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Libyen: „Wirtschaftlicher Aufbau wird entscheidend sein“ (Interview)

24.08.2011 - Interview

Interview mit außenminister Guido Westerwelle, erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 24.08.2011.

Widersprüchliche Meldungen aus Tripolis. Wie stellt sich die Lage in Libyen für Sie dar?

Die Nachrichten, die wir aus Libyen erhalten, zeigen, dass die Lage noch sehr fragil und unübersichtlich ist. Der Diktator muss jetzt einsehen, dass seine Zeit vorbei ist. Es darf kein weiteres Blutvergießen in Libyen mehr geben.

Ist es für Siegesjubel noch zu früh?

Libyen besteht nicht nur aus Tripolis und Bengasi. Es ist fünfmal so groß wie Deutschland. Es hat 140 Stämme, 30 davon einflussreich und von politischer Bedeutung. Das allein zeigt, dass noch sehr viel zu tun bleibt. Der Weg zu Stabilität und Frieden ist lang. Das wird nach mehr als 40 Jahren Diktatur eine Herkulesaufgabe werden.

Wie geht es in Libyen weiter?

Jetzt geht es vor allem darum, den politischen Umbruch in Richtung Demokratie erfolgreich zu bewältigen. Wir haben den Nationalen Übergangsrat als unseren Gesprächspartner anerkannt, nachdem er sich klar für die Demokratie entschieden hat. Entscheidend wird auch der wirtschaftliche Aufbau werden. Libyen ist ein reiches Land. Aber die Zeit der Diktatur hat Spuren hinterlassen. Libyen braucht jetzt einen Wiederaufbau, der das Land dauerhaft stabilisiert. Hier hat Deutschland Erfahrung und eine besondere Kompetenz. Wir werden Libyen mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn das gewünscht wird.

Welche Rolle wird Deutschland beim Wiederaufbau übernehmen?

Wir haben gestern in Bengasi eine Kreditvereinbarung über 100 Millionen Euro unterzeichnet. Dieses Darlehen steht dem Nationalen Übergangsrat zur Verfügung und soll vor allem für humanitäre und zivile Hilfe eingesetzt werden. Allein in Deutschland sind aufgrund der erfolgreichen Sanktionspolitik 7,3 Milliarden Euro an Geldern des Gaddafi-Regimes eingefroren. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Mittel nun schnell freigegeben werden und dem libyschen Volk für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen.

Droht jetzt ein Bürgerkrieg? Experten warnen bereits vor einer Irakisierung . . .

Genau das müssen wir jetzt verhindern. Der Nationale Übergangsrat benötigt jetzt volle Unterstützung. Auf den Weg in Richtung Demokratie müssen alle gesellschaftlichen Kräfte mitgenommen werden.

Aus heutiger Sicht: War die deutsche Enthaltung bei der Entscheidung über den Libyen-Einsatz wirklich richtig?

Wir haben entschieden, uns nicht mit deutschen Soldaten an den Kampfeinsätzen in Libyen zu beteiligen. Wir haben unseren Beitrag zum Umbruch mit politischen Mitteln geleistet. Die Sanktionen und die internationale Isolierung waren von großer Bedeutung. Dadurch ist Gaddafis Regime von Nachschubquellen abgeschnitten worden.

Aber hat nicht erst der NATO-Einsatz den Erfolg der Aufständischen möglich gemacht?

Wir haben auf eine umfassende Sanktionspolitik gesetzt, die den Diktator isoliert hat. Entscheidend war am Ende der Freiheitswille des libyschen Volkes.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hält den Einsatz der Bundeswehr in Libyen für möglich . . .

Wir sollten die Libyer zunächst erst einmal fragen, was sie wirklich an Unterstützung wollen. Der Nationale Übergangsrat muss jetzt erklären, welche Hilfe notwendig ist. Die Vereinten Nationen sollten beim Wiederaufbau eine Schlüsselrolle übernehmen.

Was erwartet jetzt Gaddafi und seine Familie?

Oberst Gaddafi und ein Teil seiner Familie sind zur Fahndung durch den internationalen Strafgerichtshof ausgeschrieben. Wir setzen darauf, dass sie ihrem Richter vorgeführt werden. Ob ein Gerichtsverfahren in Den Haag oder in Libyen stattfinden wird, darüber wird zunächst in Libyen zu entscheiden sein.

Fragen: Andreas Herholz. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse.

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