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„Wirtschaftlicher Erfolg - eine gute Nachricht auch für die Außenpolitik“ - Rede von Außenminister Guido Westerwelle beim Zweiten Deutschen Kongress der Weltmarktführer
Beim Zweiten Deutschen Kongress der Weltmarktführer hob Außenminister Westerwelle den engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungskraft und außenpolitischem Einfluss Deutschlands hervor. Umgekehrt sei es für die Politik selbstverständlich, deutschen Unternehmen im Ausland mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
-- Es gilt das gesprochene Wort --
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Sehr geehrter Herr Döring,
sehr geehrte Frau Bruckner,
sehr geehrter Herr Professor Dr. Venohr,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Deutschland gehört zu den weltweit führenden Volkswirtschaften. Unsere Unternehmen sind global wettbewerbsfähig. Deutsche Produkte sind weltweit gefragt. Der deutschen Wirtschaft, insbesondere dem Mittelstand geht es so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Beschäftigungszahlen sind auf einem Höchststand, die Arbeitslosigkeit sinkt. Unser Land ist insgesamt gestärkt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise hervorgegangen. Das sind nicht nur gute Nachrichten für Unternehmer, Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Wenn es Deutschland wirtschaftlich gut geht, dann ist das auch eine gute Nachricht für die deutsche Außenpolitik.
Der Einfluss Deutschlands in der Welt gründet nicht auf der Größe unserer Armee. Der Einfluss Deutschlands in der Welt gründet auf unserer diplomatischen Klugheit, auf unserer Mitmenschlichkeit und auf unserer wirtschaftlichen Kraft. Gerade in der Globalisierung eröffnet die Stärke der Deutschen Wirtschaft uns Gestaltungsmöglichkeiten, ausdrücklich auch in der Außenpolitik, die wir sonst nicht hätten.
Weil wir um den Zusammenhang von wirtschaftlicher Kraft und außenpolitischem Einfluss wissen, stehen Ihnen selbstverständlich unsere Botschafterinnen und Botschafter an unseren etwa 230 Auslandsvertretungen mit Rat und Tat zu Seite. Mit ihrem Netzwerk im Gastland können sie helfen, manche Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen oder vorab zu vermeiden. Und die Notwendigkeit, Geschäfte politisch zu flankieren hat nicht abgenommen, sondern eher an Bedeutung gewonnen.
Gleich zu Beginn möchte ich Sie zudem zu unserem jährlichen Wirtschaftstag im Rahmen der Botschafterkonferenz nach Berlin einladen.
Wir sind ein Land, das besonders stark mittelständisch organisiert ist. Das ist oft genug belächelt worden. Man hat oft genug die Frage gestellt, ob das in Zeiten der Globalisierung gutgehen kann, in der man immer größere Schwergewichte brauche. Jetzt sieht man, dass die mittelständische Ausrichtung unserer Volkswirtschaft ein großer Vorteil ist. Natürlich gibt es in Deutschland eine beträchtliche Zahl von großen Unternehmen, auf die wir stolz sind und deren Namen überall auf der Welt bekannt und geschätzt sind. Aber es gibt auch eine Vielzahl von „hidden champions“ – unbekannten Weltmarktführern - von denen vielleicht nur die Spezialisten gehört haben, ohne deren Produkte in vielen Branchen aber nichts gehen würde.
Es ist die Aufgabe der Politik, sicherzustellen, dass auch in Zukunft die Bedingungen in unserem Land für diese Unternehmen stimmen. Ich denke an Fachkräftesicherung, Bürokratieabbau und die Gewährleistung von reibungslosen Unternehmensnachfolgen.
Es geht mir aber auch um das gesellschaftliche Klima: Gemeinsam wollen wir uns für eine Kultur der Anerkennung stark machen.
Im Fokus steht derzeit die Bewältigung der sogenannten „Euro-Krise“. Die Bezeichnung „Euro-Krise“ allerdings ist irreführend. Der Euro selbst hat keine Krise. Ganz im Gegenteil: Unsere europäische Gemeinschaftswährung ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Sowohl Wechselkurs wie auch Inflationsrate sind beim Euro so stabil wie bei der D-Mark. Und mittlerweile ist der Euro die zweitwichtigste Reservewährung der Welt.
Hätten wir den Euro nicht, wir müssten ihn heute erfinden als Lehre aus der Finanzkrise 2008. Im Zuge der Finanzkrise mussten die Staaten das internationale Bankensystem mit Milliarden-Beträgen unterstützen. Um die Wirtschaft zu stimulieren, wurden riesige Konjunkturpakete geschnürt. Die Staatsschuldenstände, die auch vor der Krise schon hoch waren, schossen weiter in die Höhe. Mit dem Ergebnis, dass die Finanzmärkte schließlich die Fähigkeit einzelner Eurostaaten in Frage stellten, diese Schuldenberge jemals wieder abtragen zu können. Aus der Staatsschuldenkrise wurde eine Vertrauenskrise.
