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„Ein geeintes Europa zusammen mit den asiatischen Partnern“

10.09.2011 - Rede

Staatsminister Werner Hoyer fordert beim Bergedorfer Gesprächskreis die Europäer auf, für die asiatischen Partner das richtige Verständnis zu entwickeln. Die anstehenden Veränderungen seien nicht bedrohlich, sondern eine Herausforderung, zu handeln und mitzugestalten.

Rede von Staatsminister Werner Hoyer beim Bergedorfer Gesprächskreis

-- Es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrte Damen und Herren,

Nichts hat die Welt in den letzten zehn Jahren so sehr fasziniert wie der rasante Aufstieg Asiens. Manche asiatische Länder, die vor zwanzig Jahren noch als Entwicklungsländer galten, sind heute „neue Kraftzentren“. Wir leben in einer Epoche tiefgreifender Veränderungen, und viele davon geschehen derzeit in Asien. Es ist offensichtlich, dass dieser Prozess grundlegende Auswirkungen auf die internationale Ordnung hat. Wir in Europa und USA müssen Antworten finden.

Dazu meine Thesen:

Asiens politische Rolle ist noch nicht kommensurabel mit seiner wirtschaftlichen Stärke. Asien sollte nach unserer Auffassung mehr politische Verantwortung übernehmen und bereit sein, Verpflichtungen einzugehen.

Europa wird weiter gebraucht. Es ist im Interesse aller internationalen Akteure, dass es seine gegenwärtige Krise bewältigt und sich stärker politisch integriert.

Die Kopenhagener Klimaverhandlungen sind ein in zweierlei Hinsicht warnendes Beispiel.

Die Vereinten Nationen bleiben wichtig – you cannot run the show nur mit Asien, Europa und Amerika. G20 und G8 sind wichtig, haben aber eine dienende Funktion.

Deutschland muss in der EU auf stärkere Wahrnehmung Asiens drängen – 12 Flugstunden sind keine Ausrede. ASEAN spielt eine besondere Rolle.

Umwälzende technologische Entwicklungen sind ein Grund für den Aufschwung in Asien - aber nicht der einzige. Vor allem haben kluge politische und ökonomische Entscheidungen die Entfaltung des enormen Potentials der asiatischen Staaten ermöglicht.

China, Vietnam und Indien haben in ihren fundamentalen Entscheidungen zu den Volkswirtschaften die Weichenstellungen vorgenommen. Viele ASEAN-Mitgliedstaaten haben zur Überwindung der großen Krise in den späten 90er Jahren harte Reformschritte vollzogen und damit den Weg hin zu ökonomischer und politischer Erneuerung beschritten. Der unblutige demokratische Wandel in Indonesien bleibt beeindruckend.

Für uns bedeutet die asiatische Dynamik aber auch eine Gewichtsverschiebung von West nach Ost. Der Anteil Asiens am Weltsozialprodukt wächst stetig. Die Anteile von USA und Europa an der Weltwirtschaft sind hingegen leicht rückläufig. Manche Entwicklungen in Europa werden noch durch den Euro-Dollar-Wechselkurs überdeckt.

Manche in Europa erfüllt diese Perspektive mit Sorge. Aber was bedeutet der „relative“ Verlust gegenüber Asien ? Er bedeutet konkret, dass hunderte Millionen Menschen in Asien mehr am internationalen Wirtschaftsleben teilhaben, mehr Hoffnung auf Wohlstand und eine bessere Zukunft haben. Der „relative Bedeutungsverlust“ Europas und Amerikas geht einher mit der Entwicklung einer globalen Mittelklasse, deren Vorstellungen von individueller Lebensgestaltung und Teilhabe sich in unseren nicht groß unterscheiden - bei allen kulturellen Unterschieden. Das ist kein Befund, der Angst erzeugen, sondern uns den Blick für die Möglichkeiten eröffnen sollte, die in diesen Veränderungen stecken.

Während die wirtschaftlichen Erfolge Asiens mit traumhaften Wachstumsraten offensichtlich sind, hat der Kontinent als Ganzes hingegen noch kein vergleichbar großes politisches Gewicht. Ein Grund dafür ist sicherlich auch die Verschiedenheit der politischen Verfasstheit großer Akteure, mit durchaus unterschiedlichen Interpretationen von Demokratie und Rechtsstaat. Aber auch die Ambitionen auf dem Gebiet der internationalen Politik sind noch ausbaufähig: langfristig wird es um mehr gehen als um regionale Stabilität und den freien Fluss von Handelsgütern und Rohstoffen. Es wird aus unserer Sicht darum gehen, kohärente und umfassende Konzepte für die internationale Politik zu formulieren. Damit sollte dann auch die größere Bereitschaft einhergehen, internationale Verpflichtungen einzugehen.

