uns gezeigt: Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit.

Israel will entschlossen und hart reagieren. Worauf müssen wir uns einstellen?

Ich habe die Reaktionen der israelischen Regierung vernommen. Dass die Menschen in Israel empört sind und die Regierung das zum Ausdruck bringt, ist doch mehr als verständlich. Was wäre bei uns los, wenn ähnlich Schreckliches deutschen Staatsangehörigen an ihrem Urlaubsort widerfahren wäre?

Das Existenzrecht Israels ist Teil der deutschen Staatsräson. Gilt diese auch bei einem Angriff Israels auf den Iran?

Ich teile die Auffassung von US-Präsident Obama, der deutlich gemacht hat, dass wir eine diplomatische Lösung wollen. Wir sind bereit, mit dem Iran über sein Atomprogramm zu verhandeln. Wenn wir keine Fortschritte erkennen können, werden wir unsere Sanktionspolitik fortsetzen. Iran hat das Recht auf eine zivile Nutzung der Atomenergie. Wir sind auch bereit, den Iran dabei technisch zu unterstützen. Aber eine nukleare Bewaffnung des Irans können wir nicht akzeptieren. Sie wäre nicht nur eine Bedrohung für Israel und die Region, sondern würde auch die Sicherheitsarchitektur der ganzen Welt gefährden.

Würde die deutsche Regierung einen präventiven Schlag der Israelis politisch unterstützen?

Ich verstehe, dass Sie als Journalist auch spekulative Fragen stellen. Aber ich bitte auch zu verstehen, dass ich Ihnen nach einer bewährten Regel in der Außenpolitik entgegne: Ich beantworte die Fragen dann, wenn sie sich stellen.

In den USA herrscht Wahlkampf. Sie haben vor vier Jahren von einem „Sieg der Demokratie“ gesprochen, als Barack Obama Präsident wurde. Wünschen Sie ihm, dass er im Amt bestätigt wird?

Ich muss nicht verschweigen, dass meine liberale Seele seinerzeit durchaus erfreut war, als Barack Obama gewählt wurde. Aber in meinem Regierungsamt halte ich mich selbstverständlich aus dem parteipolitischen Wettbewerb in den USA heraus. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind unabhängig von Wahlen stabil und gesund.

Haben sich die Beziehungen unter Obama verbessert?

Wir arbeiten mit Präsident Obama hervorragend zusammen. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, wenn ich sage, dass ich über manche außenpolitische Entscheidung der Regierung Bush nicht glücklich war. Aber als Außenminister lege ich mir ein höheres Maß an Zurückhaltung auf, als ich es 2008 als freischaffender Oppositionsabgeordneter getan habe.

(...)

Das vollständige Interview finden Sie auf der Website des Hamburger Abendblatts

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