Bei der Bewältigung der Krise geht es daher um mehr als um die kurzfristige Bereitstellung von Liquidität. Wir müssen den Märkten überzeugend darlegen, dass der Euroraum künftig ein Ort dauerhafter finanzieller Stabilität sein wird. In diesen Tagen verhandeln wir intensiv über einen Vertrag über die Schaffung einer fiskalischen Stabilitätsunion. Er soll drei zentrale Punkte festschreiben:
Erstens: Alle Eurostaaten werden in ihr Rechtssystem eine Schuldenbremse auf Verfassungsebene einführen. Deutschland, Polen und Spanien haben dies bereits getan. Der Bundesregierung ist es gelungen, die Neuverschuldung in 2011 auf etwa 17 Milliarden Euro zu senken. Die vorherige Regierung hatte noch 72 Milliarden neue Schulden geplant. Die Schuldenbremse bindet nicht nur die Bundesregierung. Auch die Bundesländer müssen ihre Konsolidierungsleistungen erbringen.
Zweitens: Wenn Mitgliedstaaten die Maastricht-Haushaltskriterien verletzen, werden künftig Sanktionen automatisch erfolgen. Die Disziplinierung von Defizitsündern ist damit den politischen Opportunitäten soweit möglich entzogen.
Drittens: Wir werden die wirtschaftspolitische Koordinierung innerhalb der Eurozone ausweiten. Damit beseitigen wir die Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion. Wir holen jetzt die Schritte in Richtung politische Union nach, die damals noch nicht möglich waren. Wichtige Strukturreformen werden wir auf europäischer Ebene abstimmen.
Eine Politik auf Pump in weiten Teilen Europas in Verbindung mit den Konstruktionsfehlern der Währungsunion und verstärkt durch die Auswirkungen der Finanzkrise haben uns an den Rand des Abgrunds gebracht. Jetzt leiten wir den Paradigmenwechsel ein. Der Schuldenstaat ist an seine Grenzen gestoßen.
Wer Schulden abtragen will, muss Geld verdienen. Schulden bekämpft man nicht mit neuen Schulden.
Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für neue Wachstumsdynamik. Auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit werden wir uns konzentrieren anstatt neue konjunkturelle Strohfeuer, wieder auf Pump, zu entfachen. Die wichtigsten Voraussetzungen für Wachstum müssen die Mitgliedstaaten selbst schaffen, und zwar durch ehrgeizige Reformen bei der Altersversorung, der Infrastruktur und auch auf dem Arbeitsmarkt.
Dazu nur eine Zahl: Einer von fünf jungen Europäern unter 25 Jahren ist arbeitslos. In manchen europäischen Ländern haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von über 40 Prozent. Hier müssen wir besser werden. Das ist nicht nur ökonomisch geboten, sondern auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
Auch auf europäischer Ebene müssen wir umgehend eine Agenda für mehr Wachstum durch Wettbewerbsfähigkeit auf den Weg bringen.
Binnenmarkt: Hier liegen die größten Ressourcen für mehr Wachstum. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bleiben unsere wichtigsten Handels- und Wirtschaftspartner. Das deutsche Handelsvolumen mit Belgien ist größer als das mit Indien. In Frankreich haben deutsche Unternehmen mehr als in China investiert. Die Ausdehnung des Binnenmarkts auf neue Felder birgt große Chancen. Das gilt besonders für die digitalisierte Wirtschaft, den Internethandel und den Energiebereich, wo mehr Wettbewerb zu günstigeren Preisen und mehr Versorgungssicherheit führen wird.
Zukunftshaushalt: „Mehr Wettbewerbsfähigkeit“ muss das Leitmotiv der Verhandlungen über den künftigen EU-Haushalt werden. Das Geld der europäischen Steuerzahler wollen wir in Forschung, Innovation und neue Technologien investieren und nicht in Subventionen.
Übrigens: Obwohl diese Bundesregierung einen harten Sparkurs fährt, investiert sie national in Bildung, Forschung und Technologie so viel wie noch keine Bundesregierung vorher. Ich freue mich auch über die immensen unternehmerischen Investitionen in Forschung und Entwicklung, die in diesem Jahr auf über 60 Millarden Euro ansteigen werden.
Freihandel: Die Bedeutung des freien Handels steigt. Europäische Union und Bundesregierung setzen alles daran, weitere Freihandelsabkommen abzuschließen. Denn 2015 werden 90 Prozent des weltweiten Wachstums außerhalb Europas erwirtschaftet werden. Wir wollen, dass die deutsche und die europäische Wirtschaft daran teilhaben.