Mit der Gründung der Europäischen Union haben die europäischen Nationen einen innovativen und sehr erfolgreichen Weg beschritten. Die EU ist, bei allen Schwächen, die wir gegenwärtig merken, eine große Erfolgsgeschichte. Dies wird in letzter Zeit allerdings manchmal in Frage gestellt. Zweifelsohne wird die EU noch große Anstrengungen unternehmen müssen, um die derzeitige Schuldenkrise einiger ihrer Mitgliedstaaten zu überwinden. Hier können wir von der Reform- und Erneuerungsfähigkeit der asiatischen Länder lernen.

Wir müssen in Europa begreifen, dass wir zur Überwindung der Krise – und nicht nur dafür – die Integration Europas nicht zurückdrehen dürfen, sondern sie weiter vorantreiben müssen. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung für unsere Binnendiskussion.

Unsere grundlegende Wertorientierung können wir niemandem aufzwingen. Der Dialog mit den Partnern darüber ist uns aber wichtig. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind attraktive und aus unserer Sicht stabilisierende Ideen. Wir sollten darauf vertrauen, dass ihre Anziehungskraft durch die Globalisierung weiter zunimmt. Wir müssen sie dann aber auch glaubwürdig leben und uns daran messen lassen.

Gerade angesichts einer immer unübersichtlicheren internationalen Machtverteilung wird die internationale Gemeinschaft Europa weiterhin als „Kraftzentrum“ brauchen. Europas wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, daraus resultierend seine Beiträge zu den Vereinten Nationen, sein technologisches know-how, seine Erfahrungen in der Gestaltung der internationalen Ordnung und der Friedenssicherung können sehr wichtig sein. Europa ist die logische Antwort unseres Kontinents auf die Globalisierung. Wir müssen als Europäer mit einer Stimme sprechen, wenn wir neue Partnerschaften mit aufstrebenden Mächten entwickeln.

Ein in sich zerstrittenes und institutionell schwaches Europa ist der gemeinsamen Bewältigung globaler Herausforderungen nicht gewachsen. Europa zu stärken ist daher nicht nur Verantwortung gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen Europas, sondern auch Verantwortung gegenüber unseren Partnern in Asien und weltweit.

Asien und Europa müssen den Anforderungen, die globale Ordnung zu gestalten, gerecht werden. Was passiert, wenn dies nicht geschieht, haben wir vor knapp zwei Jahren bei der Kopenhagener Klimakonferenz erleben müssen. Ohne die Rolle der USA auszublenden (sie war enorm wichtig): auf der einen Seite waren die Europäer voller guter Absichten und bereit, verbindliche Emissionsreduktionen zu vereinbaren. Jedoch waren sie uneins in ihren konkreten Verhandlungsoptionen und -positionen, als es darauf ankam. Dies führte dazu, dass sie in der entscheidenden informellen Runde gar nicht mehr vertreten waren – die „deals“ haben andere gemacht. Andererseits wichtige asiatische Akteure: sie waren bis zum Schluss vertreten, aber dezidiert nicht bereit, über Kyoto hinauszugehen und bindende Verpflichtungen einzugehen – obwohl sie in vielerlei Hinsicht bereits Industrieländer sind. Aber die Lehre aus Kopenhagen mit Blick auf eine verbesserte „Global Governance“ kann nicht Stillstand oder Rückzug sein, sondern das Eingeständnis, dass wir einen längeren Atem und sehr viel mehr Geduld miteinander brauchen.

Auf internationaler Ebene beobachten wir, wie die dynamischsten asiatischen Staaten, aber auch Länder wie Südafrika und Brasilien, mehr und mehr beanspruchen, entsprechend ihrer gewachsenen ökonomischen Bedeutung verstärkt an der Gestaltung der internationalen Ordnung mitzuwirken.

Dies ist nicht nur legitim, sondern es liegt im elementaren Interesse Europas. Es ist wichtig, dass die neuen Akteure an der Lösung der immer komplexeren globalen Problemstellungen aktiv mitarbeiten, aber auch entsprechend Verantwortung übernehmen, ob es Umwelt-, Klima- oder Energiefragen sind, die Volatilität der Finanzmärkte, nukleare Proliferation oder andere globale Bedrohungen der Sicherheit.

Die G20 haben bei der Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise ihren Mehrwert unter Beweis gestellt. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die G20 noch mehr als bisher zum Impulsgeber für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit werden.

Die G20 wie die G8 sind vor allem wichtige informelle Abstimmungsgremien der bedeutendsten Industrie- und Schwellenländer, sie sind indes keine Alternativen zu den Vereinten Nationen. Keine internationale Organisation verfügt über ein vergleichbar hohes Maß an Legitimität. Deshalb setzt Deutschland sich dafür ein, dass die VN durch die Arbeit der G8 und G20 gestärkt, nicht etwa substituiert wird. Allerdings werden die VN vor allem bei der Zusammensetzung des Sicherheitsrats nicht mehr den heutigen Realitäten und Anforderungen gerecht. Deutschland unterstützt daher im Rahmen der G 4 – Gruppe ein Reformmodell, das auch Asien deutlich mehr Gewicht geben würde.

