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Außenminister Westerwelle im Interview mit dem „Flensburger Tageblatt“

19.03.2012 - Interview

Interview mit Bundesminister Westerwelle zu den Themen Afghanistan, Syrien und Iran. Erschienen im Flensburger Tageblatt am 19.03.2012

Herr Minister, Afghanistans Präsident Karsai fordert einen vorzeitigen Abzug der ausländischen Truppen. Kommen die Bundeswehrsoldaten schon nächstes Jahr nach Hause?

Die deutschen Soldaten werden nicht länger in Afghanistan bleiben als unsere Verbündeten oder als es die afghanische Regierung selber wünscht. In meiner Amtszeit haben wir den Abzug eingeleitet. Der muss verantwortungsvoll vonstatten gehen, denn wir wollen ja nicht, dass Afghanistan wieder zum Rückzugsgebiet der Terroristen der Welt wird und damit unsere Sicherheit in Europa bedroht.

Das heißt, wenn der afghanische Präsident darauf besteht, erfolgt der Abzug tatsächlich früher?

Wir haben international verabredet, dass der Abzug der Kampftruppen bis Ende 2014 abgeschlossen sein soll. Wenn der afghanische Präsident vorschlägt, dass die Truppen ländliche Regionen schneller verlassen sollen, so decken sich unsere Interessen. Denn es ist besonders aufwendig, wenn unsere Soldaten in entlegenen Gebieten für Sicherheit sorgen. Das sollten die afghanischen Sicherheitskräfte, die wir aufbauen, so bald wie möglich selber tun. Ich rechne damit, dass wir in diesem Frühjahr so weit sein werden, dass etwas mehr als die Hälfte des Staatsgebiets unter der Kontrolle der afghanischen Sicherheitsbehörden sein wird.

Der Westen hat seine Ziele in Afghanistan in den vergangenen Jahren peu à peu herunterschrauben müssen. Was kann die internationale Gemeinschaft überhaupt erreichen, denn auch bis 2014 ist ja nicht mehr viel Zeit?

Wir können nicht erst aus Afghanistan abziehen, wenn das Land eine Art Schweiz Zentralasiens geworden ist. Wir müssen aber sicherstellen, dass die fundamentalen Menschenrechte - einschließlich der Rechte der Frauen - gewahrt werden, dass es eine ausreichend gute Regierungsführung gibt und vor allen Dingen, dass Terrorismus und Gewalt durch eigene afghanische Sicherheitsstrukturen konsequent bekämpft werden. Ich will nochmal sagen: Wir sind nicht zuerst in Afghanistan, um Brunnen zu bohren oder Schulen und Krankenhäuser zu bauen – so richtig und wichtig das auch ist. Sondern wir sind vor allen Dingen nach Afghanistan gegangen, weil wir unsere eigene Sicherheit verteidigen müssen. Es geht darum, Anschläge bei uns zu verhindern. Dazu sind die innere Aussöhnung in Afghanistan und die Reintegration früherer Kämpfer ganz entscheidend. Und daran arbeiten wir. Eine militärische Lösung wird es nicht geben.

Blicken wir nach Syrien. Der Konflikt dauert nun schon ein Jahr. Täglich erreichen uns Meldungen von neuen Gräueltaten. Wie lange kann die Staatengemeinschaft dem Morden noch tatenlos zusehen?

Die Staatengemeinschaft schaut nicht tatenlos zu. Sondern wir arbeiten auf drei Ebenen für drei Ziele. Erstens: Dafür, dass die Gewalt beendet wird. Zweitens: Dass es humanitäre Hilfe geben kann. Und drittens: Für einen politischen Wandel. Das tun wir mit unseren Verbündeten durch eine zielgerichtete Sanktionspolitik gegen das Regime Assad. Das tun wir durch unser Engagement in den Vereinten Nationen, das im Sicherheitsrat aufgrund der Blockade von Russland und China leider noch nicht erfolgreich ist. Und das tun wir auch in der von mir selber angeregten Gruppe der „Freunde des syrischen Volkes“, der sogenannten Kontaktgruppe, in der wir zum Beispiel die syrische Opposition unterstützen.

Bislang scheint das alles wenig erfolgreich. Halten Sie deshalb auch einen Militäreinsatz gegen das Assad-Regime für denkbar?

Die Überläufer aus dem Assad-System zeigen, dass das Regime zu bröckeln beginnt. Und die jüngsten kritischen Äußerungen meines russischen Amtskollegen Sergej Lawrow an die Adresse des syrischen Regimes markieren hoffentlich den Beginn eines Politikwechsels in Moskau gegenüber Assad. An Spekulationen über militärische Interventionen beteilige ich mich nicht. Es gilt auch, einen Flächenbrand und einen Stellvertreterkrieg, der die ganze Region anstecken kann, zu verhindern. Das Beispiel Jemen zeigt, dass politische Lösungen schwierig, aber möglich sind.

Auch bei einem anderen Konflikt hält die Welt den Atem an: Wie wahrscheinlich ist ein baldiger Angriff Israels auf Atomanlagen im Iran?

Darüber spekuliere ich nicht. Ich will aber sagen, was ich von dieser Diskussion halte: Ich halte sie für kontraproduktiv, denn die Sanktionspolitik beginnt ja endlich zu wirken. Deswegen war es wichtig, dass US-Präsident Obama vor wenigen Tagen noch einmal betont hat, dass er wie wir für eine politische, diplomatische Lösung eintritt. Es wird mittlerweile zu oft und zu schnell nach militärischen Lösungen gerufen. Damit wird der Eindruck erzeugt, als seien die schnell, chirurgisch und unter weitestgehender Vermeidungziviler Opfer möglich. Die Geschichte – auch die jüngere - zeigt, dass das nicht stimmt.

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Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Flensburger Tageblatts

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