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Interview: „Wir wollen mit China eine strategische Partnerschaft“
Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit dem Deutschlandfunk zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen
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Herr Westerwelle, Wen Jiabao kommt mit großer Delegation nach Deutschland zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Solche Regierungskonsultationen gibt es beispielsweise mit Polen, mit Frankreich und auch mit Israel, und nun auch mit der lupenreinen Diktatur China. Was versprechen Sie sich davon?
Wir wollen mit China eine strategische Partnerschaft nicht nur begründen, sondern auch ausbauen und vertiefen, und wir sind der Überzeugung, dass dieses einmal im Hinblick auch auf unsere Wirtschaftschancen von großer Bedeutung ist, und zwar gegenseitig von großer Bedeutung ist. Andererseits aber gibt es kein einziges, wirklich weltweit bedeutendes Problem oder Thema, das nicht auch nur gemeinsam gelöst werden könnte: Nehmen Sie Themen wie den Klimaschutz beispielsweise, oder auch globale Fragen der Sicherheit und Konfliktprävention. Da geht es auch ganz entscheidend stets um ein so bedeutendes Land wie China und wie es sich aufstellt, wie es sich verhält, und da wollen wir natürlich auch unseren gegenseitigen Einfluss nutzen.
Bleiben wir mal kurz beim Thema der Wirtschaftsperspektiven. China zeigt großes Interesse an Investitionen in Europa, kauft nun auch Staatsanleihen europäischer Staaten auf. Kann es eigentlich auch ein zu viel an Kooperation mit und ein zu viel an Abhängigkeit von China geben?
Ich denke, dass diese Befürchtungen im Hinblick auf China unangebracht sind, denn dem liegt ja so ein Nullsummen-Denken zugrunde, nach dem Motto: Wenn China stärker wird, müssen andere schwächer werden, wenn Chinas Einfluss wächst, dann wird der Einfluss Europas beispielsweise sinken. Das Gegenteil ist richtig: Chinas Einfluss wächst, die Wirtschaft in China wächst, und gleichzeitig, wenn wir es gut aufstellen und uns vernünftig politisch einbringen, geht das nicht zu unseren Lasten, sondern eindeutig auch zu unserem Nutzen. Ein einfaches Beispiel ist: In China leben 1,3 Milliarden Menschen. In den letzten Jahren sind mehrere Hundert Millionen Menschen aufgestiegen in eine Mittelschicht. Die haben ein großes Interesse auch an deutschen Qualitätsprodukten, die haben ein großes Interesse auch an der Welt, und da werden nicht nur ökonomische Fragen globalisiert, da werden auch Werte globalisiert, Ansichten globalisiert, und dieser Austausch, den wir ja selbst aus Deutschland kennen unter der Überschrift „Wandel durch Handel“, diesen Austausch wollen wir weiter befördern.
Gleichwohl, Herr Minister, gibt es ja auch Bedenken gegen zu viele Investments solcher Regime hier in Europa. Beispielsweise wird ja auch immer wieder bezweifelt, ob es klug ist, etwa Russland Investitionen im Energiebereich oder im Hightech-Bereich wie der Luftfahrtindustrie zu gestatten. Gibt es so was auch mit Blick auf China?
Ich teile diese Bedenken ausdrücklich nicht. Wir haben in einer Welt des Wandels eine Kernaufgabe, nämlich einerseits die alten Partnerschaften und Freundschaften, die traditionellen Beziehungen zu pflegen und auch auszubauen, aber gleichzeitig geht es darum, in einer Welt mit sich verschiebenden Gewichten neue Partnerschaften und neue Freundschaften zu begründen. Und wer Angst vor dem freien Welthandel hat, wer Angst davor hat, dass andere Länder, auch große Länder bei uns investieren, der unterschätzt die Abhängigkeit Deutschlands von der internationalen Vernetzung. Wir Deutsche haben ja keine Rohstoffe zu bieten, die wir exportieren könnten, und das sicherte unseren Wohlstand, sondern wir leben von unseren Erfindungen, von unserer internationalen Vernetzung. Kein Land ist so sehr auf den Welthandel angewiesen wie Deutschland. Und wenn wir es richtig machen, dann geht es hier eben nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern dann geht es ausdrücklich auch um Werte, um Menschenrechte, um Bürgerrechte, also auch um einen gesunden und positiven Einfluss, den wir wahrnehmen wollen.
Stichwort Menschenrechte. In den letzten Tagen sind zwei Regimekritiker in China aus der Haft entlassen worden. Ich sagte das Eingangs. Ändert das was an Ihrer Einschätzung über die Lage der Menschenrechte in China?
Das muss man abwarten, was das konkret bedeutet, denn wenn ich an die Freilassung insbesondere des Künstlers Ai Weiwei denke, für den ich mich ja selber auch sehr eingesetzt habe, politisch und auch auf diplomatischem Wege, so sind und bleiben doch die Umstände seiner Freilassung bedrückend. Aber dennoch wird das natürlich auch gesehen, auch positiv gewürdigt. Ich denke, man muss, wenn es um die Entwicklungen, um die inneren Entwicklungen geht, nicht nur das Jahr, in dem man lebt, vor Augen haben, sondern auch die längerfristigen Entwicklungen. Viele vergessen, dass der gesamte Öffnungsbeschluss der kommunistischen Partei von China gerade mal etwas länger her ist als 30 Jahre, und man muss doch auch erkennen, dass auch wir nicht über Nacht unser westliches System uns errungen haben, sondern dass es auch eine Zeit gebraucht hat, bis bei uns Ansichten, Werte, die Gesetze der Aufklärung verinnerlicht wurden.