Wir werden uns in Europa daran gewöhnen müssen, dass die internationale Ordnung in Zukunft viel mehr von den Vorstellungen, Wünschen und Interessen der asiatischen Länder mitgeprägt werden wird. Dabei haben wir es mit selbstbewussten Partnern zu tun, die aber auch die Risiken und Probleme ihrer eigenen raschen Entwicklung deutlich vor Augen haben. Hoher Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von den Exportmärkten und die mangelnde Inklusivität des Wachstums sind nur einige davon.

Es ist deshalb für die europäische Politik entscheidend, für die Vorstellungen und Interessen der Partner in Asien das richtige Verständnis zu entwickeln. Nur wenn wir uns intensiv und mit Respekt um einander bemühen, werden wir langfristig Seite an Seite Erfolg bei der Bewältigung der großen globalen Fragen haben.

Für viele asiatische Partnerländer ist Deutschland der wichtigste Handelspartner in der EU. Mit China und Indien haben wir darüber hinaus vor kurzem die jeweils ersten bilateralen Regierungskonsultationen durchgeführt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen der asiatischen Partner an uns, ihnen bei der Verbesserung der Beziehungen zur EU behilflich zu sein. Dies tun wir gerne. Dazu gehört, dass wir die EU-Kommission anspornen, die Verhandlungen mit den Staaten Asiens über Freihandels- sowie Partnerschafts- und Kooperationsabkommen voranzutreiben. Dazu gehört auch, bei unseren europäischen Partnern für eine noch bessere Präsenz bei gemeinsamen hochrangigen Veranstaltungen zu werben. Die Messlatte liegt hoch: ASEAN-Generalsekretär Surin Pitsuwan erwartet für den nächsten Gipfel des „Asia-Europe-Meeting“ in Laos ein „Full House“. Nach den Erfahrungen in Brüssel und Budapest ist das eine angemessene Erwartung. Wir sehen dies auch im Zusammenhang mit dem Bestreben der EU, Teilnehmer beim East Asia Summit zu werden.

Gleichzeitig sehen wir uns aber auch in der Pflicht, um Verständnis bei den asiatischen Partnern für die Komplexität des europäischen Einigungsprozesses zu werben. Für viele asiatische Staaten, und vor allem für die ASEAN-Staaten, ist die EU wichtige Referenz. Um es mit den Worten Surin Pitsuwans zu sagen: die EU ist „Inspiration, aber nicht Modell“. Genauso sehen wir unsere Rolle in der Zusammenarbeit mit ASEAN. Dies schließt die Unterstützung des Sekretariats der Organisation durch Deutschland und die EU ein. Je stärker die Staaten der Region untereinander kooperieren, desto mehr wird ASEAN mit seinen 600 Millionen Einwohnern zum „vierten Pfeiler“ in Asien. Dies gilt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch mit Blick auf eine Rolle als potentieller regionaler Stabilitätsanker. ASEAN und Europa haben gemeinsam, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile: die einzelnen Mitgliedstaaten haben nicht das Gewicht, eine international rundum führende Rolle einzunehmen, die Gesamtheit sehr wohl.

Asiens rascher Modernisierungsprozess hat die Welt bereits tiefgreifend verändert – und er ist noch lange nicht abgeschlossen. Die neue Rolle Asiens als ökonomisches Schwergewicht wird unweigerlich die Tektonik einer internationalen politischen Ordnung, deren Grundstrukturen noch aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen, noch weiter verschieben.

Es wird für uns wichtig sein, in unsere Gesellschaften hinein zu vermitteln, dass diese Veränderungen nicht bedrohlich sind, sondern eine Herausforderung an uns, zu handeln und mitzugestalten. Dafür werden wir anders – offener, flexibler, vernetzter - als bisher in der internationalen Politik agieren müssen, jedoch auf dem Fundament unserer Grundorientierungen. Die transatlantische Zusammenarbeit, die Beziehungen zu langjährigen asiatischen Wertepartnern wie Japan und die Republik Korea sind weiterhin unverzichtbar – gleichzeitig wollen und müssen wir strategische Partnerschaften mit den neuen, dynamischen Akteuren aufbauen bzw. weiter vertiefen. Deutschland will und wird seinen Beitrag dazu leisten. Nur wenn wir in gemeinsamer Verantwortung - ein geeintes und gestärktes Europa zusammen mit den asiatischen Partnern - die Herausforderungen der Globalisierung angehen, werden wir die großen Veränderungen zum Vorteil aller bewältigen können.

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