Wir leben in einer Zeit, in der sich die wirtschaftlichen Gewichte verschieben. China ist innerhalb weniger Jahrzehnte zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen. Eine ähnliche Dynamik hat auch in Indien eingesetzt.
Brasilien hat in diesem Jahr Großbritannien als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt überholt. Früher waren die Schwellenländer abhängig von der Konjunktur der Industrieländer. Heute ist die Konjunktur der Industrieländer abhängig von der Dynamik dieser Länder. Das ist nicht verkehrte Welt. Das ist unsere Welt.
Ich bin der Meinung, dass selbst der Begriff Schwellenländer nicht mehr ausreichend die Realität von heute beschreibt. Wir haben es mit neuen Gestaltungsmächten zu tun, die sich auszeichnen durch eine bedeutende Wirtschaftskraft, einen starken Gestaltungswillen und die der Welt zunehmend auch in der Außenpolitik ihren Stempel aufdrücken wollen.
Unter diesen neuen Gestaltungsmächten verstehe ich nicht nur die BRICS-Staaten. Längst hat sich darüber hinaus eine Reihe von Staaten auf den Weg gemacht. Sie erheben den Anspruch, in der ersten Liga mitspielen zu wollen. Diese Länder, die heute für uns in der Weltwirtschaft zugleich Konkurrenten und Partner sind, waren noch vor wenigen Jahrzehnten klassische Entwicklungsländer. Das hat sich völlig verändert.
Deswegen ist es richtig, dass wir rechtzeitig für diese Länder die Augen aufmachen. Beispielsweise für Vietnam, für Kolumbien. In einer Welt von etwa sieben Milliarden Menschen lösen wir auch die neuen globalen Herausforderungen nur gemeinsam mit den neuen Schwergewichten – etwa in den Bereichen Energie, Rohstoffe, Klima, Gesundheit oder Nahrungsmittelpreise. Wer Globalisierung gestalten will, braucht starke Partner.
Deutschland lebt von seiner Offenheit und seiner internationalen Vernetzung. Das ist keine politsche Theorie. Das hat handfeste Konsequenzen. Nehmen Sie die deutsche Praxis der Visumserteilung.
Ich habe mich dafür eingesetzt, dass alle Erleichterungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, die im Rahmen des europäischen Rechts zur Verfügung stehen. Wir haben wichtige Verbesserungen erreicht: Bona Fide-Antragsteller, zu denen Geschäftsreisende häufig gehören, brauchen ebenso wie Vielreisende nicht mehr für jedes Visum persönlich beim Konsulat zu erscheinen. Darüber hinaus intensivieren wir in die Zusammenarbeit der Auslandsvertretungen mit den Außenhandelskammern.
Für dieses Jahr stehen weitere Verbesserungen bevor: Wir werden an den Visastellen mit den höchsten Antragszahlen – u. a. in Russland, der Ukraine, der Türkei und China – die Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern ausbauen. Diese werden die Anträge innerhalb von 48 Stunden entgegennehmen, was das Verfahren beschleunigen wird.
Darüber stehen wir mit verschiedenen Staaten im Dialog, um die Voraussetzungen für eine gänzliche Aufhebung der Visumpflicht zu schaffen. In den vergangenen Jahren konnte bereits die Visumpflicht für fünf Westbalkan-Staaten aufgehoben werden. Jetzt sind wir auf einem guten Weg dorthin u. a. mit Russland und der Ukraine.
Wir verpassen Wirtschaftschancen, wenn wir uns verschließen und uns abschotten. Wir sollten uns freuen, wenn Geschäftspartner aus aller Welt Deutschland besuchen und mit uns Geschäfte machen wollen.
Wir müssen neue Partnerschaften mit den aufsteigenden wirtschaftlichen und politischen Kraftzentren eingehen. Die Zuwendung zu neuen Partnern bedeutet selbstverständlich keine Abkehr von unseren engsten und bewährten Partnern. Im Gegenteil: Nur europäisch umgesetzt werden die strategischen Partnerschaften mit den neuen Gestaltungsmächten ihren vollen Nutzen entfalten.
Selbst das wirtschaftlich starke Deutschland allein wird im Wettbewerb mit den zunehmend erstarkenden Kraftzentren wie China, Indien und Brasilien nicht bestehen können. Dazu brauchen wir ein starkes Europa. Dazu brauchen wir mehr Europa und nicht weniger Europa. Damit Europa als globale Gestaltungsmacht bestehen kann, muss es wirtschaftlich wettbewerbsfähig und politisch geeint sein. Europa ist kein Projekt von gestern. Europa ist Deutschlands Zukunft.