Stichwort längerfristige Entwicklung. Beobachter sagen, dass gerade seit den Olympischen Spielen in den letzten Jahren die Lage der Menschenrechte in China schlechter geworden ist. Was werden Sie Wen Jiabao heute sagen in diesem Zusammenhang?
Wir haben uns bereits gestern Abend sehr gut und sehr freundschaftlich ausgetauscht, natürlich auch über die Fragen, wo wir noch unterschiedlicher Auffassung sind, und dazu zählt ganz zweifelsohne auch das Freiheitsverständnis in unseren Ländern. Es ist in der Tat noch unterschiedlich. Aber dafür führen wir ja auch Konsultationen, um uns auszutauschen, und auch, um unsere Ansichten miteinander zu besprechen in der Hoffnung, dass dadurch auch Veränderungen möglich sind. Wir haben auch bis hin zur Lage unserer Journalisten gesprochen, also auch gerade der deutschen Korrespondenten, die ja in China arbeiten, und ihre Arbeitsbedingungen. Man kann nicht nur mit dem chinesischen Ministerpräsidenten, sondern insgesamt mit der chinesischen Delegation auch schwierige, auch heikle Fragen gut besprechen, weil die Beziehungen mittlerweile doch von einer Intensität und einer Tiefe sind, dass sie es erlauben, und das tun wir. Allerdings tun wir es auf eine Art und Weise, dass China jederzeit auch spürt, wir sind eben nicht die Lehrmeister, sondern wir sind Vertreter unserer Werte, unserer Ansichten, wir wollen überzeugen, aber wir wollen niemanden brüskieren.
Vielleicht kann man, Herr Westerwelle, mit chinesischen Politikern auch deshalb so gut über solche Themen reden, weil China mit gespaltener Zunge spricht. Das behauptet jedenfalls die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die sagt, dass auf internationalem Parkett chinesische Politiker immer eine Verbesserung der Menschenrechtslage versprechen, in der Innenpolitik dann aber knallhart das Gegenteil exekutieren. Deckt sich das mit Ihrer Beobachtung?
Also zunächst einmal ist es richtig, dass es auch empfindliche Rückschläge in den letzten Monaten, insbesondere in der Zeit nach den Olympischen Spielen gegeben hat. Auf der anderen Seite allerdings muss auch anerkannt werden, dass über einen längeren Zeitraum durchaus auch Entwicklungen möglich wurden, die gewürdigt werden sollten. Unser Engagement geht ja vor allen Dingen in Richtung Unterstützung der Bürgerrechtsanwälte. Wir haben beispielsweise aber auch das Thema Freiheit der Kunst zu einem bedeutenden bilateralen Projekt gemacht. Die Ausstellung, die eröffnet worden ist, Kunst der Aufklärung in China, die ich selbst eröffnen durfte, die ja auch in Deutschland dann sehr kontrovers diskutiert wurde, sie wird von mehr und mehr Chinesen gesehen. Mittlerweile haben sich die Besucherzahlen auf ein Niveau bewegt, wo etwa täglich 1.500 Besucher sich die Ausstellung ansehen. Das heißt, es gibt viele Wege auch, um die eigenen Ansichten auszutauschen und auch zu überzeugen. Denn eines darf nie vergessen werden: die Menschenrechte sind keine innere Angelegenheit, nicht hier, nicht dort, nirgendwo auf der Welt, sondern sie sind eine Angelegenheit von universeller Bedeutung. Das heißt, sie gelten weltweit für jedermann. Deutsche Außenpolitik ist interessensgeleitet, wir kennen unsere Wirtschaftschancen, aber sie ist eben auch werteorientiert, wir kennen auch unseren inneren Kompass.
Wenn Sie gestatten, Herr Minister, noch kurz zu einem anderen Thema. Gestern hat die Gesellschaft für bedrohte Völker in Berlin darauf hingewiesen, dass in Berliner Diplomatenhaushalten Haushaltshilfen unter sklavenartigen Bedingungen beschäftigt werden. Wie bewerten Sie das?
Ich kann das nicht bewerten. Ich habe mein Amt gebeten, diesen Hinweisen nachzugehen, und wenn das geschehen ist, dann werden wir natürlich dazu auch Stellung beziehen. Aber ich bitte um Verständnis dafür, dass ich aufgrund von Medienberichten alleine mir noch kein Urteil erlauben möchte.
Wäre so etwas denn gedeckt durch die diplomatische Immunität?
Sie wissen, dass wir mehrere Möglichkeiten haben, auch darauf zu achten, dass nicht nur die rechtsstaatlichen, sondern auch die sozialen Standards in Deutschland geachtet und respektiert werden, von Jedermann, und das werden wir zweifelsohne auch tun. Aber wir werden hier kein Urteil fällen, bevor die Fakten nicht ausreichend auch aufgeklärt werden konnten. Darum habe ich meine Mitarbeiter gebeten und vorher wird von mir keine Bewertung stattfinden.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Westerwelle, danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Ich danke Ihnen!
Fragen: Peter Kapern. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks